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Literatur
Machen mächtige Männer die Welt kaputt?
Die Krise der Männer
Von Marianne Bäumler

„Drei Viertel aller Selbstmörder, 80 Prozent aller Suchtkranken, zwei Drittel aller Notfallpatienten, über 90 Prozent aller Häftlinge in Strafanstalten sind Männer.“ So eine offizielle Statistik für die Bundesrepublik Deutschland aus dem Jahr 2004, die sich bis heute kaum verändert hat. Es sind also vor allem „Männer, die von der Abschaffung des patriarchalischen Gewaltsystems profitieren“ würden, schreibt Ute Scheub in ihrem Buch über die Krise der Männer.

Das ist eine wesentliche Bilanz, die sie in ihrem umfangreichen neuen Buch „Heldendämmerung“ zieht. Mit gründlich recherchierten Quellen belegt sie ihre untertitelnde These: „Die Krise der Männer und warum sie auch für Frauen gefährlich ist.“Geahnt haben zumindest wir Frauen es schon seit längerem, dass es eine fatale männliche Ernstfall – Logik gibt, die unser aller Globus eher zerstört, als aufbaut, und dass wir da mit drin hängen, und auch unsere Kinder in aller Welt. Ergo: Alle Menschen dürften „von der Abschaffung des patriarchalischen Gewaltsystems profitieren.“

Ute Scheub fordert einen globalen Paradigmenwechsel zu einem Zeitpunkt, da die Männer der Welt aufgrund ökonomischer Beschleunigung in allerhand Aspekten dermaßen verunsichert sind ob ihres Bedeutungsverlusts im Arbeitssektor und insofern auch in ihrer angestammten Rolle als Ernährer und potentieller Beschützer, zunehmend destabilisiert in ihrer Selbstwahrnehmung – tagtäglich. Sie weist nach, dass zum Beispiel auf dem Niedriglohnsektor die ach so flexibleren Frauen inzwischen überall deutlich eher gefragt sind als ihre männlichen Kollegen, auf deren körperliche Überlegenheit es inzwischen dank der technischen Errungenschaften kaum noch ankommt, und wie ohnmächtig wütend das etliche von ihnen macht, wie panisch, also oft gewalttätig sie reagieren, diese nicht selten dem Alkohol und anderen Drogen verfallenden desorientierten Mannsbilder. Auch sie sind Opfer.

Und in den höheren Etagen der spätkapitalistischen krisenhaften Gesellschaften - hier macht sich angesichts zunehmend erkennbarer weiblicher Kompetenz in Politik und Wirtschaft eine rasante Showtime-Stimmung breit. Sarkastisch schildert Ute Scheub das kompensatorische Gezappel von Medienzar Berlusconi mit seinen minderjährigen Betthäschen, die hypermaskulinen Auftritte der Herren Bush, Putin, Sarkozy und Konsorten, sie belegt durch entlarvende Fotos die dürftigen Pinup-Posen, in welchen die Herren ihre schwankende Identität zu kompensieren trachten. Immer mehr Männer ahnen: ich bin ersetzbar, die Frauen funktionieren nicht mehr so passabel wie einst, deren vermeintlich biologische Zuständigkeit für Last & Lust ist inzwischen deutlich weniger erzwingbar. Männer empfinden also derzeit diffus beträchtliche Niederlagen, allerdings „ohne zu realisieren, wie vielen Aggressionen und Verformungen sie selbst ausgesetzt sind.“. Und da, so Ute Scheubs Erkenntnis, es gerade für das notorisch starke Geschlecht kaum Möglichkeiten gibt, sich über die eigene „Statuspanik“ aufrichtig zu verständigen, wird Angst „ausgeschaltet“, und verkehrt sich als verdrängtes Unbewusstes „zu paranoiden Wahnvorstellungen über ‚Feinde’ und ‚Bedrohungen’.“

Und obwohl mindestens 50 Prozent aller Erdenbürger weiblichen Geschlechts sind: fanatische Herren – je nach Religion weniger oder mehr rigide - würden die Frauen am liebsten als verfügbare Figuren einer unwesentlichen Randgruppe unter ihrer tradierten Kontrolle behalten, ungefähr nach dem Motto: „Heute ist nichts mehr heilig, weil Frauen zu viele Freiheiten haben, sie müssen zurechtgestutzt werden.“ Von wegen: das weibliche Selbstbestimmungsrecht – also auch das über den eigenen Körper – sei ein unteilbares Menschenrecht! Ute Scheub schildert empörende Tatsachen in aller Welt, sie geht sehr anschaulich ein auf diverse Aspekte „gekränkter Männlichkeit“ und ihre schlimmen Folgen für uns Alle.

„Wer nicht droht und aufrüstet, ist unmännlich.“ Dieses desaströse Selbstverständnis begünstigt ein „Imponiergehabe“ der Herren; militante Drohgebärden und die Wachstumsgier der Rüstungsindustrie passen da prächtig zusammen. „Die herrschende Klasse der Finanzindustrie, zu etwa 95 Prozent männlich, hat mit der Wirtschaftskrise den größten Bankraub der Geschichte organisiert.“ Insofern ähnelt sich solche Ignoranz gegenüber dem Rest der Bevölkerung jener von gierigen Kriegsherren, die sich weder um das Schicksal der fremden, noch der eigenen Zivilbevölkerung ernsthaft bekümmern. „Krieg als Einnahmequelle“ ist eine lukrative Möglichkeit für „mafiöse Männerbanden“. Die übliche maskuline Moral in weniger kriminellen Gefilden basiert jedoch auch auf einer seelisch deformierten Geschlechtsidentität. In ausführlichen Interviews berichten Coaches  über narzisstisch gestörte Manager, deren Empathiemangel ihrer jeweiligen Karriere zunächst eher gar nicht im Weg stand.

Ute Scheub zitiert Wissenschaftler, die seelische Abspaltungsvorgänge in männlichen Gefühlswelten beschreiben, die in den Führungsetagen als hochwillkommen und den Erfolg befördernd bewertet, in einer Psychoanalyse jedoch als hochgradig pathologisch und emotional erkaltet erkannt werden. Aktuell können wir das an den verheerenden Attitüden von Investmentbankern ablesen: Eiskalte Spekulanten setzen zur Zeit Turbo-Wetten auf Griechenlands Bankrott! Diese ungeheure zynische Eigendynamik scheint auch von vernünftigeren Teamkollegen in der völlig abgehobenen Finanzwelt nicht zu stoppen zu sein.
„Wäre die Menschheit ein Dorf mit 100 Menschen, sähe dieses folgendermaßen aus: 52 Personen wären weiblich, 48 männlich, 57 wären asiatisch, 21 europäisch, 14 amerikanisch, 8 afrikanisch. 70 Menschen wären Nichtweiße, ebenfalls 70 Prozent wären Nichtchristen. Ein einziger Mann würde 40 Prozent des Dorfvermögens besitzen. 80 Menschen lebten hingegen in ärmlichen, mangelhaften Behausungen, 50 wären unterernährt. Die meisten wären also weiblich, arm und hätten nicht genug zu essen.“ So sieht also unser Globus aus, lauter Schräglagen, unfair, wohin das Auge sieht.



Leseprobe...

Diese Hochrechnung kennzeichnet die harten Fakten, die strukturelle Gewalt. Und dennoch: es gibt auch allerhand berechtigte Hoffnung. In ihrem letzten Kapitel „schöner leben durch Gleichberechtigung“ beschreibt Ute Scheub, wie real Gestaltungskraft etwas bewirken kann, wenn Änderung an der Basis in der Tat gewollt wird. Was können Männer von Frauen lernen und umgekehrt? Fast könnten wir – allerdings jenseits von Esoterik – an die schöne Idee von Yin & Yang denken: wie zwei verschiedene Qualitäten sich wunderbar gegenseitig ergänzen können, und nicht unbedingt feindselig im Dualismus verhärten.

Beispielhafte Projekte werden uns vor Augen geführt: „ein weltweites Netzwerk engagierter Männer“ lässt hoffen,  Männer ziehen als „Wanderkonferenz“ durch die kenianischen Dörfer, die jeden Tag aufs Neue lernen, sie lernen zu kommunizieren, sie erkennen Alternativen zu ihrem bisherigen brutalen Rivalitäten, dem anmaßenden, instrumentellen Handeln gegenüber den Frauen,  jenseits von notorischen Machtspielen, gar, als entdeckten sie mit so nie gekanntem Vergnügen ihr eigenes Potential für Verantwortung. Im Frühjahr 2009 traf sich die globale Männerinitiative „Men engage“ in Rio de Janeiro, sie weitet sich seitdem immer weiter aus. Tja – die Frauen bevölkern diesen Planeten zur Hälfte, wären sie entsprechend präsent und könnten entsprechend endlich auch Verantwortung übernehmen - es gäbe weniger Aids, es gäbe weniger ungewollte Schwangerschaften, es gäbe weniger Gewalt - denn Krieg ist auch Terror - es gäbe eine substantiell andere, möglicherweise eine schön bunte Qualität in den politischen Prioritäten. (HDH)












Ute Scheub: Heldendämmerung - Die Krise der Männer und warum sie auch für Frauen gefährlich ist
 
Pantheon Verlag, München, März 2010, 2. Auflage
400 Seiten incl. Abbildungen, 14,95 Euro
ISBN-13: 9783570551103
ISBN-10: 3570551105
Best.Nr.: 27947752











Online-Flyer Nr. 250  vom 19.05.2010

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