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Aktueller Online-Flyer vom 20. April 2024  

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Globales
Müssen wir uns an diesen Anblick gewöhnen?
Rassismus und Polizeigewalt in Frankreich
Von Mukadder Bauer

Frankreich war das zweite Land, das ein Burkaverbot auf den Weg gebracht hat. Dieses Verbot war eines der Ergebnisse der französischen Identitätsdebatte. Mittlerweile erweist sich immer mehr, dass dieser angeblich so frauenfreundliche Vorstoß nur eine Nebelkerze ist, die diejenigen Probleme – im Wortsinn – verschleiern soll, die Frankreich nicht lösen kann. Doch Frankreich steht nicht alleine.

Der Saubermacher

„Nie wurde die Natur der Frau  so respektiert“,  war eine Zeitlang der Slogan eines französischen Kosmetikkonzerns, und dabei  drehte eine stillende

Sarko macht sauber
Quelle: www.lobofakes.com
Mutter ihr Kind in die Kamera. So ähnlich  begründete Frankreichs Präsident Sarkozy das jetzt „auf den Weg gebrachte“ Verbot des Ganzkörperschleiers, was der Focus  wie folgt zitiert: „Die Burka sei kein religiöses Problem, sondern ein Problem der Freiheit und der Würde der Frauen. In unserem Land können wir es nicht akzeptieren, wenn Frauen hinter einem Sichtfenster Gefangene sind, abgeschnitten von allem Sozialleben und ihrer Identität beraubt“, sagte Sarkozy.  Doch Sarkozy steht schon seit seiner Zeit als Innenminister für eine harte Linie gegen Sans Papiers (die sich Illegal in Frankreich aufhaltenden, Migranten und Migratinnen, Ausländer und Ausländerinnen). Natürlich dann nicht, wenn sie Geld haben und auf den Champs -Elysées und andernorts die französischen Mode-, Schmuck-, und Parfummarken shoppen. Siehe hier!. So verkündete er 2005, anlässlich der Unruhen in den Vorstädten, den banlieues, diese mit dem Hochdruckreiniger „kärchern“ zu wollen. Das empfand die Firma Kärcher als Missbrauch ihrer Marke und protestierte dagegen.

Identité und Laïcité

Der Kampf gegen die „Burka“, der laut Spiegel nur dazu dient, wieder im Wortsinn zu „verschleiern“, welche Probleme die französische Regierung nicht in den

In den Schuhen des Fischers:
Narkozy
Quelle: www.lobofakes.com
Griff bekommt: Die  Finanzkrise, Arbeitslosigkeit, die Wirtschaftskrise, ihre Probleme mit China, und selbst die angebliche Atombedrohung durch den Iran werde zur „Quantité négligéable“ – zur Belanglosigkeit. Zu verteidigen ist nicht nur die französische „Identität“ (La France – tu l’aimes oú tu la quittes,also Frankreich: liebe es oder hau ab). Bei deren Verteidigung leisten Ex-Linke besonders gute Dienste. „Burka“ und – darauf läuft es letztendlich hinaus – Kopftuch, und auch die angebliche Unterminierung des französischen Laizismus, also die seit 1905 per Gesetz geregelte strikte Trennung von Kirche und Staat, bedrohe angeblich ebenfalls die französische Idendität.

Dass Präsident Sarkozy mittlerweile vom Papst zum Ehrendomherrn der Basilika St. Johannes im Lateran ernannt  wurde, wird da eher weniger thematisiert. Den definitiv letzten Coup landete er, als er verkündete: „Straftat da, Staatsbürgerschaft weg“. Es war ein Vorstoß, mit dem er naturgemäß auch im europäischen Ausland viel Beifall fand. Die ZEIT hierzu: „Mit Blick auf die Einwanderung sprach Sarkozy von einer unzureichenden Regulierung seit 50 Jahren und von einem Scheitern der Integration. Er sprach sich dafür aus, "die Rechte und Leistungen" für illegale Einwanderer zu überprüfen.“ Und: „Das ist ein nationaler Krieg.“

„Ein nationaler Krieg“ – gegen Frauen, Säuglinge, Schwangere

Wie dieser  Krieg aussieht, kann aktuell im Internet besichtigt werden. Aber es formiert sich dagegen bereits erste Empörung: Im Pariser banlieue  La Corneuve hatten sich junge Frauen –  viele von Ihnen von der Elfenbeinküste, teils mit regulären „Papieren“, teils ohne – zu einem Sitzstreik formiert, um gegen ihre Vertreibung aus einem heruntergekommenen , besetzten,  15-stöckigen Bau zu protestieren, der zum Abriss vorgesehen ist. Dieses hätte zur Folge, dass die meisten obdachlos geworden wären. Im wahrsten Sinne des Wortes losgelassen wurden auf diese Frauen und ihre Babies Polizeikräft der Compagnies Républicaines de Sécurité. Immerhin sind dies Spezialeinheiten zur Aufstandsbekämpfung. Die Frauen lebten gezwungenermaßen auf der Straße, seit sie am 8. Juli aus dem Haus „entfernt” worden waren. Die Medien, die bereits darüber berichtet haben, weisen Sarkozy die definitive Verantwortung zu.



Via YouTube zu sehen


Die Ereignisse wurden auf der Internet-Plattform „Mediapart“ öffentlich gemacht, die zur Zeit auch wegen ihrer Veröffentlichung eines ausführlichen Dossiers um die Korruptionsaffäre L’Oréal-Erbin Bettencourt und über das „System Sarkozy” unbequem und schmerzhaft für den „Nicoleon” ist.

Ein gesamteuropäisches Problem, das viele treffen kann

Hat man vor einigen Wochen auf der Platform facebook – die einiges auf sich hält – auf der Unterplattform youropenbook nach dem sich ausbreitenden Rassismus gesucht, so amüsierten sich auch ganz brave Bürger an folgendem "Witz", der dort mehrere Dutzend Male auftauchte und das geistige Niveau der Humoristen spiegelte. Auch und gerade von Leuten, die alles bei konkreter Nachfrage per email empört von sich wiesen, mit Antisemitismus, Rassismus, Homophobie und Frauenfeindlichkeit in Verbindung gebracht zu werden:

„Der DFB hat beschlossen, neue Spieler einzukaufen: Im Sturm 2 Juden, weil sie nicht verfolgt werden dürfen... Im Mittelfeld einen Chinesen, einen Indianer und einen Afrikaner, damit Farbe ins Spiel kommt... In der Abwehr 5 Schwule, damit Druck von hinten kommt... Und im Tor eine 50 jährige Nonne, weil sie seit 30 Jahren keinen mehr rein bekommen hat...“

Wie im wirklichen Leben: alle Opfergruppen beieinander, bislang immer gegeneinander ausgespielt. Werden wir uns an einen solchen Anblick, wie in diesem Video gewöhnen müssen? Vielleicht mit „Zigeunern“ in Budapest, Prag und Bratislawa, Homosexuellen in Moskau, Türk_Innen und Marokkaner-Innen in den Niederlanden, in denen ein Geert Wilders nötig ist, um die Minderheitenregierung zu tolerieren? Entweder wir nehmen das hin, dann werden solche Ereignisse wie auf diesem Video europaweit zur Normalität oder wir lehnen es endlich  ab, Opfergruppen gegeneinander auszuspielen/ausspielen zu lassen! In den Medien und im Internet formiert sich Protest. Wir werden über die Aktionsformen informieren und rufen schon jetzt auf, sich dem Protest anzuschließen. An dieser Stelle ist angebracht, an ein Gedicht von Erich Fried zu erinnern:

Dann wieder

Was keiner geglaubt haben wird
was keiner gewusst haben konnte
was keiner geahnt haben durfte
das wird dann wieder das gewesen sein
was keiner gewollt haben wollte

Erich Fried (HDH)

Online-Flyer Nr. 261  vom 04.08.2010

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