NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 25. April 2024  

zurück  
Druckversion

Lokales
Akutelle Erfahrungen mit der Pressefreiheit der Kölner DuMont-Zeitungen
Lafontaine wusste das schon vorher
Von Claus Hübner

Eigentlich halte ich nicht viel von politischen Veranstaltungen wie Wahlkampfreden kurz vor den Wahlen. Dabei ist es mir auch egal, welche Partei gerade was veranstaltet. Als ehemaliges aktives Mitglied einer einst glorreichen Partei in dieser Stadt weiß ich genau, wie so was funktioniert und wie so was vorbereitet wird. Trotzdem will ich Oskar Lafontaine reden hören, einerseits um festzustellen, wie er sich so macht, und andererseits habe ich ihn seit dem Attentat in der Mülheimer Stadthalle, als wir beide noch der gleichen Partei angehörten, nicht mehr live gesehen.




Der eigentliche Grund für meine Anwesenheit ist aber meine kurdische Freundin, die für mich unerklärlicherweise unbedingt zu diesem Samstag-Termin um 17 Uhr am Rudolfplatz in Köln sein will. Meine kurdische Freundin tut viel mehr für ihre Integration als die meisten Politiker sich träumen lassen. Auch aus diesem Grund bekommt sie in diesem Jahr noch die deutsche Staatsbürgerschaft.

Es ist angenehm warm und auf Grund des eher spärlichen Zulaufes ergattern wir auch einen Platz vor der Bühne auf einer der üblichen Bierbänke. Eine lateinamerikanische Band versucht, dem Ganzen internationalen Flair zu geben; einige aus dem Publikum lassen sich tatsächlich anstecken.

Jede Menge Reporter und Pressefotografen

Fast pünktlich um 17 Uhr erschallt rauschender Beifall, und als ich mich überrascht nach der Lärmquelle umdrehe, bemerke ich doch vielleicht zwei- bis dreihundert Zuschauer, die die Ankunft des Hauptredners mitbekommen haben. Sofort stürzen sich Reporter und jede Menge offensichtliche Pressefotografen auf den Parteivorsitzenden Lafontaine. Er gibt Auskunft und lässt das Blitzlichtgewitter gelassen über sich ergehen. Oskar kommt in Begleitung von drei Personenschützern. Nicht dass er das hier braucht, aber damals in Köln-Mülheim brauchte er es eigentlich auch nicht und wäre fast ermordet worden.

Er redet frei und verbreitet sofort eine Art kampfeslustige Atmosphäre. Er erzählt über Wahlkampf, über Afghanistan, Hartz 4, über die Bankenkrise, Mindestlohn usw. usw. Er wird immer wieder von Beifall unterbrochen. Er macht das gut, der Kerl kann reden und vermeidet die üblichen Floskeln, die man so normalerweise von Politikern zu den Themen hört. Natürlich ist er auch populistisch, aber alle Politiker sind populistisch, wenn sie Unterstützung bei Wahlen einfordern.

Und ob populistisch oder nicht:er Alle Fotos: Claus Hübner                          sagt einige für mich richtige
                                                              Sachen, so dass ich mich ein wenig widerwillig, aber dennoch zustimmend dazu hinreißen lasse, kräftig in die Hände zu klatschen. Er redet fast eine Stunde, und zumindest für mich war es überraschend angenehm, mal ein paar Dinge aus einem Politikermund zu hören, die ich auch so formulieren würde. Als er nach etwa 60 Minuten freier Rede zuende ist, bekommt er standing ovations, und Ulla Lötzer, die Köln Bundestagsabgeordnete der LINKEN spricht nach ihm. Das tut sie kurz und ohne Redundanzen zu Oskar und insofern ergänzend. Man muss nicht alles richtig finden, aber es passt und klingt halbwegs glaubwürdig für mich. Nach dieser Rede spielen zwei jugendliche, festlich gekleidete Mädchen ein Duo von Mozart für Piano und Violine. Der ganze Rudolfplatz erscheint mir bei diesen Klängen in einem ganz anderen Licht, und ich genieße schweigend den Augenblick. Danach gehen wir zufrieden nach Hause.

Neugierig auf die Lokalpresse

Abends zuhause wollten wir im Internet mal nachschauen, was die lokale Presse zu der Veranstaltung der Linken in Köln schreibt. Nicht nur die lokale Presse ist kein Freund der Linken, deshalb war ich neugierig auf die Kommentare. Auch wenn man kein Parteigänger der Linken ist, kann man leicht feststellen, dass die bürgerliche Presse sie bundesweit im Gegensatz zu Schwarz-Gelb mehr oder weniger ungeschickt niedermacht und zu denunzieren versucht. Lafontaine hat das selbst auch in einem Nebensatz auf dem Rudolfplatz erwähnt, und in diesem Punkt stimme ich mit ihm voll überein.

Was soll ich sagen? Am Samstagabend habe ich online nichts gefunden. Ich war erstaunt, weil ansonsten im Minutentakt Bundesliga-Zwischenergebnisse, Verkehrsstaus oder Wasserstandsmeldungen des Rheins zu lesen waren. Ich tröstete mich mit Personalmangel beim Verlag der Familie Neven-DuMont, schließlich haben die ja auch Wirtschaftskrise. Am Sonntag startete ich den zweiten Versuch online und konnte es nicht glauben! Trotz Google und anderer Mittelchen war kein einziger Artikel im WWW zu finden, und am Sonntagabend erlebte ich die gleiche Enttäuschung. Die Onlineseiten waren alle aktualisiert aber immer noch nix über den ehemaligen Jesuitenschüler Oskar in Köln!

Alle drei Kölner Zeitungen gekauft

Zäh, aber auch neugierig wie ich bin, versuchte ich am Montag mein Glück auf die alte konservative Art und kaufte alle drei Tageszeitungen aus Köln: EXPRESS, Stadtanzeiger und Rundschau. Der EXPRESS vom Montag (26 Seiten) stellt fest, dass die Griechen Sexweltmeister sind, die FDP die Ampel ausknipst, es ein Pflegeparadies Thailand geben soll. Uli Hoeneß hält die Trauerrede für einen „toten S-Bahnhelden“. Außerdem bieten sie dem gestressten Leser ca. 1,5 Seiten mit Anzeigen von sexbereiten Damen an. Dann die montagsüblichen neun Sportseiten und ein Artikel über „Miß Oktoberfest“.

Der Kölner Stadt-Anzeiger (28 Seiten) titelt: „Die Farbenspiele sind zu Ende“, schreibt u.a. über ein Flüchtlingsdrama vor Marokko, über Innenminister Schäuble, der ausnahmsweise keine schärferen Gesetze will, über zukünftige Arbeitsplatzvernichtungen bei Opel durch Magna, über bundesweit agierende Betrüger und ca. 10 Seiten Sport. Aber auch hier nichts über Lafontaine in Köln.

Die Rundschau (immerhin 42 Seiten) überrascht u.a. auf der Titelseite mit einem originellen Foto eines Flic-flac schlagenden FC-Köln Spielers, über mögliche Überhangmandate bei der kommenden Wahl, über Koalitionsgespräche nach der Wahl in Thüringen, ebenfalls mit gefühlten 20 Seiten Sport und den üblichen Todes- und Veranstaltungsanzeigen usw. usw. Und genau wie die beiden Schwesterblätter aus dem gleichen Verlag nichts, keine einzige Zeile über Lafontaine in der Stadt. (1)

2,80 € umsonst ausgegeben

Da hatte ich also für 2,80 € insgesamt 96 Seiten aktuelle Lokal-Zeitungen aus Köln erstanden, um als strikter Verfechter der Meinungsfreiheit zu erfahren, wie die Presse ihre Pressefreiheit in Köln über die Wahlveranstaltung der Linken in Köln ausagierte, und musste feststellen, dass im Zeichen der anstehenden Bundestagswahl mehr oder weniger über alle bürgerlichen Parteien irgendwo immer etwas geschrieben stand - aber nicht ein Wort oder ein Foto, dass „Die Linke“ eine Wahlveranstaltung auf dem Rudolfplatz in Köln veranstaltete.

Ich überlegte weiter. Wer war eigentlich der Mensch, der Lafontaine das Tonbandmikrofon unter die Nase gehalten hatte? Ich rede jetzt nicht von den Fans mit ihrer kleinen Digitalkamera aus dem Supermarkt, aber wer waren denn eigentlich die ganzen Fotografen mit ihren Profikameras, die Lafontaine fotografisch „abgeschossen“ hatten? Von welcher Zeitung oder welchem Verein waren die denn?

Ich fing an mich zu ärgern, denn ich hatte 2,80 € für eine Nichtinformation ausgegeben, für Total-Ignoranz einer politischen Veranstaltung! Ich sags mal so: Man muss die Linken oder Lafontaine nicht mögen oder gar wählen. Aber sollten die Lokalzeitungen nicht zumindest wertfrei über eine solche Veranstaltung informieren? Ist das naiv? Jeder neugewählte Presbyter wird in Köln in den Lokalzeitungen erwähnt, aber eine Wahlkampfveranstaltung einer im Bundestag vertretenen Partei wird nicht mit einer Silbe erwähnt! Fast 40 Seiten Sportberichte nur vom Wochenende, aber keine einzige Zeile über Lafontaine in Köln! Sind Sportjournalisten die besseren Informationslieferer?

Machen die Journalisten so etwas freiwillig?

Oder ist das alles etwa Zensur? Aber wir haben doch keinen Zensur- oder Propagandaminister, der so was anordnet! Machen die Journalisten so etwas heute freiwillig? Wird Ungeliebtes oder nicht Gewolltes einfach ignoriert und totgeschwiegen? Nach dem Motto: Nur was geschrieben steht, ist wahr?

Ich überlegte, ob und wie weit Meinungsfreiheit ohne eine echte Pressefreiheit möglich ist. Ich meine jetzt nicht die Freiheit, über etwas nicht zu berichten. Denn für mich ist das keine Pressefreiheit, wenn ich nicht über ein politisch lokales Ereignis in Köln informiert werde! Hatte der alte Oskar doch Recht, wenn er auf dem Rudolfplatz sagte: Erzählen sie bitte weiter, was sie heute hier erlebt haben, denn man wird über uns nicht oder falsch berichten???

Wie in der Türkei

Meine Freundin war auch ein wenig überrascht über das Ergebnis meiner Artikelsuche. Sie nahm es aber lockerer als ich, lachte und wollte mich trösten. Sie sagte, das kenne sie auch, das sei wie bei ihnen in der Türkei. Die schreiben fast auch alle das Gleiche oder verschweigen einfach, was nicht in ihr Weltbild passt oder ihren Bossen vielleicht gefährlich werden könnte. Fühlt sie sich auf Grund unseres gemeinsamen Erlebnisses mit der einheimischen Presse jetzt etwa heimischer und integrierter als vorher? Ist die Türkei nicht das Land, das wegen angeblich noch mangelnder Demokratie laut der noch amtierenden Bundeskanzlerin nicht in die EU soll?

Natürlich ist mir in unserer Presselandschaft nicht nur lokal schon das eine oder andere Ungereimte vorher aufgefallen. Nicht nur z.B. der Verein „Lobbycontrol“, der über die Presseaktivitäten der sogenannten „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ berichtete, sorgt da ja für einige Aufklärung. Aber es ist halt immer noch wahr, dass persönliche Erfahrungen besonders lehrreich sind. Und da dies so ist, sehe ich nicht nur den ehemaligen Sozialstaat Deutschland den Bach runtergehen, sondern auch die Pressefreiheit in diesem Lande. Was bleibt dann eigentlich noch von einer Demokratie übrig? (PK)

Was die Kölner DuMont-Presse außerdem nicht über Lafontaines Besuch in Köln und die Kölner Bundestagsabgeordnete Ulla Lötzer berichtete, finden Sie in einem weiteren Artikel dieser NRhZ-Ausgabe.  

(1) Gegendarstellung der Kölnischen Rundschau:

In ihrem Internetangebot berichtet die Neue Rheinische Zeitung unter der Überschrift „Lafontaine wusste das schon vorher" über die Ausgabe der Kölnischen Rundschau vom 21. September 2009 u. a. -  „Und genau wie die beiden Schwesterblätter aus dem gleichen Verlag nichts, keine einzige Zeile über Lafontaine in der Stadt." Diese Behauptung ist unrichtig.
Richtig ist, dass die Ausgabe Köln-Stadt der Kölnischen Rundschau vom 21. September 2009 auf Seite 2 des Lokalteils (Seite 28 der Gesamtausgabe) mit Foto und Text über den Auftritt von Herrn Lafontaine bei der Wahlkundgebung der Linken am 19. September 2009 in Köln berichtet hat.
HEINEN-VERLAG GMBH
KÖLNISCHE RUNDSCHAU
Wolfgang Birkholz         ppa. Harnno Bieg

Anmerkung der Redaktion:

Diese Gegendarstellung haben wir natürlich gern reingestellt: Claus Hübner wohnt in Köln-Brück, hat dort - nachdem er im Internet am Samstag und am Sonntag weder im KStA, noch im EXPRESS, noch in der Rundschau auch nur eine Zeile über die Kundgebung der LINKEN mit Lafontaine gefunden hatte - die Montagausgaben der drei Zeitungen auf Papier in einem Scheibwarenladen des "Kauflandes" gekauft. Weder im KStA, noch im EXPRESS aber auch nicht in der Rundschau habe er was zum Lafontaine-Besuch in Köln gefunden. Der mögliche Grund: Er hatte in Brück, einem Stadtteil, der am Rande Kölns liegt, aus welchem Grund auch immer nicht die Köln-Stadt-, sondern die Köln-Land-Ausgabe der KR bekommen, ohne dies zu bemerken. Und darin habe er den Lafontaine-Bericht vermutlich deshalb nicht gefunden, weil der Vorsitzende der LINKS-Partei der KR-Redaktion nur für die Kölner, nicht aber für alle Leser der KR erwähnenswert erschien. Trotzdem hat DIE LINKE bei den Wahlen auch in Köln kräftig zugelegt, so auf 18 Prozent in Köln-Chorweiler. - Die Redaktion

Online-Flyer Nr. 216  vom 23.09.2009

Druckversion     



Startseite           nach oben

KÖLNER KLAGEMAUER


Für Frieden und Völkerverständigung
FOTOGALERIE