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Krieg und Frieden
Zum 65. Jahrestag des Abwurfs der ersten Atombombe am 6. August 1945
„Der Tag, an dem Hiroshima verschwand...“
Von Hans Metzler

Mahnwachen, Gottesdienste, Erklärungen, Lesungen und Gedenkfeiern erinnern am 6. August an den Atombombenabwurf über Hiroshima und Nagasaki vor 65 Jahren. Viele werden dabei Bezug nehmen auf die Ergebnisse der Atomwaffen-Konferenz in New York und Stellung beziehen zu den Fragen der nuklearen Abrüstung, Nicht-Weiterverbreitung und friedlichen Nutzung der Atomenergie. Auch der Abzug der letzten US-amerikanischen Atomwaffen aus Deutschland sowie die Problematik der Waffenexporte dürften eine Rolle spielen. Ebenso wird es zahlreiche Appelle geben, die Schrecken des atomaren Infernos niemals zu vergessen und die Toten und Überlebenden von Hiroshima und Nagasaki als Mahnung zu begreifen, den weit verbreiteten Gleichmut gegenüber der furchtbaren Logik der atomaren Abschreckung endlich zu durchbrechen. Einer, der sich sein ganzes Leben lang für die Ächtung der Atomwaffen, die Einstellung aller Kernwaffenversuche und die allgemeine und kontrollierte Abrüstung eingesetzt hat, ist der 1917 in Hiroshima geborene japanische Arzt Dr. Shuntaro Hida. Und im Unterschied zu anderen, die darüber reden, als handle es sich um ein mehr oder minder „normales“ Kriegsereignis, weiß er, worüber er spricht.
 

Dr. Shuntaro Hida
Alle Bilder: Donat Verlag
Zu einer Patientin in einem Dorf nahe Hiroshima gerufen, wird er Augenzeuge des ersten Atombombenabwurfs in der Geschichte der Menschheit am 6. August 1945. Die Wucht des Atomschlags schleudert ihn durch zwei Räume, Trümmer stürzen auf ihn herab. Unter Schmerzen kriecht er nach draußen. Voller Todesangst rast er mit dem Fahrrad in das Lazarett von Hiroshima. Unterwegs begegnet er Gestalten, wie er sie zuvor noch nie gesehen hat: „Zahllose Überlebende, nur Stofffetzen am Leib, verbrannt und blutüber-strömt, standen auf der Straße. Sie rutschten auf den Knien oder krochen auf allen Vieren ... Sie sahen nicht mehr wie Menschen aus.“ Als er im Lazarett von Hiroshima ankommt, gibt es nichts mehr zu helfen, alles ist zerstört. Er kehrt an den Rand der Stadt zurück, wohin viele Schwerverletzte geflüchtet sind. „Die Schmerzensschreie und das Stöhnen der Verwundeten hallten über die Felder“ – erinnert Hida sich. Und: „Ich biss die Zähne zusammen, um nicht zu weinen. Ich musste weiterarbeiten. Die Nacht war ein Albtraum. Das Dorf hatte sich in ein Feldlazarett verwandelt. Die Pilzwolke am Sternenhimmel sah gespenstischer aus als am Tage.“


Dr. Hida mit Freunden am 50. Jahrestag

Die Erinnerungen Hidas – 1982 in Tokio, 1984 in Paris erschienen und inzwischen auch in deutscher Übersetzung unter dem ´Titel „Der Tag, an dem Hiroshima verschwand“ im Bremer Donat Verlag nachzulesen – gewinnen, so das „Deutsche Ärzteblatt“, ihre „besondere Bedeutung dadurch, dass es sich um den fast einzigen bisher veröffentlichten Bericht aus der Sicht eines Arztes handelt.“ Detailliert schildert Hida den Verlauf der Strahlenkrankheit, mit der die Ärzte sich zunächst fassungslos und hilflos konfrontiert sehen, und zeigt die sozialen und psychischen Folgen des Atombombenabwurfs auf. Eindringlich beschreibt er aber auch sein Dasein als Kamikaze-Trainer und Militärarzt, der selbst die Sehnsucht nach dem Märtyrertod in sich trug, nach dem Tod als der Erlösung aus den Zwängen eines wahnsinnig gewordenen Krieges. Ganz von der Ideologie des japanischen Militarismus infiziert, löste er sich allmählich und in Gesprächen mit einem Untergebenen von der bedingungslos-fanatischen Kaisertreue, von dem Kadavergehorsam gegenüber dem Tenno und „Gott in Menschengestalt“.


Anti-Atom-Demo in Japan
 
Mit der Schilderung seines Wandlungsprozesses bricht er als einer der wenigen Kriegsbefürworter und -beteiligten seines Landes mit einem Tabu und legt die Mechanismen des japanischen Militarismus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bloß, den er ebenso wie die japanische Regierung der Mitschuld am Atombombenabwurf anklagt. Die Quintessenz seines Buches lautet: Die Lösung von Konflikten zwischen Staaten, Völkern und Menschen mit militärischen Mitteln ist zum Scheitern verurteilt, kostet das Leben von zahllosen Soldaten und Zivilisten und schränkt die Glücksbedingungen der Zukunft in verbrecherischer Weise ein. Gleiches gilt für die Anwendung der Atombombe als Mittel der Gegengewalt, die sich in ihren Folgen und Auswirkungen als mehr als fragwürdig und menschheitsgeschichtlich als Pyrrhussieg erwiesen hat. Die Abschreckung, die von der Bombe einmal ausging, ist längst einer Inkaufnahme erneuter Opfer gewichen, ihr „Einsatz“, von wem auch immer ins Auge gefasst, zum realistischen Bestandteil von Politik- und Verteidigungskonzepten gemacht worden, die in der Gewalt ein probates Mittel sehen, ihre Gegner einzuschüchtern, zu bedrohen und notfalls auszulöschen.
 
Die Schwelle, mit der Bombe erneut Geschichte zu schreiben, ist rapide gesunken. Je mehr Mächte und Staaten über sie verfügen, desto größer die Gefahr ihrer Anwendung. Mit den Folgen, unter denen die Opfer danach zu leiden haben, hat Shuntaro Hida sich Zeit seines Lebens intensiv und wie kaum ein anderer Arzt auf dieser Welt beschäftigt und in seiner Studie über die „Burabura“- bzw. Atombombenkrankheit („Die physischen und medizinischen Wirkungen auf die Opfer der Atombomben von Hiroshima und Nagasaki aus der Sicht eines Mediziners“) auseinandergesetzt. Um so mehr ist zu hoffen, dass man auf seine Erfahrungen mit der Atombombenkrankheit nicht zurückgreifen muss. Wer weiter mit der Bombe leben will, dem sei die Lektüre seines Buches dringend und nachdrücklich empfohlen.
 
Der hier folgende Text ist Dr. Shuntaro Hidas Buch „Der Tag, an dem Hiroshima verschwand – Erinnerungen eines japanischen Militärarztes“ entnommen - mit einem Vorwort von Herta Däubler-Gmelin und einem Nachwort von Guido Grünewald. Hrsg. von der Initiative für Frieden, Internationalen Ausgleich und Sicherheit, Donat Verlag (Bremen), Hardcover, 12.80 € – ISBN 978-3-924444-42-6:
 
Shuntaro Hida ist 28 Jahre alt, als er am wolkenlosen Himmel des 6. August 1945 sieht, wie sich in ungewöhnlicher Höhe ein B-29-Bomber Hiroshima nähert. Er denkt, es handelt sich um einen der üblichen Erkundungs- flüge und beachtet das Flugzeug nicht weiter. Gerade will er seiner Patientin eine Spritze setzen, da, so erinnert er sich, „traf mich ein greller Blitz, der mich fast blendete. Eine Hitzewelle schlug mir ins Gesicht. Ich weiß nicht mehr, ob ich der Patientin die Spritze noch gab. Ich warf mich auf den Boden, bedeckte mein Gesicht instinktiv mit den Händen und versuchte, ins Freie zu kriechen. ‚Feuer’, dachte ich, doch ich sah durch meine Finger nur den blauen Himmel. In den Baumwipfeln über der Hütte bewegte sich nichts. Es war totenstill. ‚Habe ich geträumt?’ Ich schaute nach Hiroshima hinüber.
Da sah ich einen riesigen Feuerring, der die ganze Stadt umfasste. Eine gewaltige weiße Wolke stieg aus dem Zentrum. Sie wurde immer größer, und in ihrem Innern schwoll ein gigantischer Feuerball an. Unter dem Feuerball erschien eine schwarze Wolke, verbreitete sich über die Stadt, kroch an den Bergen entlang und zog sich über das Ohtatal in Richtung Hesaka, Wälder, Wege, Reisfelder, Bauernhöfe und Häuser einhüllend. Ein orkanartiger Sturm wirbelte den Staub und Dreck in der Stadt empor... Eine lodernde Säule schoss gen Himmel. Sie wuchs zu einer riesigen Wolke an, als wolle sie den Himmel durchstoßen. Plötzlich wurde mir eiskalt, Angst kroch in mir hoch. ‚Was ist das?’“
 
Der Autor:
 
Am 1.1.1917 als Sohn eines Bankiers in Hiroshima geboren, nach dem Studium der Medizin seit 1928 als Militärarzt tätig, überlebte Shuntaro Hida den Atombombenabwurf am 6.8.1945 nur, weil man ihn zu einer Patientin in ein 5 km entferntes Dorf gerufen hatte. Er betreute bis Ende 1945 viele Verwundete. 1946-1954 stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft der ArbeiterInnen im Gesundheitswesen, 1950 auf Druck der US-Besatzungsmacht aus dem Konoda-Krankenhaus in Tokio entlassen, wo er seit 1947 als Facharzt für Innere Medizin tätig war; Mitbegründer und langjähriger Vorsitzender der „Japanischen Föderation Demokratischer Medizinischer Einrichtungen“ (Vereinigung genossenschaftlicher Kliniken und Krankenhäuser), seit 1955 Mitglied des „Japanischen Rats gegen Atom- und Wasserstoffbomben“, 1973 Beitritt zur „Japanischen Föderation der Opfer der Atom- und Wasserstoffbomben“, seit 1978 Leiter des im selben Jahr gegründeten „Beratungszentrums für Hibakusha“ der Organisation; seit 1945 ständige Behandlung von Hibakushas als einer der wenigen ärztlichen Spezialisten für die Atombombenkrankheit; seit 1975 Vortragsreisen in viele Länder, im April 1988 pensioniert, danach weiter in der Bewegung und als „Botschafter“ der Hibakusha, der Überlebenden von Hiroshima und Nagasaki, auch heute noch aktiv.
 
Aus dem Inhalt:
 
Vorwort
Eine Armee ohne Waffen
Ein Arzt kämpft mit sich selbst
Fruchtloser Streit
Der Tod eines Japaners
Wie aus mir ein Stabsarzt wurde
Kamikaze-Angriffe auf Panzer
Verzweifelte letzte Worte
Der Tag, an dem Hiroshima verschwand
In der Stadtwüste
Der Anfang einer Tragödie
Abschied von der Hölle
Nachwort (PK)


Online-Flyer Nr. 258  vom 14.07.2010

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