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Globales
Adieu Thailand: Das verlorene Urlaubsparadies
Der Kampf der Rothemden
Von Hans-Dieter Hey

„Wir kämpfen für einen neuen thailändischen Staat, der auf Freiheit basiert. Die rote Fahne weht im Wind. Von jetzt an wird es nie wieder so wie früher sein“, prophezeite eine Ärztin in einer Rede am 24. April in Bangkok, und fuhr fort: „Je furchtbarer wir unterdrückt werden, desto mehr wird unser Widerstand steigen. Je stärker man unsere Freiheitsbestrebungen bekämpfen wird, desto größer wird unsere Zahl werden.“ Wieder werden Oppositionelle in Thailand durch Justiz, Polizei und Militär verfolgt. Erneut soll eine oppositionelle Partei - die „Pheu Thai Party“ - verboten werden. Der greise König Bhumibol will dazu die Gerichte sprechen lassen. Kommt danach wieder die Brutalität der Militärs?

Demokratur nach asiatischer Art

Ende 2007 warf Elaine Pearson, stellvertretende Asiendirektorin der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW), den thailändischen Generälen vor, ein ihnen genehmes Regime an die Macht zu putschen: „Die Militärführer sind dabei, das Wahlergebnis zu beeinflussen und zu verhindern, dass Thaksins Anhänger an die Macht zurückkehren“. Kurze Zeit danach war es dann so weit, dass der damalige Ministerpräsident Thaksin Shinawatra trotz des Wahlsieges seiner Partei „Thai Rak Thai Party“ (Partei ‚Thais lieben Thais‘) aus dem Amt gejagt wurde und in Thailand für ein Jahr eine Militärdiktatur herrschte. Die hebelte umgehend eine Reihe demokratischer Rechte aus, um es Oppositionsparteien schwerer zu machen. Mehrere der von Thaksin gegründeten Parteien kamen mit konstruierten Begründungen gerichtlich unter Beschuss und wurden rechtswidrig und aufgelöst. Zuerst war es die Thai Rak Thai-Party (TRT), dann die Volksmachtpartei Phak Palang Prachachon (PPP) und nun steht die Puea-Thai-Partei (PTP) offenbar ebenso vor dem Aus.

Eine freie Presse gibt es in Thailand schon lange nicht mehr. Einigermaßen lesenswert war noch die Bangkok Post, die schon vor Jahren mit einer Flut von Verleumdungsklagen überzogen wurde. Internet-Blogger, die über die Situation in Thailand berichteten, konnten bis zu 150 Jahren Haft erwarten – pro Veröffentlichungsfall 15 Jahre. Viele von ihnen sind ins Ausland geflüchtet. Mit Hilfe des Militärs und mit Unterstützung der rechts-reaktionären und royalistischen „People's Alliance for Democracy“, PAD  - den “Gelbhemden“ - wurde  Abhisit Vejjajiva und seine  „Demokratische Partei“ unter Missachtung des Wählerwillens 2008 ins Amt des Ministerpräsidenten gehoben.


Quelle: thairednews

Für die thailändische Elite wurde Thaksin und seine Partei „Pheu Thai Party“ zum roten Tuch. Doch half der umstrittene Machtmensch vor allem der verarmten thailändischen Landbevölkerung und den einfachen Arbeitern zu günstigen Mikrokrediten und zu bescheidener Existenz, und oft zu kleinem Wohlstand. Offenbar orientierte er sich an dem Ökonomen Muhammad Yunus, der „für eine Welt ohne Armut“ eintrat und im Jahre 2006 für seine „soziale und wirtschaftliche Entwicklung“ mit Kleinstkrediten für die notleidende Bevölkerung in Indien und Bangladesch den Nobelpreis erhalten hatte.

Mit einer preiswerten Krankenversicherung für die breite Bevölkerung zog Thaksin die Menschen bald hinter sich und war längst den US-Amerikanern voraus, als Barack Obama 2010 versuchte, die US-amerikanische Klassenmedizin aus dem geistigen Mittelalter zu führen. Den alten Macht- und Finanzeliten der Wirtschaft und der thailändischen Monarchie gegenüber zeigte Thaksin wenig Respekt, bis die irgendwann genug von ihm hatten. Korruption ist in Thailand ein gängiges Mittel der Machtausübung und des Willfährigmachens, von dem sich kaum jemand dort freimachen kann. Und so dauerte es nicht lange, bis man Thaksin der Korruption beschuldigte und Teile seines Vermögens beschlagnahmte. Aus dem Ausland kämpft er um sein Comeback. Mit zahlreichen staatlich inszenierten „Demonstrationen“ versuchte man, seine Anhänger von ihm wegzuziehen. Doch das gelang nicht. Thitinan Pongsudhirak, Direktor des Forschungsinstituts ISIS in Bangkok Ende 2008: „Die Eliten haben mit dem Putsch zwar die Macht wieder an sich gerissen, aber sie können die Kräfte nicht mehr bändigen, die in der Thaksin-Zeit entfesselt wurden.“

Seit dem Rückgang der Wirtschaft in Thailand um 3,5 Prozent im vergangenen Jahr wurde die Lebenssituation der ärmeren Bevölkerungsschichten noch schwieriger. Auch der zunehmende neoliberale Marktradikalismus schlägt in Thailand zu, der die Spaltung von oben nach unten noch deutlich verschärft. Und die alte Spaltung des Landes tritt immer klarer zu Tage: dass nämlich die “Rothemden“ als Vertreter der armen Bevölkerungsschichten in Thailand niemals als gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger anerkannt waren und von der Bourgeoisie immer ausgegrenzt und gedemütigt wurden.

Dr. Federico Ferrara ist Professor für politische Wissenschaften an der National University von Singapur und klärt in einem Interview am 26. April, worum es den „Rothemden“ wirklich geht: „Unzweifelhaft ist es für die meisten Unterstützer ein Kampf, bei dem es zum größten Teil um die Identität geht. Das heißt, es geht darum zu erkämpfen, dass man genau so viel wert ist wie diejenigen, die einen lange auf dem Niveau von Nutzvieh gesehen haben. Deren einziges Recht war, zufrieden und mit dem Existenzminimum genügsam zu sein. Dieses Erwachen und die endlose Wiederholung des Wortes ‚phrai‘ reflektiert diesen neu gefundenen Stolz ihres Status als “gemeiner Bürger“. Durch den Kampf um Gleichberechtigung, der durch das Wort ‚phrai‘ ausgedrückt wird, fühlt sich das bourgeoise Bürgertum angegriffen und fordert die Durchsetzung des Kriegsrechts gegen die berechtigten Forderungen der Ausgegrenzten.“

Ferarra vergleicht die Situation mit den europäischen Bürgerkriegen: „Das ist so ähnlich wie zu der Zeit, als in Europa Bürgerkriege stattfanden und als die besser Gestellten sich auf quasi faschistische Ideen und Bewegungen - wie die PAD - zurückziehen mussten, um ihre fortgesetzte Dominanz zu begründen, mit der sie ihren Widerstand gegen die Beeinflussung durch die Massen begründen.“

Thaksin ist längst nicht mehr alles

Viele hoffen noch auf den charismatischen Thaksin Shinawatra. Doch dem kommt bei weitem nicht mehr so viel Bedeutung zu, weil der Widerstand inzwischen zu einer Massenbewegung des Volkes, der „National United Front of Democracy Against Dictatorship“, UDD, geworden ist, der es um die Durchsetzung ihrer Forderungen nach gesellschaftlicher Veränderung, bescheidenem Wohlstand, demokratischer Teilhabe und einer Änderung des überkommenen aristokratischen Machtapparates geht. Dies wird in deutschen Medien gern verschwiegen. Nach wie vor wird die Widerstandsbewegung darauf reduziert, es handele sich dabei ausschließlich um ein paar chaotische und terroristische Anhänger des 2006 gestürzten Thaksin, der mit Hilfe der „Rothemden“ wieder an die Macht wolle. Doch das entspricht nicht mehr der ganzen Realität.

Inzwischen hat sich die Bewegung zu einem Klassenkampf, wenn nicht gar zu einer Revolte ausgeweitet. Das bestätigte auch Thanet Aphornsuvan von der Thammasat Universität in Bangkok bereits Ende 2008. Der Kampf der Rothemden gehe „gegen die Armee. Das ist die Institution, die Regierung und die Eliten in Bangkok gegen die Bevölkerung aus den Provinzen unterstützt. Es ist ein echter Klassenkampf“. Seit Mitte März 2010 spitzten sich Auseinandersetzungen zur nationalen Tragödie unter Einsatz von Wasserwerfern und scharfer Munition zu und es wurde der Notstand ausgerufen.

Um die Revolutionsbewegung von innen zu zerstören, wurden offenbar Polizisten und Militärs mit roten T-Shirts unter die Demonstranten geschickt, liest man in den einschlägigen Blogs, in denen sich Beteiligte äußern. Auch sind inzwischen „Gelbhemden“ gegen die Protestbewegung in Stellung gebracht worden, die ausschließlich aus dem rückwärts orientierten saturierten Bürgertum und königstreuen Lager kommen. Ein bürgerliches Gemisch, das überall und immer wieder soziale Bewegungen gespalten hat.

Von Augenzeugen wird berichtet, dass am 22. April durch Sicherheitskräfte mit Granaten auf Demonstranten geschossen wurde. Dabei kamen mindestens 86 Menschen durch mehrere Explosionen zu Schaden, und es gab einen Toten. Der Vorwurf der Regierung, dass es sich dabei um einen Angriff der “Rothemden“ gehandelt habe, dürfte nur Vorwand für eine weitere Androhungen von Gewalt sein. Nach unbestätigten Berichten wird inzwischen von 26 Toten und über 1000 Verletzten in den Auseinandersetzungen gesprochen. Seit die Armee einräumen musste, dass auch Soldaten an der Seite der „Rothemden“ kämpfen, wurde die Situation völlig unübersichtlich.  

Der folgende Filmclip von "Thairednews" zeigt die gegenwärtigen Auseinandersetzungen.



In der sich zuspitzenden Situation führten die „Rothemden“ in den letzten Tagen Verhandlungen, um Neuwahlen durchzusetzen. Dochgalten die Versprechen des amtierenden Ministerpräsidenten  Abhisit Vejjajiva, die den Verhandlungsführern der „Rothemden“ gegenüber gemacht wurden, schnell nichts mehr. Neuwahlen kamen plötzlich nicht mehr in Frage.

Friedensangebot abgelehnt

Mit ihrer Ankündigung vom Samstag hatte die Regierung das Friedensangebot der „Rothemden“ vom 23. April abgelehnt. Die außerparlamentarische Opposition warf der Regierung deshalb vor, die Proteste gewaltsam beenden zu wollen. Vorsorglich hatten aber die “Rothemden“ bereits vor Tagen der UNO in Bangkok eine Petition überbracht und das Eingreifen von UN-Friedenstruppen gefordert. In der Bangkok Post konnte man am Samstag, dem 25., die unnachgiebige Haltung des amtierenden Ministerpräsidenten Abhisit Vejjajiva zu den Protestierenden nachlesen: „Der wichtigste Punkt ist jetzt nicht, ob sie sich jetzt zerstreuen oder nicht, sondern wie man das ganze Problem löst." Er schloss aus, innerhalb von 30 Tagen Neuwahlen auszurufen.

Im Moment spielt die Regierung auf Zeit und will die Widerstandsbewegung mit Hilfe der gleichgeschalteten Massenmedien diskreditieren und mit Gerichten und polizeilicher und militärischer Gewalt bis zu Neuwahlen in einem dreiviertel Jahr zerstören. Armeechef General Anupong Paojinda äußert sich eindeutig: „Wir sind eine Armee für die Nation, für die Monarchie und für die Menschen. Wir werden unsere Arbeit ohne Parteinahme tun. Wir werden der Regierungspolitik folgen.“ Am Montag äußerte sich der greise, 82jährige König Bhumibol Adulyadej der Große, er erwarte jetzt die Antwort der Gerichte, damit „wieder stabile Verhältnisse existieren.“ Wie diese aussehen können, hat das Jahr der blutigen Aufstände 2009 gezeigt.    

Doch die „Rothemden“ sind sehr zäh und auf eine lange Auseinandersetzung eingestellt. Einer ihrer  Anführer, Jatuporn Phrompan: „Wir sind bereit, bis zum Tode kämpfen. Egal, wie viele Waffen sie benutzen wollen.“ Die thailändische Krise besteht also weiter, und - um den Philosophen und Politiker Antonio Gramsci zu zitieren - „darin, dass das Alte stirbt und das Neue nicht geboren werden kann“, symbolisch erkennbar an dem 82jährigen König Bhumibol.

Sechs Linksparteien aus Ostasien haben sich indessen mit dem Widerstand der „Rothemden“ solidarisiert. „Thailand ist in eine neue Phase der Klassenauseinandersetzung getreten. Die alte herrschende Elite versucht mit Rückendeckung des Militärs, die Demokratie abzuschaffen. Die pro-demokratischen Rothemden, bestehend aus der Mehrheit der Arbeiterklasse, Bauern und Armen, haben ihre Popularität und ihre Stärke unter Beweis gestellt und Royalisten wie Militärs damit deutlich ins Wanken gebracht. Mit verbreiterter Massenunterstützung für die Rothemden könnte dies ein neuer und wichtiger Schritt im Kampf der einfachen Bevölkerung Thailands für die Wiederherstellung von Demokratie und sozialer Gerechtigkeit sein.“ hieß es im Neuen Deutschland Mitte April.

Wer die Nachrichten der Thailändischen Regierung hören will, kann Radio Thailand (Regierungssender) - Nachrichten in Deutsch hören:
 - täglich um 22h auf Kurzwelle 9680 kHz
 - Dienstags bis Samstags  um  2.30h im Audiostream von Radio 700/ Euskirchen:  http://www.radio700.info/
 - täglich als Podcast über  Radio 700/ Euskirchen:
http://www.radio700.info/index.php?option=com_content&view=article&id=70&Itemid=78

Auch in Deutschland mehren sich die Stimmen, endlich mit demokratischen Verhältnissen in Thailand ernst zu machen. So wurde im März diesen Jahres folgender Aufruf von in Deutschland lebenden Thais veröffentlicht:

Erklärung der Thailänder in Deutschland für Demokratie und gegen Diktatur in Thailand:

Regierung muss das Parlament auflösen und das Wahlrecht an das Volk zurückgeben

Wir, “Thailänder in Deutschland für Demokratie und gegen Diktatur in Thailand”, fordern den Premier Minister “Apisith” auf, das Parlament sofort aufzulösen und das Wahlrecht an das Volk zurückzugeben. Zugleich müssen Thai Soldaten zu den Kasernen sofort zurückkehren. Aus folgenden Gründen ist “Apisith” kein legitimierter Premier Minister Thailands.
 
1) “Apisith” wurde Dezember 2008 in einer militärischen Führungssitz??? von Armee Generälen und einer hohen Einrichtung in Thailand ins Amt gebracht.
2) “Apisith“ ist nur die Vertretung der alten konservativen Macht in Thailand und hat keinen demokratischen Geist, der für die Majorität der Thailänder verantwortlich sein muss. Er akzeptiert das Wahlresultat des Volkes nicht.
3) Das Wort “Apisith” bedeutet in Thai “Privileg”. Er nutzt sein gesellschaftliches Privileg aus und musste beispielsweise nicht ins Gefängnis, als er seinem Militärdienst, den jeder Thailänder ausüben muss, entkam. Jeder andere Thailänder, der kein “Privileg” hat, würde dafür bestraft.
4) Im April 2009 hat “Apisith” das Notstandsgesetz verkündet, deswegen wurden dutzende  Demonstranten erschossen und verletzt. Die Propaganda der Regierung und der Armee war: “keine scharfe Munition wurde angewendet”.
5) Die Regierung nutzt alle Fernsehsender als ihr Propagandamittel. Wahre Nachrichten über Thailänder, die für Demokratie kämpfen, werden nicht berichtet und übertragen.
6) In weniger als zwei Jahren Regierungsamtszeit mussten drei Minister aus der “Demokratischen Partei”, deren Vorstand “Apisith” ist, zurücktreten, da Korruptionsverdacht bestand.
7) “Apisith” und seine Regierung kann das wirtschaftliche und politische Problem im Land nicht lösen. “Apisith” hat niemals versucht, Harmonie im Land zu schaffen. Im Gegenteil wirkt seine Politik auf die weitere Spaltung zwischen allen Parteien.

Seit 12. März 2010 haben die Thailänder sich ruhig, friedlich und gewaltlos auf der “Ratchadamnoen Avenue“ versammelt. “Apisith” ignoriert die Forderung des Volkes, das Parlament aufzulösen. Daher musste das Volk den Druck auf die Regierung erhöhen und ihre Versammlung in einem wirtschaftlichen Zentrum organisieren. Am 3. April 2010 hat “Apisith” das Notstandsgesetz in Kraft gesetzt, damit ist die Spannung der Situation sehr ernst und das Risiko, dass die Soldaten gewaltsam das Volk niederschlagen, ist sehr hoch.

Wir fordern daher die sofortige Auflösung des Parlaments. “Apisith” könnte selbst entscheiden, wie er seinen Lebenslauf und die thailändische Politik schreiben lassen will.  Er würde als ein demokratischer Regierungschef in Erinnerung bleiben, wenn er der Forderung des Volkes nachgäbe. Ansonsten würde er nur einer der Tyrannen Thailands und ein Verbrecher am Wohl des Landes sein.

Erklärung der Thailänder in Deutschland für Demokratie und gegen Diktatur in Thailand im März 2010 (HDH)


Online-Flyer Nr. 247  vom 28.04.2010

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