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Aktueller Online-Flyer vom 16. April 2024  

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Inland
Hypes, Skandale und organisierte Verantwortungslosigkeit mit Hilfe der Medien
Volksverblödung und Demokratieabbau
Von Wolfgang Bittner

Zwanzigtausend Fans brechen in emphatisches Gekreische aus, als die Darsteller des Vampir- und Werwolffilms „New Moon“, einer Fortsetzung von „Twilight“, die Bühne betreten und anfangen, dumm daherzureden. Die Filme sind noch schlechter als die läppischen anti-emanzipatorischen Romane der US-amerikanischen Mormonin Stephenie Meyer, die inzwischen eine weltweite Auflage von über 85 Millionen erreicht haben. Wie in New York, so scheuen Vampir- und Werwolf-Hooligans auch in Paris, London, Berlin und anderswo keine Kosten und keine Mühe, um ein Winken ihrer Idole zu erhaschen.

So etwas nennt sich jetzt „Hype“. Darunter werden kurzlebige, durch die Medien hervorgerufene Massenhysterien verstanden, die zumeist der Umsatzförderung für ein bestimmtes Produkt dienen. Das können Filme sein, Bücher, aber auch Strickhandschuhe, wie sich während der Olympischen Winterspiele in Kanada gezeigt hat. Schon morgens um sechs standen lange Schlangen von Souvenirjägern vor den Warenhäusern in Vancouver, um die angesagten rot-weißen Fäustlinge, genannt „Mittens“, zu erwerben. Nachdem sie ausverkauft waren, wurden sie zu hohen Preisen schwarz gehandelt.
 
Ein Bekannter von mir brachte solche Original-Fäustlinge stolz nach Hause, nachdem er von Vancouver mit jeweils mehrtägigen Unterbrechungen in Bali und Thailand heimgejettet war. Er reist gern und kennt – wie er meint – die ganze Welt. Wir könnten uns glücklich schätzen, erklärte er mir kürzlich, dass wir in Deutschland, einem der reichsten Länder der Welt lebten. „Wir können unser Leitungswasser trinken“, zählte er auf, „unser Straßen- und Bahnsystem ist optimal, der Postverkehr sicher und geordnet, die Korruption minimal, wir leben in Wohlstand und relativer Sicherheit.“ Meinem Einwand, dass etwa ein Viertel der deutschen Bevölkerung, das sind mehr als 20 Millionen Menschen, am Rande des Existenzminimums (von Sozialhilfe, Hartz IV oder Billigjobs) leben, begegnete mein Bekannter mit der bemerkenswerten Feststellung: „Aber sie müssen nicht verhungern.“
 
Ein Blick nach Köln
 
Mein Blick bleibt in der Zeitung an einem Artikel über die skandalösen Verhältnisse in Köln hängen: Ein Wust an Korruption, Unfähigkeit und Verbrechen in Politik, Verwaltung und Wirtschaft. Überregional ins Gespräch gekommen ist dieser kommunale Sumpf (siehe auch: Werner Rügemers „Colonia Corrupta“, NRhZ 241 - 244) erst durch die haarsträubenden Verfehlungen und den Einsturz des Stadtarchivs beim Bau der U-Bahn-Strecke durch die Kölner Innenstadt. Auf einer Pressekonferenz bedauerten alle Beteiligten aus Verwaltung und Baugewerbe das Unglück, bei dem es zwei Tote gegeben hat und viele unwiederbringliche Dokumente vernichtetet wurden (u.a. aus dem Nachlass von Heinrich Böll), aber niemand fühlte sich verantwortlich. Wahrscheinlich wird jetzt jahrelang untersucht werden, das Ergebnis steht in den Sternen.


Drei Jahre lang Einbürgerung verweigert - Jannine Menger-Hamilton
Quelle: www.thelocal.de

Dann lese ich eine Notiz, wonach der Innenminister von Niedersachsen, Uwe Schünemann (CDU), die Partei Die Linke vom Verfassungsschutz beobachten lässt. Die Linke ist eine zu Wahlen zugelassene Partei mit gewählten Abgeordneten im Bundestag, in Länderparlamenten und in Rathäusern. Nach Artikel 21 des Grundgesetzes wirken die Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes mit, stehen also unter dem Schutz der Verfassung. Wie kommt ein Innenminister dazu, die Mitglieder dieser Partei bespitzeln zu lassen?
 
Die ehemalige Landesvorsitzende der Jungsozialisten (Nachwuchsorganisation der SPD) in Niedersachsen, Jannine Menger-Hamilton, die einen Antrag auf Einbürgerung gestellt hatte, wartete seit 2007 vergeblich auf einen Bescheid der Einbürgerungsbehörde. Nach Paragraph 11 des Staatsangehörigkeitsgesetzes kann die Einbürgerung zwar verweigert werden, wenn ein Antragsteller Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung unterstützt. Einziger Hinderungsgrund war jedoch lediglich die Mitgliedschaft in der Partei Die Linke.
 
Was bekämpft der Verfassungsschutz? 
 
Der zuständige Regionspräsident Hauke Jagau (SPD), der sich mit dem Innenminister anlegte, zitierte aus einer Stellungnahme des Verfassungsschutzes, die bezeichnend für die Mentalität der um die politische Sauberkeit besorgten „Verfassungsschützer“ ist: „Es kann kein Interesse daran bestehen, eine Person einzubürgern, die Mitglied einer Partei und Organisation ist, zu deren Grundlage der Marxismus und dessen Förderung gehören.“ (Ich war bisher der Meinung, der Marxismus sei eine auf der Geschichtsauffassung des historischen Materialismus gegründete Theorie des wissenschaftlichen Sozialismus). Nachdem die Medien darüber berichteten und das Verfahren öffentliches Aufsehen erregte, wurde die Antragstellerin nach langem Hin und Her schließlich doch noch eingebürgert.
 
Der Landtagsabgeordnete der Grünen, Ralf Briese, nannte den niedersächsischen Verfassungsschutz ein „reaktionäres Kontrollorgan“, das politische Gegner diskreditieren soll. Doch das scheint den Innenminister nicht zu beeindrucken, wie sich auch bei der Besetzung hochrangiger Polizei- und Verfassungsschutzposten zeigt. Die Trennung von Polizei und Geheimdiensten, eine vom Grundgesetz gebotene Konsequenz aus den Erfahrungen der Nazi-Zeit, wird nach und nach aufgehoben. So konnte zum Beispiel der bisherige Polizeipräsident von Göttingen, Hans-Werner Wargel, der sich mit der Repression gegen linke Aktivitäten hervorgetan hat, Präsident des niedersächsischen Verfassungsschutzes werden. Im Wechsel erhielt der bisherige Vizepräsident des Verfassungsschutzes, Robert Kruse, das Amt des Göttinger Polizeipräsidenten.
 
Kein Wunder, dass die Bekämpfung des Rechtsextremismus in Niedersachsen zweitrangig wird. Stattdessen werden linke Organisationen und Kritiker ausgeforscht, ohne dass konkrete Anhaltspunkte für ein rechtswidriges Verhalten vorliegen. Auch registrieren die Verwaltungsgerichte einen massiven Anstieg offenbar rechtswidriger erkennungsdienstlicher Behandlungen. Und vor anderthalb Jahren schaffte der Innenminister einen Minihubschrauber an, mit dem aus der Luft eine ferngesteuerte Überwachung von Polizeieinsätzen oder Unfällen, aber auch von Innenstädten und sogar Wohnungen möglich ist; die gesetzlich vorgeschriebene Information des Landesdatenschutzbeauftragen wurde unterlassen.
Politik nach Gutsherrenart, Recht und Gesetz werden nach eigenem Gutdünken ausgelegt. Man besetzt – hier wie in Berlin – Posten, wie es parteipolitisch (oder persönlich) opportun erscheint, versorgt sich mit Spitzengehältern und Pensionsberechtigungen, führt das große Wort und diskriminiert Andersdenkende und Kritiker.
 
Kumpanei in Politik, Wirtschaft und Justiz
 
Der deutsche Michel schaut zu, auch in der Bundespolitik. Kein Aufstand dagegen, dass die Verursacher der Finanzkrise so weitermachen wie bisher und sich dazu noch weiter aus Steuermitteln bedienen. Die gewissenlose Ausplünderung der öffentlichen Kassen zu Lasten von Sozialleistungen, Kultur und Bildung hat eher noch zugenommen. Dass die immensen Bonuszahlungen und Abfindungen staatlich gestützter oder insolventer Unternehmen rechtswidrig sind („Wegfall der Geschäftsgrundlage“), ist juristisch eindeutig nachgewiesen worden. Doch nichts geschieht; eine Kumpanei in Politik, Wirtschaft und Justiz. Keine Massendemonstrationen, keine zwanzigtausend aufgebrachte Bürger, die von den Medien gefeiert werden.
 
Fragen über Fragen, Skandale über Skandale. Aber keine Antworten in der Politik, keine Konsequenzen. Zwanzigtausend Verblödete jubeln irgendwelchen Kaspern zu, die ein paar Sätze auswendig gelernt haben, ohne sie verstanden zu haben. Fünfzehn Prozent der Deutschen wählen – die meisten entgegen ihren ureigensten Interessen – die FDP, eine Klientel-Partei für Besserverdiener. Eine Mehrheit der Italiener wählt zum zweiten Mal den Schandfleck Berlusconi, eine Mehrheit der Franzosen wählt einen Sarkozy, die Begeisterung für Barack Obama weicht allmählich der Enttäuschung. Ist der Menschheit zu helfen? Schwerlich, solange die Massenmedien die Bevölkerung ungehemmt ablenken, irreführen und systematisch entpolitisieren. (PK)


Online-Flyer Nr. 247  vom 28.04.2010



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