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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Inland
Verfassungsgericht begründet Schmerzensgeld gegen Polizeibehörden
Illegale Verhaftungen
Von Elke Steven und Peter Kleinert

Das Bundesverfassungsgericht hat im November 2009 ein für die Wahrnehmung des Demonstrationsrechts wichtige Entscheidung gefällt. Wie das Komitee für Grundrechte und Demokratie in Köln am Donnerstag mitteilte, hat es zwei Demonstrationsbeobachtern des Komitees im Wendland aufgrund von deren rechtswidriger Festnahme durch die Polizei das Recht auf Schmerzensgeld zugebilligt. Es kritisiert die Gerichte, die meinten, allein die Feststellung der Rechtswidrigkeit müsste schon Entschädigung genug sein. Auch die 2008 bei einer Anti-AKW-Demo im Wendland “präventiv“ festgenommene Kletteraktivistin Cécile Lecomte hat nun am 7. Dezember Verfassungsbeschwerde eingelegt. – Die Redaktion

Hat auch Verfassungsbeschwerde eingelegt – Cécile Lecomte (rechts)
Quelle: http://wendland-net.de
 
Im Jahr 2001 waren Helga Dieter und Ulrich Billerbeck als Demonstrationsbeobachter des Komitee für Grundrechte und Demokratie im Wendland unterwegs. Außerhalb der Demonstrationsverbotszone wurden sie aus ihrem Auto heraus festgenommen und mehrere Stunden unter unzumutbaren Bedingungen in Gewahrsam gehalten. Im März 2007 stellte das Amtsgericht Uelzen die Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung fest. Die bereits im Juli 2004 erhobene Amtshaftungsklage führte jedoch weder beim Landgericht Lüneburg noch beim Oberlandesgericht Celle zum Erfolg. Die Gerichte argumentierten, die „maßgebliche Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion“ sei „bereits durch die Feststellung der Rechtswidrigkeit der polizeilichen Maßnahme“ erfüllt.
 
Rechtswidrige Polizei-Kessel
 
Die Geschichte der Wahrnehmung des Demonstrationsrechts ist voll von solchen Geschichten. Auch der “Hamburger Kessel“ vom 8. Juni 1986 war rechtswidrig. Die Zivilgerichte sprachen den Teilnehmern immerhin ein Schmerzensgeld von 200 DM zu. Die Anzahl der polizeilichen Kessel seit dieser Rechtsprechung ist ungezählt. Im Wendland wurden ganze Dörfer – rechtswidrig – eingekesselt. Solange dies allenfalls juristisch festgestellt wird, daraus aber keine Konsequenzen für die Polizei entstehen, bleiben diese Urteile folgenlos. Geringe Schmerzensgeldzahlungen, die sowieso nur selten durchgesetzt werden können, kann sie sozusagen aus der Portokasse bezahlen.
 
Illegale Haft erfordert spürbare Konsequenzen

Das BVerfG belehrt die Gerichte nun jedoch, dass nicht nur der „Schutzauftrag des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes einen Anspruch auf Ausgleich des immateriellen Schadens gebietet“. Wenn, wie hier, zusätzlich das Grundrecht auf Freiheit der Person betroffen ist, gilt dies erst recht. Gerade der illegale Freiheitsentzug gebietet einen angemessenen Ausgleich, um dem Verkümmern des Rechtsschutzes entgegenzuwirken. Des Weiteren bemängelt das höchste Gericht, dass auch die Bedingungen des Gewahrsams allzu oberflächlich als unvermeidbar bei Großeinsätzen gerechtfertigt wurden. Es hätte geprüft werden müssen, ob die dadurch entstandenen Rechtseinbußen bei sorgfältiger Planung nicht hätten vermieden werden können.
 
Aber nicht nur die Grundrechte aus Art. 2 in Verbindung mit Art. 1 GG haben die unteren Gerichte nicht ausreichend gewürdigt. Zu beanstanden sei, dass das OLG die abschreckende Wirkung einer solchen Maßnahme auf die Ausübung von Grundrechten nicht erkannt hätte. Nicht nur derjenige, der eine derartige Behandlung erfahre, sondern auch alle potentiellen Demonstrationsteilnehmer könnten vom künftigen Gebrauch ihres Grundrechts auf Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) abgeschreckt werden. Die Demonstrationsbeobachtung sei zudem durch dieses Grundrecht in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG geschützt. Das Gericht formuliert: „Zu beanstanden ist weiter, dass das Oberlandesgericht in der mindestens zehnstündigen Festsetzung der Beschwerdeführer keine nachhaltige Beeinträchtigung gesehen hat, ohne die abschreckende Wirkung zu erwägen, die einer derartigen Behandlung für den künftigen Gebrauch grundrechtlich garantierter Freiheiten – namentlich die durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützte Teilnahme an Demonstrationen oder deren von Art. 2 Abs. 1 GG umfasste Beobachtung – zukommen konnte und die der Rechtsbeeinträchtigung ein besonderes Gewicht verleihen kann.“
 
Rechtsschutz darf nicht verkümmern
 
Die beiden Demonstrationsbeobachter hatten auf verhältnismäßig geringe Entschädigungen geklagt. Sie wollten für die je unterschiedlichen Grundrechtsverletzungen im Gewahrsam 500,- und 2.000,- Euro Schmerzensgeld. Über die Höhe dieses Betrags wird das Landgericht Lüneburg nun zu entscheiden haben. Bei einem unverfänglichen, aber heimlich aufgenommenen Foto des Fürstenehepaares von Monaco hat der Bundesgerichtshof immerhin eine Entschädigung von 150.000 DM (dem Kleinkind) und 125.000 DM (der Mutter) zugesprochen. Erst wenn solche Beträge nicht mehr aus der Portokasse zu zahlen sind, wird die Polizei vielleicht ihre illegalen Vorgehensweisen etwas seltener einsetzen. Dafür bedarf es allerdings noch häufig des langen Klage-Atems.
 
Eine weitere Verfassungsbeschwerde
 
Auch die Atomkraftgegnerin Cécile Lecomte hält präventives in-Gewahrsam-nehmen für unzulässig und sieht darin Ersatzbestrafungen. Sie reichte deswegen inzwischen ebenfalls Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein. Mit ihrer Beschwerde rügt die Kletteraktivistin die Verletzung ihrer Freiheitsgrundrechte sowie des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und der Versammlungs- und Meinungsfreiheit.


„Eichhörnchen“ in Aktion am 16. Januar 2008 über der Schiene im Wendland
NRhZ-Archiv
 
Bei einer Kletteraktion über der Schiene gegen einen Urantransport von Gronau nach Russland war die in Lüneburg lebende gebürtige Französin schon am 16. Januar 2008 festgenommen worden (s. NRhZ http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=13626). Amts- und Landgericht folgten dem Antrag der Polizeidirektion auf Anordnung einer viertägigen präventiven Ingewahrsamnahme. Der Demonstrantin wurde strafrechtlich nichts vorgeworfen, vielmehr ging es der Polizei allein darum, eventuell kommende spektakuläre Kletteraktionen gegen Castortransporte – die unter Umständen als Ordnungswidrigkeit hätten bewertet werden können – zu verhindern. Sie ist den Behörden schon lange ein Dorn im Auge, da sie mit ihren Kletterfähigkeiten (Cécile Lecomte war französische Meisterin im Sportklettern) gern mit spektakulären Aktionen als “Eichhörnchen“ auf ihre politischen Anliegen aufmerksam macht.
 
„Unzulässige Ersatzbestrafung“

„Ich halte einen mehrtägigen Gewahrsam zur Verhinderung geringfügiger Ordnungswidrigkeiten für gänzlich unverhältnismäßig und sehe darin eine unzulässige 'Ersatzbestrafung' durch die Polizei", erklärte Cécile Lécomte, nachdem das Verwaltungsgericht Köln aufgrund ihrer Beschwerde per Urteil am 26. März 2009 festgestellt hatte, dass ihr Festhalten durch die Polizei wegen ihrer Kletteraktion nur teilweise rechtswidrig gewesen sei. Bestraft wurden die Polizisten dafür natürlich nicht. 
 

Cécile Lecomte - klettert immer wieder gegen 
den Atomstaat
Quelle: http://www.eichhoernchen.ouvaton.org
Nach einer weiteren Kletteraktion auf der Elbe-Seiten-Kanal-Brücke bei Lüneburg mit Robin-Wood AktivistInnen drei Tage vor dem Castor-Transport am 6.11.2008 wurde sie erneut in Gewahrsam genommen. Die anderen KletteraktivistInnen kamen gleich im Anschluss an der Aktion vor Ort frei. „Ich wurde nach Lüneburg zwecks richterlicher Vorführung gebracht“, sagt Cécile Lecomte. „Polizeidirektor Brauer erschien persönlich zur mündlichen Anhörung gegen das Eichhörnchen vor Gericht, um dem sowieso befangenen Richter zu erklären und ihn davon zu überzeugen, wie gefährlich für den Atomstaat das Eichhörnchen ist. Die politische Justiz spielte ganz brav mit. Ich wurde zunächst im LG eingesperrt und dann nach Braunschweig in eine angebliche Langzeitgewahrsameinrichtung verlegt. Die Haftbedingungen waren aber alles andere als besser.“ Am 7.12.2009 hat sie – offenbar ermutigt durch den Erfolg des Urteils zugunsten der Demo-Beobachter des Komitees für Grundrechte und Demokratie – diesen Vorgang nun ebenfalls zum Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht gemacht. (PK)
 
Spenden für Soli-Arbeit, Rechtshilfe, Anwaltskosten, etc. können unter der Bankverbindung Maike Eisenberg, Kto.: 101265997, BLZ: 20690500 unter dem Verwendungszweck „wegen LIgA-Rechtshilfe“ überwiesen werden. 

Online-Flyer Nr. 228  vom 16.12.2009

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