NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

Fenster schließen

Literatur
Gedichte - Nach dem Erwachen
Erste Anzeichen
Von Wolfgang Bittner

Erste Anzeichen
 
Auf meiner uralten Schreibmaschine
spiele ich eine Sonate von Bach,
telefoniere danach mit der Lampe
(das sind die teuren Bandwurmgespräche),
verspeise schnell noch ein Buch,
dazu einen Schluck aus der Blumenvase.
Es hat sich so vieles verändert.
Heute bleibt die Gardine fensterlos,
weil die Sonne gestorben ist,
wir haben sie eingekellert.
 
In einen flauschigen Teppich gehüllt,
begebe ich mich in die City,
parke meine chromblitzende Bohnermaschine
an der Kirche Sankt Merkator,
kaufe für zehn Cent Weihwasser,
lasse mich gern überzeugen.
Meinen Aschenbecher nehme ich mit,
um ihn einem vornehmen Brautpaar
vor die Lackfüße zu kippen.
Wirklich, das nenne ich Lebensart.
 
 
Wolfgang Bittner, 1941 in Gleiwitz (Gliwice) geboren, lebt als freier Schriftsteller in Göttingen und Köln. Er studierte Jura, Philosophie und

Wolfgang Bittner und seine Ehefrau,
die Schriftstellerin Renate Schoof
Foto: H.-D. Hey - gesichter zei(ch/g)en
  Soziologie und promovierte 1972 zum Dr. jur. Bis 1974 ging er verschiedenen Tätigkeiten nach, u.a. als Fürsorgeangestellter, Verwaltungsbeamter und Rechts-anwalt. Ausgedehnte Reisen führten ihn nach Vorderasien, Mexiko und Kanada, Lesereisen und zwei Gastprofessuren nach Polen. Er ist Mitglied im PEN, erhielt mehrere Literaturpreise und hat über 60 Bücher veröffentlicht, darunter die Romane „Der Aufsteiger oder Ein Versuch zu leben“ (siehe NRhZ 140 bis 184) und „Niemandsland“, der Erzählband „Das andere Leben“, der Gedichtband „Vom langen Warten auf den neuen Tag“, das Sachbuch „Beruf: Schriftsteller“…

In dem Buch „Minima Politika“, erschienen im Horlemann-Verlag und als Serie in der NRhZ, hat Wolfgang Bittner mit spitzer Feder in epigrammatischen Sprüchen – kongenial illustriert von unserem Cartoonisten Kostas Koufogiorgos – das aufgespießt, was uns auf Schritt und Tritt begegnet, was uns existenziell angeht und was in den Medien nur verkürzt, verdreht oder gar nicht vorkommt: den Abbau demokratischer Rechte, soziale Kälte, Korruption in Politik und Wirtschaft, Einschränkung von Menschenrechten, aber auch Egoismus und Habgier als gesellschaftlich propagierte und staatlich geförderte Verhaltensweisen. (PK)
Weitere Informationen unter www.wolfgangbittner.de


Online-Flyer Nr. 260  vom 28.07.2010



Startseite           nach oben