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Aktueller Online-Flyer vom 20. April 2024  

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Aktuelles
Freude für Kraft – Rüttgers weg – Linke drin
Kleine Nachlese zur NRW-Landtagswahl
Von Hans-Detlev v. Kirchbach

Da kam richtig Freude auf bei Kraft. Hatte sie doch den Landesfürsten  Rüttgers mit seinem beigeordneten Pinkwart vom Standbild der  „Kompetenz“ zum Auslaufmodell degradiert. Gewonnen trotz Stimmverlusten. Das kann sie gerade noch, die SPD, nämlich kurzfristig wieder oben schwimmen, weil andere absaufen. Das Wahlziel  „18-Prozent-Partei“ hat die SPD am 9. Mai unverdientermaßen  überflügelt. Westerwelles bestenfalls noch neoliberaler  rechtspopulistischer Verein selbsternannter Bessermenschen, alias  „Leistungsträger“ und Elite-BWLer, hingegen verfehlte das von Möllemann ererbte 18-Prozent-Ziel verdientermaßen.

Ohne Hintersinn gesagt: Obwohl sie ein paar Zehntelprozent gewann, stürzte die FDP, politisch gesehen, tief ab aus den wolkigen Höhen ihres fünfjährigen desaströsen Regierungs-Gewursteles in Düsseldorf. Der Urheber des  ominösen „Hochschulfreiheitsgesetzes“, das im Lande NRW  Wissenschaftsfreiheit endgültig der Kapitalhoheit unterwirft, der schon erwähnte FDP-Minister Pinkwart, schaute denn auch am Wahlabend so geohrfeigt in die Kamera, als wäre er gerade beim kleinen Latinum  durchgefallen.

FDP: Armen-Diffamierung lohnt sich nicht


Es hatte also doch nichts gefruchtet, mit dem Feindbild des am arbeitsamen Volkskörper schmarotzenden Hartz-IV-Parasiten Mittel- und Oberschichtaffekte gegen den „faulen Pöbel“ ausreichend nachhaltig zu mobilisieren. Von wegen: „Aufstieg durch Leistung“ - für das, was sich die Guidonisten letzthin so leisteten, von der Hetze gegen soziale Minderheiten bis zur wie selbstverständlich zur Schau getragenen Selbstprivilegierungs-Chuzpe dieser Kohlebagger, gibt’s den Abstieg aus der Düsseldorfer Landesregierung als leistungsgerechten Lohn.

Kölner Erwerbslosenfrühstück spendet für Westerwelle

Dabei hatte es an freiwilliger Hilfeleistung für Westerwelles Schampus-Populisten gerade in Köln doch nicht gefehlt, einschließlich einer ebenso großzügigen wie öffentlichen Parteispende. Die in ausschweifender Völlerei der spätrömischen Dekadenz verfallenen Armutsfeudalisten des Kölner Erwerbslosenfrühstücks etwa begrüßten Guido Westerwelle, den „Volkstribun der entrechteten Finanzelite“, anlässlich des FDP-Bundesparteitages vor der Kölner Messe in stilechter römischer Festgewandung mit einem jubilierenden „Salve Imperator Maximus“.


„Reuevolle Dekadenz“

Die geläuterten Hartzisten überreichten, als Zeichen des freiwilligen Verzichts auf eine dekadente Speisenfolge beim Kölner  Erwerbslosenfrühstück, schließlich unter spätrömischen Lobgesängen einen symbolischen Scheck in Höhe von 111 Hartz-IV-Sesterzen an die  “Freiheitspartei“ des „größten Moralphilosophen unserer Epoche“. Auch diese spontane Unterstützung reichte freilich nicht ganz aus; am Wahlabend sah die selbsternannte „Freiheitsstatue Deutschlands“ in Gestalt Guido Westerwelles schon halb demontiert aus.

FDP-Pleite: selbstverschuldet

Abgestraft ist damit auch eine Partei, deren „Politik“ sich für 
geldbesitzende und geldvermehrende Klientel direkt und ohne störende 
soziale oder intellektuelle Umwege „lohnen“ soll. Die da nölend 
näseln, Leistung müsse sich wieder lohnen, meinen mit diesem Postulat 
ja auch keineswegs die Leistung derjenigen, die kein Spitzengehalt, 
sondern womöglich nur einen kargen Lohn beziehen, womit sie freilich 
die Spitzengehälter der hochgemuten Anzugträger erst möglich machen. 


„Friede den Palästen“, Protestplakat vor dem FDP-Bundesparteitag am 24. 4. 2010

Die alte Bürgerrechtsfraktion der FDP, die sich etwa mit den Namen 
Burkhart Hirsch und Gerhart Baum verbindet, scheint marginalisiert zu 
sein, und ein „sozialer Liberalismus“ im Stil der Freiburger Thesen ist längst Vergangenheit.

Rituelle „Extremisten“-Mantras

Der bald wohl ausgediente Einweg-Ministerpräsident Rüttgers gab sich, 
frisch gestürzt, noch staatsmännisch und betonte, NRW brauche eine 
“stabile Regierung“; das aber sei mit „Extremisten“ nicht zu machen. Damit meinte er natürlich nicht die ideologisch verbohrten Markt-Extremisten, mit denen er selbst fünf Jahre koaliert hat.

Casino-Kapitalismus

Und auch nicht die Grünen, die noch in den achtziger Jahren regelmäßig 
die AdressatInnen solcher „Extremisten“- Durchsagen aus Unionskreisen 
waren. Nein, die „Grünen“ sind, wie die euphorische Spitzenkandidatin 
Löhrmann in unfreiwilliger Selbstenthüllung frohgemut in die Kameras 
krähte, „in der Mitte der Gesellschaft angekommen“.

“In der Mitte angekommen“: Grüne Ordnungsgaranten

Das freilich ist, im abträglichsten denkbaren Sinne, längst kein 
Geheimnis mehr. Die Grünen stehen im Zentrum der herrschenden Ordnung, 
sie gehören zu den zuverlässig stabilisierenden Betongewichten, die 
dem real existierenden, sozial demontierten und kriegführenden Kapitalismus unabsehbar historische Dauer verleihen. Ohne Grüne kein Hartz IV – namentlich in Köln – und ohne Grüne keine weltweite Kriegsführung der BRD. Nicht trotzdem, sondern gerade deswegen, fahren die Grünen mittlerweile zweistellige Stimmergebnisse ein, in NRW fast doppelt soviel Prozentpunkte wie die FDP, die sie als „dritte Kraft“ hierzulande jedenfalls abgelöst haben.

Wer verhilft Frau Löhrmann zum Ministeramt?

So grenzte sich auch Frau Löhrmann demonstrativ von den „Extremisten“ ab, worunter sie spaßeshalber auf der einen Seite die FDP, auf der anderen die Linkspartei meinte. Mindestens an letzterer wird die Ministeranwärterin aber nicht vorbeikommen, wenn sie vor dem Hintergrund der Sitzverteilung im Landtag eine wie auch immer geartete Mehrheit für irgendeine Variante von „rot-grün“ hinbekommen will. Das scheint sie ansatzweise begriffen zu haben. „Herr Pinkwart ist nicht in der Lage, anderen zu diktieren, mit wem sie reden dürfen“, meinte Extremisten-Gegnerin Löhrmann nun schon am Dienstag abend, gezielt auf den gerupften Herrn Pinkwart von der FDP, der „Gespräche mit Extremen“ glaubte anderen untersagen zu können.

Zu dumm: Angstmache verfängt nicht

Nun freilich zu den viel erwähnten „Extremisten“. Vor denen hatte der mutmaßliche Abgangs-Ministerpräsident Rüttgers nicht nur in seiner ersten Erklärung nach dem Wahldebakel gewarnt. Beschwörend hatte er vielmehr noch in einem letzten Bettelbrief, der in Millionen Briefkästen landete, und in einem Propaganda-Titel der Post-AG-eigenen Verteilbroschüre „Einkauf aktuell“ auf Steuerkosten vor den „Unberechenbaren“, den „Erben der SED“, den „Extremisten“ und „Chaoten“ Furcht und Schrecken einzuflößen versucht. Diese drögen Rüttgers-Rüttelverse verfingen freilich ebenso wenig wie die wochenlange Hetze in nahezu allen Mainstream-Medien, vom 
Balkenlettern-Boulevard bis hin zur öffentlich-rechtlichen Leitanstalt dieses Bundeslandes, die darauf abzielte, einen Einzug der Linkspartei in den Landtag unter allen Umständen, auf Biegen und Brechen, zu verhindern.

Kriegsministers Tagesbefehl


Schließlich warf sich am Freitag vor der Wahl auch noch Kriegsminister 
Freiherr zu Guttenberg vor dem Pimmel-Brunnen am Kaufhof in die 
Bresche gegen den inneren Feind, die Linksextremisten, die gegen 
Kreuze in der Schule und gegen den Krieg in Afghanistan sind.


zu Guttenberg am Pimmelbrunnen

Die andächtigen CDU-Anhänger wurden nur durch ein Plakat des Aktivisten Walter Herrmann gestört, der die Verscherbelung von LEG-Wohnungen durch CDU und FDP anprangerte.


Walter Herrmann Protestplakat
Fotos: Jochen Lubig

Derweil erklärte Guttenberg, wenn wir nicht in Afghanistan Krieg gegen 
den Terror führen, schlägt demnächst die Terrorbombe am Kölner 
Pimmelbrunnen ein, und wer also gegen den Afghanistan-Krieg ist, 
leistet den Terroristen Vorschub - wie die Extremisten von der 
Linkspartei.

Extremisten – mitten in Köln

Die diversen Kampagnen gegen die Partei Die.Linke kennt das Publikum 
freilich schon von x anderen Landtagswahlen, nicht zuletzt aus Hessen, 
und von den vergangenen Bundestagswahlen. Das Publikum, das zeitgleich 
mit dem Guttenberg-Auftritt zur linken Abschlussveranstaltung mit 
Gregor Gysi und Oskar Lafontaine gekommen war, schien sich allerdings 
angesichts extremistischer Forderungen wie Verbot der Leiharbeit und 
Schluss mit dem Afghanistan-Krieg überhaupt nicht richtig zu gruseln.


Typische „Extremisten" aus Köln..


...und anderswo
Fotos: gesichter zei(ch/g)en

Der Landtag errötet

Mit 5,8 Prozent ist die Linkspartei nun zwar nicht gerade triumphal, 
aber deutlich ins Landesparlament eingezogen. Teilweise errang die 
Linke in Kölner Stadtbezirken wie Chorweiler zweistellige Ergebnisse. 
Die zunehmend sichtbare soziale Spaltung der Gesellschaft zeigt sich 
nun auch wieder, wie noch ehedem in den fünfziger und sechziger 
Jahren, immer deutlicher auch im Wahlverhalten in Stadtvierteln mit 
gegensätzlicher sozialer Struktur. Gerade dieses parlamentarische 
Entree der Linken im größten Bundesland, dem Land des „Reviers“, 
geprägt von einer jahrzehntelangen SPD-Vorherrschaft, regional aber 
auch tiefschwarzen Einfärbung, ist von mehr als nur symbolischer 
Bedeutung.   Die Linkspartei hat sich nun endgültig oder doch auf 
längere Perspektive hin als mindestens „fünfte Kraft“ im 
Parteienspektrum mit „Parlamentsfähigkeit“ etabliert.

Kraft-Gymnastik ohne linkes Bein

Das zu ignorieren ist nun auch für die siegreiche Frau Kraft nicht mehr möglich. Es sei denn, sie entscheidet sich für irgendeine Kombination, die zwar die Mehrheit der WählerInnen keinesfalls gewollt hat, die aber den unschlagbaren Vorteil aufwiese, ohne die Linke regieren zu können. Wohin es zu gehen hätte, verdeutlichte der Wahl-Pyrrhussiegerin Kraft schon bei der Wahlsendung des WDR die zuständige öffentlich-rechtlich ausgewogene Moderatorin des Senders, dessen Intendantin Monika Piel als journalistisches Spitzenformat höchstpersönlich einstündige Hofinterviews mit Angela Merkel führt. Die Wahlstudio-Moderatorin stellte, anknüpfend an die Extremisten-Warnung des auszuscheidenden Ministerpräsidenten Rüttgers, an Frau Kraft die verhörfähige Frage, wie  sie es denn mit den “Extremisten“ halte. Da blieb nur die wolkige Ausflucht über die verantwortungsvoll zu führenden verantwortungsvollen Gespräche.

Ypsilanti ante portas?

Notfalls - frau will ja nicht Ypsilanti heißen, und wir wollen auch 
nicht den Koch an die Wand malen - muss halt eine Große Koalition her. 
Man kennt das ja vom „Notstand“, den uns einst die Mutter aller Großen 
Koalitionen einbrockte. Dann wäre doch alles wieder im Lot. (HDH)

 

Online-Flyer Nr. 249  vom 12.05.2010



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