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Medien
Leserbrief an den SPIEGEL zu einem Artikel über Mumia Abu-Jamal
Die Feuer der Höllen
Von Annette Schiffmann

“Die Feuer der Hölle“ hatte der SPIEGEL am 24. August eine zum Thema “Mythen“ von seiner Autorin Cordula Meyer verfasste dreiteilige Geschichte überschrieben. Ihr Vorspann: „Der als Polizistenmörder verurteilte schwarze Autor Mumia Abu-Jamal ist der berühmteste Todeskandidat der Welt. Linke verehren ihn, die Witwe Maureen Faulkner aber kämpft für ihre Wahrheit. Nun sieht es so aus, als würde sie gewinnen.“ Endlich! Die Hinrichtung ist ja lange genug immer wieder verschoben worden, meinen Maureen Faulkner, Autorin Meyer und ihre Auftraggeber. Dazu ein Leserbrief an die SPIEGEL-Redaktion, Titel: “Die Feuer der Höllen“, der dort leider nicht veröffentlicht wurde. - Die Redaktion

Mumia Abu Jamal 1995 – seit 1982 in der 
Todeszelle
Quelle: KAOS Film- und Video-Team
Maureen Faulkners Schmerz vor fast 28 Jahren muss unermesslich gewesen sein, als sie erfuhr, dass ihr Mann erschossen worden war. Daran gibt es nichts wegzureden. Was dieser Schmerz jedoch mit Wahrheitsfindung zu tun hat, leuchtet absolut nicht ein.
 
Cordula Meyer hätte für ihren langen Artikel im Spiegel viele Fragen stellen können. Zum Beispiel die, was Maureen Faulkner wohl bewogen hat, ihren Schmerz jahrzehntelang zu schüren und zu konservieren bis hin zum reinen Hass - statt, wie so viele andere Betroffene, Trost bei der Vereinigung „Families of Murder Victims“ zu suchen, die sich um inneren Frieden mit dem ihnen widerfahrenen Leid bemühen. Zum Beispiel die nach den Gründen für Maureen Faulkners fortwährende Zusammenarbeit mit der F.O.P. - der Bruderschaft der Polizei „Fraternal Order of Police“ - die ebenfalls seit Jahrzehnten eine gewaltverherrlichende und blutrünstige Vendetta gegen den mutmaßlichen Mörder ihres Kollegen führt.
 
Stattdessen benutzt die Journalistin den glühend heiß erhaltenen Schmerz der Witwe dazu, ihn gegen den Mann in der Todeszelle zu wenden. Als würde dieser Schmerz irgendwie beweisen, dass er schuldig ist. Je größer das Höllenfeuer der einen, desto größer die Schuld des anderen. Seltsam.
 
Cordula Meyer hätte viele Fragen stellen können. Zum Beispiel die nach den Gründen, die Amnesty International im Jahr 2000 bewogen haben, dem Verfahren, das zu Abu-Jamals Todesurteil geführt hat, einen eigenen Bericht zu widmen. Sie wäre bei ihren Nachforschungen unschwer auf den Direktor von AI Great Britain, Piers Bannister, gestoßen, der den Bericht mit großer Gründlichkeit und Sorgfalt erarbeitet hat.
 
Sie hätte die Frage danach stellen können, wer alles sich tatsächlich jemals durch die umfangreichen Prozessprotokolle gekämpft und deshalb Fundiertes dazu zu sagen hat und wäre schnell auf die Namen von Dave Lindorff und Michael Schiffmann gestoßen. Sie hätte die hyper-akribisch recherchierten Bücher der beiden - „Killing Time“ und „Wettlauf gegen den Tod“ lesen und viele Antworten und neue Fragen darin finden können.
 
Sie hätte sich dafür interessieren können, was es mit den oft zitierten zahlreichen neuen Beweisen für Abu-Jamals Unschuld auf sich hat und hätte in wenigen Tagen vielleicht weder Veronica Jones noch den Ballistikexperten König, zumindest aber den Hinweis auf die Fotos des Fotografen Pedro Polakoff aus Philadelphia gefunden, der damals als erster und einziger am Tatort fotografiert hat und dessen Bilder allesamt niemals Eingang in die Prozessakten fanden. Die dafür aber etliche Säulen der Anklage zum Einsturz bringen.
 
Sie hätte sich fragen können, was außer gefühlsduseliger Heldenverehrung, ideologischer Verblendung und intellektueller Einfaltspinselei so verschiedene Menschen wie Desmond Tutu, Noam Chomsky, Klaus Staeck oder Alice Walker dazu bewegt, sich unermüdlich für das Schicksal dieses Mannes einzusetzen und wäre dabei über Marc Evans wunderbar präzisen Film „In Prison My Whole Life“ gestolpert, der vor zwei Jahren in London Premiere hatte, zum Sundance Festival eingeladen war und den Preis des Filmfestivals in Genf bekommen hat.
 
Und schließlich hätte sie den Fall in den Kontext stellen können, der es überhaupt ermöglicht hat, dass er zu solchem „Ruhm“ aufgestiegen ist - die Todesstrafe und ihre Vollstreckung in den USA, das Gefängnissystem mit den meisten Gefangenen der Welt, die mittlerweile 200 Männer, die nachweislich unschuldig aus den Todestrakten dort entlassen werden mussten - zum Teil nach über 25 Jahren in der Hölle.
 
Vielleicht hat sie sich das alles ja gefragt. Vielleicht ist sie damit nicht durchgekommen in ihrem Magazin. Die einzigartige Chance jedenfalls, mit den finanziellen und zeitlichen Ressourcen von Deutschlands größtem Nachrichtenmagazin den Fakten dieses komplexen Falles auf den Grund zu gehen und damit etwas aufzuzeigen über ein monströses Justizsystem, ist vertan. Wie überaus bedauerlich. (PK)
 
Annette Schiffmann gehört zum bundesweiten Netzwerk gegen die Todesstrafe  Heidelberg – Kontakt: 0172-77 40 333 – anna.schiff@t-online.de, www.inprisonmywholelife.com
www.internationalpeaceandconflict.org/profile/AnnetteSchiffmann

 
In NRhZ 52 finden Sie den Dokumentarfilm "Hinter diesen Mauern – Mumia Abu-Jamal und der lange Kampf um Freiheit“, siehe http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=1732 .

Online-Flyer Nr. 213  vom 02.09.2009



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