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Aktueller Online-Flyer vom 19. April 2024  

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Sport
„Alb-Traum Gächingen“ – Stuttgarter organisieren internationales Fußballturnier
„Freedom thru Football“ – eine runde Sache
Von Johannes Heckmann

Unter dem Titel „Alb-Traum Gächingen“, aber vor traumhafter Naturkulisse fanden sich übers erste Augustwochenende mehr als 500 fußballbegeisterte Männer und Frauen aus halb Europa zu einem Turnier der ganz besonderen Art zusammen. So kämpferisch es manchmal auf dem Platz auch zugehen mochte, die Stimmung blieb stets freundschaftlich und familiär. Vielfach kennt man sich bereits seit 15, 20 Jahren und freut sich um so mehr auf das alljährliche Aufeinandertreffen. Kein Weg ist dafür zu weit. Neben englischen, belgischen, polnischen und deutschen Teams nahm sogar eins aus Litauen teil – Anreise 1.800 Kilometer!

camp Foto: Johannes Heckmann
Freitagabend: Das Camp füllt sich. Die Fans vom ICE Neckarstraße aus Stuttgart sind schon am Start | Alle Fotos: Johannes Heckmann

Auf dem Hügel am Rande des schwäbischen Dörfchens Gächingen, kamen sich die 16 Männer- und 8 Frauenteams samt Anhängern jedenfalls nicht nur auf dem Spielfeld näher. Nach getaner Fußarbeit wird üblicherweise verpflegt, analysiert und fachgesimpelt, ehe man dann noch bis in die frühen Morgenstunden tanzt und feiert. Die Nacht in Zelt, Wohnwagen und allerlei Gefährt „Marke Eigenbau“ wird eher kurz und nicht immer erholsam. Für nicht wenige ist die Veranstaltung gleichsam Sommerurlaub und absolutes Jahreshighlight. Auch Familien mit Kindern kommen voll auf ihre Kosten, gibt es doch ein umfangreiches Rahmenprogramm mit Kutschfahrten, Zauberern, Live-Musik und Kinderbetreuung.

Spiriti Recti – so will es die Legende – waren einst fußballbegeisterte Roadies und Veranstaltungstechniker aus unterschiedlichen Ländern, die bereits Anfang der 90er Jahre in England die ersten kleineren Turniere austrugen. Über die Jahre wuchs der Teilnehmerkreis an und wurde immer internationaler. Qualifiziert wird sich mittels Freundschaft und Sympathie. Aus der gemeinsamen Liebe zum Ball wurde ein so beständiges wie herausragendes Beispiel der Völkerverständigung – als wäre es die natürlichste Sache der Welt.

football unites
„Fuball verbindet – Rassismus spaltet"

Die meisten Teams sind Thekenmannschaften im wahrsten Sinne des Wortes, gegründet bei Bier und Punkrock. Zum Teil stammen sie aus der Zeit längst geschlossener Autonomer Zentren mit marxistischer, sozialistischer oder anarchistischer Ausrichtung. Die sagenumwobenen Gründungsmythen weisen mitunter bereits erhebliche Erinnerungslücken auf.

bierflagge
Ohne Worte...

Das deutsch-polnische Finale zwischen Boys Łęknica und Bad Muskau war sinnigerweise das Spiel zweier Nachbargemeinden, die links und rechts der politischen Oder-Neiße-Grenze liegen und historisch einst zusammengehörten. Wäre die Welt doch nur überall so friedfertig und grenzenlos wie in dieser Oase europäischer Eintracht. Sogar die „Städter“ vom Stuttgarter Veranstalterteam und die Gächinger „Landeier“, die vertrauensvoll ihr Vereinsgelände zu Verfügung stellten, lobten sich gegenseitig nur in den höchsten Tönen. Auch dies sei als interkultureller Dialog hervorgehoben, trennen diese Bevölkerungsgruppen doch manchmal ebenfalls Welten.
 
Sportlich sei noch nachgetragen, dass der Gastgeber – ganz wie die „Weltmeister der Herzen“ 2006 – den dritten Platz einnahm. Der nominell einzig „richtige“ Fußballverein – Kreisligist  SV Gächingen – war als Platzherr zwar auch mit von der Partie, konnte den Heimvorteil aber  nur bedingt nutzen, nur den zwölften Rang hätten vorher die wenigsten erwartet. Wenn aber nun Thekenfußballer eine Vereinsmannschaft übertrumpfen, spricht dies für die Klasse der Hobbykicker – oder gegen die der Amateure.

spielszene in gächingen
Der Arbeitersportverein (ASV) in Aktion gegen die Easton Cowboys (Bristol)

Nur Gewinner
 
Gewonnen haben aber am Ende alle, die ihre Leidenschaft miteinander teilen durften. Geteilte Fußballfreude ist nun einmal doppelte Freude. Während sich die einheimischen Gächinger über reichlich verkauften Kuchen freuten, durften sich die eifrigen Organisatoren aus Stuttgart über leere Bierfässer und das gelungene und kostendeckende Event freuen. Die Litauer konnten sich wiederum über eine volle Benzinkasse freuen, hatten sie doch eigens zur Finanzierung der Rückfahrt einen Souvenirstand eingerichtet.

feier in gächingen
Gewinner Bad Muskau | Alle Fotos: Johannes Heckmann

Gächingen, das quasi über Nacht internationale Berühmtheit erlangte, bleibt jedenfalls noch länger in aller Munde – nicht zuletzt des besten Kuchens in ganz Süddeutschland wegen.
           
Die kindliche Vorfreude bei Alt und Jung, sich nächstes Jahr im nordenglischen Leeds wiederzutreffen, ist jetzt schon groß. Als nächster Veranstalter lädt „Republica“, eine Mannschaft der ersten Stunde, ein, deren Philosophie „Freedom thru Football“ ist. Der schwäbische „Albtraum“ ist zu Ende, aber noch lange nicht ausgeträumt. Die Melodie „der Internationalen“ hallt vielen Fußballfreunden heute noch in den Köpfen wider. Fußball und Völkerverständigung erweisen sich einmal mehr als krisenresistent.
(CH)

Online-Flyer Nr. 209  vom 05.08.2009



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