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Globales
Kommerzielle Nutzung neuer Überwachungs- und Repressionstechnologien
Future Security
Von Hans Georg

Auf ihrer Konferenz "Future Security 2009" präsentierten deutsche Rüstungskonzerne und Wissenschaftler neuartige Repressionstechnologien zur Abschottung der EU-Grenzen gegen Flüchtlinge. Zu den Instrumenten, die auf der hochrangig besetzten Tagung vorgestellt wurden, gehörte unter anderem eine von EADS entwickelte "Behaviour Software" zur Erkennung "auffälligen Verhaltens" etwa an Kontrollstellen.

Weitere Schwerpunkte der Konferenz waren der Schutz der öffentlichen Infrastruktur gegen Angriffe feindlicher Kombattanten im Inland und die Absicherung der Handelswege der deutschen "Exportnation". Verantwortlich für das Programm ist der "Verbund Verteidigungs- und Sicherheitsforschung", der von der staatlichen Fraunhofer-Gesellschaft ins Leben gerufen wurde. Er versteht sich als "Staat und Wirtschaft gleichermaßen verpflichtet" und kooperiert eng mit Militär- und Polizeidienststellen.
 
Wie der "Verbund Verteidigungs- und Sicherheitsforschung" der staatlichen Fraunhofer-Gesellschaft mitteilte, stand die vergangenen Donnerstag zu Ende gegangene bereits vierte Konferenz unter dem Namen "Future Security" in Karlsruhe ganz im Zeichen der kommerziellen Nutzung neuartiger Überwachungs- und Repressionstechnologien. Vertreten waren neben Wissenschaftlern und Ministerialbeamten des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) auch Generalbundesanwalt a.D. Kay Nehm, Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums (BMVg), des Bundeskriminalamts (BKA) und des Technischen Hilfswerks (THW) sowie Repräsentanten deutsch-europäischer Rüstungsunternehmen, darunter EADS und Rheinmetall.[1] Ihnen wurden bereits bei der ersten "Future Security"-Konferenz 2006 von Seiten des BMBF Fördergelder in dreistelliger Millionenhöhe zugesagt (german-foreign-policy.com berichtete [2]).
 
Auffälliges Verhalten
 
Zu den neuartigen Überwachungs- und Repressionstechnologien, die auf der Tagung präsentiert wurden, zählt unter anderem eine von EADS entwickelte "Behaviour Software". Das Computerprogramm ist in der Lage, menschliches Verhalten in Gefahr- und Stresssituationen zu simulieren, und soll vor allem bei der Grenzabschottung zur Anwendung kommen ("Behaviour Software Supported Solutions for Airport and Border Security").[3] Die von der "Behaviour Software" analog einem Videospiel generierten Charaktere ("Agents") differieren hinsichtlich ihres Alters, ihrer Körpergröße und ihrer physischen Konstitution und sind ebenso mit emotionalen Affekten wie mit künstlicher Intelligenz ausgestattet. Ziel ist eine möglichst realistische Darstellung größerer Menschenansammlungen, wie sie auf Bahnhöfen und Flughäfen oder an Kontrollstellen anzutreffen sind. Die mittels Simulation gewonnenen Erkenntnisse über menschliche Handlungsweisen werden an Videoüberwachungssysteme übermittelt - damit diese frühzeitig "auffälliges Verhalten" von Einzelpersonen oder Gruppen erkennen und die Repressionsbehörden nicht nur alarmieren, sondern auch instruieren können.
 
Nichtkooperative Szenarien
 
Passend dazu arbeitet das Fraunhofer-Institut für Informations- und Datenverarbeitung (IITB) in Karlsruhe, das zu den maßgeblichen Organisatoren der Konferenz "Future Security 2009" zählt, nach eigener Aussage an der "Realisierung und Inbetriebnahme informationstechnischer Komplettsysteme". Dabei befasst sich etwa das "Geschäftsfeld Autonome Systeme und Maschinensehen" des IITB mit der "automatischen Auswertung von Signalen bewegter bildgebender Sensorik" in "nichtkooperativen Szenarien", wie sie beispielsweise bei einem Massenansturm von Flüchtlingen auf Grenzkontrollstellen der EU anzutreffen sind. Darauf basierend entwirft dann der Geschäftsbereich "Interaktive Analyse und Diagnose" des Instituts "Lösungen für die technisch unterstützte Analyse von Signalen und Bildern". Ziel sei die Entwicklung "modellbasierte(r) Verfahren zur Entscheidungsfindung", heißt es.[4]
 
Mobile Kontrolle
 
Das IITB ist nicht nur Teil des Fraunhofer-"Verbunds Verteidigungs- und Sicherheitsforschung", sondern gehört auch dem von dem Verbund initiierten "Innovationscluster Baden-Württemberg" an. Ein Arbeitsschwerpunkt der darin zusammengefassten "wehrtechnischen" Fraunhofer-Institute in Karlsruhe, Pfinztal und Freiburg ist laut einer Selbstdarstellung die Entwicklung "intelligenter" Überwachungseinrichtungen und "Sicherheitsleitsysteme", die sowohl den Bedürfnissen des Militärs wie der Polizeibehörden entsprechen. Sie sollen, wie es heißt, "überall dort zum Einsatz kommen, wo eine lokale, kurzfristige Verschärfung der zivilen Sicherheitslage zu befürchten ist". Explizit genannt werden Demonstrationen und Staatsbesuche. Im Einzelnen gedacht ist an "mobile Zutrittskontrollsysteme", "flexibel errichtbare Absperrsysteme", "hochauflösende, tag- und nachtsichtfähige Überwachungssensorik" sowie an "lokale, selbstorganisierende Breitband-Netzwerke zur Verbindung mobiler Einheiten" und "intelligente Bildverarbeitungsalgorithmen" - "zur Entlastung der Einsatzkräfte".[5]
 
Marktpotenzial
 
Die Präsentation der entsprechenden Forschungsergebnisse auf der diesjährigen "Future Security"-Konferenz wird die Verbindung zwischen Fraunhofer-Gesellschaft und Rüstungsindustrie weiter stärken - zumal die Entwicklung "intelligenter Sicherheitssysteme" nach Darstellung des "Innovationsclusters" ein "großes Marktpotenzial" in sich birgt.[6] Anwendbar ist die neuartige Überwachungs- und Repressionstechnologie auch zum Schutz der öffentlichen Infrastruktur gegen Angriffe feindlicher Kombattanten im Inland und zur Absicherung der Handelswege der deutschen "Exportnation", zwei weiteren Schwerpunkten der Tagung.
 
So befasst sich das hier präsentierte Projekt "AquaBioTox" des IITB mit der "onlinefähige(n) Trinkwasserüberwachung auf Grundlage eines biologischen Breitbandsensors mit automatischer Bildauswertung", da großstädtische "Wassernetze", wie es heißt, ein "potenzielles Terror-Angriffsziel" darstellten [7] (german-foreign-policy.com berichtete [8]). Die von EADS entwickelte "Behaviour Software" wiederum ermöglicht nicht nur die Kontrolle von Menschenansammlungen, sondern auch die Steuerung des Schiffsverkehrs - nicht zuletzt an bedrohten Seefahrtsrouten wie am Horn von Afrika. (PK)
 
[1] Fraunhofer Conference Future Security. 4th Security Research Conference Karlsruhe. September 29th – October 1st 2009. Congress Center Karlsruhe, Germany (Programmheft)
[2] s. dazu Grenzenlose Sicherheit
[3] Fraunhofer Conference Future Security. 4th Security Research Conference Karlsruhe. September 29th – October 1st 2009. Congress Center Karlsruhe, Germany (Programmheft)
[4] Bundesministerium der Verteidigung: Forschen für Sicherheit und Verteidigung von morgen. Einrichtungen und Institute mit wehrwissenschaftlichem Forschungsauftrag. Bonn 2007
[5], [6], [7] Fraunhofer-Institut für Kurzzeitdynamik/Ernst-Mach-Institut (EMI): Mehr Sicherheit durch Hightech. Fraunhofer Innovationscluster Future Security BW. Freiburg 2008
[8] s. dazu Risikomanagement (I)

Dieser Artikel erschien zuerst bei german-foreign-policy.com

Online-Flyer Nr. 218  vom 07.10.2009

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