NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 19. April 2024  

Fenster schließen

Inland
Das Mühlenkombinat „Deutsche Justiz“
Der Fall Schiffer
Von Élise Hendrick

Das Mühlenkombinat „Deutsche Justiz“ mahlt bekanntlich langsam, aber sicher. Wenn Mehlbedarf angezeigt wird, kann es durchaus etwas dauern, bis die Bestellung bearbeitet wird, aber wenn Mehl bestellt wird, wird auch geliefert. Geliefert wird allerdings nicht selten Hackfleisch. Aber gemahlen ist gemahlen, und wir sollten uns freuen, daß wir überhaupt mit irgendwas beliefert werden. Das sieht ungefähr so aus:


Demnächst vor Gericht: Dr. Sabine Schiffer
NRhZ-Archiv
Eine ägyptische Apothekerin holt einen Mann vor Gericht, der sie belästigt hat. Dieser üble Zeitgenosse trägt dem Hohen Gericht vor, daß er Muslime haßt und diese „Monster“ am liebsten allesamt gleich rausgeschmissen wüßte. Vor dem Betreten des Gerichtssaals wird er trotzdem nicht auf Waffen kontrolliert. Das Heiligtum des mitgebrachten Rucksacks wird auch nicht verletzt. Niemand kommt auf den Gedanken, daß es vielleicht doch nicht schlecht wäre, Vorkehrungen für den Fall zu treffen, daß der Angeklagte es mit seinen Drohungen ernst meint, mit der Ausnahme des Angeklagten selbst, der für diesen Fall extra ein Messer mitgebracht hat, das er vor Gericht auch zum Einsatz bringt.

Da es keine Beamten im Saal gibt, die für die Abwehr derartiger Gefahren zuständig wären, muß der Ehemann der Apothekerin selbst versuchen, sie vor dem Mann zu verteidigen, der sie abstechen will. Der erst nach Angriffsbeginn in den Gerichtssaal bestellte Polizist macht zur Klärung des Sachverhalts sofort von seiner Schußwaffe Gebrauch und zielt dabei auf den Gatten. Indes stirbt die Apothekerin.


Gedenken an die im Gericht erstochene
Apothekerin Marwa El Sherbini in Dresden
NRhZ-Archiv
Nach diesem Vorfall drängten sich unbequeme Fragen u.a. über das dem Sicherheitsdenken der Dresdner Justiz offenbar zugrundeliegende „Laissez-Faire-Prinzip“ auf. Hinzu kam eine Erlanger Medienwissenschaftlerin und Rassismusforscherin, Dr. Sabine Schiffer, die vermutete, die in einer Krisensituation spontan getroffene Entscheidung des eingreifenden Beamten, auf den Ehemann zu zielen statt auf den Täter, könne womöglich etwas mit dem rassistischen Subtext einer Gesellschaft zu tun haben, in der Muslime ständig verteufelt und entmenschlicht werden. Ihre Bemerkungen ernteten Morddrohungen aus den üblichen Kreisen, die sie auch ordnungsgemäß anzeigte.

Strafbefehl wegen eines Interviews


Das Mühlenkombinat „Deutsche Justiz“ hat auf die Bemerkungen von Dr. Schiffer gehört und sofort ein Strafverfahren – die ultima ratio der repressiven Staatsmacht – eingeleitet. Gegen sie. Mit dem Strafbefehl des Amtsgerichts Erlangen (Az. Cs 404 Js 45405/09) wird Dr. Schiffer zur Last gelegt, gegen den Gummiparagraphen § 186 StGB („Üble Nachrede“) verstoßen zu haben. Angedroht wird eine Geldstrafe in Höhe von 6.000 Euro bzw. zwei Monate Gefängnis.

Grundlage des Strafbefehls ist ein Interview von Dr. Schiffer mit dem iranischen Nachrichtensender IRIB, in dem es in einem Nebensatz hieß, daß der Polizist „sicherlich aus rassistischen Gründen“ nicht den Irren mit dem 30 cm langen Messer, sondern den zur Hilfe geeilten Ehemann des Opfers anschoss. Hierbei handele es sich, so der Strafbefehl, um eine „unwahre Behauptung“, die „geeignet ist [den Polizisten] verächtlich zu machen und in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen“. Die Unwahrheit der Vermutung der Dr. Schiffer stehe fest, da der Polizist behaupte, nicht aus rassistischen Gründen gehandelt zu haben und die Staatsanwaltschaft Dresden ihm dies abnehme.

„Diese Einlassung des Polizeibeamten kann nicht widerlegt werden“, verkündet der Strafbefehl. Stimmt. Nachgewiesen werden kann sie natürlich auch nicht. Somit liegt dieser Verwaltungsmaßnahme der politischen Strafjustiz die gängige Auffassung zugrunde, man dürfe jeden bestrafen, der einem anderen verwerfliche Beweggründe unterstelle, wenn dieser die Unterstellung abstreite. „Unwahr“ heißt – wie im deutschen Äußerungsrecht so oft –  „strittig“.

Folgen von Mediendarstellungen

Den Vier-Wörter-Nebensatz, für den Dr. Schiffer ins Gefängnis soll, hat sie in einer anschließend herausgegebenen Presseerklärung klargestellt: „Bei der von mir geäußerten Vermutung, dass der Polizist aus rassistischen Gründen auf den Ehemann des Opfers und nicht auf den wahren Angreifer gezielt haben könnte, handelt es sich um einen Erklärungsversuch, der auf den unbewussten Folgewirkungen medialer Sachverhaltsdarstellungen basiert. Wenn arabisch-stämmige Mitbürger in den Medien undifferenziert immer wieder als potenzielle Gewalttäter, Terroristen oder "Ehrenmörder" dargestellt werden, kann diese Form der Mediendarstellung auch das Unterbewusstsein der Medienkonsumenten und deren tatsächliches Handeln in Stresssituationen beeinflussen.

Es ist heute unbestritten, dass es über Jahre hinweg eine mediale Berieselung sowohl in der Berichterstattung als auch im Unterhaltungsbereich in Bezug auf Muslime und arabisch-stämmige Menschen gab. Deshalb kann man auch davon ausgehen, dass diese kollektiv verankerten Bilder in einer Situation, in der man nicht in Ruhe überlegen und einen Sachverhalt objektiv prüfen kann, eben zu einer spontanen Fehlentscheidung über mögliche Täter und Opfer führen kann. Es war daher nie meine Absicht, dem Polizeibeamten eine von Grund auf rassistische Einstellung oder gar vorsätzliches Handeln zu unterstellen. Ich wollte lediglich auf die Folgewirkungen medialer Darstellungen hinweisen und die gesamtgesellschaftliche Aufgabe anmahnen, über derlei rassistische Fehlinterpretationen und deren Begünstigung sowohl durch Mediendarstellungen als auch durch politische Diskurse aufzuklären. Dieser Aufgabe sollten wir uns entschlossen stellen. Sie geht uns alle an.“

Klarstellung längst bekannt

D.h., bei ihrer Vermutung ging es – wie es jedem längst hätte klar sein müssen, der nicht unbedingt etwas anderes hineinlesen will – nicht darum, diesen einzelnen Polizisten als bewußt handelnden Muslimhasser abzustempeln, sondern darum, daß er, wie jeder andere in der Gesellschaft, mit entmenschlichenden und verteufelnden Darstellungen von Muslimen nur so bombardiert wird, was sich ja nachweislich unbewußt auf mentale Sachverhaltsdeutungen und spontane Handlungen auswirken kann.

Diese Klarstellung des bereits Eindeutigen war der Staatsanwaltschaft Erlangen übrigens bei Abfassung des Strafbefehls längst bekannt. Die Presseerklärung wird sogar unter der Rubrik „Sonstige Beweismittel“ aufgeführt.

Selbstverständlich kann auch diese Einlassung der Dr. Schiffer nicht widerlegt werden. Im Strafbefehl selbst sind keine Ausführungen zur Bedeutung dieses Beweismittels zu finden. Überhaupt ist im Strafbefehl kein Indiz dafür ersichtlich, daß die Staatsanwaltschaft ihrer Pflicht zur Ermittlung „auch der zur Entlastung dienenden Umstände“ nach § 160 II StPO nachgekommen ist, es sei denn, die StA meint, durch die Aufführung der Presseerklärung als „sonstiges Beweismittel“ ohne inhaltliche Auseinandersetzung dieser Pflicht bereits in vollem Maße genügt zu haben.

Wiedersehen mit dem Minenfeld

Es wäre ein verhängnisvoller Fehler, sich von Berichten über Einzelfallunrecht zu dem Glauben verleiten zu lassen, daß es sich bei Fällen wie der Fall von Dr. Sabine Schiffer um Ausnahmen von der Regel „Meinungsfreiheit“ handele, daß in solchen Fällen das freiheitlich-demokratische Strafrecht zu politischen Zwecken mißbraucht werde. Ebenso falsch und gefährlich wäre es, sich aufgrund eines etwaigen Freispruchs in diesem oder in anderen Fällen vorzumachen, daß die Gefahrenspitze gekappt und die Meinungsfreiheit „wiederhergestellt“ worden sei.

Unter „Mißbrauch“ versteht man den zweckfremden Einsatz eines sonst akzeptablen Mittels. Die Angriffe auf kritische Stimmen durch die Justiz sind aber gar nicht zweckfremd, sondern fest im deutschen Recht verankert. Wozu dient denn sonst der Einsatz der ultima ratio der repressiven Staatsgewalt gegen Tatbestände wie „üble Nachrede“, „Beleidigung“, „Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener“, „Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole“? Wozu dient denn sonst eine „Rechtsprechung“, in der das Wort „unwahr“ ohne ernstzunehmende Beweisführung einfach so hingekritzelt werden darf, wenn eine Äußerung mit dem ästhetischen Empfinden von Richtern und Staatsanwälten unvereinbar ist? Wozu dient sonst ein „Persönlichkeitsrecht“, das der Selbstbeweihräucherung der Mächtigen Verfassungsrang gewährt und die Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit nicht als Kern der menschlichen Persönlichkeit und der Menschenwürde, sondern als zweitrangige Faktoren betrachtet?

Solange diese Gummiparagraphen und die dazu passende Elastedoktrin nicht abgeschafft werden, kann von Meinungsfreiheit keine Rede sein, sondern allenfalls von Meinungsprivileg. Solange dem Staat die Macht eingeräumt wird, Äußerungen aufgrund ihres politischen-ideologischen Inhalts unter Strafe zu stellen, wird es immer wieder Fälle wie den der Dr. Schiffer geben.

Völlige Waffenungleichheit

Wie ich es schon einmal geschrieben habe: Mir ist an Vorschlägen für „sachgerechtere“ Überprüfungsmaßstäbe nichts gelegen. Solche Maßstäbe gibt es gar nicht; jeder auch so neutral und objektiv klingende Maßstab läuft letzten Endes auf das ästhetische Empfinden von Polizei, Staatsanwaltschaft und Richterschaft, und damit auf völlige Waffenungleichheit hinaus. Die einen haben die Staatsgewalt, die andern nur das Wort.

Jede Ausprägung eines solchen Systems – mit den Lippenbekenntnissen zur Meinungsfreiheit und dem Heraufbeschwören „höherer Werte“ – ist zu bekämpfen. Da hilft eine Feinabstimmung – damit nur die „Richtigen“ eingelocht oder mit vernichtenden Geldstrafen um ihre Existenz gebracht werden – überhaupt nicht weiter, denn es gibt keine „Richtigen“. Das ist Landschaftspflege im Minenfeld. Gefragt sind aber Minenräumfahrzeuge.

Wie das gehen soll? Erstens gehören reine Äußerungs- und Propaganda„delikte“ aus dem Strafrecht gänzlich ausgeklammert, solange die an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit eines sofortigen Gewaltausbruchs bzw. die vom Täter nachweislich beabsichtigte sofortige tatsächliche Auslösung von Gewalt nicht tatbestandlich vorausgesetzt wird. Im Zivilrecht wäre eindeutig vorzuschreiben, daß Kläger, die Personen der Zeitgeschichte sind, schon im Vorfeld der Hauptverhandlung nachweisen müssen, daß die angegriffene Äußerung unwahr ist und daß der Beklagte die Unwahrheit der Äußerung kannte oder nur infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Liegt keine nachgewiesenermaßen unwahre Behauptung vor, soll die Klage sofort kostenpflichtig abgewiesen werden, denn schon die Einleitung eines Prozesses stellt eine äußerst wirksame Einschüchterungsmaßnahme dar, der nur zum Teil durch eine letztendliche Abweisung abgeholfen werden kann.

Dann wird man ohne Erröten von Meinungsfreiheit sprechen können.

In der Einleitung ihres Artikels zum „Fall Schiffer“, über den in absehbarer Zeit das Gericht in Erlangen entscheiden dürfte, zitiert Élise Hendrick eine Passage aus dem bei Jurastudenten und -Praktikern wohl beliebtesten StGB-Kommentar,in der Vorbemerkung zu § 185, Rn 68:

„In der strafrechtlichen Praxis kann die Bedeutung des Ehrenschutzes mit dem Gewicht seiner theoretischen Ableitungen schwerlich mithalten: Die Anzeigebereitschaft ist gering, die Mehrzahl der Anzeigeerstatter wird ohne größeres Federlesen auf den Privatklageweg verwiesen und erleidet dort nach Zahlung von Sicherheitsleistung (§ 379 StPO), Gebührenvorschuß (§ 379a StPO), Kostenvorschuß für das Sühneverfahren (§ 380 StPO) und des zur Erhebung einer formgerechten Klage idR erforderlichen RA-Honorars regelmäßig Schiffbruch (§ 383 II StPO), in hartnäckigen Fällen eine Sonderbehandlung zur Abwehr des Querulantentums. Eine geringe Anzahl erlangt Genugtuung in Form von Beschlüssen nach § 153, 153a StPO. Für das Legalitätsprinzip und das gesetzliche Normalverfahren bleibt ein kleiner Kern von Taten übrig, unter deren Opfern Amtsträger und öffentlich wirkende Personen überrepräsentiert sind.“ - Siehe Tröndle/Fischer: „Strafgesetzbuch und Nebengesetze“, 52. Auflage., Verlag C.H.Beck.
   
Élise Hendrick lebt als freiberufliche Übersetzerin, Lektorin und Publizistin im US-Exil in Cincinnati/USA. In ihrem deutschsprachigen Politblog "Meldungen aus dem Exil" http://meldungen-aus-dem-exil.noblogs.org/
veröffentlicht sie satirische und analytische Texte zu aktuellen Themen. Ihre Gedichte sind in ihrem Lyrikblog Versivitalotta [http://versivitalotta.noblogs.org].  E-Mail: elise.hendrick@gmail.com Twitter: @translator_eli. (PK)


Online-Flyer Nr. 239  vom 03.03.2010



Startseite           nach oben