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Krieg und Frieden
Bush-Krieger und Verfasser der radikalsten US-Militärdoktrin soll es nun richten
McChrystal-Nachfolger Petraeus
Von Wolfgang Effenberger

Auf Wunsch von US-Präsident Barack Obama musste der bisherige Afghanistan-Befehlshaber McChrystal seinen Hut nehmen. Grund waren despektierliche Äußerungen des Generals und dessen Umfeldes über die Administration in Washington. Nachfolger wurde General David Petraeus. Brisant, denn das von ihm verfasste Feldhandbuch gilt als die radikalste Militärdoktrin der Gegenwart. Nun soll er sich auf den Pulverfässern Irak und Afghanistan beweisen.


General David Petraeus und George W. Bush
Quelle http://video.bryo.com
 
Die kritischen Äußerungen sind in einem Porträt McChrystals im US-Musikmagazin "Rolling Stone" enthalten.(1) Unter dem Titel "The Runaway General" (übersetzt "Der abtrünnige General") wurden dort abfällige Bemerkungen des Generals über einige Top-Mitarbeiter der Obama-Administration wiedergegeben. Mit scharfer Kritik wurden Vizepräsident Joe Biden, der US-Botschafter in Kabul, Karl Eikenberry, Obamas Sicherheitsberater James Jones sowie der Sonderbeauftragte für Afghanistan und Pakistan, Richard Holbrooke zitiert. Letzteren hält McChrystal für einen Wichtigtuer, dessen E-Mails er als lästig empfand. In Jones sieht der geschasste General einen Clown, dessen Weltsicht zum Jahr 1985 passt, während er sich von Eikenberry verraten fühlt. Für Vizepräsident Joe Biden blieb nur Spott: "Bite me" (Auf Deutsch: "Leck mich"). Schon im vergangenen Herbst hatte McChrystal die Anti-Terror-Strategie von Biden als "kurzsichtig" bezeichnet. Sie würde in ein "Chaos-Istan" führen. Und Barack Obama selbst? "Uninteressiert" und "uninformiert" – so McChrystals Einschätzung nach einem ersten zehnminütigem gemeinsamen Treffen zwischen dem Afghanistan-Kommandeur und seinem Oberbefehlshaber. Besonders enttäuschend empfand es McChrystal, dass der Präsident und Oberbefehlshaber nichts über seine Person gewusst habe und sich auch nicht sonderlich engagiert zeigte. Was mag diesen ehemals loyalen Feldkommandeur Obamas bewegt haben?


Mc Chrystal in der New York-Post
 
Wie tief mussten die Meinungsverschiedenheiten zwischen der Politik in Washington und der Armeeführung in Kabul sein, dass ein Vier-Sterne-General diesen Weg wählte, um auf den Bruch aufmerksam zu machen? Was sagt uns das über den Zustand der Mission in Afghanistan und Pakistan? Die Despektierlichkeiten waren für den Präsidenten eine außerordentliche Herausforderung durch einen militärischen Führer – jedoch noch vor der Grenze zur Insubordination: Das US-Magazin stellte den General als einsamen Kämpfer dar, der sich von den Entscheidern in Washington alleingelassen fühlte. Das hätte den Präsidenten zum Nachdenken anregen müssen. McChrystal hatte erst im Juni vergangenen Jahres den Oberbefehl über die westlichen Truppen in Afghanistan übernommen. Seinen Vorgänger, General David McKiernan, hatte die Regierung gefeuert, weil sie mit dessen Strategie nicht zufrieden war. Und diesmal präsentierte Obama binnen Minuten als Nachfolger für den gefeuerten ISAF-Kommandeur keinen geringeren als dessen Vorgesetzten, General David Petraeus, bis dato Befehlshaber des wichtigsten US-Regionalkommandos CENTCOM!


General David Petraeus vor einer Karte mit seinem ehemaligen Befehlsbereich CENTCOM
Quelle: www.flickr.com
 
Flankiert von Vizepräsident Joe Biden, Verteidigungsminister Robert Gates und Admiral Mike Mullen, Vorsitzender der Joint Chiefs of Staff, erklärte Obama diesen Schritt im Rosengarten des Weißen Hauses: „Aber Krieg ist größer als jeder Mann und jede Frau, größer als ein Gefreiter, ein General oder ein Präsident..“(2) Anschließend forderte er den Senat auf, die Ernennung von Petraeus, zügig zu bestätigen. „Dies ist eine Änderung in der Personalentwicklung, es ist aber keine Veränderung der Politik“, betonte er. Von Personalentwicklung kann jedoch keine Rede sein. Wie groß müssen die Schwierigkeiten sein, wenn kein geeigneter ISAF-Kommandeur aufgebaut werden kann und Obama sich des Befehlshabers von CENTCOM bedienen musste? Militärisch gesehen ist es für Petraeus ein Abstieg und für Obama ein Offenbarungseid.
 
Verletzung der elementarsten Menschenrechte
 
Im Irak-Krieg kommandierte der General die 101. Luftlandedivision und begann nach der Zerschlagung des Regimes von Saddam Hussein die neuen irakischen Sicherheitskräfte aufzustellen und auszubilden.(3) In die Vereinigten Staaten zurückgekehrt,  übernahm er am 20. Oktober 2005 das Kommando über das US Army Combined Arms Center (CAC). Während dieser Zeit war er für die Erstellung des Feldhandbuchs FM 3-24 zuständig. Eine der AutorInnen des Handbuchs ist die Anthropologin Montgomery McFate, Schöpferin des vom Pentagon initiierten Programms mit dm freundlichen Titel "Operationssystem der Feldhumanforschung"  und Beraterin des Verteidigungsministeriums. McFate zeichnet sich durch ihre Parteinahme aus, mit der sie die enge Zusammenarbeit zwischen Anthropologen und Militärs in asymmetrischen Kriegen, die Verletzung der elementarsten Menschenrechte und der grundlegendsten Prinzipien der UNO, rechtfertigt. Sie konnte die Counterinsurgency-Strategen davon überzeugen, dass die Anthropologie eine wirkungsvollere Waffe als die Artillerie sein kann.
 
Am 5. Oktober 2007 veröffentlichte die New York Times einen Artikel von David Rohde über die Überlegungen von US-Militärs zu einer neuen entscheidenden Waffe in den Aufstandsbekämpfungsoperationen: „eine mit Anthropologen und anderen Gesellschaftswissenschaftlern ausgestattete Mannschaft zum permanenten Einsatz in den Kampfeinheiten der US-Besatzungstruppen in Afghanistan und im Irak.“(4) Rohde berichtete, dass diese einzigartige Verwicklung der Gesellschaftswissenschaften in die Kriegsanstrengungen der USA ein erfolgreiches experimentelles Programm des Pentagons darstelle und nach seinem Start im Februar 2007 derart von den Kommandierenden des Kriegsschauplatzes empfohlen wurde, dass im September desselben Jahres Verteidigungsminister Robert M. Gates einen zusätzlichen Posten über 40 Millionen Dollar genehmigte, um jeder der 26 Brigaden in den beiden erwähnten Ländern ähnliche Gruppen zuzuweisen.
 
Hochschullehrer als Komplizen der Militärs
 
Diese offene Komplizenschaft der Hochschulkreise mit den Militärs rief bei unabhängigen US-Intellektuellen eine Welle der Kritik hervor. Sie verurteilten die Mitarbeit der Hochschullehrer an diesem Handbuch, das zur Verfolgung, Folter und Ermordung von Menschen bestimmt sei und der militärischen Besatzung von Ländern, in den "dunklen Winkeln der Welt", in denen die USA ihre Interessen durchsetzen will, diene.
 
Seither gilt das Feldhandbuch FM 3-24 als Richtlinie der US Army für die "Aufstandsbekämpfung" (counterinsurgency). In dieser Doktrin sieht die Bundeswehr einerseits die radikalste Militärdoktrin der Gegenwart.(5) Sie stelle viele traditionelle Paradigmen der US-Kriegsführung auf den Kopf liefere aber gleichwohl auch eine praxisorientierte und detaillierte Handlungsanweisung. In ihm manifestiere sich das Konzept von General David Petraeus, wonach der Sicherheit und dem Wohlstand der Zivilbevölkerung im Einsatzland die höchste Priorität einzuräumen sei.
 
Vom 10. Februar 2007 bis zum 16. September 2008 versuchte Petraeus als Kommandeur der "Multi-National Force Iraq" (MNF-I) diese Doktrin umzusetzen. Jedoch nicht eben vollkommen – wie die jüngsten schweren Anschläge im Irak beweisen. In Afghanistan verfolgte McChrystal  diese  „Counterinsurgency“ -Strategie genau so. Danach sollen die alliierten Truppen einerseits nur zurückhaltend „tödliche Gewalt“ anwenden, andererseits aber durchaus auch die Zivilbevölkerung bedrohende Luftschläge anfordern. Aber auch hier blieben die Erfolge aus. Dafür stiegen die Verluste.
 
So erschütterte am 10. Mai 2010 die bisher schwerste Anschlagsserie des Jahres den Irak. Über 100 Menschen starben bei Attentaten in mehreren irakischen Städten, rund 350 wurden zum Teil schwer verletzt. Die Anschläge reihen sich ein in eine Phase erhöhter Gewalt im Umfeld der Parlamentswahlen vom 7. März. In dieser Situation sind die Erwartungen an Petraeus besonders hoch. Vor allem bei Obama. Denn noch ist nicht klar, wie viel von der Generalsaffäre an ihm hängen bleiben wird. (PK)
 
Anmerkungen
 
(1) Hastings, Michael: "The Runaway General",  unter http://www.rollingstone.com/politics/news/17390/119236
This article appears in RS 1108/1109 from July 8-22, 2010, on newsstands Friday, June 25

(2) Loven, Jennifer/ Gearan, Anne: General McChrystal Relieved Of Command: Obama Takes General Off Top Afghan Post,  in HuffingtonPost vom 23. Juni 2010

(3) Und damit als Erster das Kommando über das „Multi National Security Transition Command Iraq“.
(4) Rhode, David: Army Enlists Anthropology in War Zones, unter http://www.nytimes.com/2007/10/05/world/asia/05afghan.html?_r=4&oref=slogin&oref=slogin
(5) Bundeswehr, unter http://www.readersipo.de/portal/a/sipo/transformation/4-neuer-auftrag-bw/faeigkeiten-operatives-denken%3Fyw_contentURL=%2F01DB131300000001%2FW27UUB6G987INFODE%2Fcontent.jsp


Online-Flyer Nr. 256  vom 30.06.2010

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