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Medien
Erfolgreiche Beschwerde gegen WAZ und NRZ beim Deutschen Presserat
Migrantenkandidaten verschwiegen
Von Peter Kleinert

Entweder mag man bei WAZ und NRhZ das Bündnis für alternative, unabhängige und fortschrittliche Kommunalpolitik “Essen steht AUF“ nicht, oder die beiden Zeitungen wollten ihre LeserInnen nicht unbedingt darauf aufmerksam machen, dass immer mehr Menschen mit Migrationshintergrund in der Kommunalpolitik aktiv mitzuwirken versuchen. Das geht aus einer für den Verlag etwas peinlichen Entscheidung des Deutschen Presserates zur Wahlkampfberichterstattung von WAZ und NRZ hervor, die der NRhZ jetzt bekannt wurde.


“Essen steht AUF“ auf einer Montagsdemo
Quelle: www.essen-steht-auf.de
Unter dem Titel „Wir sitzen alle im selben Boot" veröffentlichte die WAZ am 28.8.2009 einen Artikel zur anstehenden Kommunalwahl in Essen. Im Mittelpunkt stand die Feststellung, dass bei dieser Wahl fünf Kandidaten mit Migrationshintergrund antreten würden. Einen Tag später konnte man unter der Überschrift „Migranten sollen wählen" dieselbe Zahl in der einst der SPD gehörenden NRZ lesen. Die Namen der KandidatInnen und ihre Parteien wurden in den Berichten genannt. Unterschlagen wurden von beiden Zeitungen des Medienkonzerns aber verschiedene Pressemitteilungen von “Essen steht AUF“, das bereits seit 2004 durch Dietrich Keil im Stadtrat vertreten ist und gelegentlich von den großen Parteien abgelehnte Anträge in einer gemeinsamen Fraktion mit DKP und der LINKEN eingebracht hatte. In diesen Pressemitteilungen waren die Lokalredaktionen darauf hingewiesen worden, dass bei “Essen steht AUF“ 10 von 41 Direktkandidaten in den Wahlkreisen und 3 von 10 Kandidaten auf der Reserveliste Menschen mit Migrationshintergrund waren. Die letzte dieser Pressemitteilungen war den Redaktionen am 27. August zugegangen.

“Journalistische Sperrklausel“

„Da es sich also ganz offensichtlich nicht um ein Versehen handelte, sahen wir hier ein politisch motiviertes Vorgehen der Redaktionen, das eklatant gegen Ziffer 1, Richtlinie 1.2 des Pressekodex des Deutschen Presserates verstößt“, so Bodo Urbat, Vorstandssprecher von “Essen steht AUF“ zur NRhZ. Beide Redaktionen hätten auch schon vorher im Wahlkampf „faktisch eine “journalistische Sperrklausel“ aufgestellt, mit deren Hilfe sie politisch unliebsame Wahlbewerber wie unser Bündnis überwiegend ausgrenzten oder unfair behandelten. Die Berichterstattung über die Kandidatur von Migranten war uns gegenüber der Gipfel dieser Ausgrenzung, weil hier faktisch so getan wurde, als existiere “Essen steht AUF“ überhaupt nicht“.


Quelle: www.essen-steht-auf.de
Konsequenz des Bündnisses: Man schickte am 23. September ein Beschwerdeschreiben an den Deutschen Presserat. Darauf antworteten WAZ-Justiziariat und NRZ-Chefredaktion, dass die angegriffenen Artikel über eine Pressekonferenz bzw. aufgrund einer Pressemitteilung des Integrationsbeirates der Stadt Essen berichtet hätten. lm Rahmen dieser Veranstaltung habe der Vorsitzende des Beirates die in den Beiträgen genannten fünf Ratskandidaten vorgestellt. Von einer bewussten Benachteiligung des Wählerbündnisses könne deshalb keine Rede sein.

Bodo Urbat zur NRhZ: „Die falschen Behauptungen des Vorsitzenden des Integrations-beirates über die Anzahl von Kandidaten mit Migrations-hintergrund hätten in den Artikeln richtig gestellt werden müssen, anstatt sie wider besseres Wissen zu wiederholen. Man kannte ja dort unsere verschiedenen Pressemitteilungen.“

Verletzung der journalistischen Sorgfaltspflicht

Beim Deutschen Presserat sah man das offensichtlich genauso. Auf seiner der Beschwerde und den Widersprüchen der Zeitungen folgenden Sitzung entschied der Beschwerdeausschuss, in dem je vier Vertreter von Journalisten- und Verlegerorganisationen sitzen, man sehe in den beiden Artikeln „eine Verletzung der journalistischen Sorgfaltspflicht“. Mit der Formulierung „in Essen stellen sich fünf Ratskandidaten mit Migrationshintergrund zur Wahl“ werde „beim Leser der falsche Eindruck erweckt, als gäbe es keine sonstigen Kandidaten mit Migrationshintergrund als die genannten fünf. Aus den von dem Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen geht jedoch hervor, dass zumindest auch in dem Bündnis “Essen steht AUF“ weitere Kandidaten mit Migrationshintergrund zur Wahl antraten.“ Durch die Artikel wurde somit beim Leser „ein falscher Eindruck erweckt.“ Natürlich informierten WAZ und NRZ ihre LeserInnen nicht über diese Kritik des Presserates, wie der wiedergewählte "Essen steht AUF"-Ratsherr Dietrich Keil der NRhZ mitteilte. Denn: „Dieses Beispiel verstieß ja allzu offenkundig gegen alle Regeln von halbwegs demokratischem Journalismus." Leider sei so auch auch „keiner unserer Migranten-Kandidaten durchgekommen".


Sorgt wacker für “Qualitätsjournalismus“ -
Bodo Hombach
NRhZ-Archiv
Bodo Urbat: „Auch wenn der Presserat mit seinem “Hinweis“ nur zur schwächsten seiner “Sanktionen“ gegriffen hat, sehen wir darin dennoch einen kleinen Erfolg. Gerade auch deshalb, weil die WAZ-Mediengruppe und ihr Geschäftsführer Bodo Hombach sich gerne mit dem Etikett des “Qualitätsjournalismus“ schmücken. Selbst der Ausstieg der WAZ-Gruppe bei dpa (um sich News billig im Internet zusammenzuklauben) und der Abbau von hunderten Stellen, insbesondere im Bereich der Lokalredaktionen, wurden ja noch als Mittel zur Qualitätssteigerung verkauft.“ (PK)
 

Online-Flyer Nr. 239  vom 03.03.2010



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