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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Medien
Die WELT und Daniel Pipes sahen „gelb“ vom Deutschen Presserat
Erfolg für mutige Bloggerin
Von Friederike Beck

Die couragierte Bloggerin Friederike Beck hatte sich – nach einer Strafanzeige, die sie und viele andere gegen Die WELT wegen eines dort veröffentlichten Artikels erstattet hatten – auch mit einer Beschwerde an den Deutschen Presserat gewandt. Nachdem WELT online sich schon genötigt sah, wegen eines Entrüstungssturms selbst der treuen Leserschaft den Skandalartikel vom Netz zu nehmen, gab der Presserat Friederike Becks Beschwerde jetzt statt. Zwar nur wegen eines Formfehlers, aber die „kleine“ Bloggerin hat gegen die „große“ WELT mehr als einen Achtungserfolg errungen. Hier hatten wir bereits über die couragierte Aktion berichtet und bringen nun ihre aktuelle Zusammenfassung. – Die Redaktion
 

Die WELT und Pipes sehen gelb
Quelle: handelsblatt
Die Vorgeschichte
 
Am 3.2.2010 erschien auf WELT-Online der berüchtigte Aufruf von WELT-Autor Daniel Pipes “Obama sollte den Iran bombardieren”. Ein besonders eklatanter und abstoßender Fall von Kriegshetze in einem deutschen Medium. WELT-Autor Pipes empfahl die Bombardierung speziell zur Verbesserung der schlechten Umfragewerte des amerikanischen Präsidenten. An dieser Stelle hatte ich den WELT-Artikel vorgestellt und anschließend auch mein Beschwerdeschreiben an den Deutschen Presserat vom 4.2.2010. Hierin führte ich aus, dass der WELT-Aufruf zu einem Angriffskrieg weder vom Grundgesetz noch vom geltenden Pressekodex abgedeckt sei. Und:
 
„Als Deutsche erfüllt es mich mit besonderer Scham, dass 65 Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges von deutschem Boden, sprich von einer deutschen Tageszeitung [DIE WELT-online] , wieder zu einem Angriffskrieg aufgerufen werden kann. Wehret den Anfängen!”


Der Anfang des Skandalartikels
Quelle: NRhZ-Archiv
 
Heute erhielt ich nun Post vom deutschen Presserat, die Beschwerde vom 4.2.2010 war endlich am 24.6.2010 beantwortet worden. Hier der Wortlaut des Schreibens:
 
Ihre Beschwerde vom 4.6.2010 ./. WELT-Online
 
Sehr geehrte Frau Beck,
Der Vorsitzende des Beschwerdeausschusses 1 ist bei der Prüfung Ihrer oben genannten Beschwerde zu dem Ergebnis gekommen, dass sie begründet ist im Sinne der Beschwerdeordnung und hat einen Hinweis [eine Art Rüge, F.B.] ausgesprochen. Die Gründe hierfür können Sie der beiliegenden Entscheidung (vgl. § 7 Abs. 2 Beschwerdeordnung) entnehmen.
Bei Rückkfragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen …
 
Vorsitzendenentscheidung in der Beschwerdesache 0142/10/1-BA
Beschwerdeführer: Friederike Beck
Beschwerdegegner: WELT-Online
Datum des Beschlusses: 26.5.2010
 
A. Zusammenfassung des Sachverhalts
 
WELT-Online veröffentlicht am 3.2.2010 einen Beitrag des Autors Daniel Pipes zu Barack Obama und der Situation im Nahen Osten. Der Autor äußert in der Überschrift die Auffassung, dass Obama den Iran bombardieren sollte.
Der Beschwerdeführer sieht in dem Beitrag eine Aufforderung zu einem Angriffskrieg. Eine solche sei nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, auf das sich die Präambel des Presskodex berufe.
Die Chefredaktion der WELT-Gruppe teilt mit, dass der Artikel deutlich als Meinungsbeitrag erkennbar sei. Der Autor sei Direktor des Middle East Forums und preisgekrönter Kolumnist der New York Post und der Jerusalem Post. Er schreibe seit ca. zwei Jahren regelmäßig Gastbeiträge für WELT Debatte, dem Diskussions- und Meinungsforum von WELT-Online.
 
Nach der Veröffentlichung habe sich eine sehr lebhafte User-Diskussion entwickelt, die am darauffolgenden Tag durch eine nicht mehr zu bewältigende Masse an hässlichen Postings gestört worden sei. Die Kommentarfunktion habe man daraufhin am 4.2.2010 deaktiviert. Am Morgen des 5.2.2010 sei der Artikel nach Rücksprache mit der Chefredaktion, die zuvor keine Kenntnis von dem Beitrag gehabt habe [ach so, na dann, F.B.], gelöscht worden. Dieser Entscheidung habe zu Grunde gelegen, dass der Artikel trotz seines erkennbar polarisierenden Charakters ohne Einbindung der Chefredaktion veröffentlicht worden war. Hinzu käme, dass der Autor für die User nicht gleich als Gastkommentator erkennbar gewesen sei und dass die Zuspitzung über das Maß der bei WELT Debatte üblichen Meinungsäußerung hinaus gegangen sei. Letzteres bedeute jedoch nicht, dass auch die Grenzen der Meinungsfreiheit überschritten worden seien.
 
Im Hinblick auf den Inhalt der Veröffentlichung wird mitgeteilt, dass es sich um einen Beitrag handele, der durch die verfassungsrechtlich garantierte Meinungsfreiheit gedeckt sei. Der Autor habe nicht zu einem “illegalen und völkerrechtswidrigen Angriffskrieg” aufgerufen [?!? F.B.]. Der Beitrag verstoße auch nicht gegen die Menschenwürde [na sowas, F.B.]. Der Autor verherrliche oder verharmlose keine Grausamkeit [was ist eine Bombardierung? F.B.]. Sein Beitrag richte sich deutlich gegen ein Regime, das die Bevölkerung unterdrücke [weswegen diese bombardiert werden muss, F.B.]. Die Veröffentlichung sei nicht mit einem Aufruf zur Gewalt zu vergleichen, wie ihn der Presserat im Fall B 17/94 sanktioniert habe. Als eine Zeitung [welche das wohl gewesen sein mag? F.B.] in den 90er-Jahren “Empörung über Sarajevo-Blutbad: Bombt die Mörder nieder!” getitelt habe, habe der Presserat hier lediglich einen Hinweis ausgesprochen mit der Empfehlung an die Redaktion, künftig genauer auf die Wortwahl in Überschriften zu achten.
Abschließend betont die Chefredaktion, dass es sich bei dem Artikel um einen polarisierenden, polemisch politisierenden und zugespitzten [sic] Meinungsbeitrag handele, der aus den dargelegten Gründen bereits vor Einleitung des Beschwerdeverfahrens [jepp! F.B.] von WELT Debatte entfernt worden sei. Die Überzeichnung sei zwar stark, die Grenzen zur Meinungsfreiheit seien aber nicht überschritten worden.
 
B. Erwägungen des Beschwerdeausschussvorsitzenden
 
Der Vorsitzende des Beschwerdeausschusses erkennt in dem Beitrag eine Verletzung des Transparenzgebotes nach Ziffer 6* und hier speziell der Richtlinie 6.1** des Pressekodex. Für den Leser geht aus der Berichterstattung nicht hervor, dass es sich bei dem Autor um einen Gastkommentator handelt, der zudem Direktor des Middle East Forums ist. Für die Einordnung des Artikels wäre es jedoch zwingend geboten gewesen, darüber zu informieren.
 
Im Hinblick auf den Inhalt des Artikels erkennt der Vorsitzende keine Verletzung presseethischer Grundsätze. Es handelt sich zwar um eine extreme, aber letztendlich noch zulässige Meinungsäußerung. Es ist Aufgabe der Presse, auch solche Ansichten zu dokumentieren. Der dabei zulässige Rahmen wird nicht überschritten und die Redaktion macht sich die Aussagen nicht zu Eigen. [?!? F.B.]
 
C. Ergebnis
 
Aufgrund des Verstoßes gegen die Ziffer 6 des Pressekodex erteilt der Vorsitzende des Beschwerdeausschusses der Redaktion [der WELT, F.B.] gemäß § 7 Abs. 2 Beschwerdeordnung einen Hinweis.
 
Manfred Protze
Vorsitzender des Beschwerdeausschusses 1
 
*Ziffer 6 – Trennung von Tätigkeiten
Journalisten und Verleger üben keine Tätigkeiten aus, die die Glaubwürdigkeit der Presse in Frage stellen könnten.
 
**Richtlinie 6.1 – Doppelfunktion
Übt ein Journalist oder Verleger neben seiner publizistischen Tätigkeit eine Funktion, beispielsweise einer Regierung, einer Behörde oder in einem Wirtschaftsunternehmen aus, müssen alle Beteiligten auf strikte Trennung dieser Funktion achten. Gleiches gilt im umgekehrten Fall.
 
Ich ziehe folgenden Schluss:
 
» Es herrschen Chaos und journalistischer Kontrollverlust bei der WELT: Die Redaktion weiß laut eigener Darstellung u. U. nicht über Veröffentlichungen des eigenen Hauses Bescheid. Beiträge werden “ohne Einbindung der Chefredaktion veröffentlicht” – eine bedenkliche Situation. (Zu fragen wäre, ob dieser Kontrollverlust der Redaktion schon öfter stattgehabt hat.)
» Die WELT-Chefredaktion erfährt über Beiträge u. U. erst im Nachhinein und hat von einem Beitrag “zuvor keine Kenntnis gehabt”. (Zu fragen wäre auch hier, wie oft in der Vergangenheit die Chefredaktion möglicherweise keine Kenntnis über Beiträge hatte.)
» Die WELT hat gegen Ziffer 6 des Pressekodex verstoßen und die WELT-Redaktion erhält vom Vorsitzenden des Beschwerdeausschusses einen “Hinweis”. Es wird in Zukunft zu prüfen sein, inwieweit die WELT-Redaktion diesen Hinweis zu beherzigen gewillt ist, damit nicht erneut ohne ihre Kenntnis Beiträge von Personen mit Doppelfunktion (hier: Daniel Pipes) eingestellt werden. Auch für die Vergangenheit sind alle entsprechenden Beiträge bei WELT dahingehend zu prüfen, inwieweit die WELT auf besagte, vom Presserat gerügte “Doppelfunktionen” hingewiesen hat.
» Jeder kann dem Presserat diesbezügliche Beobachtungen zur Kenntnis bringen. Das kostet nichts.
» Damit kann man – wenn auch einen kleinen – Beitrag dazu leisten, abstoßende Kriegshetze etwas riskanter werden zu lassen oder zumindest als nicht sexy erscheinen zu lassen.
» Wehret den medialen Anfängen!
 
Der Beitrag erschien zuerst in Friederikes Blog, becklog. Wir danken für die Erlaubnis zur Übernahme. (PK)
 
Friederike Beck Jahrgang 1968, Studium der Geschichte, Slawistik und Anglistik. Danach Beschäftigung in einem Verlag, heute mehr und mehr schreibend und übersetzend tätig. Außerdem aktiv als Sängerin (Mezzosopranistin bzw. Altistin) und Texterin. Sie ist regelmäßige Kolumnistin in zeitgeist. Friederike Beck lebt in Spanien und Deutschland.


Online-Flyer Nr. 256  vom 30.06.2010



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