NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

zurück  
Druckversion

Krieg und Frieden
Ein weiteres Beispiel für die Verrohung der israelischen SoldatInnen
Lynndie England of Israel
Von Dr. Maryam Dagmar Schatz

Schon während des Überfalles auf Gaza damals machten schockierende Bilder von T-Shirts die Runde. Neun Aktivisten auf der Mavi Marmara wurden auf kurze Distanz erschossen, die Bilder gingen um die Welt. Mit den gestohlenen Kreditkarten wurde später in Tel Aviv unter anderem Bier gekauft. Jetzt skandalisieren israelische und jüdische Medien, dass auch Frauen wider alle Regeln der Genfer Konvention wehrlose Gefangene missbrauchen. Dabei sind die Fotos von Lynndie England aus Abu Ghraib in Irak noch in der Erinnerung. Die neue „Frau der Israel Defence Forces“ heißt Eden Abergil und hat einen Account bei facebook. Doch sie ist kein Einzelfall.

 

IDF-Marketenderware
Quelle:sky/Yanai Yechiel
Zunehmend seit dem Gaza-Feldzug ist die israelische Armee in den Schlagzeilen wegen der abfälligen Einstellung ihrer SoldatInnen zum Wert palästinensischen Lebens, die sich im Design von T-Shirts ausdrückte, und die geschmacklos zu bezeichnen ziemlich freundlich wäre. (1) Es gab Berichte über „sehr lockere Dienstvorschriften, was das Schießen auf Zivilisten betraf“. Die israelische Öffentlichkeit sei „schockiert“ gewesen, meldete der Nachrichtensender n-tv: „Einer der Kommandeure erzählte etwa von einer Anweisung, eine ältere Palästinenserin zu erschießen, die in etwa 100 Meter Entfernung von einer israelischen Stellung auf der Straße ging. Er sprach dabei von "kaltblütigem Mord". Ein anderer Kommandeur erzählte, wie ein Scharfschütze eine Mutter und ihre zwei Kinder erschoss, weil sie versehentlich eine falsche Straßenabbiegung nahmen. "Ich glaube nicht, dass er sich besonders schlecht fühlte, weil er aus seiner Sicht nur nach seinen Vorschriften handelte." (2) Auch Soldaten brachen ihr Schweigen und berichteten (3). Im folgenden Video von youtube sieht man im 4. Teil einer Videoserie „Female Israeli Soldiers ashamed of themselves“, die übrigens von Frauen gemacht wurde, wie die Kriegsmaschinerie Frauen gegen Frauen hetzt und auch weibliche Soldaten brutalisiert.


Quelle: Youtube

In Gaza wurden bereits am Boden liegende, wehrlose  Aktivisten durch SoldatInnen auf kurze Distanz erschossen (4) und die Toten ungeniert verhöhnt (5). Die Kreditkarten wurden hinterher unter anderem benutzt, um Bier  damit zu kaufen.(6) Im Video berichtet die bestohlene Besitzerin über die Belastung ihrer Kreditkarte durch einen Getränkemarkt in Tel Aviv. Und um auf T-Shirts zurückzukommen: die Mavi-Marmara-Einheit Shayetet 13 wird – wie Mossad und die Israel Defence Forces IDF – durch eigene Devotionaliengefeiert. (7) All dies wurde übrigens als Erstes von jüdischen und israelischen JournalistInnen aufgedeckt und skandalisiert.



Facebook-Profilfoto
Quelle: screenshot/Facebookseite Eden Abergil


Jetzt gibt es einen neuen Skandal. Die Israelin Eden Abergil betreibt eine Facebookseite, was keine besondere Nachricht wäre, denn das tun über 500 Millionen andere User auch. Das Profilbild zeigt sie in dem, was sie wohl als einladende Pose versteht und was eher geeignet wäre, die Werbeseite einer Telefonhotline zu zieren. Aber auf ihrer Albumseite präsentierte sie unter der Überschrift „Dienst in der Armee, die beste Zeit meines Lebens“ auch Bilder aus der Zeit ihres Wehrdienstes. Darunter ganz harmlose, aber auch solche, die sie mit Palästinensern zeigen, die gefesselt wurden und denen man die Augen verbunden hatte. Auf einem Bild bemüht sie sich, auf den Mann herunterzuschauen, der gefesselt und mit verbundenen Augen neben ihr sitzt, auf einem zweiten posiert sie vor einem Hintergrund von drei gefesselten Männern. Blogger fanden die Seite am Montag, den 16. August, und verbreiteten das Album im Internet. Jetzt hat Fräulein Abergil ihre „five minutes of fame“, ihre mediale Aufmerksamkeit. Inzwischen ist  die Seite mit den Photos und den darunter stehenden Kommentaren gesperrt und ein Robot gesetzt, wodurch sie auch durch Google-Cache oder die Waybackmachine nicht zu recherchieren ist. Viele Internetuser waren schockiert, doch einige fb-„Friends“ wie „Adi Tal“ (8) oder Kommentator Nr. 88 „David“ störte das offenbar nicht. Unter einem Haaretz-Artikel (9) fand man die Posen von Abergil ziemlich sexy.



„Ziemlich sexy…“
Quelle: screenshot/Facebookseite Eden Abergil


Auf dem Blog des israelischen Journalisten Dimitri, „Dimi“ Raider (10), der auch den Haaretz-Artikel über die gestohlenen Kreditkarten schrieb, wird die ganze Geschichte upgedatet.  Er berichtete, dass er zunächst versucht habe, Abergil zu kontaktieren. Sie habe geantwortet, er solle sich doch erst mit wichtigeren Dingen beschäftigen. Erst später habe sie ihre Facebook-Einstellungen so geändert, dass die besagte Seite für Nicht-Facebook-Freunde nicht mehr einsehbar war. Als Letztes berichtet Raider, dass sie einer anderen Journalistin gesagt habe, sie unterhalte sich nicht mit „Linken“. Am 21. August berichtete sie dem Focus, sie habe keinen Grund zum Bedauern. (11)

Die Armeeführung bemüht sich mittlerweile um Schadensbegrenzung, ein Sprecher nannte ihr Verhalten gegenüber al-Jazeera „schändlich“ (12) und teilte mit, dass die Sache, da Abergil schon vor zwei Jahren entlassen worden sei, höheren Kommandoebenen übergeben worden sei. Allerdings ist es wohl unwahrscheinlich, dass sie dafür belangt wird.

Dimi Raider schrieb: „Diese Bilder sprechen wirklich für sich. Natürlich ist Eden nicht besser oder schlechter als Tausende anderer israelischer SoldatInnen und ich hoffe, in einigen Jahren wird sie, wenn sie sich erinnert, eher entsetzt als amüsiert sein. Wir können und sollten nachsichtig mit der Auswirkung des Konflikts auf die Sensibilität und moralischen Standards eines jungen Menschen sein. Eden sollte keinesfalls zum Sündenbock für alle Exzesse der IDF gemacht werden. Außerdem sollte man sich der Bemühungen einzelner Individuen, sogar in Uniform, erinnern, eine unerträgliche Situation erträglicher zu machen.“

Der Direktor des öffentlichen Komitees gegen Folter, Yishai Menuhin, kontert:  „Solche Bilder zeigen die gewöhnlichen Normen von IDF-Soldaten die an den Grenzübergängen stationiert sind und, wie man festgenommene Palästinenser behandelt.“ Er fügte hinzu: „Das Benehmen der Soldatin ist das Produkt der IDF-Populärkultur, die die Palästinenser nicht als menschliche Wesen mit eigenen Rechten betrachtet. Es scheint, die Soldatin, die diese Bilder hochgeladen hat, hat es genossen, die Festgenommenen zu erniedrigen. Deren Recht, von sich keine Bilder in erniedrigenden Umständen ohne ihr Wissen veröffentlicht zu sehen, hat sie missachtet.“ Derlei Verhalten bezeichnet man im Allgemeinen als rassistisch und es verstößt auch gegen diejenige Bestimmung der Genfer Konvention, die das Fotografieren von (Kriegs-)gefangenen verbietet.

In einer Pressemitteilung des „Free-Gaza-Movements“ vom 21. August (21) wird berichtet, israelische Quellen hätten enthüllt, daß zumindest ein Offizier sowie mehrere Soldaten der angeblich „moralischsten Armee der Welt“ (Bernard-Henry Levi) die bei der Aktion am 31. Mai gestohlenen Laptops verkauft hätten. Da wir keinesfalls die israelische Armee mit einem anderen Maßstab messen wollen, als andere Armeen kann man solches  nur als  Diebstahl bezeichen,  und es qualifiziert die Aktion einmal mehr als kriminellen Piratenakt – der natürlich darüberhinaus den Nutzen hatte, Beweismaterial zu vernichten. Fairerweise muß man allerdings hinzufügen, daß – natürlich bei anderer Gelegenheit – auch schon Generalstabschef Gabi Ashkenazi von einem Soldaten bestohlen wurde (22): der Dieb ermöglichte einem „israelischen Araber“ mit Ashkenazis Kreditkartendaten Drogen und Kosmetika einzukaufen. Solches nennt man „Kameradendiebstahl“ und es gilt bei den Soldaten in aller Welt als besonders verwerflich.

Philipp Weiss, in dessen  Blog „Mondoweiss“ auch eine lebhafte Diskussion läuft, fasst zusammen: „The picture I see in Eden's photos? An army that has forgotten the other's humanity -- and has lost its own humanity in the process.“(12) Übersetzt: „Welches Bild erkenne ich in Eden’s Bildern? Das einer Armee, die vergessen hat, dass auch der Gegner ein Mensch ist – und die in diesem Prozess ihre eigene Menschlichkeit verloren hat.“



Die angeblich so unüblichen Fotos
Quelle: Breaking the silence


Das französische Portal oumma.com (13) und die israelische Organisation „Breaking the Silence (14)“ haben Belege dafür zusammengetragen, dass die Entgleisung von Eden Abergil in der israelischen Armee nur (15) die Spitze des Eisbergs ist. Mehrheitlich wird die Affäre jedoch durch Stimmen aus Israel skandalisiert. „Breaking the Silence“, die auch diese beeindruckende Sammlung (16) von Meinungen israelischer Soldatinnen veröffentlichte, nennen ihre Facebook-Aktion „die von Avi Benayahu (Anm.: Militärsprecher) geleugnete Normalität“. Leider sieht sich die Armee außerstande, Fräulein Abergil noch zu bestrafen. Aber selbst Mainstream-Medien ziehen Abu Ghraib inzwischen zum Vergleich heran. Zu Recht wie ich meine. Die NRhZ hatte hierüber berichtet. (19) Zu den Ereignissen auf der Mavi Marmara hatte die NRhZ ebenfalls berichtet (20). Jetzt ist dazu ein Buch erschienen, welches wir demnächst rezensieren. „Midnight of the Mavi Marmara“empfehlen wir als Gegengift. Es ist interessanterweise bei amazon nicht gelistet, kann aber unmittelbar beim Verlag bestellt werden. (HDH)


____________________________________________________________
(1)http://bit.ly/FWrGw
(2)http://www.n-tv.de/politik/Israel-schockiert-article62152.html
(3)http://www.shovrimshtika.org/index_e.asp
(4)http://www.turkishpress.de/2010/06/13/hintergrund-der-toten-der-mv-mavi-marmara/id2206
(5)http://lizaswelt.net/2010/05/31/aufgebrachte-narrenschiffe/
(6)http://www.youtube.com/watch?v=Sym0_hxZxY4
(7)http://www.israeli-t.com/Israel-Army-t-shirts/Elite-units-t-shirts/Shayetet-13-T-Shirt-3164/
(8)http://reider.wordpress.com/2010/08/16/the-best-years-of-her-life-fond-memories-of-blindfolded-prisoners/
(9)http://www.haaretz.com/news/national/idf-soldier-posts-images-of-blindfold-palestinians-on-facebook-from-best-time-of-my-life-1.308402
(10http://reider.wordpress.com/2010/08/16/the-best-years-of-her-life-fond-memories-of-blindfolded-prisoners/
(11) http://www.focus.de/politik/ausland/nahost/eden-abergil-ich-habe-keinen-grund-fuer-bedauern_aid_543628.html
(12)http://english.aljazeera.net/news/middleeast/2010/08/2010816164542801123.html
(13)http://bit.ly/9U6a77
(14) http://oumma.com/De-nouvelles-photos-accablantes
(15) http://www.facebook.com/group.php?gid=100136500045599&v=photos
(17) http://www.ynetnews.com/articles/0,7340,L-3938324,00.html
(18) http://www.shovrimshtika.org/UserFiles/File/women2009eng.pdf
(19) http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=15527
(20) http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=15417
(21) http://www.freegaza.org/de/home/press-releases/1246-first-murder-then-theft-and-lies-from-the-worlds-most-moral-army
(22) http://www.ynetnews.com/articles/0,7340,L-3765749,00.html

Online-Flyer Nr. 264  vom 25.08.2010

Druckversion     



Startseite           nach oben

KÖLNER KLAGEMAUER


Für Frieden und Völkerverständigung
FOTOGALERIE