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Literatur
Krimi der Woche
Pause mit Bonbon
Von Isabella Archan

Kommissar Rossbach macht eine frühe Pause. Er steht im Flur und kaut auf seinem Daumennagel. Was gäbe er jetzt für ein Kölsch. Aus der offenen Wohnungstür dringen Gesprächsfetzen zermürbend an sein Ohr.

„…Sein Kopf, wie ein grauer Ballon…Kirschrote Flecken auf Wangen und Stirn … Hals…angeschwollen… die Krallenfinger, deuten auf Krämpfe hin… sieht aus, als wäre er dem Teufel persönlich begegnet (verhaltenes unpassendes Gelächter)…Wo ist der Gerichtsmediziner? - Vorberg, kannst du mal kommen?…!“

Rossbach dreht sich zum Glasfenster im Flur um. Ein Sonnenstrahl fällt in den Flur und bricht sich am Glas. Wandert langsam auf ihn zu.
Rossbach denkt an sein kleines Haus im Bergischen. Er ist so müde.
„Ist denn einer tot?“

Rossbach schreckt aus seinem inneren Abschweifen auf.
Eine alte Frau, wohl eher als alte Dame zu bezeichnen, steht vor ihm. Ihr rundes Gesicht voller Falten, sie hat ein strahlendes Lächeln auf den Lippen, das überhaupt nicht zu ihrer Frage passt. Sie trägt ein rosa Kostüm, eine kleine weiße Handtasche auf ihrem Arm.

Die klassische, neugierige Nachbarin, denkt Rossbach bei sich.
„Gnädige Frau“, Rossbach räuspert sich. „Sie dürfen hier nicht stehen, der ganze Bereich ist abgesperrt!“
Er fasst sie sanft am Ellbogen.
„Ich wusste gar nicht, dass der Tauber geheißen hat?“
Ihr arthritischer Zeigefinger weist auf das Schild neben der Klingel.
„Wie die Tauben, die ich so gerne füttere… Der Herr Tauber, der doch keine Tauben mag (sie gurrt wie eine von ihnen)... Mögen Sie denn Täubchen –  junger Mann?“
Sie kichert jungfräulich.

Rossbach will die alte Dame nicht kränken, aber er hasst die fliegenden Ratten. Er schüttelt nur leicht den Kopf.
"Täubchen sind klug und sanft und so liebenswert..."
Die alte Dame will ausholen.
„Kommen Sie.“
Rossbach führt die alte Frau zur ersten Treppenstufe.
Sie dreht sich zu Rossbach um.
„Noch ein Bonbon fürs Gemüt?“
Ganz schnell hat sie ihre Handtasche offen und holt ein kirschrotes Bonbon heraus.
„Mund auf!“
Der überrumpelte Rossbach öffnet brav seine Lippen und wie der Blitz hat die alte Dame das Bonbon in seinen Mund gelegt.
„Langsam lutschen und nicht gleich hinunterschlucken!“

Rossbach muss jetzt doch lächeln, die alte Frau erinnert ihn an seine Oma. Von der er das Haus im Bergischen geerbt hat. Die hatte auch immer Bonbons in ihrer großen Tasche, in allen Farben.
‚Reiß dich zusammen, Kommissar’, ächzt sein innerer Befehlston.
„Danke, gnädige Frau!“
Rossbach verschluckt das Bonbon fast. Er räuspert sich heftig. Versucht ein Lächeln.
Vorberg, der Gerichtsmediziner, kommt aus er Wohnung, dem Tatort, in den Flur.

Rossbach ist sofort wieder ernst und deutet nach unten.
„Sie müssen jetzt wirklich hier weg, gnädige Frau, warten bitte Sie draußen bei den anderen, bis einer der Polizisten auch ihre Aussage aufnimmt.“
Die alte Dame zwinkert ihm zu, dreht sich um und läuft die Treppen hinunter wie ein junges Mädchen.

So will ich auch alt werden, der innere Rossbach schweift schon wieder ab. Wenn er nur nicht so verdammt müde wäre.
Vorberg ist neben ihm. Die Mundwinkeln des Gerichtsmediziners deuten eine Mischung aus Erstaunen und Ekel an.
„Also, hör zu Rossbach. Meine Vermutung: Der Kerl ist vergiftet worden. Oder hat sich selbst vergiftet. Ich denke tatsächlich an Blausäure. Ja, da guckst du, was? Keine schöne Art zu sterben. Ein halb zerkautes kirschrotes Bonbon noch auf seiner grauen, angeschwollenen Zunge. Ich denke, das war präpariert. Auf was die Leute heutzutage so kommen?!“
Rossbach steht ganz still.

Der Sonnenstrahl trifft auf seine Stirn. Die Erkenntnis trifft in sein Hirn.
Er spukt das Bonbon in einem weiten Bogen aus seinem Mund. Es fällt mit einem Klicken zu Boden, rollt über die erste Treppenstufe und bleibt dann liegen. Rossbach beginnt zu würgen. Vorberg schlägt ihm auf den Rücken, versteht nicht.
„Hilfe!“
Rossbach keucht.
„Die Alte… neben mir …. Alarm!“

Seine Kehle brennt, er sieht kirschrote Punkte im Sonnenstrahl tanzen. Die anderen kommen aus der Wohnung, dem Tatort. Rossbach übergibt sich. Sein Kehlkopf gurrt wie ein wahnsinniges Täubchen.
Er denkt an das Haus im Bergischen, an ein kühles Kölsch und er denkt an seine Oma. Dann denkt er nicht mehr.
Die Müdigkeit zieht in nach unten. (HDH)

Online-Flyer Nr. 256  vom 30.06.2010



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