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Inland
Guttenbergs Pläne zur Aussetzung der anachronistischen Wehrpflicht
Ein Radikaler von Adel
Von Jürgen Rose

Politischer Konservatismus bedeutet gemeinhin, aus Überzeugung am Altbewährten festzuhalten sowie Distanz zum modernistischen Zeitgeist zu wahren. Diese Geisteshaltung korrespondiert mit der üblicherweise im Militär vorherrschenden, das ja ebenfalls nicht eben als Hort der gesellschaftspolitischen Avantgarde gilt. Umso erstaunter stimmt es, wenn sich nun ein Vorzeigekonservativer – noch dazu einer von Adel – offenbar anschickt, umstandslos die zweitheiligste Kuh im Stall der bundesdeutschen Sicherheitspolitik zu schlachten (die allerheiligste und zugleich unantastbare bleibt der Status der Bundeswehr als Vasallentruppe der US-amerikanischen Hegemonialmacht im Rahmen der NATO).


Cartoon: Kostas Koufogiorgos
 
Entschlossen plant Deutschlands Kriegsminister Karl-Theodor zu Guttenberg den Ausstieg aus dem anachronistischen Zwangsdienstsystem der seit 1956 bestehenden allgemeinen Wehrpflicht (die freilich seit langem nicht mehr allgemein ist) – und zieht sich damit den geballten Zorn der konservativen Lordsiegelbewahrer im politischen Establishment dieses Landes zu. Deren als „Reichswehrsyndrom“ zu charakterisierendes Credo hatte zu Zeiten der einstmalige Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Friedrich Merz, idealtypisch auf den Punkt gebracht, als er ausführte: „Wir sind das einzige Land im Bündnis, das aufgrund seiner Geschichte nicht auf eine über lange Jahre, Jahrzehnte und Jahrhunderte ungebrochene Militärtradition zurückgreifen kann. Gerade weil wir nicht auf eine ungebrochene Militärtradition zurückgreifen können, brauchen wir nach meiner festen Überzeugung ... auf Dauer die Verankerung der Bundeswehr in der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland durch die Aufrechterhaltung der Wehrpflicht.“ 
 
Was zu diesem seit Jahrzehnten gebetsmühlenartig durch die Debatte geisternden Argument anzumerken ist, brachte KTG lakonisch auf den Punkt, nämlich: „intellektuell sehr überschaubar.“ Dasselbe gilt für die beliebte Äußerung der Wehrpflichtapologeten, die Wehrpflichtarmee sei „intelligenter“. Hierzu kommentierte der Minister, dies wäre „eine Beleidigung für unsere vielen Berufs- oder Zeitsoldaten, als ob diese nur einen IQ von 80 hätten und marodierend durch die Welt laufen würden.“ In der Tat, denn immerhin besitzt ein Großteil des Offizierskorps einen Universitätsabschluß, während die Unteroffiziere nach Verpflichtungszeit abgestufte, hochwertige Ausbildungsgänge für unterschiedlichste Zivilberufe absolvieren. Zudem läßt sich nicht bestreiten, daß sich die Mehrheit von Zeit- und Berufssoldaten innerhalb der Bundeswehr im Verlaufe der fast sechzig seit ihrer Gründung vergangenen Jahre in ihrem Denken und Handeln überwiegend als demokratieverträgliche Staatsbürger in Uniform geriert haben.
 
Im Gegensatz zur Reichswehr der Weimarer Republik, in der ganz systematisch ein „Gesinnungssoldatentum“ etabliert wurde, ist die Funktionselite der Bundeswehr in einer rechts- und sozialstaatlich verfaßten, freiheitlichen Bundesrepublik aufgewachsen, erzogen und sozialisiert worden. Der Primat der Politik ist im Prinzip unangefochten, die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee, und sie bleibt dies weiterhin, auch wenn sie sich zukünftig ausschließlich aus Freiwilligen rekrutieren wird. Das Konzept der Inneren Führung, das den kritischen Staatsbürger in Uniform zum Leitbild hat, besitzt für die Führungskultur der Bundeswehr konstitutiven Charakter – und bliebe auch in einer Freiwilligenarmee conditio sine qua non. Selbst dezidierte Protagonisten einer Beibehaltung der Wehrpflicht bezeichnen daher „die Argumentation, daß eine Berufsarmee als Staat im Staate eine Gefahr für die Gesellschaft sei, als absurd“.
 
Ohnehin liegen die wesentlichen Voraussetzungen für die gesellschaftliche Integration der Streitkräfte nicht im Rekrutierungssystem, sondern zuallererst in den institutionellen Rahmenbedingungen eines demokratisch verfaßten Staatswesens begründet: der Wehrgesetzgebung, der parlamentarischen Kontrolle der Streitkräfte, dem Amt der oder des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, dem Deutschen Bundeswehrverband als Interessenvertretung, der kritischen Begleitung durch Medien und Öffentlichkeit und nicht zuletzt in einer sorgfältigen Personalauswahl ihrer Zeit- und Berufssoldaten. Auf diese Faktoren wird in Zukunft deshalb besonders zu achten sein.
 
Zudem beweist ein Blick in die Geschichte, daß gerade die Wehrpflichtarmeen besonders mißbrauchsanfällig waren. Denn die Wehrpflichtigen, die in den Eroberungs-, Versklavungs- und Vernichtungskriegen der jüngeren Vergangenheit als Kanonenfutter dienten, hatten praktisch keine Chance sich ihrer Zwangsrekrutierung zu entziehen. Historisch betrachtet sind Wehrpflicht und Konzept des totalen Krieges siamesische Zwillinge, ermöglichte erst die Wehrpflicht die Volks- und Eroberungskriege des 19. und 20. Jahrhunderts. Und auch nach dem Ende des Kalten Krieges hat der Umstand, daß es sich bei der Bundeswehr um eine Wehrpflichtarmee handelte, ihren Mißbrauch im Rahmen verfassungs- und völkerrechtswidriger Angriffskriege gegen Jugoslawien 1999, Afghanistan 2001 und Irak 2003 mitnichten verhindert.
 
Diesen Mißbrauch, den Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt bei seiner hochgelobten Ansprache anläßlich des öffentlichen Gelöbnisses vor dem Reichstag in Berlin geflissentlich unerwähnt ließ, haben interessanterweise seine Parteigenossen zusammen mit den Bündnisgrünen, die in jenen Jahren in Berlin regierten, zu verantworten. Und auch in der aktuellen Debatte um die Aussetzung der Wehrpflicht im Kontext der anstehenden Streitkräftetransformation ist es wiederum der sicherheitspolitische Sprecher der SPD, Rainer Arnold, der sich – Grundgesetz hin oder her – als felsenfester Lobbyist des Zwangsdienstes hervortut. Überhaupt gefällt sich dieser Genosse seit langem in der Pose eines Westentaschen-Noske[1], ob es nun um Kampfhubschrauber, Eurofighter oder Leopard-Panzer für den Krieg am Hindukusch geht oder die besitzstandswahrende Erhaltung einer anachronistischen Wehrstruktur, die Hunderten von Bundeswehrgenerälen ihre fetten Dienstposten sichern soll. Wobei festzustellen ist, daß Guttenbergs radikale Schrumpfungspläne bislang jedenfalls noch keinen der Goldbesternten zu öffentlich geäußerter Kritik veranlaßt haben – offenbar fügt sich die Generalität schicksalsergeben ins Unvermeidliche. Genosse Arnold indes sorgt sich vornehmlich darum, ob Deutschland mit einer deutlich verkleinerten Armee zukünftig noch seinen Verpflichtungen im Atlantischen Bündnis wird nachkommen können und übt dabei den vorauseilenden Kotau vor der Führungsmacht. Eine wahrlich bemerkenswerte Haltung für ein Mitglied der Partei, die ursprünglich einmal Frieden und Abrüstung, Anti-Militarismus und das Postulat „Nie wieder Krieg“ zu ihrer Räson erklärt hatte – Kurt Schumacher würde sich deswegen wohl im Grabe umdrehen. 
 
Dagegen mag man von Deutschlands politischem Shooting Star im Bendlerblock halten, was man will, aber im Unterschied zu seinen reformunwilligen bis -unfähigen Vorgängern im Ministeramte hat er den Schneid, das zu tun, was schon vor zwanzig Jahren hätte angepackt werden müssen. Dabei scheut er offenbar auch nicht davor zurück, die Pfründe all jener im politischen Establishment zu gefährden, die vom bisherigen Wehrsystem profitieren. Zum Beispiel die Wiederwahl all jener Abgeordneten, die ein Direktmandat in Wahlkreisen errungen haben, in denen in Folge der Streitkräftereduzierung nun die Garnisonen und Kasernen geschlossen werden. Das betrifft in allererster Linie die großen Parteien CDU/CSU und SPD – ein Schelm, wer sich was dabei denkt, daß gerade aus deren Reihen der stärkste Widerstand gegen die Pläne Guttenbergs kommt, während die kleinen Parteien, also FDP, Grüne und Linke, schon seit langem für eine Ende der Wehrpflicht plädieren. Als Konzession an jene Besitzstandswahrer ist daher wohl der Umstand zu verstehen, daß der Minister entgegen ursprünglicher Intentionen zuletzt eine Reformvariante präferierte, gemäß der noch etwa 7.500 FWDL, das sind „Freiwillig Länger Wehrdienst Leistende“, für den Dienst in der zukünftigen Bundeswehr vorgesehen sind.
 
Gewichtiger freilich als dieser Kritikpunkt scheint ein anderes Manko, das Guttenbergs Reformpläne aufweisen, nämlich daß sie aus einem zu sehr nationalen Blickwinkel entwickelt worden zu sein scheinen. Zwar finden in den jüngsten „Leitlinien zur Ausplanung der neuen Bundeswehr“ bündnispolitische Aspekte Erwähnung. Was aber bislang fehlt, ist die dringend erforderliche europäische Perspektive, das heißt die Formulierung einer Konzeption für eine Bundeswehrreform, die am Leitziel gemeinsamer europäischer Streitkräfte im Rahmen einer Europäischen Verteidigungsunion orientiert wäre. Aber letzteres ist wohl selbst für einen forschen Freiherrn zu radikal gedacht. (PK)

[1] Gustav Noske war 1919/20 Mitglied der SPD-Fraktion in der Weimarer Nationalversammlung. Als Reichswehrminister trug er die Verantwortung für die blutige Niederschlagung des Spartakusaufstandes. Hier erließ er den Befehl: „Jeder, der mit der Waffe in der Hand kämpfend gegen die Regierungstruppen angetroffen wird, ist sofort zu erschießen.“ Noske teilte den Antikommunismus der Militärs und ließ den von der Reichswehr unterstützten Freikorps weitgehend freie Hand bei ihrem harten Vorgehen gegen Streiks und kommunistische Aufstände.
 
 
"Ernstfall Angriffskrieg. Frieden Schaffen mit aller Gewalt?"Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr a. D. und Vorstandsmitglied der kritischen SoldatInnenvereinigung „Darmstädter Signal“. Zuletzt erschien sein Buch
Hannover 2009, Verlag Ossietzky, ISBN 978-3-9808137-2-3
Mit einem Geleitwort von Werner Ruf und einem Nachwort von Detlef Bald


Online-Flyer Nr. 264  vom 25.08.2010

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