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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Globales
Das Stimmvolk hat entschieden: für Waffenexporte – gegen Muslime
„Der Schweiz zu Ehren?“ - Teil 1
Von Dr. Maryam Dagmar Schatz

Am vergangenen Sonntag stimmte die Schweiz ab: dezidiert für weitere Waffenexporte, dezidiert gegen Muslime und deren Minarette. Internationale Kritik, die es schon vor der Volksabstimmung gab, kümmerte die Mehrheit der Beteiligten nicht, durch Finanzsanktionen dürfte das Land der Banken kaum zu treffen sein. Damit hat die Schweiz sich vorerst von ihrer freiheitlichen und humanitären Geschichte verabschiedet.

Grabmoschee des Propheten Mohammed in 
Medina vor 300 Jahren – aus einer alten 
Buchmalerei
Quelle: Staatsbibliothek zu Berlin
Es war mal ein kleines Land in den Alpen mit dessen Namen Promis, Banken, Kriegswaffen, Schokolade, Neutralität und humanitäres Engagement verbunden waren. Dieses Land hatte und hat engagierte und mutige Bürger und Bürgerinnen; neben Wilhelm Tell ist einer der prominentesten Henri Dunant, Gründer des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz und erster Friedensnobelpreisträger. Unter dem Eindruck des Loses der Verwundeten der Schlacht von Solferino schuf Dunant(1) eine Organisation, die bis heute noch hohes Ansehen genießt: das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, IKRK mit Sitz – bis heute – in Genf. Er gab ihr ein Zeichen, das seit dem erstmaligen Einsatz 1866 bei der Schlacht um die “Düppeler Schanzen“ als “Schutzzeichen“ für alle Nichtkombattanten gilt, die sich ohne Ansehen der Person um die Verwundeten zu kümmern haben. In allen Texten über die Gründungsgeschichte liest man, Dunant habe für dieses Zeichen die umgekehrten Farben seines Heimatlandes gewählt: „…der Schweiz zu Ehren“. Das Komitee hat dort noch heute seinen Sitz, genau wie einige Unterorganisationen der UNO – sozusagen als Nachfolger des Völkerbundes. Die bekanntesten Dokumente des Humanitären Völkerrechts sind auch unter dem Namen „Genfer Konventionen“ bekannt. Kurzum: die Schweiz galt als Hort und Vorreiter von Neutralität und Humanität, und der Leitsatz des IKRK für 2010 trägt diesem hohen Ziel auch wieder Rechnung: „To improve the lives of vulnerable people by mobilizing the power of humanity.“
 
Eine der aktuellen Kampagnen des Schweizerischen Roten Kreuzes widmet sich „Traumatisierten Migrationsfamilien“(2), und es gibt sogar ein Fortbildungsangebot in transkultureller Kompetenz(3) – mir macht es aufgrund der aktuellen Ereignisse Mühe, mich an dieser Stelle mit bissigen Bemerkungen zurückzuhalten.
 
Die Moschee im Islam
 
Bevor ich hier weiter schreibe, sei mir ein Exkurs zum Thema „Moschee im Islam“ gestattet. Er beginnt mit der Geschichte der Prophetenmoschee von Medina – in a Nutshell. Vorab: zum Beten braucht der Muslim keine Moschee und auch kein Minarett. Selbst Festgebete werden häufig auf freien Plätzen verrichtet, was oft als viel schöner empfunden wird. Die erste Moschee war ein schlichter Lehmbau für die Handvoll Gefährten Mohammeds und diente als Mehrzweckraum: tagsüber war sie, außerhalb der Gebetszeiten, Aufenthaltsort für die, die sich der Religion widmen oder aus anderen Gründen zusammenkommen wollten. Nachts konnten diejenigen dort schlafen, die sonst keine Bleibe hatten. Die Wohnung des Propheten lag unmittelbar neben dem Gebetsraum. Unter dem Boden dieser Wohnung wurde er auch begraben. Deswegen gehörte die Integration des Grabes auch zu den ersten Erweiterungen des Gebäudes. Im Medienmuseum Medina kann man die gesamte Bauentwicklung bis zum heutigen Tag an Modellen verfolgen.


Bescheidenste Anfänge: Prophetenwohnung unmittelbar neben der Moschee, Bastmatten als Schlafunterlagen und Gebetsteppiche
Quelle: Medienmuseum Medina
 
Der erste Muezzin, Bilal al-Habashi, ein abessinischer Sklave, der, nachdem einer der Prophetengefährten dem Propheten von einem Traum berichtet hatte, mit dem Gebetsruf betraut wurde, stieg laut Hadith-Überlieferung auf eine erhöhte Stelle, um seine schöne Stimme ertönen zu lassen. Das kann auch schon das Dach in Medina gewesen sein, doch so genau ist die Überlieferung nicht. Genau wissen wir hingegen, daß er nach der Eroberung Mekkas auf die Ka’aba stieg, um von dort aus seinen Ruf ertönen zu lassen. Ein wesentlicher Grund für die ersten Erweiterungen war, daß gegenüber der Prophetenwohnung mehrere Wohnungen für die Ehefrauen Mohammeds, die “Mütter der Gläubigen“ unmittelbar an die Moschee angebaut wurden, die man später in die gesamte Moschee integrieren wollte. Damals maß die Moschee ca. 70 x 40 m und, im Übrigen musste sich Kalif Uthman ibn Affan nach der Ermordung seines Amtsvorgängers, Umar ibn al-Chattab, bereits um Sicherheitserwägungen in der Moschee kümmern.
 
Damals und heute
 
Erst der sechste Kalif, Al-Walid bin Abdul Malik, Walid I., unter dessen Amtszeit der Herrschaftsbereich des Kalifats seine größte Ausdehnung hatte und auch die Umayyaden-Moschee in Damaskus und der Felsendom gebaut wurden, baute, als er die Gemächer der Prophetentochter Fatima in eine erneute Erweiterung der Moschee integrierte, vier Minarett-ähnliche Anbauten. Das könnte man natürlich in Beziehung setzen: Islam auf dem Gipfel der Macht, also Minarette… Doch gleichzeitig wird berichtet, daß Kalif Walid in Byzanz um Unterstützung bei der Verschönerung der Moschee bat: er hätte Mangel an Handwerkern und wünsche sich darüber hinaus Mosaike. Aus Byzanz kamen 20 – christliche – Handwerker, und so kam die Prophetenmoschee zu ihren ersten Mosaiken. Auch die berühmten Sonnenschirme in Medina wurden von einer schwäbischen Firma gebaut, und deren Architekt, Bodo Rasch, hat dort Tausende von Zelten für die Pilger aufgestellt.


Schwäbische Sonnenschirme für die Pilger in Medina
Foto: Autorin
 
Es gab mehrere große Renovierungen, die der Moschee unter anderem die berühmte Grüne Kuppel in der osmanischen Zeit und andere Erweiterungen brachten. Heute hat das riesige Areal nicht nur viele Minarette, sondern auch sonst alles, was die Pilger benötigen, einschließlich eines Gesundheitszentrums für die kostenlose Behandlung der Pilger. Eine Moschee ist für Muslime eben nicht nur ein Ort des Gebetes, sondern auch der Begegnung. Und: der Muslim braucht zum Beten kein Minarett, ja, nicht mal eine Moschee, denn gebetet werden kann überall.
 
Es geht nicht um Bauten, es geht um die Botschaft


Foto: Autorin
 
Alles ist, wenn man so will, Schmuck, ganz einfach dem Wunsch entsprechend, sich seinen Gottesdienst schön zu gestalten. Dies hat in allen Epochen zu den herrlichsten Kunstwerken geführt und zu Bilderstürmen – und dafür stehen die Gefolgsleute des Schweizers und christlichen Reformators Johannes Calvin, genauso wie die des Arabers Ibn Abd el-Wahhab. Angehörige beider religiöser Richtungen zerstörten gegenseitig religiöse Bau- und Kunstwerke und bedrängten die Andersgläubigen. Bedrängen die arabischen “Calvinisten“ ihre schi’itischen Glaubensbrüder im ölreichen Osten Saudi-Arabiens, so ist es den schweizerischen “Wahhabiten“ nun gelungen, das Schweizer Stimmvolk dazu zu bringen, für ein Verbot von Minaretten zu stimmen. Jedem ist dabei klar, daß es dabei nicht um Minarette ging, sondern um die Botschaft: „Ihr seid bei uns nicht willkommen. Wir misstrauen euch zutiefst. Wir wissen zwar nicht, was ihr uns getan habt, aber wir haben Angst vor dem, was ihr uns noch antun werdet. Man hört ja so einiges: Ehrenmorde, Zwangsehen, Scharia, Terrorismus.“(4)
 
Wie 1866 in Berlin
 
Dazu passt es natürlich überhaupt nicht, wenn die Fremden es sich im Lande angenehm und schön machen wollen. Das erinnert an ähnliche Diskurse aus der Zeit um 1866: damals ging es nicht um Minarette und Moscheen, sondern darum, daß die Juden Berlins, ihrer steigenden Zahl und Präsenz entsprechend, ein repräsentatives Gotteshaus bauten. Antisemiten empfanden den Prachtbau mit der goldglänzenden Kuppel als Provokation. Er löste aber auch heftige Diskussionen unter der jüdischen Bevölkerung aus. Liberal Denkende äußerten den Einwand, der ungewohnte maurische Baustil betone die Fremdartigkeit der jüdischen Religion und behindere so den angestrebten Integrationsprozess.
 
Ach ja, 1866… Da war auch der oben erwähnte Deutsch-Dänische Krieg um die “Düppeler Schanzen“. Außer dem erwähnten “Schutzzeichen“ und dessen erstmaligem Einsatz gibt es noch etwas, für das ein Gedenktuch eines jüdischen Feldgottesdienstes(5) zum Jom Kippur steht: die zunehmende Integration der deutschen Juden, die ihren Ausdruck unter anderem in eben diesem Feldgottesdienst findet – und im Bau einer repräsentativen Synagoge in der damals noch allein preußischen Hauptstadt. Zufällig hat diese Synagoge vergleichbare Ausmaße wie die so kontrovers diskutierte Moschee in Köln-Ehrenfeld: beide sind – entweder durch die Minarette, oder durch die Kuppel – höher als 55 Meter, beide fassen eine vierstellige Anzahl an Gläubigen.
 
Islam-Angst? Oder was?
 
Doch um die Abmessungen geht es natürlich gar nicht. Ich selbst verfolge das Theater um die Moscheen jetzt seit fast vier Jahren. Ging es anfangs noch um solche angeblichen Probleme wie die reine Größe, den Baustil oder eventuelle Belastung von Zufahrtstraßen oder angrenzenden Geschäften, so hat man sich inzwischen darauf geeinigt, Minarette seien ein Machtsymbol. Ja glaubt denn ernsthaft jemand, es bliebe jetzt bei Minaretten, es bliebe jetzt bei der Schweiz? Islam-Angst?(6) Sollte dem so sein, wird dieser bestimmt nicht mit einem Bauverbot für Minarette abgeholfen, sondern sie verlangt nach mehr. Und da wäre noch einiges auf der Agenda: Kopftücher, pardon, Burkas, Halal-Fleisch – ein Dauerbrenner, gerade, obwohl schon längst als genuin antisemitischer Topos demaskiert, aktuell wieder in Belgien thematisiert – Beschneidung auch von Jungen, den Gebetsruf, mit dessen vorsorglichem Verbot die Centrum-Moschee Rendsburg jetzt belästigt wird, zu deren Eröffnung Ministerpräsident Carstensen noch persönlich erschien.(7)  Es ging überhaupt nie um Minarette, wie ein Kommentar im Internet dankenswerterweise erklärt. Weiter erfahren wir dort, daß den angeblichen Problemen mit dem heutigen “Erfolg“ in keinster Weise abgeholfen worden ist, sondern daß es jetzt erst richtig losgeht.(8) Auch der Schweizer Nationalrat und SVP-Frontmann Ulrich Schlüer(9) äußert sich hier ganz offen dazu in einem Artikels, in dem er den Erfolg seiner Partei unter der Überschrift „Ja zur Minarettverbots-Initiative – Freiheitsrechte gestärkt“ bejubelt. (PK) 
 
(1) http://infofrosch.info/i/in/internationales_rotes_kreuz.html
(2) http://redcross.ch/activities/health/news/news-de.php?newsid=1181
(3) http://redcross.ch/activities/health/trans/index-de.php
(4) Zit. n. http://www.politblogger.net/pyrrhussieg/
(5) http://einestages.spiegel.de/static/topicalbumbackground/1248/grausame_taeuschung.html
(6) http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,664135,00.html
(7) Zum Betrachten des wunderbar ausgestatteten Inneren empfehle ich diesen flickr-Photostream: http://tinyurl.com/yl8nv53
(8) http://www.blick.ch/news/schweiz/politik/minarette-waren-nicht-das-problem-134573
(9) http://www.minarette.ch/
 
Teil 2 des Beitrags von Maryam Dagmar Schatz folgt in der nächsten NRhZ-Ausgabe

 
Wolfgang Bosbach (CDU) und Die Welt
 
Wie der deutsche Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU) aus Bergisch Gladbach auf den Erfolg der Schweizer SVP reagierte und wie die Springer-Zeitung Die Welt mit muslimischen Autoren umgeht, kann man dem hier angefügten Rundschreiben der NRhZ-Autorin Dr. Sabine Schiffer vom Institut für Medienverantwortung in Erlangen entnehmen:
 
„Wenn Wolfgang Bosbach die Abstimmung in der Schweiz als Ausdruck von "Angst vor DER Islamisisierung" interpretiert, dann faktiziert er nicht nur diese Weltverschwörungstheorie, er verharmlost Islamophobie - und genau das spielt den antiislamischen Rassisten in die Hände, deren "Pogromstimmung" uns alle noch bedrohen wird.
http://www.tagesspiegel.de/politik/international/Schweiz-Minarett-Islam;art123,2962997
Danke für dieses Interview an den Tagesspiegel!

Hingegen profiliert sich die Welt zur Neuerscheinung von Edward Saids Klassiker "Orientalismus“ in üblicher Weise und mit einem Reframing-Versuch, den Autor und sein Werk in den Rahmen von sog. Islamismus zu stellen und damit zu delegitimieren - dazu mein offener Leserbrief hier unten:
p://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article5275626/Edward-Saids-Attacken-gegen-den-Westen.html

Leserbrief: Rezension und Reframing

Die Auswahl des Rezensenten durch die Welt-Redaktion überrascht, ist man doch ansonsten durchaus auf Qualität bedacht. Walter Laqueur bringt sein Erstaunen zum Ausdruck, dass unter dem Titel "Orientalismus" das Standardwerk Edward Saids erst jetzt und damit erstmalig auf Deutsch vorliegen würde. Damit hat er sich bereits disqualifiziert, denn offensichtlich kannte er weder das Original noch die bereits 1981 im Ullstein-Verlag erschienene deutsche Erstausgabe.
 
Interessant ist aber auch, dass die Welt diesen vor allem emotionalen Rezensionsversuch unter "Islamismus" rubriziert. Das passt immerhin zum ausgewählten Foto eines mit erhobener Hand demonstrierenden schiitischen Geistlichen im Libanon, das bereits andere Dossiers der Welt schmückt. Dieses kontextferne Bild scheint in eine Reframing-Strategie zu gehören, die jede Kritik an UNS als Borniertheit von MUSLIMEN abzutun gedenkt, weil WIR ja quasi UNFEHLBAR aufgeklärt seien. Ebenso die Wortwahl in der Überschrift, wo Edward Said "Attacken" gegen den Westen bescheinigt werden, deutet auf einen Frame des Abwehrkampfes hin. Anscheinend müssen auch der christliche Palästinenser Said und seine reflektierenden Gedanken über die Projektionen westlicher Intellektueller auf den Orient - was ja ein allgemein üblicher Vorgang in alle Richtungen ist - diskreditiert werden. Wozu das alles? Um die Linie dieser Zeitung, die Daniel Pipes, Wahied Wahdat-Hagh und weiteren Vertretern neo-liberaler und pro-zionistischer Think-Tanks ein Forum bietet, stringent halten zu können?
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Sabine Schiffer“
 
Sabine Schiffer hat kürzlich das Buch „Antisemitismus und Islamophobie – Ein Vergleich“ veröffentlicht. Das Buch erschien im Sommer 2009 im HWK-Verlag in der 'Reihe Bücher, die unsere Weltsicht verändern', ISBN 978-3-937245-05-8, Ladenpreis 24,80 €, und wurde in der NRhZ rezensiert: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=13736 (PK)

Online-Flyer Nr. 226  vom 02.12.2009

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