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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Arbeit und Soziales
„Sparen“ als neoliberale Ideologie
Aushungerung des Sozialstaates
Von Christoph Butterwegge

Die öffentliche Armut bildet im neoliberalen Projekt eines „Um-“ bzw. Abbaus des Sozialstaates keinen Kollateralschaden, sondern dient als Mittel zur Stärkung der Wirtschaft, während der private Reichtum das Lockmittel darstellt, welches die „Leistungsträger“ zu besonderen Anstrengungen motivieren soll. Häufig fordern Neoliberale gleichzeitig die Kürzung der Staatsausgaben, eine Senkung der Steuern und die Ausweitung der (wirtschaftsnahen) Staatsaufgaben.

Da gemäß der Standortlogik vor allem die Gewinnsteuern und die Spitzensteuersätze immer stärker gegen Null tendieren müssen, um Großinvestoren anzulocken und als „Wirtschaftsstandort“ attraktiv zu bleiben, während die sozialen Probleme wachsen und der Staat immer mehr Aufgaben zu erfüllen hat, steigt dessen Kreditaufnahme. Gleichzeitig verfällt die soziale und Verkehrsinfrastruktur – wie in den USA und Großbritannien seit langem zu beobachten ist –, was Neoliberale wiederum zusammen mit der Staatsverschuldung skandalisieren, obwohl es sich dabei um die Früchte ihrer Konzeption eines „schlanken Staates“ handelt.
 
Die populäre Forderung, der Staat solle „sparen“, findet gerade nach den

Christoph Butterwegge
  „Rettungspaketen“ für die deutschen Banken, Griechenland und den Euro in der (Medien-)Öffentlichkeit eine überwiegend positive Resonanz, weil dieser Vorgang mit vernünftigem „Maßhalten“ im persönlichen Bereich gleichgesetzt wird, wenngleich er dort ganz anders zu bewerten ist: Hat der legendäre Familienvater oder die berühmte schwäbische Hausfrau wenig Geld zur Verfügung, müssen sie damit tatsächlich möglichst sparsam umgehen, während der Staat die Wirtschaft mittels öffentlicher Investitionen gerade dann ankurbeln muss, wenn diese wie gegenwärtig aufgrund der keineswegs überwundenen Weltwirtschafts- und Finanzkrise lahmt.
 
Eine sparsame Haushaltsführung des Staates wird heute vielfach mit „Generationengerechtigkeit“ in Verbindung gebracht, wohingegen die öffentliche Kreditaufnahme als Verletzung des Gebotes der Nachhaltigkeit gilt. Häufig tun Neoliberale so, als hätten künftige Generationen hohe Schuldenberge abzutragen, wozu sie weder willens noch in der Lage wären. Dabei lastet dieser Schuldendienst nur auf einem Teil der kommenden Generationen; ein anderer erhält sehr viel mehr Zinsen aus (geerbten) Schuldverschreibungen des Staates, als er selbst an Steuern zahlt, und profitiert dadurch sogar von heutigen Budgetdefiziten.

Fragwürdige Polik der Haushaltsführung

Trotzdem verfängt die Argumentationsfigur von „Zechprellern zu Lasten unserer eigenen Kinder“ (Bernd Raffelhüschen). Da die Verschuldung der Gebietskörperschaften „unseren Kindern und Enkeln die Chancen für ihre Zukunft“ raube (Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder), sei die Konsolidierungspolitik ein Gebot der Generationengerechtigkeit, heißt es häufig. Aus der Staatsverschuldung resultieren aber sowohl Forderungen wie auch Verbindlichkeiten und beide Größen werden an die nächste Generation „vererbt“. Blickt man getrennt auf die gegenwärtige oder auf die folgende Generation, liegt immer ein gesamtwirtschaftliches Nullsummenspiel vor.
 

Karikatur: Kostas Koufogiorgos
Karikatur: Kostas Koufogiorgos
www.koufogiorgos.de


Durch die Instrumentalisierung der nachwachsenden Generationen unter einem Schlagwort wie „Nachhaltigkeit der Finanzpolitik“ (Papier der Bundesregierung zur „Sparklausur“ im Kanzleramt am 6./7. Juni 2010) wird im Grunde eine fragwürdige Politik der Haushaltskonsolidierung gerechtfertigt, die gerade für Kinder und Jugendliche verheerende Folgen hat, weil vorrangig den sie betreffenden Bereichen (Schule, Jugendarbeit und Hochschule) nicht mehr die nötigen Mittel zufließen. Zwischen ökologischen und finanziellen Ressourcen besteht nämlich ein entscheidender Unterschied: Einmal vernutzte fossile Brennstoffen fehlen künftigen Generationen, während deren Beiträge zur Tilgung von Schulden für öffentliche Aufgaben nützliche Infrastrukturangebote gegenüberstehen. Geld wird zwar im Jugendjargon als „Kohle“ bezeichnet, verbrennt oder verschwindet aber nicht, sondern fließt nur von einer in die andere Tasche. Geld ist genug da, wenn es sich auch meist in der falschen Tasche befindet!

Natürlich darf sich auch ein Staat nicht ohne jedes Maß ver- beziehungsweise überschulden. Die extrem starke Thematisierung des „Sparens“ in öffentlichen Haushalten lenkt den Blick allerdings zu einseitig auf die Ausgabenseite, obwohl die gegenwärtigen Probleme des Sozialstaates in erster Linie auf der Einnahmenseite entstehen. Entstanden ist der „Schuldenberg“ in Höhe von 1,7 Billionen Euro nicht, weil „wir“ über unsere Verhältnisse gelebt oder weil der Staat schlecht gehaushaltet hat, sondern weil die etablierten Parteien seit Jahrzehnten die Kapital- und Gewinnsteuern gesenkt und die reichsten Bürger systematisch entlastet haben.

Es wird gekürzt, aber nicht gespart
 
Da wurde die Börsenumsatzsteuer abgeschafft, der Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer mehrfach gesenkt, die Vermögensteuer seit 1997 nicht mehr erhoben, die Körperschaftsteuer für Kapitalgesellschaften zu einer Bagatellsteuer gemacht, die bloß noch ein Viertel bis ein Drittel des Aufkommens der Tabaksteuer erbringt, und die betriebliche Erbschaftsteuer ab dem 1. Januar 2010 zu einer reinen Phantomabgabe degradiert. Kaum ein Politiker entzieht sich diesem Steuersenkungswettlauf, der für die Allgemeinheit desaströse Auswirkungen zeitigt. Gerade die Besserverdienenden und die großen Unternehmen müssten veranlasst werden, ihrer Verantwortung für ein gut funktionierendes Gemeinwesen wieder gerecht zu werden.
 
Häufig wird gar nicht „gespart“, sondern die finanzielle Belastung nur anders verteilt, also von der Bundesebene zu den Ländern und Kommunen oder der Solidargemeinschaft auf jeden Einzelnen verlagert bzw. von der Gegenwart in die Zukunft verschoben. So will die Bundesregierung jährlich 1,8 Mrd. Euro „sparen“, indem Hartz-IV-Bezieher/innen aus der Gesetzlichen Rentenversicherung ausgeschlossen und keine Beiträge mehr für sie entrichtet werden. Dadurch erhöht sich zwangsläufig die Altersarmut, und die Kommunen bzw. künftige Generationen, die angeblich entlastet werden sollen, müssen demnächst entsprechend mehr für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung aufbringen.

Noch mehr Geld will die schwarz-gelbe Koalition im Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik „einsparen“, indem Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung und Umschulungen für Erwerbslose, die bisher Pflichtleistungen waren, zu Ermessensleistungen der JobCenter werden. Damit zeigt die Bundesregierung, dass sich ihr Bekenntnis zur „Bildungsrepublik Deutschland“ und das Versprechen der Kanzlerin, „Bildung für alle“ zu ermöglichen, das der 3. Bildungsgipfel am 10. Juni 2010 erneuern dürfte, bloß auf Exzellenzbereiche und die Elitebildung von Privilegierten bezieht, aber Erwerbslose gerade nicht einbezieht, wie sie dadurch auch die (Langzeit-)Arbeitslosigkeit erhöht, was wiederum mit Mehrkosten im Bereich der passiven Arbeitsmarktpolitik verbunden ist.
 
Zu fragen ist, ob eine so reiche Gesellschaft wie die Bundesrepublik leere öffentliche Kassen und immer mehr Milliardäre und Multimillionäre haben will oder ob sie einen sozialen Ausgleich und nachhaltige Entwicklung anstrebt. Bekanntlich können sich nur die Reichen einen magersüchtigen Staat leisten. Denn sie schicken ihre Kinder auf Privatschulen und ausländische Eliteuniversitäten, kaufen alles, was ihr Leben verschönert, selbst und sind auf öffentliche Schwimmbäder, Bibliotheken oder andere kommunale Einrichtungen, die zunehmend geschlossen werden, gar nicht angewiesen. Alle übrigen Bevölkerungsschichten benötigen jedoch seine Leistungen und kommen ohne öffentliche Infrastruktur nicht aus. Wohlfahrtseinrichtungen, Kunst, Kultur, (Weiter-)Bildung, Wissenschaft und Forschung dürfen nicht von kommerziellen Interessen oder der Spendierfreude privater Unternehmer, Mäzene und Sponsoren abhängig werden. Genau das droht uns, wenn der Staat in neoliberaler Manier „kaputtsaniert“ wird. (HDH)

Der Autor Prof. Dr. Christoph Butterwegge, geb. 1951, lehrt Politikwissenschaft an der Universität zu Köln
 
Buchpublikationen des Autors zum Thema:
 
Butterwegge, Christoph/Klundt, Michael (Hrsg.): Kinderarmut und Generationengerechtigkeit. Familien- und Sozialpolitik im demografischen Wandel, 2. Aufl. Opladen (Leske & Budrich) 2003
Butterwegge, Christoph: Krise und Zukunft des Sozialstaates, 3. Aufl. Wiesbaden (VS – Verlag für Sozialwissenschaften) 2006
Butterwegge, Christoph/Lösch, Bettina/Ptak, Ralf: Kritik des Neoliberalismus, 2. Aufl. Wiesbaden (VS – Verlag für Sozialwissenschaften) 2008
Butterwegge, Christoph: Butterwegge, Christoph: Armut in einem reichen Land. Wie das Problem verharmlost und verdrängt wird, Frankfurt am Main/New York (Campus) 2009


Online-Flyer Nr. 254  vom 16.06.2010



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