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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Krieg und Frieden
Gegen öffentliche Bundeswehr-Gelöbnisse in Zeiten des Krieges
Wehrpflicht abschaffen!
Von Jürgen Rose

Drei Tage vor dem umstrittenen öffentlichen Bundeswehr-Gelöbnis in München am 30. Juli, an dem auch Horst Seehofer teilnahm, hatte das „Bündnis München gegen Krieg“ zu einer antimilitaristischen Kundgebung auf dem Marienplatz aufgerufen. Hauptredner der Veranstaltung unter dem Motto „Kein Werben fürs Sterben“ waren Jürgen Rose, Oberstleutnant der Bundeswehr und Aktivist des „Darmstädter Signal“, einer Vereinigung kritischer Soldaten und Offiziere, und Tobias Pflüger, ehemaliger EU-Abgeordneter und Vorstandsmitglied der “Informationsstelle Militarisierung“ (IMI). Hier die Rede von Jürgen Rose. – Die Redaktion


Oberstleutnant und Friedensaktivist – Jürgen Rose
Quelle: www.kommunisten.eu/
  
Es freut mich sehr, daß Sie heute hier so zahlreich erschienen sind, um für den Frieden auf der Welt und gegen die Aufführung überkommener Militärrituale im öffentlichen Raum zu demonstrieren. Sicherlich wird manch einer unter Ihnen sich fragen, was ein Soldat auf einer antimilitaristischen Kundgebung zu suchen hat, handelt es sich nach gängiger Vorstellung doch bei Soldaten um bloße Handwerker des Krieges. Und weiter: Darf denn einer, der üblicherweise als Staatsbürger in Uniform herumläuft, überhaupt so einfach in der Öffentlichkeit reden? Ja, das darf er, wenn er es als Staatsbürger ohne Uniform tut und deutlich macht, daß er nichts weiter als seine eigene, ganz private Auffassung vertritt – was ich hiermit tue.
 
In diesen Zeiten des Krieges, in denen deutsche Soldaten wieder töten und sterben, bedarf das Militär mehr noch als in Friedenszeiten gesellschaftlicher Akzeptanz sowie politischer Legitimation. Soldaten brauchen die enge Verbindung mit der Gesellschaft. Soldaten wollen geliebt werden dafür, daß sie bereit sind, Leben und Gesundheit hinzugeben für die Gemeinschaft. Wobei gewöhnlich gilt: je höher der Dienstgrad, desto größer das Liebesbedürfnis. Die Publizistin Cora Stephan spricht in ihrer Abhandlung über das „Handwerk des Krieges“ von der „Kommunion“ zwischen Kriegern und Volk. „Gerade in einer Demokratie“, so stellt sie fest, „erscheint es undenkbar, von Soldaten, gar noch Wehrpflichtigen, zu erwarten, daß sie ihr Leben riskieren, ohne daß sie sicher sein können, daß ihr »Opfer« der Gesellschaft auch etwas »wert« ist.“ 


Quelle: www.kommunisten.eu/
 
Genau diesem Zweck gilt ein Zeremoniell wie das hier auf dem Marienplatz geplante öffentliche Rekrutengelöbnis. Der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude hat Cora Stephan hundertprozentig bestätigt, als er die Gegner dieses Militäraufmarsches mit den Worten kritisierte, daß er es für „unfaßbar“ halte, „wenn die Stadt ausgerechnet … den jungen Männern, die vom Gesetz zum Dienst verpflichtet sind, ihre Ehrenbezeugung und Gastfreundschaft verweigern würde.“
 
OB Christian Ude - ein ewiggestriger Sozialdemokrat
 
Ich weiß nicht wie Sie, liebe Versammelte, dies sehen, aber erscheint es nicht vielmehr als unfaßbar, daß im 21. Jahrhundert einem führenden Sozialdemokraten der Wunsch eines Militärbefehlshabers anstandslos Befehl ist und daß jener Sozialdemokrat einer Institution, deren Befehls- und Gehorsamsstrukturen alles andere als demokratisch sind, artig den öffentlichen, demokratischen Raum zur Verfügung stellt, damit diese ihre anachronistischen Rituale zelebrieren kann? Aber wie wir alle wissen, hat es in der deutschen Sozialdemokratie ja lange Tradition, sich der Parole anwanzen, daß es in Zeiten des Krieges keine Parteien mehr gäbe, sondern nur noch Deutsche. Daß der Oberbürgermeister (und mein Parteigenosse) Ude dieser Fraktion der Ewiggestrigen anzugehören den Eindruck erweckt, vermag indes nicht weiter zu erstaunen. Denn in aller Öffentlichkeit strickt er unentwegt weiter an der Legende, Deutschland und seine Bundeswehr hätten sich an dem völkerrechtlichen Verbrechen des Angriffskrieges gegen den Irak und seine Menschen nicht beteiligt.
 
Im kürzlich fertiggestellten Bericht des Bundestagsuntersuchungsausschusses zur BND-Affäre steht zwar das Gegenteil – aber vermutlich ist unser rühriger OB noch nicht dazu gekommen, sich mit diesem Report zu befassen, denn er muß sich ja um „sein“ öffentliches Gelöbnis kümmern. Sonst wüßte er vielleicht, daß auch jenes Wehrbereichskommando, dessen Soldaten in wenigen Tages hier an dieser Stelle geloben sollen, der Bundesrepublik Deutschland treu und tapfer zu dienen, daß jenes Wehrbereichskommando der NATO-Führungsmacht USA bei der Vorbereitung und Durchführung ihres Raub- und Mordfeldzuges im Zweistromland unersetzliche Unterstützung geleistet hat. So haben Soldaten des Wehrbereichskommandos IV und der ihm unterstellten Verbände vor, während und nach dem Krieg Kasernen und Hauptquartiere der Aggressoren hierzulande bewacht. Und es waren eben gerade junge Wehrpflichtige, deren Vertrauen und Naivität hierfür bedenkenlos mißbraucht wurde.
 
Rekruten werden mißbraucht
 
Wie wichtig die Hilfe der Bundeswehr für den Irak-Krieg war, machte später US-Generalmajor Ricardo S. Sanchez deutlich: Die Unterstützung der Bundeswehr seit dem 24. Januar 2003, so der Kommandeur der 1. US-Panzerdivision, habe den US-Streitkräften die Möglichkeit gegeben, sich auf ihren Auftrag im Irak zu konzentrieren. Diese deutsche Beihilfe zum Völkerrechtsbruch kommentierte Dr. Peter Dreist, selbst Rechtsberater bei der Bundeswehr, mit den Worten: „Entgegen allen öffentlichen Äußerungen ist auch die Lage der Bundesrepublik während des III. Golf-Konflikts durchaus als heikel anzusehen: Sie kann insbesondere aufgrund der aktiven Unterstützung der Aufmarschbemühungen der USA und ihrer Verbündeten und der Erlaubnis für diese, die Militärflugplätze in Deutschland für den Aufmarsch und die Versorgung sowie die Durchführung der Kampfeinsätze als Landebasen zu nutzen, sowie aufgrund der Nicht-Inhaftierung zurückkehrender Soldaten der Verbündeten, die sich aktiv an Kampfhandlungen beteiligt hatten, aus völkerrechtlicher Sicht als Partei des Konflikts betrachtet werden …“.
 
Wehrpflicht entspricht nicht mehr dem Grundgesetz
 
Es muß dem ansonsten sehr geschätzten Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt demnach widersprochen werden, wenn er wie letztes Jahr in seiner Ansprache anläßlich des öffentlichen Gelöbnisses vor dem Reichstag in Berlin versprach, die Rekruten könnten sicher sein, daß dieser Staat sie nicht mißbrauchen würde – denn er hat sie ja bereits mißbraucht! Und er mißbraucht sie weiter, und zwar schon allein deshalb, weil der Fortbestand der Allgemeinen Wehrpflicht längst nicht mehr grundgesetzkonform ist. Immerhin handelt es sich bei der dem männlichen Bürger abverlangten Wehrpflicht, wie der kürzlich verstorbene Sir Ralf Dahrendorf formuliert hat um „regelrechte Zwangsarbeit“, allerdings in einer „überaus milden Form“. Deshalb hatte kein geringerer als der ehemalige Bundespräsident und Bundesverfassungsrichter Roman Herzog schon 1995 hier in München gemahnt: „Die Wehrpflicht ist ein so tiefer Einschnitt in die individuelle Freiheit des jungen Bürgers, daß ihn der demokratische Rechtsstaat nur fordern darf, wenn es die äußere Sicherheit des Staates wirklich gebietet. Sie ist also kein ewig gültiges Prinzip, sondern sie ist abhängig von der konkreten Sicherheitslage. Ihre Beibehaltung, Aussetzung oder Abschaffung und ebenso die Dauer des Grundwehrdienstes müssen sicherheitspolitisch begründet werden können.“
 
Uheilige Allianz in Politik und Bundeswehr
 
Genau dies ist heute der Fall: Die konkrete Sicherheitslage verlangt die Wehrpflicht nicht mehr. Das hat auch die Kommission „Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr“ unter Leitung des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker in ihrem Bericht vom Mai 2000 so gesehen, denn darin steht: „Eine Freiwilligen-Armee ohne Wehrpflichtkomponente ist in vollem Umfang operativ.“ Daher entspricht die Fortdauer der allgemeinen Wehrpflicht nicht mehr dem Grundgesetz. Doch vollkommen resistent gegen alle Kritik hält eine unheilige Allianz in Politik und Bundeswehr bis heute fanatisch an der Wehrpflicht fest. Einen der tieferen Gründe, warum dies so ist, lieferte im August vor zwei Jahren der Leiter des Politikressorts in der Hamburger Wochenzeitung DIE ZEIT. Dort leitartikelte der Autor Bernd Ulrich: „Wenn es aber stimmt, daß in Afghanistan das deutsche Vaterland verteidigt wird, warum schickt die Bundeswehr dort nur Freiwillige hin? Denn genau zu diesem Zweck wurde die Wehrpflicht ja mal eingeführt: damit das Vaterland verteidigt werden kann.“ Und so Ulrich weiter: „Wenn die Sicherheit dieses Landes im Prinzip überall auf der Erde verteidigt werden muß, wenn heute nicht absehbar ist, welchen Umfang diese Verteidigungspolitik haben wird, wenn also niemand weiß, wann wie viele Soldaten gebraucht werden, warum soll dann die Wehrpflicht abgeschafft werden?“
 
Mir scheint, daß hiermit der Nagel auf den Kopf getroffen wurde. Denn im Klartext heißt das doch: Wenn nicht mehr genügend freiwillige junge Männer und Frauen „dummstolz, ahnungslos, mit flatternden Idealen und einem in Landesfarben angestrichenen Brett vor dem Kopf, bereit sind, ihr Leben und ihre Person für einen solchen Quark, wie die nationalistischen Interessen eines Staates aufs Spiel zu setzen“, wie Tucholsky einst trefflich formulierte, dann wollen die Kriegslenker und Schlachtendirektoren auf zwangsverpflichtetes Menschenmaterial zurückgreifen können.
 
Kanonenfutter für den Hindukusch, darum geht es also. Nicht zuletzt deshalb sollten Demokraten, denen am Frieden und am Recht gelegen ist, gegen eine Politik aufstehen, die deutsche Soldaten weltweit in Globalisierungskriege schickt und, um hierfür Gefolgschaft zu erzeugen, den öffentlichen Raum für überkommenes Militärbrimborium mißbraucht. (PK)
 
Der Autor, der in diesem Beitrag seine persönlichen Auffassungen vertritt, ist seit 31 Jahren Soldat und Oberstleutnant der Bundeswehr. Trotzdem lehnt er das öffentliche Gelöbnis seiner Kameraden auf dem Marienplatz ab. Er selbst leistete seinen Eid in einer Kaserne in Pfullendorf am Bodensee. Aus Gewissensgründen weigerte sich der Berufssoldat, den Einsatz von Bundeswehr-Tornados in Afghanistan zu unterstützen. Er sollte den Treibstoffnachschub der Aufklärungsjets organisieren. Seine kritischen Ansichten dazu brachten ihm viel Ärger mit Vorgesetzten ein.


Online-Flyer Nr. 209  vom 05.08.2009

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