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Weihnachten in der politischen Propaganda
Von wegen Heilige Nacht! ­
Von Werner Jung

Bei der Suche nach altem Christbaumschmuck wuchs die Neugier von Judith und Rita Breuer auf alles, was Weihnachten in früheren Zeiten dokumentierte: Adventskalender, Weihnachtspostkarten, Christbaumständer, Krippen aus Papier und Dekorationen. Doch manche Funde wollten gar nicht zu ihrem Bild von Weihnachten passen: Feldpostkarten aus dem Ersten Weltkrieg mit Motiven von Handgranaten, Christbaumschmuck in Form von Soldaten und U-Booten oder auch Weihnachtskalender, in denen viel von „Bluterbe, Sippen, Ahnen und Sinnzeichen“ die Rede war.

Judith und Rita wunderten sich und bald wurde den Sammlerinnen klar, dass es sich bei diesen Funden nicht um einzelne Geschmacklosigkeiten oder Kuriositäten handelte. Sie entdeckten vielmehr System hinter den verschiedenen Manipulationen, mit denen – je nach zeitgeschichtlichem Hintergrund – politisch höchst unterschiedliche Ziele und Absichten verfolgt wurden, die nicht ohne Weiteres und auf den ersten Blick erkennbar waren. Doch bald verdichtete sich die Erkenntnis, dass das Weihnachtsfest immer wieder in der politischen Propaganda missbraucht wurde, seit diese Feier sich im 19. Jahrhundert zum bürgerlichen Familienfest entwickelte.



Kriegspropaganda im 1. Weltkrieg und...



...im 2. Weltkrieg: Zur fröhlichen Schlacht für das Winterhilfswerk aufgerufen...



...oder "arische" Plätzchen backen


In der Ausstellung wird das Weihnachtsfest im Ersten Weltkrieg thematisiert, die Soldatenfeiern an der Front und die Militarisierung des Kinderzimmers um die Zeit zwischen 1914 und 1918. Die Folgezeit, die sogenannten „goldenen Zwanziger Jahre“ präsentierten den Gegensatz zwischen Arm und Reich, zwischen „weißen Bäumen“ mit kühlem Silberschmuck und hungernden Menschen. Den größten Teil der Ausstellung des NS-Dokumentationszentrums in Köln nimmt allerdings das Thema Weihnachten im Nationalsozialismus ein. Damals wurde versucht, das christliche Fest zur „völkischen“ Sonnenwendfeier mit „Sinngebäck“, dem „Schimmelreiter“ statt Nikolaus, mit Lichtersprüchen und einem Mutter/Kind-Kult umzufunktionieren. Der Zweite Weltkrieg erhält eine besondere Betonung mit dem Mythos der „Soldatenweihnacht“ und einem immer einfacheren Weihnachtsfest an der Heimatfront, die schon früh durch Kriegseinflüsse gezeichnet war. Den Abschluss bildet die Weihnachtszeit im „Kalten Krieg“, geprägt von den „Päckchen für drüben“ und den „garstigen Weihnachtsliedern“ „linker“ Autoren der 68er-Bewegung sowie den „Jolkafeiern“, dem „Großväterchen Frost“ und der „Jahresendfigur“ in der DDR.





Die Ausstellung „Von wegen Heilige Nacht!“ ist Teil des 14. Kölner Krippenweges vom 23. November 2009 bis 6. Januar 2010. In der Ausstellung werden verschiedene Krippen präsentiert. So erinnert eine Krippe an den „Kessel von Stalingrad“. Der katholische Divisionspfarrer Franz-Josef Göttke kam mit Resten einer Panzerdivision noch aus dem „Kessel“ heraus und wurde am Ufer des Don als Wache eingesetzt. Für das bevorstehende Weihnachtsfest bastelte er für seine Kameraden im Dezember 1942 aus Materialien wie Holz, Stoff, Papier und abgeschabter Farbe die Krippenfiguren. Die Köpfe knetete er aus Brotteig, der später aushärtete. In einer Munitionskiste verstaut, überdauerten die Krippenfiguren den Krieg. Zu sehen sind auch zwei Krippen zum Aufklappen, Feldpostgaben aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg. Derartige Krippen aus Papier oder ausgesägtem Holz konnten ganz flach zusammengelegt und somit leicht an die Soldaten verschickt werden. Eine weitere Krippe stammt von Anfang der 1950er Jahre. Beim Kauf eines Pfundes Margarine gab jeweils eine Sammelfigur als Werbegeschenk dazu. Die in der Ausstellung gezeigte Krippe wurde aus einer Vielzahl solcher „Margarinefiguren" zusammengestellt und ist noch im Originalzustand erhalten.



Postkarte aus dem Krieg

Ob Ein Blick auf weihnachtliches Propaganda-Material aus dem Umfeld rechtsextremistischer Kreise macht deutlich, wie notwendig die kritische Auseinandersetzung mit diesem Thema bereits heute wieder ist. Die Ausstellung wird von vier Veranstaltungen begleitet, die die verschiedenen Themen vertiefen. Mit der Erforschung und Dokumentation ihrer umfangreichen Sammlung haben Rita und Judith Breuer „geschichtliches Neuland“ betreten, das auch in Buchform erschien und im NS-Dokumentationszentrum erhältlich ist.



42-mm-Geschoss: Der Weihnachtsglocken traulich Läuten - möge uns allen
Frieden bedeuten
Alle Bilder: NS-Dok, Köln, Copyright: "Von wegen Heilige Nacht!"2000.



Karikatur: Kostas Koufogiorgos







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Breuer, Rita/Breuer, Judith: Von wegen Heilige Nacht. Das Weihnachtsfest in der politischen Propaganda. Verl. An der Ruhr 2000. ISBN 978-3-86072-572-6. 20.50 Euro

Online-Flyer Nr. 228  vom 16.12.2009



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