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Kultur und Wissen
Künstler-Interview über den „Engel der Kulturen“ und “proNRW“
Eigentor von Herrn Beisicht?
Von Peter Kleinert

Das Landgericht Köln hat am vergangenen Freitag der sogenannten „Bürgerbewegung proNRW“ verboten, ein Foto zu verbreiten, auf dem der Burscheider Künstler Gregor Merten und das von Ihm zusammen mit seiner Partnerin Carmen Dietrich geschaffene Kunstwerk „Engel der Kulturen“ abgebildet sind. Mit dem Foto wollte die rassistische Organisation offensichtlich Werbung für die anstehenden Landtagswahlen machen, weil sie es in ihre angeblich in einer Auflage von 1.000.000 Exemplaren hergestellte Wahlkampfzeitung gestellt hat. Hier ein Interview mit den beiden Künstlern. 


Peter Kleinert: Herr Merten, was mir in meiner journalistischen und Dokumentarfilmer-Laufbahn bisher noch nie passiert ist: Ich möchte Ihnen erst mal zu Ihrem erfolgreichen „Anschlag auf die Meinungsfreiheit“ gratulieren. Jedenfalls behaupten „proNRW“ und deren Chef Markus Beisicht auf ihrer Webseite, dass Sie - als „Linksextremist“- einen „Anschlag auf die Meinungsfreiheit“ begangen haben, indem Sie vor der Pressekammer des Landgerichts Köln eine einstweilige Verfügung gegen die Weiterverbreitung Ihres Fotos „auf Seite 4 der pro NRW-Wahlzeitung erwirkt“ haben. Was denken Sie, warum Beisicht und seine rassistischen Parteifreunde ausgerechnet Sie mit diesem antirassistischen Kunstwerk in diese Wahlkampfzeitung reingestellt haben?

Gregor Merten: Wir vermuten, daß er unser Symbol auf seine Seite ziehen wollte, um damit unser gesamtes Projekt zu beschädigen, indem er einen Keil zu treiben versucht zwischen uns und die Menschen aus allen Teilen der Bevölkerung, die sich in immer größerer Zahl hinter uns stellen und durch diese Art der Veröffentlichung irritiert werden sollen. Für unsere Absicht, mit den Mitteln der Kunst auf eine ungewöhnliche Art das friedliche und respektvolle Miteinander der verschiedenen Kulturen in Deutschland und darüber hinaus zu befördern, ist es aber unerläßlich, daß wir uns geradlinig und unzweideutig positionieren. Das ist besonders wichtig vor dem Hintergrund, daß wir uns mit den Aktionen überwiegend an junge Leute wenden (siehe unsere Arbeit an Schulen) und gerade bei diesen kein Zweifel auftreten darf, wofür wir stehen und mit wem wir zusammenarbeiten.



Peter Kleinert: Haben Beisicht und Co. sich in der Wahlzeitung dazu geäußert, warum man Sie und ausgerechnet den „Engel der Kulturen“ da rein gestellt hat? Auf seiner Webseite bezeichnet er Sie ja als „Linksextremisten“. Kennt er Sie?

Gregor Merten:Nein, persönlich kennen wir uns nicht, haben noch nie ein Wort gewechselt, jedoch bei einem Großteil der Auftritte von ihm und seiner rechten „Bürgerbewegung“ sah er sich mit dem „Engel der Kulturen“ konfrontiert.
Wenn Beisicht mich in dem Zusammenhang, daß wir für Völkerverständigung und ein friedliches Miteinander eintreten, als Linksextremisten einstuft, sehe ich darin auch den Versuch, etliche Vertreter der etablierten Parteien, die uns erkennbar und wiederholt in unserem Bestreben unterstützen, ebenfalls in diese Nähe zu rücken.

Peter Kleinert: Vielleicht haben die Wahlkämpfer ja gar nicht gewusst, dass sie mit dem Reinstellen des „Engel der Kulturen“ ein tolles Selbsttor schießen. Wollen Sie unseren Lesern mal erklären, wann, wie und aus welchen Gründen Sie den „gebaut“ haben? Denn im Hinblick auf die offenbar von Beisicht erhoffte Werbung für die rassistische “ProNRW“-Politik ist dieses Kunstwerk doch völlig kontraproduktiv.

Gregor Merten/Carmen Dietrich: Wir glauben, daß es erst in dem Moment zum Eigentor wird, indem wir dagegen vorgehen, und sind davon überzeugt, daß Beisicht und Konsorten – ausgerüstet mit einer Wahlkampfspende aus dem Ausland in Millionenhöhe – davon ausgegangen sind, daß unsere wie bei den meisten Berufskünstlern angespannte wirtschaftliche Situation uns davon abhalten würde, das finanzielle Risiko einer juristischen Anfechtung zu tragen. Als ehemaliger Bürger von Burscheid hatte er Jahre lang Gelegenheit, unsere wirtschaftliche Potenz zu gewichten, um wohl zu diesem Schluß zu gelangen.



Nun hoffen wir darauf, daß im Zuge seines verleumderischen Nachlegens viele Menschen die Gelegenheit wahrnehmen, sich in die Inhaltlichkeit unseres Projekts zu vertiefen, in dem sie bildhaft erkennen können, daß, wenn gelingt, was diese sogenannte „Bürgerbewegung“ anstrebt, nämlich das Herauslösen einer Gruppe unserer Gesellschaft aus dem Kreis, alle anderen mitbeschädigt werden.

Peter Kleinert: Das würde ja heißen, dass diese Rassisten - mal abgesehen von der Einstweiligen Verfügung - ein totales Selbsttor geschossen haben. Was haben Sie denn gedacht, als Sie das Foto in deren Wahlzeitung gesehen haben? Wie sind Sie überhaupt darauf gekommen, dass es da drin stand, und was haben Sie da gedacht?

Gregor Merten: Ein Selbsttor sehe ich erst mal nicht in dieser Veröffentlichung, sondern einzig die Absicht, unserem Projekt zu schaden. Die Hoffnung haben wir aber, daß gerade jetzt, so unmittelbar vor der Landtagswahl, noch vielen deutlich wird, daß sich diese Gruppierung letztendlich gegen alle stellt.
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Von der Veröffentlichung erfahren haben wir durch einen Dokumentarfilmer aus Bergisch-Gladbach, der unser Projekt seit einiger Zeit begleitet und auch bei den Aktionen in Istanbul dabei sein wird, am Freitag, den 9. April 2010. Tatsächlich haben wir vor dem Hintergrund sehr aufwändiger Vorbereitungen der “Abraham-Karawane“ – wir müssen u.a. in 10 Städten in verschiedenen Ländern auf dem Weg nach Istanbul und zurück mit Vertretern der Öffentlichkeit, Politik, Kultur und Religionen detaillierte Verabredungen treffen und Konsens erzielen – zunächst nicht gewusst, wie wir uns mit einer solchen Attacke mit der nötigen Kraft und Angemessenheit auseinandersetzen sollten. Aber auch darauf haben Beisicht und Konsorten sicherlich gesetzt (Termine und Ablauf sind seit langem öffentlich bekannt), wohl wissend, daß man ein solches Projekt wie die “Abraham-Karawane“nicht nur mit Links auf die Beine stellt.

Peter Kleinert: Wie haben Sie denn dann reagiert? Gleich zum Gericht gegangen oder erstmal abgemahnt? Wenn letzteres: Wie war die Reaktion der „Pros“?

Gregor Merten/Carmen Dietrich: Wir haben Beisicht zunächst durch unseren Kölner Rechtsanwalt Eberhard Reinecke eine strafbewehrte Unterlassungserklärung zukommen lassen, auf die er nicht reagiert hat, sondern er hat seine Bemühungen, die sogenannte Wahlkampfzeitung unter die Leute zu bringen, nach uns vorliegenden Aussagen eher noch verstärkt.

Peter Kleinert: Ich nehme ja an, dass auch andere Medien über den Reinfall von Beisicht und Co. beim Landgericht berichtet haben. Hat das schon Auswirkungen auf Ihr Projekt “Abraham Karawane“ gehabt?


 

Gregor Merten/Carmen Dietrich: Ja, es gab verschiedene Meldungen in der Presse, so daß wir davon ausgehen, daß in der Öffentlichkeit ein noch klareres Bild entsteht über die Machenschaften dieser rechten “Bürgerbewegung“, vor allem, daß deutlich wird, welchen Horror die Rechten davor haben, zwischen den 3 abrahamitischen Weltreligionen könnte es zu einer weitreichenden Verständigung kommen.
Wir sind jedenfalls froh, gerade in der Kulturhauptstadt Europas 2010 Istanbul verschiedene Politiker sowohl aus Deutschland als auch aus der Türkei an unserer Seite zu wissen, die eventuell uns vorauseilende Missverständnisse durch die Diffamierungen von „Pro“-NRW sicherlich klarstellen werden.
Peter Kleinert: Danke für die Antworten und weiter viel Erfolg mit Ihrer künstlerischen und politischen Arbeit. (PK)

Carmen Dietrich, geboren am 13.12.1957 in Neuwied am Rhein, 1976 -1980 Studium Textil-Design an der FH Coburg, Abt. Münchberg, Diplom, 1981 Aufnahme freier künstlerischer Tätigkeit zunächst in Düsseldorf, 1982 - 1989 Aktionskunst, Kollektivmalerei, Rauminstallationen mit Projektionen, seit 1989 Ateliergemeinschaft mit Gregor Merten, seit 1990 Stahlobjekte, Ausstellungen im In- und Ausland.

Gregor Merten geboren in Düsseldorf am 2.2.1958, 1974 -1978 Studium der Malerei und freien Grafik an der Kunstschule Strahn, Düsseldorf , 1979 Aufnahme freier künstlerischer Tätigkeit, seit 1981 Mitgliedschaft im Berufsverband bildender Künstler (BBK), 1985 Beginn der bildhauerischen Tätigkeit, bevorzugtes Material: Stahl, Großskulpturen (Stahlhohlkörper), Assemblagen und 3-dimensionale Objekte aus Stahl und Holz, seit 1989 Ateliergemeinschaft mit Carmen Dietrich, zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland. Seit Anfang 2007 Projektierung der sozialen Skulptur Engel der Kulturen und deren Einbringung in die Öffentlichkeit in Form verschiedener Kunstaktionen (www.engel-der-kulturen.de).

Alle Fotos in diesem Interview sind von den beiden Künstlern bzw. von Freunden aufgenommen worden.


Online-Flyer Nr. 247  vom 28.04.2010



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