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Aktueller Online-Flyer vom 19. April 2024  

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Medien
Die mediale Provozier- und Bedrohungsindustrie floriert
Betreutes Basteln und der Konjunktiv
Von Dr. Maryam Dagmar Schatz

Immer, wenn man denkt, unsere Qualitätspresse kann sich nicht mehr unterbieten, schafft sie es doch. Elise Hendrick hat für diese NRhZ-Ausgabe schon ein schönes Beispiel geliefert. Und wenn man keine Nachricht hat, bläst man eine auf – oder provoziert die Musels einfach. Mindestens eineN zu provozieren reicht oft auch schon. Über den Hoax mit der „Islamischen Jihad Union“ konnte selbst die etablierte Presse nicht schweigen, über die „gespiegelte Ente“ mit der angeblichen Terrordrohung gegen die Richter im Prozess gegen Alex Wiens hat NRhZ-Autorin Sabine Schiffer ausführlich recherchiert und berichtet. Doch solche Produktionen sind zu verführerisch, als daß unsere übl(ich)en Medien darauf verzichten würden. Zwei besonders lehrreiche stellen wir hier vor:

Kapitel 1: Wir basteln uns einen Terroristen
 
Video und Glosse dazu wurden zuerst im niederländischen Muslimportal „wijblijvenhier.nl.“ unter dem Titel „Terrorist in drie stappen“  veröffentlicht.
 
Wenn Du Kameramann bist, und musst für die Abendnachrichten die Aufnahme eines bösartigen Muslim abliefern, haben wir für Dich die Erfolgsformel:
1. Halte dem Muslim provozierend Deine Kamera ins Gesicht und sag 
dabei, daß Du „bloß“ Deine Arbeit machst,
2. Wiederhole Punkt 1 viele Male,
3. Nenne ihn einen „f***king terrorist“
Das Schöne ist, daß man noch nicht mal Sicherheitsvorkehrungen treffen muss – keiner greift einen an und man kommt mit der Nummer durch. Natürlich muss man aufpassen, daß kein anderes Kamerateam in der Nähe ist und die komplette Aktion aufnimmt. So einfach ist das…ernsthaft. Guck mal:



Nun, ganz so einfach war es dann doch nicht: viele Medien übernahmen die Geschichte, mit dem Arbeitgeber des übereifrigen Kameramannes wurden Gespräche geführt über die Art des Senders, Nachrichten zu produzieren. Der Sender feuerte dann den Kameramann…
 
Das Video ist sehenswert, denn es zeigt die komplette schändliche Arbeitsweise, die nicht nur auf Australien beschränkt ist.
 
Kapitel 2: Wir basteln uns eine Terrordrohung – erster Versuch
 
Da auf diese Moslems nun wirklich kein Verlass ist, muss sich der eifrige Journalist eventuell mal selber ins Internet begeben: Seit der kaiserlich russische Geheimdienst mit dem Umschreiben eines kapitalismuskritischen Pamphletes in die Protokolle der Weisen von Zion einen, sagen wir, Weltbestseller landete, sind Maßstäbe gesetzt und Methoden als erfolgversprechend vorgegeben. Eine der Methoden ist: Er könnte das gesagt haben. So geschehen mit den „Protokollen“:
„Durch Not, Neid und Hass werden wir die Massen lenken und uns ihrer Hände bedienen, um alles zu zermalmen, was sich unseren Plänen entgegenstellt.“
Das könnte auch ein, sagen wir, Rechtspopulist sagen, ja, sogar ein etablierter Politiker, aber hier wird es in einen jüdischen Kontext gestellt. Doch das war der zweite Schritt vor dem ersten. Wir brauchen einen Ausgangstext, die Autoren hatten ja auch einen, bzw. sogar mehrere Ausgangstexte. Wir suchen.


Die Warnstufe wird nicht erhöht
Quelle: rtbf (francophoner belgischer Rund- und Fernsehfunk)
 
Einiges kommt nicht mehr so recht in Frage: einige beliebte Gestalten sind tot, einiges wird, wie die Islamische Jihad Union, nicht mal mehr von allen etablierten JournalistInnen geglaubt. Taliban? Ja, Taliban geht immer.
 
Am 6. Mai berichtete eine francophone belgische Internetplattform, mehreren Medien sei ein Video zugespielt worden. Das Video kann hier http://www.rtlinfo.be/ bestaunt werden. Zündete aber nicht so richtig, denn mit Verlaub, die Machart war wahrlich dilettantisch: Taliban mit beduinischer, roter, Shammari-Keffiye bei den Taliban? Und all die bewaffneten Frauen – unterdrückt und bewaffnet? Und das Englisch der Macher so schlecht?
Nun ja, es kam wie es kommen musste: das Video zündete nicht so richtig, die belgischen Sicherheitsbehörden erhöhten die Warnstufe nicht (s. oben).
 
Terrordrohung – zweiter Versuch
 
Da verspricht der neue Ansatz doch etwas mehr. Der Gründer von Lashkar-e-taiba habe Belgien bedroht. Lashkar – what?


Links „die“, rechts „wir“: vandaag.be stellt gegenüber
Quelle: screenshot vandaag.be
 
Gemach! Lassen Sie uns innehalten und die bezwingende Komposition der Website von „vandaag.be“ bestaunen, einem niederländischsprachigen online-Portal. Links oben „Burkafrauen“ und unten der Anschlag in Mumbai, der Lashkar-e-Taiba zugeschrieben wird. Rechts sehen wir dann zwei positive Events: eine Eucharistiefeier, in der die Gläubigen Abbitte leisten für die Mißbrauchskandale in der katholischen Kirche – auch in Belgien hat es gescheppert. Darunter ein Bericht über die nationale Homosexuellenparade „Belgian Pride“, an der 35.000 Menschen teilgenommen hatten – darunter einige Politiker auch der konservativen Parteien.  Hat da einer „Wahlkampf“ gerufen? Der Umzug forderte die Stärkung der Rechte der Homosexuellen – nicht etwa in Belgien, nein: im Nahen Osten und in Afrika.
 
Jetzt will ich Sie aber nicht auf die Folter spannen: es gibt einen Ausgangstext (http://www.lalibre.be/): Der Pakistan-Korrespondent von La Libre Belgique, ein gewisser Emmanuel Dervile hat einer Freitagspredigt gelauscht: der von Hafiz Saeed, dem Gründer einer Organisation namens Jamaat ud Dawa, einer „islamistisch-humanitären“ Organisation, deren bewaffneter Arm eben Lashkar e-Taiba ist, die „Armee der Reinen“, die mit dem Anschlag von Mumbai in Verbindung gebracht wird. Es ist übrigens anzunehmen, daß der Text auch in der (francophonen) Schweiz auftauchen und dort die – eigentlich durch den Bundesrat schon beendete – „Burkaverbot“-Debatte wieder anheizen wird.
 
Monsieur Derville berichtet weiter, daß Saeed beim Aufbau seiner Organisation von Abdullah Azzam unterstützt worden sei, dem Mentor von Osama bin Laden. Soso…
Nur mal für’s Protokoll: Zur gleichen Zeit wie Azzam der Mentor von Bin Laden war, wurde Bin Laden von den USA aufgebaut!


Bedrohung verbildlicht
Quelle: mercenier.blogs.lalibre.be
 
Ja, aber was hat Saeed denn während seiner Freitagspredigt gesagt? Laut pakistanischen Quellen (http://www.onepakistan.com/) – und auch Monsieur Derville weicht von dieser Darstellung nicht ab – sagte Saeed anläßlich einer Freitagspredigt sinngemäß, der Westen mißachte die islamischen Traditionen; die europäischen Staaten hätten sich abgesprochen und vorausgeplant, und würden jetzt Minarette, Kopftücher und Burkas verbieten. Die Muslime sollten zusammenstehen, ihre Differenzen überwinden und ihre Hände nicht mehr nach Almosen ausstrecken. Die Anwesenheit von NATO-Truppen sei eine Aggression. Eine Drohung vermag ich nicht zu erkennen: Herr Derville, nachdem das Wort „menace“, niederländisch: bedreiging, in der Überschrift auftaucht, behauptet im Text auch nicht mehr, daß hier jemand gedroht hätte. Und Anschläge?
 
„C'est la première fois qu'il critique la loi sur la burqa en public. Certes, le Lashkar-e-Taiba n'a jamais organisé d'attentat en Occident. Mais son organisation et son financement le lui permettent.“
Übersetzt: „Zum ersten Mal hat Saeed in der Öffentlichkeit das Burka-Verbot kritisiert. Sicher, Lashkar-e-Taiba hat noch nie Attentate im Westen verübt. Aber deren Organisationsgrad und Finanzen würden es erlauben.“
Lashkar werden von mehr als einer Quelle enge Verbindungen mit dem pakistanischen Geheimdienst nachgesagt, siehe dazu: http://www.jamestown.org/
http://www.telegraphindia.com/
Heißt: Sie haben weder gedroht noch die Absicht, im Westen Attentate zu verüben. Aber sie könnten! Und Saeed könnte sowas gesagt haben!
 
Zum Schluss wird noch der Times Square Attentäter in den Text montiert. Klar: Saeed Pakistani, der Times Square Bomber pakistanischer Abstammung. Es gibt keine Anzeichen, daß die irgendwas miteinander zu tun hätten. Aber sie könnten, verstehen Sie, sie könnten!
 
Ich bin sicher, über Herrn Saeed werden wir noch eine Menge lesen. Im Konjunktiv – aber trotzdem wirksam. (PK)


Online-Flyer Nr. 250  vom 19.05.2010



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