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Aktueller Online-Flyer vom 25. April 2024  

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Inland
„Jerusalem ist das Jerusalem der Muslime, Juden und Christen“
Über drei Wochen Hungerstreik
Von Christa Meinecke

Vergangene Woche hat es in Berlin viel Regen gegeben. Nachts konnte Firas Maraghy sich für ein paar Stunden in ein Auto zurückziehen, das Freunde für ihn an dem Ort seines Hungerstreiks abgestellt haben, tagsüber aber harrt er weiter auch im strömenden Regen aus, nur ein Regenschirm schützt ihn. Er wohne am Baum Nummer 53, sagt er, die vorbeilaufenden Anwohner nennt er seine Nachbarn. Die meisten von ihnen wissen inzwischen, warum Herr Maraghy hier sitzt, dass er damit gegen die Weigerung der israelischen Botschaft, seine Tochter Zaynab einzutragen, protestiert. Und gegen die Drohung israelischer Behörden, ihm selbst sein Aufenthaltsrecht in Jerusalem zu entziehen.(1,2)


Länger als drei Wochen im Hungerstreik
– Firas Magarhy mit seiner Tochter Zaynab
NRhZ-Archiv
Immer mehr Menschen kommen Herrn Maraghy besuchen, solidarisieren sich mit ihm, bringen Kerzen oder Blumen mit. Eine Frau hat ein Bild von ihm und seiner Familie vor dem Hintergrund Jerusalems gemalt: Maraghy und Tochter Zaynab auf der einen Seite werden darauf von seiner Frau und Jerusalem auf der anderen Seite durch die israelische Mauer getrennt. Oft wehrt er Geschenke ab, da er nicht weiß wohin damit. Er könne ja nicht den ganzen Bürgersteig blockieren, betont er immer wieder. Maraghys Gesicht wird immer schmaler, er trägt eine warme Jacke und Schuhe. Je mehr Gewicht er verliert, desto schneller friert er. Aber er scheint immer noch voller Tatkraft, spricht mit Journalisten und Besuchern, die fast durchgängig für Gesellschaft sorgen. Wäre er nicht so dünn, könnte man fast seiner Aussage, er fühle sich „als fange er gerade erst an“, Glauben schenken.
 
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite gehen Angestellte der israelischen Botschaft zu ihren Autos. Sie schauen demonstrativ in eine andere Richtung, dennoch sieht man immer wieder verstohlene Blicke, die in Richtung der Menschen, die einen Kreis um Herrn Maraghy gebildet haben, geworfen werden. Sie scheinen sich nicht wohl zu fühlen beim Anblick des immer noch ausharrenden Mannes. Allerdings: aus der Botschaft ist seit nunmehr gut zweieinhalb Wochen keine Reaktion mehr gekommen. Auf Anfragen von Journalisten und Protestbriefe wird immer wieder dasselbe Rundschreiben verschickt: man bedauere, dass Herr Maraghy sich zum Hungerstreik entschlossen habe, denn man habe ihm von Anfang an mitgeteilt, er müsse seine Tochter in Jerusalem eintragen lassen.


Bundesregierung soll sich für die Tochter von Firaz Maraghy und Wiebke Diehl einstzen
Foto: Ursula Behr

Genau das, so argumentieren sowohl Herr Maraghy wie auch zahlreiche Organisationen, kann er nicht ohne Weiteres: Als er im letzten Jahr nach Jerusalem fuhr, um seine Papiere zu verlängern, weigerte sich die zuständige Behörde, seine in Deutschland geschlossene Ehe einzutragen. Zugleich wurde ihm mitgeteilt, dass er sich ab Mai 2011 für etwa zwei Jahre in Jerusalem aufhalten müsse, um sein eigenes Aufenthaltsrecht dort zu sichern. Erst danach würde er auch seine Tochter eintragen können. Ohne dass seine Ehe mit Wiebke Diehl, einer deutschen Staatsbürgerin, registriert ist, wird diese aber wahrscheinlich keine Aufenthaltsgenehmigung in Israel erhalten. Herr Maraghy müsste also entweder sein Recht, in Jerusalem, der Stadt in der schon sein Vater und Großvater geboren wurden, aufgeben, oder seine Familie würde auseinandergerissen. Er müsste alleine nach Jerusalem gehen und auf eine Aufenthaltsgenehmigung für seine Tochter verzichten, oder aber seine Frau müsste sich für Jahre von Mann und Tochter trennen lassen.
 
Herr Maraghy betont immer wieder, dass er nicht einsieht, dass ihm das, was er als sein Recht und das Recht seiner Tochter betrachtet, vorenthalten werden soll. Und er weigert sich zu akzeptieren, dass ihm Vorschriften darüber gemacht werden, wo er sich wie lange aufzuhalten hat. Er beansprucht für sich die gleiche Behandlung, die israelischen Staatsbürgern zuteil wird. Diese könnten ihre Kinder in der Botschaft – die aufgrund der international nicht anerkannten Annexion Ostjerusalems auch für die dort ansässigen staatenlosen Palästinenser verantwortlich ist – registrieren lassen, warum also werde dies ihm verwehrt, fragt Maraghy.
 

Solidaritätskundgebung am Sonntag
auf dem Pariser Platz
Foto: Ursula Behr
Ähnlich sieht es die Gruppe „Israelis gegen die Besatzung“. Der Schlusssatz ihrer Erklärung vom 10. August lautet: „Wir rufen die israelische Botschaft auf, ihre diskriminierende Politik aufzugeben und Zaynab Maraghy ein Laissez-passer auszustellen, wie es das Völkerrecht vorschreibt. Ferner fordern wir, dass Herr Maraghy sein Recht auf ein Leben in Jerusalem garantiert bekommt und die Drohung, ihm seine Papiere zu entziehen, zurückgenommen wird. Er hat einen Anspruch darauf, jederzeit nach Jerusalem zurückzukehren, egal wie lange er und seine Familie in Deut- schland bleiben. Wir fordern die isra- elische Botschaft in Berlin auf, Firas Maraghy so zu behandeln, als ob er Jude wäre, weil er ein Mensch ist.“

Die Internationale Liga für Menschenrechte appellierte am 11. August auch an die Bunderegierung, endlich einzuschreiten: „Deutschland ist ebenfalls Vertragsstaat des Zivilpakts. Die Bundesregierung ist verpflichtet, den anhaltenden Verstößen Israels gegen elementare Grund- und Menschenrechte politisch mit Nachdruck entgegenzuwirken und bei Erfolglosigkeit ebenso zu sanktionieren, wie bei vergleichbaren Vergehen anderer Staaten mehrfach geschehen. Willkürliche Einschränkungen der Grundfreiheiten von Menschen, ethnische Säuberung und der Entzug des Rechts auf Rechte sind keine Kavaliersdelikte, die „guten Freunden“ gestattet sein dürfen. (…) Verhelfen Sie der Familie Maraghy zu ihrem Recht. Bewegungsfreiheit gehört zu den unteilbaren Grund- und Menschenrechten, deren Verteidigung Sie selbst zu Ihren vornehmsten und vorrangigen politischen Aufgaben zählen.“
 
Am Donnerstag, den 12. August, wurde vor der Botschaft eine Kundgebung abgehalten, bei der etwa achtzig Personen anwesend waren, am Sonntag, den 15. August, versammelten sich am Brandenburger Tor trotz strömenden Regens etwa sechzig Personen. Die Unterstützer von Herrn Maraghy sind bunt gemischt: Palästinenser, Deutsche, Menschen, die wie ich zufällig aus der Zeitung von dem Hungerstreik erfuhren – und viele Juden und Israelis. Am Donnerstag spielte der 83-Jährige Holocaust-Überlebende und israelische Friedensaktivist Reuven Moskowitz spontan für Maraghy mit seiner Mundharmonika das Lied "Dona nobis pacem!" („Gib uns Frieden!“). Maraghy war sichtlich gerührt. Auch er betont immer wieder, sein Jerusalem sei das Jerusalem der Muslime, Juden und Christen. Ohne Juden könne er es sich genauso wenig vorstellen wie ohne christliche und muslimische Palästinenser. Dies sei die Stadt, in die zurückzukehren Ziel seines Protestes sei und die auch seine Tochter Zaynab kennenlernen solle.(PK)
 
 
(1)http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=15491
(2)http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=15502
 
Christa Meinecke hat aus der NRhZ von Firaz Maraghys Hungerstreik erfahren und besucht ihn gelegentlich in der Auguste-Viktoria-Straße. 


Online-Flyer Nr. 263  vom 18.08.2010



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