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Aktueller Online-Flyer vom 20. April 2024  

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Inland
Hat Sympathien für evangelikale Gruppen und sitzt im Kuratorium von „Pro Christ“
Wulff im Schafspelz - nein danke!
Von Fiona Lorenz

Angela Merkels Favorit für die Nachfolge Köhlers hätte – wenn die Wahl am Monatsende dem Willen der Bevölkerung entsprechen sollte – keine Chance. Das sagen nicht nur Meinungsumfragen voraus. Auch „die säkularen Organisationen in Deutschland lehnen die Kandidatur Christian Wulffs für das Amt des Bundespräsidenten entschieden ab. Ein Politiker, der sich im Kuratorium der evangelikalen Vereinigung „Pro Christ“ engagiere, könne keine Bevölkerung repräsentieren, die zu mehr als einem Drittel konfessionsfrei sei und sich zur Hälfte als „nicht-religiös“ einstufe“, heißt es in einem Beitrag des „humanistischen pressedienstes“ (hpd), den wir hier mit Genehmigung seiner Autorin wiedergeben. – Die Redaktion .

Quelle: http://hpd.de/node/9689,
(c) Ralf König
„Christian Wulff ist für das Amt des Bundespräsidenten denkbar ungeeignet!“, erklärte der Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs), Michael Schmidt-Salomon. „Wie soll eine Bevölkerung, die zu mehr als einem Drittel aus konfessions-freien Menschen besteht und die sich sogar zur Hälfte als ‚nicht-religiös’ einstuft, einem Mann vertrauen können, der sich im Kuratorium der bibeltreuen, missionarischen Organisation ‚Pro Christ’ engagiert? Ein Bundes-präsident, der Gruppierungen unterstützt, die aufgrund religiöser Wahnideen die Evolutionstheorie leugnen und Schwulenhetze betreiben, ist völlig untragbar! Das Mindeste, was Christian Wulff nun tun müsste, damit er politisch noch halbwegs ernst genommen werden kann, wäre ein sofortiger Austritt aus dem Kuratorium von ‚Pro Christ’! Doch selbst, wenn er diesen Schritt vollziehen würde, bleiben starke Bedenken gegen seine Person, da er offensichtlich nicht willens oder intellektuell nicht in der Lage ist, empirische Fakten anzuerkennen und daraus korrekte, logische Schlüsse zu ziehen. Einen Mann, der im weltanschaulichen Bereich derart hinterwäldlerischen Mythen anhängt, sollte man nicht zum obersten Repräsentanten eines säkularen Staates machen!“
 
Aufgaben eines Bundespräsidenten
 
Welche Aufgaben hat denn überhaupt ein Bundespräsident? In Artikel 54-61 des Grundgesetzes werden Einzelheiten zu den Voraussetzungen für die Berufung in das Amt, zur Wahl, zur Person, und zu den Aufgaben des Bundespräsidenten ausgeführt. In Artikel 56 GG schwört er oder sie bei Amtsantritt vor den versammelten Mitgliedern des Bundestages und des Bundesrates folgenden Eid: "Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe." Der Eid kann, wie weiterhin zu lesen ist, auch ohne religiöse Beteuerung geleistet werden.
 
Nach Artikel 3, Absatz 3 des GG darf „niemand ... wegen ... seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Und laut Artikel 4, Absatz 1 lautet: „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.“ Diese Rechte sind es, auf die vor allem säkulare Menschen verweisen, da bereits der jüngst zurückgetretene Bundespräsident Köhler keineswegs das Grundgesetz wahrte oder Gerechtigkeit gegen jedermann übte, sondern mehrfach zur Missionierung aufrief. So hatte Köhler im Dezember 2009 in einem Grußwort behauptet, das Lesen der Bibel könne ein „wertvoller Beitrag für die frühkindliche Erziehung“ sein, woraufhin die Giordano-Bruno-Stiftung in einem offenen Brief an Köhler die „weltanschauliche Manipulation von Kindern“ kritisierte und vorschlug, Kindern zuerst ein „solides Grundwissen“ zu vermitteln, bevor man „religiöse Vorstellungen“ an sie herantrage. Mitte Mai 2010 rief Köhler gar in einem Zeitungsinterview, das später auf seiner offiziellen Website veröffentlicht wurde, die Kirchen zur Missionierung auf.
 

Christian Wulff - legte inzwischen schon
mal sein Landtagsabgeordnetenmandat nieder 
Nicht nur dem Vorstands-sprecher der gbs, auch anderen VertreterInnen der säkularen Szene ist nicht wohl bei dem Gedanken, dass die neuen Kandidaten auf das höchste Amt befürchten lassen, die weltanschauliche Neutralität werde nicht gewahrt, so die „Privatmeinung“ von Rudolf Ladwig vom IBKA. Auch er fordert Wulffs Aufgabe der Mitgliedschaft im Kuratorium von ‚Pro Christ’ und fürchtet, das konfessionsfreie Drittel der Gesellschaft werde erleben, dass „ein Präsident Wulff ihre gesellschaftliche Existenz ignorieren wird. Wulff wird – wie seine frömmelnden Vorgänger Köhler, Rau und Herzog – kein Präsident für alle Bürger sein.“
 
Säkulare Verbände melden sich zu Wort
 
Frieder Otto Wolf, Präsident des Humanistischen Verbands Deutschlands, plädiert für eine Person, „in der die Haltungen der Mehrheit der Deutschen Ausdruck findet“, denn „die Mehrheit der deutschen Bevölkerung glaubt nicht an die Glaubensbekenntnisse der etablierten christlichen Kirchen.“ Daher ist für ihn Christian Wulff problematisch, da dieser „bisher ein klares Bekenntnis zur verfassungsmäßigen Trennung von Staat und Kirche vermissen lässt. Damit er akzeptiert werden kann, wird er deutlich machen müssen“, so Wolf, „dass er seine Haltung im niedersächsischen Kruzifixstreit korrigiert und zumindest nicht fortzuführen gedenkt.“ Im Kruzifixstreit hatte die neu berufene muslimische Ministerin Aygül Özkan für weltanschauliche Neutralität und die damit verbundene Entfernung von Kruzifixen aus öffentlichen Räumen plädiert. Niedersachsens Ministerpräsident Wulff, der für die Berufung Özkans gelobt worden war, hatte, wie auch in der ZEIT vermeldet wurde, verärgert reagiert und schnell klargestellt, dass die Landesregierung Kreuze an Schulen begrüße: „Frau Özkan hat ihre persönliche Meinung zur weltanschaulichen Neutralität geäußert, aber sie stellt die niedersächsische Praxis nicht infrage.“
 
Assunta Tammelleo ist Vorsitzende des Bundes für Geistesfreiheit (bfg) München. Sie meint, dass „wohl alle bisherigen Präsidenten nach 1945 christlich gewesen sein werden, wenn auch wohl nicht alle bei ‚ProChrist’.“ Ihrer Meinung nach richtet Wulff als Bundespräsident „unter Umständen weniger Schaden an als als Landesvater. Das könnte ein Grund sein, ihn dafür zu nominieren“, fügt sie schmunzelnd an. Auch hätten andere Bundespräsidenten in diesem Kruzifix-Fall „sicherlich genauso reagiert“.
 

Quelle: http://hpd.de/node/9689,
(c) Ralf König
Das amüsanteste Statement zu den Kandidaten erreichte uns vom Geschäftsführer des Alibri Verlags, Gunnar Schedel: „Ich war mit Horst Köhler als Bundespräsident sehr zufrieden, er hat als permanent verwirrt erscheinender Winkewinke-Onkel dieses Amt perfekt ausgefüllt. Und die vielen schönen Bilder in Titanic hätte ich in den letzten Jahren nicht missen wollen. (...) Christian Wulff weiß ja in der Regel nicht so genau, wofür er steht, aber das verspricht bestenfalls ein bisschen Abwechslung bei den Weihnachts-ansprachen. Joachim Gauck kann immerhin darauf zurückblicken, dass er, laut Bundeskanzlerin, damals in Rostock die Revolution ausgerufen hat. Könnte
                                                    ein Fünkchen Hoffnung sein.“
 
Ist Pfarrer Joachim Gauck eine Alternative?
 
Womit wir bei Pfarrer Joachim Gauck wären, dem zweiten Kandidaten, der die Bürgerinnen und Bürger vertreten könnte (wenn auch die Wahrscheinlichkeit, dass er gewählt wird, als gering einzuschätzen ist). Dieser schneidet bei den BürgerInnen deutlich besser ab als Ministerpräsident Wulff, wie diverse Umfragen, etwa bei der Tagesschau oder Forsa im Auftrag des Stern sowie bei facebook ergeben haben.
 
Hier lohnt es sich, einen Blick auf die Privatmeinung des Rudolf Ladwig zu werfen, wenn er ausführt: „Gauck hat im Gegensatz zu Wulff die christliche Religion nicht als gesellschaftlich dominant, sondern auch als marginalisiert erlebt. Dies geschah in einem Staat, der seinerseits auch weltanschaulichen Anspruch auf seine Bürger erhob. Kirche war in diesem Bezugssystem ein potentieller Hort politischer Opposition. Gauck hat entsprechend gewirkt. Er ist im Unterschied zum aalglatten Wulff lebensklug, redegewandt und hat Charisma.“ Allerdings, so argumentiert Ladwig, hat sich „Gaucks ursprünglich bürgerrechtlicher Freiheitsbegriff jedoch längst explizit mit neoliberalen Vorstellungen verknüpft. Von Egalité und Fraternité keine Spur! Wenn Gauck gegen "Besitzstandswahrung" agitiert, dann meint er - wie Wulff! - den Sozialstaat und nicht etwa die kostspieligen staatskirchenrechtlichen Privilegien.“ Ladwig schließt die Kandidatenkür mit dem Worten: „Gauck und Wulff sind auf unterschiedliche Weisen Männer von Vorgestern“.
 

„Damals in Rostock die Revolution
ausgerufen“ – Joachim Gauck
Frieder Otto Wolf sieht den Kandidaten Joachim Gauck als jemanden, der sich „als ein korrekter Verwalter der Abwicklung der Stasi-Vergan-genheit durchaus bewährt“ habe. Er müsse aber seine Vergan-genheit als protestantischer Pfarrer hinter sich lassen, um nach Meinung des HVD-Prä-sidenten, als Bundespräsident akzeptabel zu sein.
„Natürlich ist auch Pfarrer Joachim Gauck aus konfessionsfreier Sicht kein optimaler Kandidat!“, sagte schließlich gbs-Sprecher Schmidt-Salomon. „Dass wir heute zwischen einem protestantischen Pfarrer und einem bibeltreuen Christdemokraten wählen müssen, zeigt nicht nur, dass die Interessen der am stärksten wachsenden Bevölkerungsgruppe, nämlich der Konfessionsfreien, ignoriert werden, sondern auch, wie erbärmlich das intellektuelle Niveau der deutschen Politik ist! Dass die Politikverdrossenheit von Jahr zu Jahr zunimmt, sollte da niemanden verwundern!“
 
Wer käme sonst in Frage?
 
Der Präsident des Humanistischen Verbands Deutschlands, Frieder Otto Wolf, plädiert für eine Frau, „eine Repräsentantin..., in der die Haltungen der Mehrheit der Deutschen Ausdruck findet“, da schließlich die Mehrheit der deutschen Bevölkerung aus Frauen bestehe, aber noch nie eine Frau das Amt der Bundespräsidentin innehatte. Rudolf Ladwig plädiert dagegen für die Abschaffung des Amtes des Bundespräsidenten, denn eine „moderne Demokratie braucht keinen kostspieligen Bundesgrüßaugust und auch keine leitende Lichtgestalt“, andernfalls würde er eine intellektuelle Persönlichkeit unterstützen, „welche der Komplexität politischer Probleme nicht mit platten vitalistischen Appellen zu begegnen gedenkt.“
Fazit
 
Ob Wulff es als Katholik im protestantischen Bundesland Niedersachsen als strategisch günstig erachtete, einer evangelikalen Vereinigung wie ‚ProChrist’ beizutreten, oder aus Überzeugung beitrat, kann nur gemutmaßt werden. Ob Gauck seine theologische Ausbildung abstreifen und dazu übergehen kann und wird, auch säkulare Menschen zu vertreten, sei dahingestellt. Beide Kandidaten zeigen jedenfalls zum Teil ausgeprägte religiöse Tendenzen und lassen befürchten, dass sie die mehr als 30.000.000 (dreißig Millionen) Menschen in Deutschland nicht vertreten werden, die sich gegen Kirche, Religion und Gott entschieden haben. Es sei denn, sie distanzieren sich öffentlich von ihrem Missionierungsauftrag.
 
Bei Facebook wurde mittlerweile eine Kampagne „Wulff im Schafspelz – nein danke!“ lanciert, wo man gerne seinen Unmut gegen Wulff als Kandidaten bekunden kann. (PK)
  
(1) http://hpd.de/node/9689


Online-Flyer Nr. 254  vom 16.06.2010



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