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Aktueller Online-Flyer vom 19. April 2024  

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Globales
Medienjubel über den Friedensnobelpreis für Barack Obama
Kriegsherr als Friedensfürst
Von Hans-Detlev v. Kirchbach

Man muß es den Herrschaftsmedien schon lassen: Inszenieren können sie. Beispielsweise am 9. Oktober. Über "Phoenix" wurde die dröhnend theatralische Staatsfeierstunde zu "20 Jahre(n) friedliche Revolution", vulgo "Wiedervereinigung", zelebriert - als pathetische Selbstbeweihräucherung der bundesdeutschen Elite. Die gibt sich nicht nur historisch als Befreier der geknechteten Ostzonenbewohner aus, sondern derzeit in Afghanistan - gemeinsam mit Barack Obamas Regierung - als friedensmissionierende “Demokratiebewegung“.

Cartoon: Adam Zyglis
http://thinkpress.files.wordpress.com/
 
Beruflicher Zwang verbot dem Chronisten, die bräsige Eigenlob-Orgie wegzuzappen. Und so blieb ihm unter anderem unser Bundeskriegspräsident nicht erspart. Dann aber, als die Feststimmung dem Höhepunkt zustrebte, ließ die Regie des aktuellen Zufalls oder auch der medial-psychologischen Berechnung eine sensationelle, kaum glaubliche Laufschrift über den Bildschirm wandern. In Dauerwiederholung ward vermeldet, daß der Friedensnobelpreis 2009 an US-Präsident Barack Obama verliehen worden sei.
 
Mainstream-Evangelium: Weihe des Status Quo
 
Staatszentraler Vaterlandsjubel und als ultimative Steigerung noch der höchste aller weltlichen Preise an den "charismatischen Führer der westlichen Welt": Solch ein Doppeltriumph der bestehenden Ordnung, effektgenau im Fernsehen präsentiert, legt dem Skeptiker den Verdacht einer nach Absprache und Drehbuch abgespulten, psychologisch kalkulierten, Inszenierung nahe. Bestreite da noch einer, daß hierzulande eine durchorganisierte Propagandamaschine geschmiert und geölt funktioniert wie am Schnürchen. Das Medium als Botschaft: es geht um Verkündigung, nämlich um die Predigt von der kapitalistischen Weltordnung als Höhepunkt und Ziel der Geschichte. Wir leben in der besten aller Welten, soll suggeriert werden, und wir haben zudem auch noch - vergeßt Bush - den besten aller bisherigen Weltführer.
 
Der Sender Phoenix, benannt nach dem sprichwörtlichen altägyptischen Sagenvogel, der sich strahlend aus der eigenen Asche erhebt, ist für solcherlei message auch ein symbolisch angemessenes Umfeld.
 
Kaum Lehrling, schon Meisterbrief
 
So ein phönixgleicher Halbgott ist also unser Ersatz-Pharao im Weißen Haus, daß er bereits nach kurzen acht Monaten Amtszeit - darin die Probezeit der ersten "hundert Tage" mit eingerechnet - mit dem Friedensnobelpreis mühelos den absoluten Gipfel aller hienieden denkbaren säkularen Ehrung erklimmt, vom Nobelkomitee auf Anhieb zum Weltfriedensfürst nobilitiert. Andere erhielten den Friedensnobelpreis als Reverenz an ein mühevolles Lebenswerk, wie etwa Albert Schweitzer, oder immerhin als Gratifikation für einen hart erarbeiteten friedenspolitischen Durchbruch, so Willy Brandt für das Vertragswerk mit der Sowjetunion und Polen. Sogar der eher umstrittenen Verleihung an Henry Kissinger und den nordvietnamesischen Verhandlungsführer Le Duc Tho (1973) lag doch wenigstens das vertragliche Ende des US-Kriegsterrors gegen Vietnam zugrunde. Auch zeigte das Nobelkomitee gelegentlich schon mal Ansätze, das couragierte Zeugnis gegen Unterdrückungsmacht zu würdigen und Dissidenz auszuzeichnen - beispielsweise in der demonstrativen Verleihung des Friedensnobelpreises 1936 an den im Nazi-KZ gequälten Demokraten und Pazifisten Carl von Ossietzky oder 1984 mit der Auszeichnung für den Anti-Apartheidskampf von Bischof Desmond Tutu.
 
Preisgrund: Verheißungen und Illusionen
 
Aber Obama? Wofür denn erhält everybodies darling Obama den Friedensnobelpreis? Dafür, daß Menschen beiderlei Geschlechts beim Anblick des mit Millionenaufwand hochgepuschten Medienstars feuchte Augen bekommen? Dafür, daß er irgendwie gut aussieht, nett spricht und somit irgendwie - so die Luftblasenerklärung aus Oslo – „ein neues Klima“ geschaffen hat? Klima - Gefühl - Illusion - alles vage Kriterien; mit denen aber wird massiv Medienpropaganda betrieben und offenbar auch dem erlauchten
Nobel-Quintett ein Wolkenkuckucksheim halluzinanter Verheißungen vorgegaukelt.

Gut, die Auflösung Guantanamos, dieses Symbols einer Weltfriedensordnung in Gestalt eines Lagersystems, ist begrüßenswert - wenn sie denn stattfindet. Aber müßte es nicht eigentlich im höchsten Maß erschrecken, wenn eine solche basale rechtsstaatliche und menschenrechtliche Selbstverständlichkeit bereits nobelpreiswürdig ist? Wie tief unter solche Selbstverständlichkeiten ist, daran gemessen, dann die tägliche Normalität gesunken?
 
Nicht mit einem Wort hat sich Obama, der für die angekündigte Auflösung von Guantanamo schon fast wie die Wiederkunft von Jesus Christus gefeiert wird - der freilich auch nur eine Legende war - für andere Opfer des US-amerikanischen Justiz-Willkürsystems eingesetzt, die aus politischen Gründen seit Jahren wie Vieh gefangen gehalten werden - zwar nicht in

Guantanamo, aber in kaum weniger unmenschlichen US-Knästen. Keine Hoffnung etwa können die Miami Five in den Friedenspräsidenten setzen. Weiter im Käfig bleiben also jene fünf kubanischen Staatsbürger, die vom CIA geplante Spionage und Anschläge exilkubanischer Krimineller und Terroristen gegen das sozialistische Cuba verhinderten und deswegen seit über einem Jahrzehnt im US-Knast schmoren. Und auch nicht ein Wort wenigstens rechtsstaatlicher Mäßigung verlor Barack Obama bisher zugunsten des
weltweit bekanntesten politischen Willkürhäftlings der USA - Mumia Abu Jamal (s. das Interview und den Film über ihn in dieser Ausgabe).
 
Friedenspreisträger verstärkt Kriegseskalation
 
Obama erhält den Friedensnobelpreis - vielleicht nicht, weil, aber während er die militärische Präsenz, zu deutsch, die Kriegsführung, in Afghanistan massiv intensivert. Beraten läßt er sich übrigens von Zbignew Brzezinski, dem nächst Henry Kissinger sicher brillantesten Imperialideologen und Weltmachttheoretiker der US-Politelite. Dieser Vordenker kriegerischer Durchsetzung US-amerikanischer Globalinteressen erzielte „Friedenserfolge“ bereits als Berater von US-Präsident Jimmy Carter (Friedensnobelpreisträger 2002) von 1977 bis 1981, zum Beispiel durch Talibanisierung Afghanistans im hegemonialen Kampf gegen die von der Sowjetunion unterstützte sozialistische Regierung. Sein macchiavellistischer Begriff einer “befriedeten Welt“ lässt sich mit dem Titel seines Standardwerks 1997 „The Grand Chessboard“ (Das große Schachbrett) hinlänglich beschreiben.
 
Frieden schaffen?
 
Ist all das dem nobelordenverleihenden Festkomitee nur entgangen - oder schwenkt es vielleicht auf die mittlerweile offizielle Zentralideologie ein, die in ernsthafter Fortschreibung Orwellschen "Zwiedenks" behauptet, daß Krieg Frieden sei? Will das Konklave von Oslo auch die Verkehrung von Angriffs- und Hegemonialkriegen zu Befreiungs- und Befriedungsmissionen per Friedens-Nobilitierung zum Heiligen Dogma erheben? Ist die Umwandlung Afghanistans zum "unsinkbaren Flugzeugträger" - so der deutsch-afghanische Politikwissenschaftler Matin Baraki - für westliche Strategie- und Rohstoffinteressen in der nah- und mittelöstlichen Region eine nobelpreiswürdige Tat für den Weltfrieden?
 
Hoffnung auf self-fulfilling prophecy?
 
Viele Fragen, zugegeben. Aber notwendige. Denn die offizielle Begründung des Nobelpreiskomitees bietet kaum mehr als phrasenhafte Formeln. Von “Hoffnungsträgern“ sollte man mittlerweile aus gewachsener Erfahrung geheilt sein. Vielleicht aber kann man dem ehrwürdigen Nobelgremium zugute halten, daß es sich von der allgemeinen Obama-Euphorie hinwegtragen ließ. Oder daß es den Nobelpreis als subtilen moralischen Druck auf den "Hoffnungsträger" kalkuliert hat, wenigstens nicht zu hundert Prozent das
Gegenteil seiner eigenen großartigen Ankündigungen zu praktizieren. Freilich dürften im Zweifelsfall nüchterne Geostrategie und Rohstoffinteressen allemal die Oberhand über unverbindliches Friedensgeklingel behalten.
 
Gegenstrom statt Mainstream stärken
 
Wie glaubwürdig der Friedensnobelpreis im Trikont - und namentlich in der muslimisch geprägten Welt - bleiben kann, wenn er ohne Warte- und Probezeit mit ehrfürchtiger Devotion an den “Führer der westlichen Hemisphäre“ verliehen wird, darüber hat man sich in Oslo offenbar die fünf hochmögenden Köpfe nicht so sehr zerbrochen. Wenn der Friedensnobelpreis überhaupt noch einen Sinn machen soll, dann allerdings sollte er wieder mehr die mühselige Friedensarbeit von unten befördern, statt einen Hofknicks vor dem mächtigsten Mann der “freien Welt“ zu verrichten. Ausgerechnet einen, der ohnehin schon wie eine Schaumflocke auf einer ozeanischen Welle organisierten Medienjubels schwimmt, hebt das Nobelkomitee noch zusätzlich auf den Schild. Um diejenigen, die unter schwierigsten Umständen und oft persönlicher Gefahr Bedingungen des Friedens praktisch voranzubringen versuchen, sollten sich die Nobelpreisjuroren dagegen vorrangig kümmern.
 
Vorschlag für 2010: Khazan Gul Tani
 
Wenn wir schon an den Afghanistankrieg denken müssen, den unser Friedenspreisträger weiter betreibt, so wäre es beispielsweise eine wirklich eigenständige Entscheidung gewesen, statt Obamas den afghanisch-paschtunischen Lehrer und Menschenrechtskämpfer Khazan Gul Tani auszuzeichnen. 
 

Khazan Gul Tani
Quelle: www.kinderhilfe-afghanistan.de
Khazan Gul, der Ende der sechziger Jahre in Deutschland Physik studierte und das Lehramtsexamen ablegte, hat seit den siebziger Jahren in seinem Heimatland versucht, mit Schulgründungen der jungen Generation und insbesondere Mädchen Lebenschancen zu bieten und soziale Grundbedingungen für eine friedliche Zukunft des Landes zu schaffen. Darüber berichtete Khazan Gul - zeitweise Erziehungsminister in seiner Heimatprovinz Kost - noch im April und Mai dieses Jahres bei Besuchen unter anderem in Köln und Bonn. Vor einigen Wochen überlebte der “lebenslängliche Oppositionelle“ schwer verletzt ein Pistolenattentat. Bei seinem Kölner Vortrag hatte Khazan Gul gleichwohl anschaulich geschildert, welche Katastrophe die westliche Besatzung und insbesondere die Luftkriegsführung der USA und ihrer Alliierten einschließlich Deutschlands für die angeblich zu befreienden AfghanInnen bedeutet. “Aber die Waffen dürfen eben nicht unproduktiv auf Halde liegen, sie müssen verkauft und eingesetzt werden“ brachte der afghanische Friedensarbeiter die politische Ökonomie des westlichen “Friedenseinsatzes“ in seinem Land auf den Punkt.
 
Solche Erkenntnis, bei einer Nobelpreisrede weltweit verbreitet, hätte wohl auch Barack Obama schrill im Ohr geklungen. Doch leider hat das wackere Nobelgremium nicht den afghanischen Friedenslehrer ausgezeichnet, sondern genau den obersten Kriegsherrn der USA. Wir schlagen dem Nobelpreiskomitee vor, diesen Mißgriff im Jahr 2010 zu beheben. Den Friedensnobelpreis 2010 möge es an Khazan Gul Tani verleihen. (PK)

Über einige früher geehrte Vorgänger Obamas hat Wolfgang Effenberger einen Beitrag für diese NRhZ-Ausgabe recherchiert.

Online-Flyer Nr. 219  vom 14.10.2009

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