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Kultur und Wissen
Vorabdruck aus „Benedikt XVI.: Ein Papst und seine Tradition“ – Teil 2
Gegen die Befreiungstheologie
Von Gerhard Feldbauer

Am 24. März 1980 zerriss in der hereinbrechenden Abenddämmerung ein Schuss die feierliche Stille in der kleinen Kapelle des Krankenhauses »Zur göttlichen Dämmerung« in San Salvador. Er traf den Erzbischof Oscar Arnulfo Romero y Galdámez,  der gerade eine Totenmesse las. Blutüberströmt brach der Geistliche zusammen. Der Mörder konnte entkommen. Er gehörte der Todesschwadron »Escuadron de la Muerte« an, die mit stillschweigender Billigung der gleichgesinnten Machthaber handelte.

In Lateinamerika lebt knapp die Hälfte der Katholiken der Welt. Seit der zweiten Konferenz des dortigen Episkopats 1969 in Medellin (Kolumbien) breitete sich auf dem Kontinent in großem Tempo die Theologie der Befreiung aus. Erzbischof Romero war einer ihrer engagiertesten Vertreter.  Entscheidende Impulse erhielt diese Strömung von den nationalen Befreiungskämpfen auf dem Kontinent, besonders durch deren Erfolge in Kuba und Nikaragua, aber auch von dem unter dem Sozialisten Salvador Allende  in Chile unternommenen Versuch einer sozialistischen Veränderung der Gesellschaft. (...) Sie (die Befreiungstheologen) gingen direkt von solchen Verkündungen aus, die lauteten, dass Christus sein Werk der Erlösung »in Armut und Verfolgung« vollbrachte und so auch die Kirche berufen sei, den gleichen Weg einzuschlagen. Nicht wenige lateinamerikanische Bischöfe standen als Anhänger der Befreiungstheologie mehr oder weniger offen an der Seite der kämpfenden Völker und verkündeten angesichts des Elends und Hungers, dass das Reich Gottes nicht erst im Jenseits beginnen könne. (...)

Romero ging jedoch weiter als andere Befreiungstheologen. Er verurteilte nicht nur den Terror der Todesschwadronen, sondern half auch den Kämpfern der Befreiungsfront »Farabundo Marti« (FMNL), gewährte ihnen Unterschlupf, versorgte sie mit Medikamenten und Nahrungsmitteln. Öffentlich erklärte er, dass es nicht gegen Gottes Gebot verstoße, sich auch mit den Mitteln der Gewalt gegen Repression zur Wehr zu setzen. (...)   


Befreiungstheologe Erzbischof Oscar
Arnulfo Romero
Quelle: www.heiligenlexikon.de
Der streitbare Kirchenführer gewann zunehmenden Einfluss in der katholischen Bewegung ganz Lateinamerikas. Besonders deutlich wurde das im Januar 1979 auf der III. Lateinamerikanischen Bischofskonferenz in Puebla (Mexiko), an welcher der Papst teilnahm. Gestützt auf die in- und ausländische Reaktion und eine beträchtliche Zahl konservativer Kleriker versuchte Johannes Paul II.  die progressiven Positionen der Befreiungstheologie zu zerschlagen. Er konnte zwar eine Absage an den »politischen Aktivismus« der Kirche durchsetzen, aber nicht verhindern, dass im Abschlussdokument »der wachsende Abstand zwischen Reichen und Armen als ein Skandal und Widerspruch zum Christsein« angeklagt wurde. (...)
 
Als Kardinal Ratzinger 1981 sein Amt als Chef der Glaubenskongregation antrat, wurde der Kampf gegen die Befreiungstheologie zum herausragenden Schwerpunkt seines inquisitorischen Wirkens und Bestandteil seiner »Politik der offenen Restauration« der Beschlüsse des II. Vatikanischen Konzils. (...)  Er bewirkte in einem Schreiben des Papstes vom 29. Juni 1982 an die Bischöfe von Nikaragua die Verurteilung ihrer »Volkskirche« und ihres Bekenntnisses zur Theologie der Befreiung. Während Rom nichts dagegen einzuwenden hatte, dass Opus-Dei-Mitglieder in Chile in die Regierung Pinochets eintraten, wurde der Priester Ernesto Cardenal  im März 1983 wegen der Übernahme des Ressorts des Kulturministers in der sandinistischen Regierung in Nikaragua durch den Papst öffentlich gemaßregelt. (...) Der Papst stellte sich auf einer Eucharistiefeier schützend vor die von den USA nach Nikaragua eingeschleusten Terrorbanden der »Contras« und gebot Müttern, welche deren Mordtaten anklagten, zu schweigen.

Am 6. August 1984 erließ der oberste Glaubensrichter die berüchtigte »Instruktion über einige Aspekte der Theologie der Befreiung« (Libertatis nuntius). (...) Vor allem diese Erklärung spielte, wie Ludger Weckel schrieb, zeitlich und inhaltlich jenen Strategiepapieren US-amerikanischer Militärs in die Hände, welche die Emanzipationsbestrebungen und die Befreiungstheologie in Lateinamerika als »kommunistische Strategien« mit ihrer »Ideologie der nationalen Sicherheit, das heißt mit Verfolgung, Verschwinden lassen, Folter und Mord bekämpften«. (...) »Die vatikanischen Instruktionen gegen die Befreiungstheologie haben viele engagierte Christen in Lateinamerika das Leben gekostet.«[1] (...)  

Noch 1984 versuchte Ratzinger mit einem Inquisitionsverfahren gegen den »Vater der Theologie der Befreiung«, den Peruaner Gustavo Gutiérrez,  einen entscheidenden Schlag zu deren Ausschaltung zu führen. Hauptanklagepunkt war die Anschuldigung, die Schriften Gutiérrez’ enthielten »marxistische Einflüsse«, was dieser wie andere derart ebenfalls angegriffene Theologen zurückwies. Der Professor, der Medizin, Psychologie, Philosophie und Theologie (darunter an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom) studiert hatte und dessen Bücher über die Befreiungstheologie von mehreren Universitäten mit der Verleihung des Doktor honoris causa gewürdigt wurden, galt in Lateinamerika als herausragender Theoretiker. (...) Er sah das Thema der Befreiung vor allem unter dem sozialen Aspekt der Zuwendung zu den Ärmsten der Gesellschaft und in der Wahrnehmung der Souveränität ihrer Länder gegen die Vorherrschaft der USA, die Lateinamerika als ihren Hinterhof betrachteten und reaktionäre und faschistische Regime an der Macht hielten. (...)    


Montage: Norbert Arbeiter

Im September 1984 wurde ein weiterer in Lateinamerika hochangesehener Befreiungstheologe, der brasilianische Professor und Angehörige des Franziskanerordens Leonardo Boff,  nach Rom vorgeladen. Ihm warf Ratzinger unter anderem Sympathien mit dem sozialistischen Kuba vor. (...) In einer Notificatio (Bekanntmachung) wurden die Thesen von Leonardo Boff  in seinem Buch »Kirche, Charisma und Macht« als eine »Gefahr für die gesunde Lehre des Glaubens« verurteilt. Nach Boff  wurden anschließend alle Bischöfe Perus nach Rom vorgeladen und aufgefordert, sich von der Theologie der Befreiung zu distanzieren. Ohne Erfolg. (...)

1988 verlangte der Nuntius von Brasilien, Carlo Furno, von dem Bischof von Sao Felix do Araguaia, Pedro Casadáliga, die Einschränkung seiner pastoralen Kompetenzen wegen seiner Sympathien mit den Befreiungstheologen schriftlich anzuerkennen und deren Theologie zu entsagen. Don Pedro verweigerte seine Unterschrift. 1989 wurden das »Regionalseminar des Nordostens« und das Theologische Institut von Recife in Brasilien wegen ihrer nicht »vertrauenswürdigen« Erziehung geschlossen.  (...)
 
1991 wurde der Bischof von Oaxaca (Mexiko), Bartolomé Carrasco Briseno, wegen »seiner Verbundenheit mit der Theologie der Befreiung« abgesetzt. (...)  Der älteste Verlag Brasiliens »Vozes«, in dem Professor Boff  die gleichnamige Zeitschrift herausgab, wurde der kommissarischen Verwaltung des Vatikans unterstellt. Boff wurde gezwungen, die Herausgabe der Zeitschrift abzugeben und aus dem Verlag auszuscheiden. (...)
 
Ständigen massiven Angriffen der Glaubenskongregation war der Bischof von San Cristobal de las Casas (Chiapas/Mexiko), Samuel Ruiz  Garcia, ausgesetzt. Dem unerschrockenen Befreiungstheologen, der für die Rechte und die Menschenwürde der indigenen Bevölkerung eintrat, wurde eine »doktrinäre und pastorale« Theologie vorgeworfen. Als sich 1994 die Indios gegen ihre Unterdrücker erhoben, wandte sich der Bischof zwar gegen die Gewaltanwendung, zeigte aber gleichzeitig Verständnis dafür, dass die in der Zapatistischen Befreiungsarmee Kämpfenden zu Verzweiflungstaten getrieben würden, und wirkte als Vermittler zwischen der Regierung und den Rebellen. (...) 1997 entkam er nur knapp einem Anschlag. (...) Gegen seine vom Vatikan angedrohte Entlassung protestierten 20.000 Bauern mit ihrer Unterschrift in einem Brief an den Papst. (...)

Einen Höhepunkt erreichte das Vorgehen gegen die Befreiungstheologie in der Versammlung der Kardinäle 1993. Der Papst, der das Konsistorium persönlich leitete, verkündete, dass er keinen lateinamerikanischen Bischof, der in einer Nähe zur Theologie der Befreiung stehe, in den Kardinalsrang erheben werde.

Anmerkung:
[1] Ludger Weckel, vatikankritischer kath. Theologe, 1993 Mitbegründer des Instituts für Theologie und Politik in Münster, in „Rolle rückwärts mit Benedikt“ (Hg. Norbert Sommer  und Thomas Seiterich), Oberursel 2009, S. 164.

Vorabdruck aus dem Buch  „Benedikt XVI.: Ein Papst und seine Tradition“
209 Seiten, EUR 14,90 [D]
PapyRossa Verlag, Köln 2010
ISBN 978-3-89438-415-9

Dr. Gerhard Feldbauer (geb. 1933) habilitierte sich in italienischer Geschichte, ist freiberuflicher Publizist, war langjähriger Pressekorrespondent in Vietnam und Italien. Zahlreiche Bücher, zuletzt bei Papyrossa „Geschichte Italiens - Vom Risorgimento bis heute“.
Siehe auch das  Interview mit dem Autor in unserer Ausgabe vom 21. Januar 2010. http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=14716 (PK)


Online-Flyer Nr. 237  vom 17.02.2010

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