NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

Fenster schließen

Literatur
Kurzkrimi der Woche
Einfach Böse - II. Teil
Von Isabella Archan

Und wieder ist es Abend, liebe Leserin und lieber Leser.Sie atmen wieder tief ein und sehr langsam aus, Sie entspannen sich völlig und Sie wiederholen Ihre Reise von letzter Woche in die Welt Ihrer Vorstellungskraft - einfach nur aus einem anderen Blickwinkel.

Stellen Sie sich vor, Sie sind eine junge Frau. Eine sehr junge Frau. Blass, blond, groß und nass vom letzten Regen.
 
Es ist kurz vor Mitternacht. Sie sind allein unterwegs in dieser Einöde. Nebelfetzen ziehen an Ihnen vorbei. Das Auto ist von der Straße abgekommen, hinter der Kurve sind Sie in den Graben gerutscht. Sie schalten Ihre Handy aus, es gibt kein Netz hier.
 
Vor Ihnen baut sich das alte Haus auf. Das verfallen wirkende Gebäude ist Text ersetzen. Text ersetzen. das einzige Haus hier in dieser Einsamkeit. Im oberen Fenster brennt noch Licht. Während Sie darauf zugehen, verlöscht das Licht oben, die letzten Meter laufen Sie in völliger Dunkelheit.
 
Unter Eingangstür bleiben Sie für einen Moment lang stehen. Sie streichen sich mit Ihrer rechten Hand das feuchte Haar zurück und vergraben die Hand in der rechten Manteltasche. Mit den Fingern Ihrer linken Hand tasten Sie den Türrahmen entlang, bis Sie die Klingel erfühlen.
 
Sie atmen tief ein und drücken mit dem linken Zeigefinger auf die Türklingel. Der schrille Ton zerreißt die nächtliche Stille wie ein Schrei.
 
Sie warten in der Dunkelheit. Nichts geschieht.
 
Noch einmal klingeln Sie und wieder rast der Ton durch den Nebel. Keine Reaktion.Sie spüren einen leichten Druck auf ihrer Brust und drücken die Klingel ein drittes Mal. Länger und eindringlicher als die ersten beiden Male.
 
Als wieder nichts geschieht, steigen Ihnen Ärger und Angst wie Magensäure hoch. Aber Sie geben nicht auf. Sie haben die ganze Nacht Zeit.
 
Noch einmal.
 
„Hören Sie auf, Mann, ich bin gleich unten!“ Schreit jemand drinnen. Sie lösen den Finger von der Klingel und warten. Die Zeit streicht an Ihrer Nasenspitze vorbei, eine Gänsehaut läuft über ihren Rücken. Nur die Kälte dieser Frühlingsnacht oder eine Vorahnung?
Einen Moment später geht das trübe, gelbe Licht über der Eingangstür an. Sie hören, wie drinnen die Sicherheitskette geöffnet, das erste Schloss, das zweite, der Schlüssel einmal, zweimal, dreimal herum gedreht wird.
 
Mit einem Ruck öffnet sich die Tür und ER steht Ihnen gegenüber.
 
Stellen Sie sich vor, wie Sie beide jetzt da stehen, dieser verlorene alte Mann im Morgenmantel und den zerschlissenen Turnschuhen und Sie junges und ehrgeiziges Mädchen mit den rot geschminkten Lippen.
 
„Hallo..“ Sagen Sie leise. Ihre Schultern gehen nach unten, Ihre Stimme zittert, Sie sind jetzt die verängstigte junge Frau mit der Autopanne. Sie erzählen Ihre Geschichte. Eine Träne läuft über Ihre Wange, Sie senken den Kopf.
 
„Kommen Sie doch herein, mein Kind!“ sagt der Alte. Seine Stimme schmeichelt.
 
Langsam und vorsichtig betreten Sie das Haus des alten Mannes. Ihre Instinkte sind hellwach.
Sie hören wie er die Türe hinter Ihnen schließt.
 
Dann geht alles ganz schnell.
 
ER dreht sich zu Ihnen herum. Mit einer Geschwindigkeit, die dem Alten niemand mehr zutraut, zieht er aus der linken Tasche seines Morgenmantels ein Messer. Aber Ihre schnelle rechte Hand hat doch schon im Mantel gelauert, Sie ziehen und drücken ab mit einem Wimpernschlag.
Mitten in die Stirn des alten Bastards. Das ganze Haus duckt sich unter dem Knall des Revolvers, dann kehrt die magische Stille nach dem Schuss ein. Gott, wie Sie das lieben…
 
Der alte Mann mit dem schwarzen Loch in der Stirn sieht sie direkt an, er versteht. Eine Träne läuft über seine runzelige Wange, dann kracht sein Körper wie ein gefällter Baum zu Boden.
Der Mörder hat seinen Vollstrecker gefunden.
 
Asta la Vista, Baby, sagen Sie in die Stille hinein und pusten über den Lauf Ihrer Waffe. Dann lachen Sie laut und schrill. Achtzigtausend für einen so schnellen Tod sind nicht zu verachten.
 
Später in der Küche werfen Sie einen Blick in die weiße Truhe, in die große weiße Truhe zwischen der Spüle und dem Herd, auf die tief gefrorenen Erinnerungsstücke des alten Bastards.
Sie werden Albträume davon haben.
Später geben Sie Ihren Auftraggebern Bescheid. Dreizehn zu eins, sagen Sie. Die anderen verstehen.
 
Sie machen sich zu Fuß in der Dunkelheit auf den Rückweg, lassen das gestohlene Auto im Graben zurück.
 
Wenn alles gut läuft ist das Geld in zwei Tagen auf Ihrem Konto.
Wenn alles vorbei ist werden Sie den nächsten Job annehmen.
 
Sie sind jung, schön und gefährlich und haben das ganze Leben noch vor sich.
Und das ist auch gut so!
 
Stellen Sie sich vor!! (HDH)
 


Online-Flyer Nr. 261  vom 04.08.2010



Startseite           nach oben