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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Inland
Bahn AG spart auf Kosten der Gesundheit auf der Baustelle “Stuttgart 21“
Folgen bis in die Arktis
Von Peter Kleinert

Während Deutsche Bahn-Chef Rüdiger Grube am Wochenende zum Thema Klimaanlagen versprochen hat, die „von Mitarbeitern gemachten Fehler“ würden so schnell wie möglich beseitigt, will die Bahn AG bei dem in der Bevölkerung ohnehin umstrittenen Milliardenprojekt “Stuttgart 21“ (1) offenbar weiter gegen Gesundheits- und Klimaschutzauflagen zur Minimierung von Feinstaubemissionen verstoßen. Nach entsprechenden Recherche-Ergebnissen der Deutschen Umwelthilfe e.V. (DUH) dazu befragt, lehnt der bundeseigene Konzern jede Art der transparenten Kommunikation ab und verweigert die Offenlegung seiner Vergabepraxis von Millionenaufträgen für die Großbaustelle in der Stuttgarter Innenstadt.


Bahnchef Rüdiger Grube
Quelle: http://dmm.travel Foto: DB
Laut Umweltinformationsgesetz (UIG) ist die Deutsche Bahn AG nach Ansicht der DUH jedoch verpflichtet, umweltrelevante Informationen zu veröffentlichen. Die DUH wird die Offenlegung der Vergabekriterien daher vor Gericht einklagen, sollte die Bahn AG bei ihrer Verweigerungshaltung bleiben. „Einen weiteren Skandal in der skandalreichen Geschichte von Stuttgart 21“ nennt DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch die Tatsache, dass die Bahn AG Baufahrzeuge und Maschinen anscheinend ohne Dieselrußpartikelfilter einsetzen will und so offenbar wissentlich die Gesundheit von Arbeitnehmern auf der Baustelle gefährden wird. 
 
Schlimme Folgen nicht nur in Stuttgart…
 
„Die Deutsche Bahn AG spart auf Kosten der Gesundheit von Menschen auf der Baustelle, auf Kosten der Bewohner Stuttgarts und auf Kosten des Klimas“, sagt Jürgen Resch. Die DB AG sei aber laut Planfeststellungsbeschluss verpflichtet, ausschließlich schadstoffarme Baufahrzeuge und Maschinen nach dem Stand der Technik beim Großprojekt Stuttgart 21 zuzulassen. Der Planfeststellungsbeschluss für das Bauvorhaben schreibe der Bahn AG eindeutig vor, „im Rahmen der Ausschreibung und Vergabe von Bauleistungen sicherzustellen, dass nur schadstoffarme Fahrzeuge und Maschinen nach dem Stand der Technik zum Einsatz kommen.“ Genau diese Anforderung fehlt jedoch scheinbar in den Ausschreibungen für Auftragnehmer. Unter den allgemein zugänglichen Zuschlagskriterien für Bauunternehmen unter DB-Bekanntmachungen im Internet fordere die DB AG jedenfalls keinerlei ökologische Anforderungen wie z.B. Rußpartikelfilter zur Luftreinhaltung, sondern nenne nur das „wirtschaftlich günstigste Angebot“ als ausschlaggebend für eine Zusammenarbeit mit der Deutschen Bahn AG. (www.das-neue-herz-europas.de/bekanntmachungen/default.aspx)
 
Dieselrußemissionen der Baumaschinen

Baustellenfahrzeuge werden die Luftqualität in Stuttgart mit noch mehr Dieselruß und Feinstaub verschlechtern und damit das Klima sowie die Gesundheit der Bürger belasten“, sagt Dr. Axel Friedrich, Verkehrsexperte und Berater der Deutschen Umwelthilfe e.V. Die Luftqualität in Stuttgart sei bereits schlecht, wie die immer wieder kehrenden Überschreitungen der Grenzwerte für Luftschadstoffe zeigen. Bis Montag, 12. Juli, wurden die EU-Grenzwerte für besonders feinen Feinstaub (PM10) bereits 68mal überschritten. Der Wert von 50 µg/m³ (Mikrogramm pro Kubikmeter) darf jedoch höchstens an 35 Tagen im Jahr überschritten werden. Die Feinstaubgrenzwerte an der Messstelle Neckartor in unmittelbarer Nähe der geplanten Baustelle wurden im vergangenen Jahr 112 Mal überschritten – so oft wie an keiner anderen Messstelle in Deutschland.
 
Auch in der Arktis und in den Hochgebirgen
 
Friedrich fordert eine „radikale Verminderung der Dieselrußemissionen“ und erinnert daran, dass führende Klimaforscher wie James Hansen vom NASA Goddard Institute for Space Studies die Rußpartikelemissionen aus Dieselmotoren, Kaminen und Feuerstellen für 20 bis 50 Prozent des Temperaturerhöhungen vor allem in der Arktis verantwortlich mache. Während die Bevölkerung in Stuttgart nachweislich unter den hohen Feinstaub- und Rußpartikelkonzentrationen in der Atemluft leide trieben die Rußpartikel aus unvollständig verbranntem Dieselkraftstoff auch den Klimawandel voran. Die feinen Rußpartikel würden von den Luftströmungen der Nordhalbkugel insbesondere in die Arktis und auf die Gletscher der Hochgebirge getragen, gingen dort auf den Schnee- und Eismassen nieder und verhinderten die natürliche Abstrahlung der Sonnenstrahlen von den eigentlich weißen Eisfeldern.
 
Feinstaub sei jedoch nicht nur klimarelevant, sondern habe vor allem auch negative Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit. Professor Dr. Dr. Erich Wichmann vom Institut für Epidemiologie am Helmholtz-Zentrum München habe die Auswirkungen von Luftschadstoffen auf die Menschen erforscht und die Wirkung von Partikeln auf Lunge und Herzkreislaufsystem nachgewiesen. Die Klein- und Kleinstpartikel lösen beim Menschen verstärkt Allergien, Asthmaanfälle und Bronchitis aus. Außerdem steigt das Risiko für Herzinfarkt und Krebs bei höherer Feinstaubbelastung an. Professor Wichmann habe schon vor Jahren gezeigt, dass das Lungenkrebsrisiko bei Fahrern von Erdbewegungs- und Baumaschinen um das 2-3-fache erhöht ist.
 
 „Die Deutsche Bahn AG handelt völlig unverantwortlich, wenn sie Baumaschinen ohne Rußfilter einsetzt und so die Dieselrußbelastungen in Stuttgart noch erhöht“, sagt Dr. Axel Friedrich. Er fordert die Bahn auf, dafür zu sorgen, dass auf der geplanten Baustelle “Stuttgart 21“ ausschließlich Baumaschinen mit Partikelfilter zum Einsatz kommen, um die klimatischen Folgen und gesundheitlichen Belastungen zu verringern. Denn: „Baumaschinen sind wegen der langen Laufzeiten, hohen Belastungen und großem Dieselverbrauch für rund 30 Prozent der innerstädtischen Rußemissionen verantwortlich.“ 
 
Kampagne „Rußfrei fürs Klima!“
 
Eine Kampagne „Rußfrei fürs Klima!“ (2) setzt sich inzwischen für eine drastische Verringerung der Dieselruß-Emissionen ein. In diesem Bündnis arbeiten die Deutsche Umwelthilfe e.V. (DUH), der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), der Naturschutzbund Deutschland (NABU) und der Verkehrsclub Deutschland (VCD) zusammen, um die Rußpartikel aus Dieselmotoren zu reduzieren und den Klimaschutz voranzutreiben, weil  insbesondere Rußpartikel eine wesentliche Ursache für das Abschmelzen der Hochgebirgsgletscher in Europa, Asien und Amerika und für das Schmelzen der Arktis sind. Rußpartikel entstehen in Europa vor allem aus der unvollständigen Verbrennung von Dieselkraftstoff, in weiten Teilen Asiens ist die Verbrennung von Holz und das Abfackeln landwirtschaftlicher Flächen eine bedeutende Rußquelle.
 
Eine Studie der EHZ Zürich zeigt, dass die Schweizer Gletscher seit den 1990er Jahren um zwölf Prozent geschrumpft sind. Ebenso dramatisch sei die Situation im Himalaya, vor allem in Nepal, wo bis 2035 die Gletscher- und Eisfelder vollständig verschwunden sein könnten. Die Gletscherschmelze habe insbesondere in Asien ernste Konsequenzen für die Menschen. Das tibetische Eisplateau zusammen mit dem Himalaya, dem Hindukusch und den umliegenden Bergregionen stellt das wichtigste Wasserreservoir für Asien dar. Die Gletscher speisen nicht nur den Gelben Fluss, sondern ebenso den Jangtse, Mekong sowie die Flusssysteme Ganges und Indus mit den davon abzweigenden Satlej, Yamuna, Ghaghara und Brahmaputra. Durch die starke Gletscherschmelze steigen die Wasserpegel der Seen und Flüsse in der Region, was zu katastrophalen Überschwemmungen führt, auf die Dürren folgen. Dadurch werden die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschen in der Region zerstört und Ökosysteme wie Fluss- und Waldlandschaften vernichtet. Die Klimawirkung von Black Carbon hat inzwischen Einzug in die internationale Klimadiskussion gehalten. Die UN-Kyoto-Nachfolgekonferenz und auch das UN-Umweltprogramm (UNEP) befassen sich mit den kurzlebigen klimaschädigenden Stoffen. (PK)
 
 
(1) Mehr über den Widerstand gegen “Stuttgart 21“: http://www.kopfbahnhof-21.de/
(2) Siehe: http://www.russfrei-fuersklima.de/fileadmin/user_upload/PDFs/HiGrund_BauMasch_091105.pdf


Online-Flyer Nr. 259  vom 21.07.2010

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