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Aktueller Online-Flyer vom 23. April 2024  

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Lokales
Bundesweiter Aktionstag auch in Köln:
„Wir zahlen nicht für eure Krise!“
Von Hans-Dieter Hey

In vielen Städten in Deutschland demonstrierten am Donnerstag, den 17. September vor dem Finanzgipfel Zehntausende dagegen, allein für die Folgen der Krise des außer Rand und Band geratenen Kapitalismus bezahlen zu müssen. So auch in Köln. Man fürchtet zudem ein Fortführen bürgerlich-konservativer Politik des Sozialabbaus, Lohndumpings und Demokratieabbaus, sowie weitere Einsparungen bei Infrastruktur, Bildung, Natur- und Verbraucherschutz sowie mehr Überwachungsstaat.
Mehr sozialer Ungehorsam notwendig

Ein von einem Traktor gezogener Zirkuswagen zog von der Kölner Arge über die Deutzer Brücke zur Deutz-AG und zum Köln-Bonner Flughafen, hin zur Abschlusskundgebung am Offenbachplatz. Die Hoffnungen der Initiatioren auf breite Unterstützung für diesen Donnerstag waren groß, die Warnungen bei einem Fortsetzen der gegenwärtigen konservativen Politik in Deutschland deutlich. Christina Kaindle vom Bündnis „Wir zahlen nicht für eure Krise!“: „Wir befürchten, dass nach den Bundestagswahlen die Angriffe auf die Sozialsysteme zunehmen und die Mehrheit der Bevölkerung die Zeche für die Krise bezahlen soll. Mit dem Aktionstag wollen wir erreichen, dass die Gegenwehr gestärkt und schon vor den Bundestagswahlen ein deutliches Zeichen gesetzt wird." Man fürchtet, dass die bisher gescheiterte bürgerlich-konservative Politik nach den Wahlen fortgesetzt wird.



Einer der Initiatoren der bundesweiten Aktion, der ver.di-Geschäftsführer Bernd Riexinger aus Stuttgart, hoffte im Vorfeld auf mehr Widerstand, denkt aber schon an die Zukunft: „Um weitere Entlassungen, Sozialkürzungen und Verarmung zu stoppen, brauchen wir verschiedene Formen sozialen Ungehorsams, Demonstrationen und Streiks.“ Am 15. und 16. November wird wegen weiterer Aktivitäten und Aktionen nach Stuttgart eingeladen. Im Januar will das globalisierungskritische Netzwerk Attac ein Bankentribunal eröffnen.

Widerstand in Köln überschaubar


In Köln war der Protest überschaubar. Nur wenige beteiligten sich daran. Angesichts der Situation könnte man ironischer Weise sagen, dass es offensichtlich noch sehr viele gibt, die vom politischen Sado-Maso-Spiel des „Mehr vom Gescheiterten“ nicht genug bekommen können. Nach dem Philosophen Jean-Paul Sartre ist Masochismus, wenn der Mensch sich zum Objekt machen lässt, gedemütigt, verachtet oder vernachlässigt, was durch Hartz-IV und die einseitige Lastenverteilung in der Krise eigentlich klar geworden sein müsste. Ein Masochist versucht „ein lebloses Ding zu sein, und im selben Augenblick entledigt er sich seiner Verantwortung“, so Sartre. Der Protest in Köln hätte daher durchaus mehr Beteiligte finden können.


Noch mehr Polizei als Demonstranten

Indessen könnten die Krisenzeichen nicht deutlicher sein. Nach Angabe der OECD dürfte die „amtliche“ Arbeitslosigkeit im IV. Quartal 2010 bei rund fünf Millionen liegen. Claus Ludwig, Kölner Ratsmitglied für DIE.LINKE am Donnerstag vor der Kölner ARGE: „Der Chef von MAN hat gesagt, es gäbe ein Stillhalteabkommen für die Zeit bis zur Bundestagswahl. Das heißt, die bürgerlichen Parteien wollen keine Meldungen über Massenentlassungen, Lohnkürzungen und Sozialkürzungen. Ich kann euch leider versprechen: Danach ist die Zeit reif, für eine ganze Reihe solcher Maßnahmen.“ Vor allem würde – so Ludwig – die ganze Problematik erst mit dem Auslaufen der Kurzarbeit, dem Ende der Abwrackprämie und anderen staatlichen Stützungsmaßnahmen auftreten. „Die Industrie- und Handelskammer Köln teilte mit, dass schon jetzt viele Klein- und Mittelbetriebe in Köln nicht mehr zahlungsfähig sind.“ Inzwischen kreist in Köln und anderswo der Pleitegeier. Im Vergleich zum Juni 2008 haben die Pleiten bundesweit um 16 Prozent zugenommen.

Ein Ausschnitt des Videos Nr. 85 von Streik-TV der Gewerkschaft ver.di vom 23.09.09 zur Bundestagswahl mit einem Interview mit Prof. Dr. Butterwegge von der Universität Köln


 


Mit der Zunahme der Arbeitslosigkeit steigen auch die Probleme der Arbeitslosenversicherung. Die Gewerkschaft ver.di spricht von absurden Konsequenzen, wenn die Förderungen zur Beschäftigungsaufnahme aufgrund der Haushaltslage gestrichen werden. Die Folgen für unsere Altersversorgung: Je mehr Menschen in Hartz-IV fallen, umso niedriger fallen die Renten aus, weil auch nicht mehr privat angespart werden kann, und umso geringer die Einnahmen der Rentenversicherung mit erheblichen Folgen für die Gesamtwirtschaft. Bei der Krankenversicherung ist längst deutlich geworden, dass sich die Regierung von Angela Merkel nicht deutlich genug gegen die Kostensteigerungen vor allem bei den Heilmitteln und den Arzneikosten gegen Lobby und Pharmaindustrie durchsetzen konnte. Ver.di: „Soziale Sicherheit ist das höchste Gut in einem Sozialstaat. Deshalb sollte jeder und jede dafür eintreten, dass unsere Sozialversicherungssysteme durch die Folgen der Krise nicht in Mitleidenschaft gezogen werden. Das muss verhindert werden.“

Wahlkampfblasen statt Krisenmanagement

So sehen das die Veranstalter von „Wir zahlen nicht für eure Krise.“ Ihr Vorwurf richtet sich auch gegen die Mittel zur Bekämpfung der großen Wirtschaftskrise, in der durch die gegenwärtige Regierung auf Populismus gesetzt wird. Einer dieser Populismen: Die Folgen der fälschlicher Weise „Umweltprämie“ genannte Abwrackprämie werden erst im nächsten Jahr als Rückgang der Automobilverkäufe deutlich zu spüren sein. Ein weiterer: Die Bankenrettung.


Das „teuerste Ehepaar der deutschen Geschichte"

Während in „Geheimtreffen“ Banken den Steuersäckel um Milliarden erleichtern, um die selbstverursachten Löcher zu stopfen und faule Kredite zu bedienen, die die Steuerzahler gar nicht verursacht haben, bedienen sich beteiligte Manager des Supergaus völlig hemmungslos durch Aufstockung ihrer Boni. Das jetzt verabschiedete Gesetz zur Begrenzung der Boni stellt sich nun als stumpfes Schwert heraus.


Werner Rügemer, Business Crime Control 
Vor der Filiale der Deutschen Bank wies Dr. Werner Rügemer von Business Crime Control auf die Verursacher der Krise am Beispiel der IKB-Bank hin. Bei der hatten sich zehn Milliarden Euro Schulden durch den Kauf von amerikanischen Schrottpapieren aufgetürmt, die sie nicht zurückzahlen konnte. „Es war aber ein gewisser Herr Ackermann, der mit als erster wusste: die IKB geht Pleite.“ Es sei nämlich die Deutsche Bank gewesen, die der IKB die Schrottpapiere verkauft hatte, so Rügemer. Marktwirtschaftlich hätten die Banken ihre selbstverursachte Krise auch selbst regeln müssen. Doch die hatten in Angela Merkel mit ihrer Richtlinienkompetenz eine willige Helferin. Mit Bank-Chef Ackermann wurden beide für den Steuerzahler „das teuerste Ehepaar in der Geschichte Deutschlands“. „Nach diesem Muster verläuft die gesamte Bankenrettung in Deutschland“, so Rügemer.  

Da Europa durchweg bürgerlich-konservativ regiert wird, entschloss man sich auch beim EU-Krisen-Gipfel offenbar dafür, alles so weiterlaufen zu lassen, wie bisher. Detlev von Larcher vom globalisierungskritischen Netzwerk Attac: „Die europäischen Staats- und Regierungschefs wollen offenbar die Verursacher der Krise nicht zur Finanzierung der Kosten heranziehen. Sie haben keinen einzigen Vorschlag für Pittsburgh, der in diese Richtung geht. Damit bleiben die Kosten der Krise bei den Steuerzahlern und den Schwächsten der Gesellschaft. Die Erhöhung von Massensteuern und Kürzungen im Sozial- und Bildungsbereich rücken immer näher".

Statt dessen spricht Angela Merkel von „fairer Lastenverteilung“. Aus der Deutschen Wirtschaft werden bereits Stimmen laut, die Mehrwertsteuer auf 25 Prozent anzuheben. Den einzigen Vorschlag zur Bewältigung der Krise – so Attac – „die Zocker an den Kosten der Krise wenigstens zu beteiligen und die Dimensionen, in denen im globalen Casino hantiert wird, zu reduzieren, war der Vorschlag einer Finanztransaktionsteuer. Dass dieser schon nach einer Woche wieder aus dem Verkehr gezogen wird, macht deutlich, dass die Politik weiterhin vor Banken und Bossen einknickt. Der Vorstoß war eine reine Wahlkampfblase". Bereits Angela Merkels Einschränkung, sie wolle eine Finanzmarktsteuer „prüfen“, macht das Dilemma deutlich.

Bildungsnotstand und Kasernendisziplin in Hochschulen

Seit Mitte des Jahres weisen Aktionen und Demonstrationen von „Bildungsstreik 2009“ auf die desaströse Lage im Bildungsbereich hin. Inzwischen sei man in Deutschland offenbar davon abgerückt, entsprechend dem „Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte“ ein „ausreichend finanziell ausgestattetes, öffentliches Bildungssystem“ zu gewährleisten, das „sozial unbedrängtes, kooperatives und gemeinsames Lernen aus allen gesellschaftlichen Schichten“ ermöglicht.


Studenten im Bildungsstreik und...
Schon zur Verkündigung ihres Wahlprogramms 2005 hatten CDU/CSU geprotzt, bei der rot-grünen Vorgängerregierung höhere Ausgaben für Bildung „bisher im Bundesrat durch ihre Stimmenmehrheit erfolgreich verhindert“ zu haben. Nun haben wir den Salat! Inzwischen liegt Deutschland im Bildungssektor abgeschlagen hinter dem Durchschnitt der 30 wichtigsten Nationen zurück und ist längst zum Sanierungsfall geworden. Weniger für Bildung geben nur noch Irland, die Slowakei, Spanien und die Türkei aus. Während im Durchschnitt der OECD-Länder 13,3 Prozent des Haushalts für die Bildung ausgeben, sind es in Deutschland weniger als 10 Prozent. Die Anzahl der Studienbewerber liegt in Deutschland mit 34 Prozent abgeschlagen hinter dem OECD-Durchschnitt von 56 Prozent zurück. Verantwortlich dafür ist auch die Einführung der Studiengebühren, die finanziell Benachteiligten zunehmend die Aufnahme eines Studium erschweren. Besonders trifft es Arbeiterkinder und Kinder mit „Migrationshintergrund“. Nur 17 Prozent der Studienanfänger sind Kinder aus Arbeiterfamilien und 8 Prozent Einwandererkinder.


...beim Sparzwang: Bahntrampen
Fotos: arbeiterfotografie.com
Aber es ist nicht nur der finanzielle Kahlschlag. Peter Förster von „Junge Sozialisten Köln“: Die schwarzgelbe Landesregierung in NRW bemüht sich seit 2005 konsequent, Bildung ihres sozial-emanzipatorischen Anspruchs zu entledigen: Während die Bundeswehr an die Schulen geholt wird, wird am dreigliedrigen Schulsystem und damit an sozialer Selektion festgehalten, wurden die Drill- und Strafmaßnahmen durch den erhöhten Leistungsdruck im Zuge verkürzter Lernzeit und sogenannten Verhaltensnoten verschärft.“ An den Bildungseinrichtungen in NRW wären Kasernendisziplin und restriktive Bachelor-Lehrgänge im Sinne der Großkonzerne durchgesetzt worden. Trotz seiner Profilierungsbemühungen könne Ministerpräsident Rüttgers nicht mehr verschleiern, „wie sozialdarwinistisch und reaktionär diese Politik ist“, so Förster.  

Auch in der Berufsausbildung liegt es im Argen. Zu Beginn dieses Ausbildungsjahres fehlten in Deutschland rund 110.000 Ausbildungsplätze. Insgesamt wurden 406.000 Ausbildungsstellen gemeldet. In Ihrer Statistik für den Monat August weist die Bundesagentur für Arbeit über fünf Prozent weniger Ausbildungsstellen aus, als noch im Monat zuvor. Die Chancen sinken zunehmend, jungen Menschen mit einer qualifizierten Ausbildung Chancen für die Zukunft zu eröffnen. Teilweise über Jahre werden sie von einem „Praktikum“ ins nächste geschoben oder in Ein-Euro-Jobs gezwungen – mit teils verheerenden Ergebnissen für ihre soziale und persönliche Entwicklung. Keine guten Voraussetzungen für die Zukunft, sollte es so weitergehen. Und es sieht danach aus. (HDH)

Hier hören Sie die ganze Rede von Claus Ludwig.
 


Online-Flyer Nr. 216  vom 23.09.2009

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