NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

Fenster schließen

Sport
Deutschlandfahne endlich zum "Ausdruck von Gemeinschaft" geworden
Bilanz der Nationalismus-Party
Von Hans Georg

Mit großer Zufriedenheit bilanzieren die deutschen Medien die nationalistische Kampagne zur jetzt zu Ende gegangenen Fußball-WM. Man habe in Deutschland "ein paar herrliche Sommertage" verlebt, "durchtränkt von Stolz und Patriotismus", heißt es in der Hauptstadtpresse. Den aufgrund der NS-Verbrechen lange Zeit "außerordentlich problematischen" Umgang mit nationalen Symbolen habe man überwunden, die Deutschlandfahne sei nunmehr zum "Ausdruck von Gemeinschaft" geworden, erklärt die staatsfinanzierte Deutsche Welle.


Foto: gesichter zei(ch/g)en
 
Die jetzt zu Ende gehende Kampagne hat die nationale Mobilisierbarkeit der deutschen Bevölkerung weiter gesteigert - ein Umstand, dem erhebliche Bedeutung zukommt, da die Medien die Außenpolitik der Bundesregierung seit einigen Jahren zunehmend mit teils rassistisch gefärbten Massenkampagnen begleiten. Jüngstes Beispiel war die Kampagne gegen Griechenland anlässlich der Euro-Krise, die unter Nutzung rassistischer Stereotype aus dem 19. Jahrhundert durchgeführt wurde. Gewalttätige Übergriffe, die der angeblich friedliche "Party-Patriotismus" hervorbrachte, werden dabei ebenso beschwiegen wie die bemerkenswerte Toleranz gegenüber NS-Symbolen bei den Public Viewings.
 
Nationale Gemeinschaft
 
Die deutschen Medien bilanzieren die nationalistische Kampagne zur jetzt zu Ende gegangenen Fußball-WM durchweg mit großer Zufriedenheit. "Das deutsche Team" habe "der Nation ein paar herrliche Sommertage geschenkt, durchtränkt von Stolz und Patriotismus", heißt es beispielsweise im Berliner Tagesspiegel.[1] Den aufgrund der NS-Verbrechen lange Zeit "außerordentlich problematischen" Umgang mit nationalen deutschen Symbolen habe man überwunden, erklärt die staatsfinanzierte Deutsche Welle: Die deutsche Nationalflagge sei "zu einem beinahe modischen Accessoire geworden", angeblich "komplett unpolitisch" sowie "Ausdruck von Gemeinschaft".[2] In einem norddeutschen Regionalblatt heißt es - typisch für die allgemein verbreitete Stimmung -, "Schwarz-rot-gold" sei "ein Bekenntnis zu einer Gemeinschaft geworden", die "friedlich und fair" sei "und niemanden ausschließt".[3]
 
Gewalt
 
Dass von einem angeblich gewaltlosen "Party-Patriotismus" keinesfalls die Rede sein kann, zeigten zahlreiche Übergriffe gegen tatsächliche oder mutmaßliche Anhänger von Mannschaften, gegen die das deutsche Team spielte. Kam es schon nach der deutschen Niederlage gegen Serbien zu diversen Angriffen auf Serben, wurden vor dem Match gegen Ghana mehrfach Schwarze attackiert.[4] Ihren Höhepunkt erreichte die Gewalt nach der deutschen Halbfinal-Niederlage gegen Spanien. Aus einer ganzen Reihe von Städten wurden physische Attacken auf Spanier gemeldet, teilweise wurden auch spanische Autokorsos angegriffen. In Ahlen (Nordrhein-Westfalen) musste die Polizei deutsche Fans davon abhalten, ein spanisches Restaurant zu stürmen. "Immer wieder" seien deutsche Fußballfans "körperlich oder durch gezielte Würfe mit Flaschen, Feuerwerkskörpern oder anderen Wurfgeschossen gegen jubelnde und feiernde Spanien-Fans oder deren Fahrzeuge" vorgegangen, heißt es in einem Polizeibericht aus dem nordrhein-westfälischen Landkreis Mettmann, der - im Unterschied zu anderen Berichten - die Vorkommnisse des Abends umfassend dokumentiert.[5] Die Attacken erreichten auch die virtuelle Welt. Einen Angriff von Hackern auf die Website des spanischen Fußballverbandes Real Federación Española de Fútbol (RFEF) schreiben spanische Behörden deutschen Fußballfans zu.[6]
 
Geduldet
 
Davon, dass der "Party-Patriotismus" den Anwandlungen der alten, aggressivsten Formen des deutschen Nationalismus widerstehe, kann ebenfalls keine Rede sein. Immer wieder, heißt es in Berichten [7], hätten deutsche Fans bei öffentlichen Public Viewings den "Hitlergruß" gezeigt, Reichskriegsflaggen geschwenkt oder Nazi-Parolen gegrölt. Die erste Strophe des sogenannten Deutschlandliedes ("Deutschland, Deutschland über alles") war ebenfalls gelegentlich zu hören. "Erschreckend" sei "nicht nur die Regelmäßigkeit", mit der diese Vorfälle zu verzeichnen seien, sondern vor allem auch, wie sie "in den meisten Fällen von der breiten Masse geduldet" würden, resümieren kritische Beobachter.[8]
 
Massenkampagnen
 
Die Ansätze zu Gewalt und zu Toleranz gegenüber Nazi-Parolen sind umso bedrohlicher, als in der Bundesrepublik in den letzten Jahren gleich mehrfach rassistisch gefärbte Massenkampagnen für außenpolitische Zwecke genutzt wurden. Dies gilt etwa für die Kampagne gegen die Volksrepublik China vor den olympischen Sommerspielen in Beijing 2008; damals wurden blutige Unruhen in der chinesischen Region Tibet zum Anlass genommen, um die Bevölkerung der Bundesrepublik nahezu geschlossen gegen China aufzubringen - auch auf der Basis alter antichinesischer Ressentiments.[9]
 
"Slawische Unholde"
 
Rassistische Züge trug auch die Massenkampagne gegen Griechenland anlässlich der Euro-Krise, die - ganz wie die antichinesische Kampagne des Jahres 2008 oder die nationalistische Kampagne zur diesjährigen Fußball-WM - von den deutschen Medien so gut wie flächendeckend mitgetragen wurde, öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten inklusive. "Kein Tropfen des alten Heldenblutes fließt ungemischt in den Adern der jetzigen Neugriechen" [10], zitierte eines der großen deutschen Nachrichtenmagazine im Februar zustimmend den 1861 verstorbenen österreichischen Publizisten Jakob Philipp Fallmerayer: Die Bevölkerung des neuzeitlichen Griechenland sei "ein entartetes Geschlecht", "Abkömmlinge jener slawischen Unholde, die im fünften und sechsten Jahrhundert über das byzantinische Reich hereinbrachen und die hellenische Nationalität mit Stumpf und Stiel ausrotteten." "Die modernen Griechen", kommentierte das Magazin, "beweisen ihre Unähnlichkeit mit ihren Vorfahren jedenfalls quasi täglich". Fallmerayers rassistische Thesen hatten schon in den 1940er Jahren zur Legitimation der NS-Expansion gedient.
 
Mittel und Zweck
 
Die von Politik und Medien geschürte nationalistische Kampagne zur jetzt zu Ende gegangenen Fußball-WM hat die Mobilisierbarkeit der Bevölkerung noch weiter gesteigert: Sie erfasste auch linksliberale Milieus, die sich etwa während der Fußball-WM 2006 noch eine gewisse Distanz gegenüber den nationalistischen Aufwallungen zu bewahren gesucht und zum Beispiel auf das Schwenken von Deutschlandfahnen verzichtet hatten. Diesmal waren die wenigen Kritiker des immer mehr erstarkenden deutschen Nationalismus ersten öffentlichen Kampagnen ausgesetzt (german-foreign-policy.com berichtete [11]). Damit geraten Widerstandspotenziale weiter in die Defensive, die zukünftigen außenpolitisch motivierten Kampagnen wie denjenigen gegen China oder gegen Griechenland etwas entgegensetzen könnten. Die Fußball-WM hat aus Sicht Berlins ihren Zweck auch ohne deutschen Weltmeistertitel vollständig erfüllt. Also bekommt Trainer Löw auch das Bundesverdienstkreuz. (PK)
 
 
[1] Joachim Löw: Bleibt er oder bleibt er nicht? www.tagesspiegel.de  10.07.2010
[2] Bunt, jung, phantasievoll; www.dw-world.de 07.07.2010
[3] Weser-Kurier: über den neuen Patriotismus der Deutschen; www.presseportal.de  09.07.2010
[4] Einen Überblick über Pressemeldungen, die von Übergriffen während der Fußball-WM berichten, publiziert die Zeitschrift konkret auf ihrer Website: www.konkret-verlage.de/kvv/txt.php?text=a1
[5] Enttäuschendes Halbfinalergebnis sorgte nur Anfangs für Ruhe; Polizei Mettmann 08.07.2010
[6] La web de la RFEF recibe el ataque masivo de hackers desde Alemania; www.lavanguardia.es 08.07.2010
[7] Public Nazi Viewing; blog.zeit.de/stoerungsmelder
[8] Fußballweltmeisterschaft 2010: Wenn Party-Patriotismus problematisch wird; www.netz-gegen-nazis.de
[9] s. dazu Besonders manipulativ und Jederzeit mobilisierbar
[10] 2000 Jahre Niedergang; Focus 22.02.2010
[11] s. dazu Ein Stück Volksverdummung http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=15345
 
Mehr http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57855
 
Zum Thema in dieser Ausgabe auch der Artikel „Eine unsportliche Nachbetrachtung“


Online-Flyer Nr. 258  vom 14.07.2010



Startseite           nach oben