NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 24. April 2024  

Fenster schließen

Inland
Werden die Wähler wieder auf seinen verlogenen Populismus reinfallen?
Rüttgers verdient kein Vertrauen
Von Franz Kersjes

Am 9. Mai wird in Nordrhein-Westfalen gewählt. Bis dahin will die Bundesregierung offensichtlich wichtige politische Entscheidungen aussitzen, denn es geht bei dieser Wahl auch um die schwarz-gelbe Mehrheit im Bundesrat. Mindestens drei heikle Themen werden vorerst nicht angepackt. Weder wird man den Bürgern sagen, wie das enorme Staatsdefizit ab 2011 abgebaut werden soll, noch wird die Regierung bis zur Wahl die Details zur Reform des Gesundheitsfonds nennen. Und sie wird alles tun, um eine Atomdebatte zu vermeiden. Daher wird wohl erst nach der Wahl festgelegt, welche der 17 deutschen Kernkraftwerke länger laufen dürfen.

Als “Arbeiterführer“ so überzeugend, dass ihn sogar DGB-Chef Schneider unterstützt  
Montage: Norbert Arbeiter

Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) möchte die Koalition in Nordrhein-Westfalen mit der FDP fortsetzen. Aber das wird schwierig. Der Vertrauensverlust ist groß. Denn viele Bürgerinnen und Bürger fühlen sich von der Landesregierung getäuscht, belogen und betrogen. Dazu einige Beispiele:
Weltweit sind die politischen Komplicen des Kapitals bemüht, Geldverleihern, Investoren und Besitzern großer Vermögen neue Renditefelder zu erschließen. Der nahe liegende Grund: Für Kapitalsammelstellen besteht ständig Bedarf nach mehr Möglichkeiten, die wachsenden Renditeerwartungen der Kapitalgeber zu erfüllen. Dazu wird die Privatisierung gesellschaftlichen Eigentums immer häufiger genutzt. Ob Post, Telekommunikation, Abfallentsorgung, Bahn oder andere Aufgaben öffentlicher Daseinsvorsorge – vieles wird den Interessen von Kapitalbesitzern geopfert. Die Folgen: Der Staat entsorgt sich selbst und die Gesellschaft wird enteignet.

Privat vor Staat

CDU und FDP wollen in Nordrhein-Westfalen möglichst viele Aufgaben des Landes auf private Anbieter übertragen. „Freiheit vor Gleichheit, Verdienen vor Verteilen, Privat vor Staat“, so umriss „Sozialschauspieler“ und Ministerpräsident Jürgen Rüttgers im Juni 2005 nach der Landtagswahl die Koalitionsvereinbarungen. Aber „was haben Unternehmen zu bieten, was der öffentliche Dienst nicht kann? Die Antwort lautet: die perfekte Präsentation!
Auch wenn die Politiker selbst genau genommen immer noch zum öffentlichen Sektor gehören, leben sie doch in einer Welt, die dem der privaten Unternehmen wesentlich näher steht. Auch sie sind gezwungen, sich permanent zu verkaufen und sie setzen dabei immer stärker auf die Instrumente der Markenpolitik (des Branding) und der marktgerechten Aufbereitung (des packaging)“.

Colin Crouch in “Postdemokratie“

Im Januar 2007 legte die Landesregierung einen Gesetzentwurf zur Änderung der Gemeindeordnung vor. Danach wurde die wirtschaftliche Tätigkeit der Städte und Gemeinden zu Gunsten von Privatunternehmen eingeschränkt. Die Kommunen dürfen nur noch solche Tätigkeiten ausüben, die nicht gewinnbringend und damit für Private uninteressant sind. Die Zeche zahlen die Bürgerinnen und Bürger. Nach § 107 der Gemeindeordnung dürfen Städte und Gemeinden nur noch Unternehmen betreiben, die einen „dringenden öffentlichen Zweck“ erfüllen. Danach dürfen die Kommunen keine Geschäfte mehr machen, wenn private Unternehmen die Leistungen ebenso gut und zu gleichem Preis erbringen können. Schon wenn ausreichend viele Privatunternehmen mit dem Angebot gleicher Leistung vorhanden
sind, muss sich die Kommune zurückziehen. Früher mussten Private besser und billiger sein.

Ein gängiges Vorurteil lautet: Der Staat arbeitet umständlich, teuer und langsam, Privatunternehmen dagegen effektiv, preiswert und schnell. Deshalb privatisierten viele Städte lange Zeit Krankenhäuser, Stromversorger, Verkehrsbetriebe und vieles mehr. Und alle glaubten, dadurch Geld zu sparen. Inzwischen sind dieser Glaube und die Politik von Jürgen Rüttgers widerlegt. Die Privatisierungen haben insbesondere die Bürgerinnen und Bürger zusätzlich belastet und die Kommunen ärmer gemacht. Immer mehr Städte und Gemeinden übernehmen zuvor privatisierte Aufgaben wieder selbst. Öffentliche Betriebe sind grundsätzlich günstiger, obwohl sie die Beschäftigten besser bezahlen als private Anbieter.

Verkaufte Mieter

Im August 2008 wurde die Landesentwicklungsgesellschaft NRW (LEG) an den Immobilienfonds “Whitehall Real Estate Funds“ der amerikanischen Investmentbank Goldman Sachs verkauft. Insgesamt wurden 93.000 Wohnungen an insgesamt 186 Standorten in Nordrhein-Westfalen verscherbelt. Eine so genannte Sozialcharta sollte die Interessen der Mieter schützen, hieß es beim Verkauf der Wohnungen. Zehn Jahre lang sollten Kündigungen wegen Eigenbedarfs ausgeschlossen sein, und über 60-jährigen Mietern sollte ein lebenslanges Mitrecht garantiert sein. Außerdem sollten die neuen Eigentümer langfristig in die Verbesserung und den Erhalt der Wohnungen investieren.

Doch schon nach einem Jahr sahen sich die Mieter in ihren schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Der Mieterbund Nordrhein-Westfalen kritisierte drastische Mieterhöhungen ohne entsprechende Gegenleistungen. Die von der Landesregierung beim Verkauf der Wohnungen vereinbarte Sozialcharta sei „praktisch wertlos“. Die Landesregierung feierte derweil die Privatisierung weiter als vollen Erfolg – hält aber Details des mit Whitehall geschlossenen
Kaufvertrags unter Verschluss, weil das so vereinbart sei. Das bestätigt den Verdacht, dass die Landesregierung den Deal schönredete, obwohl den Mietern beträchtliche Nachteile und Verschlechterungen zugemutet wurden. – Soviel zum "Arbeiterführer“ Rüttgers.

Spielball sozialer Wohnungsbau

Der soziale Wohnungsbau wird in Nordrhein-Westfalen aus einem selbstständigen 18 Milliarden Euro starken Fonds finanziert. Aus diesem Landesvermögen bekommen Wohnungsunternehmen günstige Kredite für Sozialwohnungen. Was sie zurückzahlen, bekommen die nächsten, um damit ebenfalls Wohnungen zu bauen oder zu renovieren. Nun will Rüttgers mit seiner Privatisierungstruppe das Geld der neu gegründeten NRW-Bank als Eigenkapital zur Verfügung stellen. Der Wohnungsbau werde nicht leiden, verspricht man. Doch es gibt erhebliche Zweifel. Bankexperten halten den Deal für sehr risikoreich. Der soziale Wohnungsbau konkurriert künftig mit anderen Fördertöpfen. Das könnte für den Wohnungsbau bedeuten: weniger Förderung, denn die Bank hat viele Aufgaben. Sie fördert den Mittelstand, Existenzgründer, städtische Sportstätten und vergibt Studentendarlehen. Wohnungsförderung durch die NRW-Bank heißt auch: Bei der Vergabe der Fördermittel gibt es künftig weniger Kontrolle. Bisher kontrolliert der Landesrechnungshof die Mittel für den sozialen Wohnungsbau. Künftig wohl nicht mehr (siehe: Privat vor Staat).

Die NRW-Bank kann mit Wohnungsbaugeldern sogar spekulieren und womöglich Verluste machen. Statt sicherer Geldanlage mehr Risiko. Ein Geschäftsmodell im Sinne des “Arbeiterführers“ Rüttgers! Die Bank soll mehr aus dem Geld machen. Verlässlicher sozialer Wohnungsbau ist für diese Landesregierung nicht so wichtig.

Klimaschutz beseitigt

Vor einigen Monaten fällte das Oberverwaltungsgericht Münster ein viel beachtetes Urteil: Der Bau des Kohlekraftwerks Datteln musste gestoppt werden, obwohl der 1,2 Milliarden Euro teure Klimakiller schon zur Hälfte fertig gestellt war und 2011 ans Netz gehen soll. Der Grund: Der Regionalplan, auf dem der Bau der Anlage basiert und der vom NRW-Wirtschaftsministerium genehmigt wurde, sei nicht vereinbar mit Paragraf 26 im Gesetz zur Landesentwicklung. Dieser verlangt den Einsatz „einheimischer und regenerierbarer Energieträger“. Dabei geht es nicht nur um Datteln.

Der Richterspruch betrifft auch einige weitere der elf in Nordrhein-Westfalen geplanten Kohlekraftwerke. Nun wurden die gesetzlichen Vorgaben kurzerhand auf Initiative von CDU und FDP aufgehoben. Der Energiekonzern E.on darf den größten Kohlekraftwerksblock Europas weiter bauen. Der Klimaschutz hat keine Bedeutung mehr.

Gescheiterte Landespolitik

In einem Ländervergleich der Bertelsmann-Stiftung hat Nordrhein-Westfalen schlecht abgeschnitten. Die Studie untersuchte die Bereiche Einkommen, Beschäftigung und Sicherheit in den Jahren 2006 bis 2008. In dieser Zeit wuchs die Wirtschaft an Rhein und Ruhr durchschnittlich nur um 1,83 Prozent und damit deutlich langsamer als im Bundesdurchschnitt (2,27 Prozent). Beim Bruttoinlandsprodukt liegt NRW ebenfalls mit 29.000 Euro pro Einwohner unter dem deutschen Mittelwert für diese Jahre. Unter den westdeutschen Flächenländern schneidet NRW mit einer Arbeitslosen-Quote von 11,9 Prozent am schlechtesten ab.

Erheblicher Nachholbedarf besteht auch auf dem Bildungssektor. Hier stellt NRW beim Faktor „erteilter Unterricht je Schüler“ das Schlusslicht dar. Die Investitionen in Bildung von der frühkindlichen Förderung über das öffentliche Schulwesen bis zu den Hochschulen sind in Nordhein-Westfalen völlig unzureichend. Dazu ein Beispiel: 14.000 Schüler und Schülerinnen haben in diesem Schuljahr keinen Platz an einer Gesamtschule in Nordrhein-
Westfalen gefunden. Eltern- und Schulleitervereinigungen werfen der Landesregierung vor, „den Elternwillen mit Füßen zu treten“ und Neugründungen von Gesamtschulen zu blockieren. Nach Angaben der Gemeinnützigen Gesellschaft Gesamtschule bemühen sich derzeit landesweit mehr als 30 Initiativen um Neugründungen. In den meisten Fällen muss der Elternwille gerichtlich durchgesetzt werden.

Gekaufte Gespräche

„Die nordrhein-westfälische CDU verkauft zahlungskräftigen Sponsoren exklusive Gesprächstermine mit Ministerpräsident Jürgen Rüttgers“, berichtete Der Spiegel in seiner Ausgabe vom 22.2.2010. „Briefe der NRW-Union belegen, dass Unternehmen für den Landesparteitag Mitte März nicht nur Ausstellungsfläche erwerben können, sondern auch vertrauliche Unterredungen mit den Mitgliedern der Landesregierung“. Sofort dementierte
Rüttgers vehement. Davon habe er nichts gewusst. Der Generalsekretär der Partei musste zurücktreten und CDU-Fraktionschef Helmut Stahl erklärte, der Ministerpräsident sei viel zu beschäftigt, solche Briefe zu lesen. Aber dann stellt sich die Frage, wie einer als Ministerpräsident ein Land regieren will, der als Parteivorsitzender noch nicht einmal den eigenen Laden im Griff hat. Jürgen Rüttgers kann auch mit seinen Unschuldsbeteuerungen
die WählerInnen nicht überzeugen. Nach einer Emnid-Umfrage im Auftrag der Bild am Sonntag glauben 80 Prozent der Befragten nicht, dass er von der Vermarktung durch die Landes-CDU nichts gewusst habe. 40 Prozent fordern seinen Rücktritt. Nur die SPD kann Rüttgers und die CDU noch retten – mit weiteren strategischen Fehlern.

Auch der Umgang mit Beschäftigten der CDU-Parteizentrale in Düsseldorf zeigt, wie wenig sich der “Arbeiterführer“ um seine Leute kümmert. Eine 48-jährige Sachbearbeiterin, seit 28 Jahren Parteimitglied und seit mehr als 22 Jahren bei der Landespartei angestellt, wurde fristlos entlassen. Als Kündigungsgrund wurden Schlampereien bei der Erledigung der Geburtstags- und Weihnachtspost des Generalsekretärs angegeben. Auf eindringliches Anraten des Arbeitsgerichts zog die Partei die Kündigung gegen ihre Ex-Betriebsrätin schließlich zurück.

Verlogener Populismus


Jürgen Rüttgers hat sich seit seiner Wahl im Jahr 2005 gern als sozial engagierter Landesvater inszeniert. Er wollte das Land „erneuern“, wie er vor fünf Jahren vollmundig versprach. Er sorgte sich angeblich um die Schwachen der Gesellschaft und um diejenigen, die von der Politik im Stich gelassen worden sind. Um Arbeitsplätze bei Nokia und Opel oder den Bankenplatz Düsseldorf zu retten, präsentierte er sich in den Medien als der „Kümmerer“, der zupackt und die Verantwortlichen in die Pflicht nimmt. Viele tausend gekündigte ArbeitnehmerInnen stehen aber für das Gegenteil. Es war alles nur Show, reiner Populismus! Seine politischen Versprechungen in den vergangenen fünf Jahren waren ein einziger Etikettenschwindel.


Ließ sich benutzen - DGB-Vorsitzender
NRW Guntram Schneider
Quelle: de.wikipedia.org
Auf dem diesjährigen „Zukunftskongress“ der CDU, der am 5. März in
Neuss unter dem Motto „Konsequenzen aus der Krise: Neue Moral oder altes Casino“ stattfand, wurde auch der nordrhein-westfälische DGB-Vorsitzende Guntram Schneider geehrt. Zusammen mit dem Präsidenten des Handwerkstages Nordrhein-Westfalen, dem Präsidenten der Industrie- und Handelskammern und dem Präsidenten der Unternehmerverbände NRW erhielt er den „Zukunfts- und Innovationspreis“ für seinen Beitrag, die Auswirkungen der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise „auf unser
Nordrhein-Westfalen“ abzufedern. „Dieses Ergebnis konnte nur durch kluges, ausgewogenes Handeln der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände gemeinsam erreicht werden. Beide haben das Gemeinwohl im Auge behalten. Nur durch das Zusammenwirken von Gewerkschaften und Arbeitgeber-verbänden haben wir in Nordrhein-Westfalen die Krise bislang besser bewältigt als von vielen prognostiziert“, heißt es in der Begründung.

Ist das wirklich so? Weniger Arbeitslose, weniger Armut und mehr soziale Gerechtigkeit? Sind etwa die Studiengebühren abgeschafft worden? Nichts davon, vielmehr dreiste, verlogene, lediglich auf Medienwirksamkeit ausgerichtete Behauptungen einer Partei, die nur auf die Erhaltung ihrer politischen Macht ausgerichtet sind. Aber Guntram Schneider bedankte sich mit den Worten: „Die Chemie stimmt. Hier haben sich Personen zusammen
gefunden, die gut miteinander können.“ (siehe Info-Dienst der CDU Nordrhein-Westfalen). Bleibt noch zu fragen, warum auch Gewerkschafter sich zum Zweck parteipolitischer Propaganda benutzen lassen. (PK)

Franz Kersjes ist Herausgeber der "Welt der Arbeit" im Internet (www.weltderarbeit.de), in der er diesen Beitrag gerade veröffentlichte. Er war viele Jahre Landesvorsitzender der IG Druck und Papier/IG Medien in NRW.

Online-Flyer Nr. 241  vom 17.03.2010



Startseite           nach oben