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Kultur und Wissen
Freundeskreis kämpft gegen vernichtete Geschichte
„Ziegenhals? – kenne ich nicht!“
Von Hans-Dieter Hey

Das werden die meisten sagen. Claus Schenk Graf von Stauffenberg dagegen kennen viele. Der Militarist hatte zunächst im Hitlerfaschismus Karriere gemacht, und sich – als das militärische Desaster abzusehen war  – 1944 maßgeblich am Attentat gegen Hitler beteiligt. In Ziegenhals bei Brandenburg hielt Ernst Thälmann – von Anfang an gegen Hitler – seine letzte berühmte Widerstandsrede, bevor er ermordet wurde. Weil er Kommunist war, behagt einigen vielleicht die bisherige Gedenkstätte nicht. Die wurde inzwischen mit gerichtlicher Hilfe privatisiert und soll jetzt abgerissen werden

Aus den Augen, aus dem Sinn

Im Februar 1932 holte der begnadete Redner und Arbeiterführer in Wuppertal 70.000 Menschen aus den Häusern, um gegen den Faschismus zu kämpfen: „Wir Kommunisten sagen nicht, wie die SPD, bleibt zu Hause. Wir sagen: Kampf den Faschisten! Ihr habt das Recht, eure Straßen, eure Wohnungen, eure Häuser und Familien gegen die braune Mordpest zu verteidigen!“ In anderen Städten waren die Erfolge ähnlich groß. Doch zum richtigen Widerstand hatten die Deutschen keine Kraft. Im Gegenteil: Die meisten trugen das System und die Verfolgung der Arbeiterbewegung mit. Thälmann hingegen bescheinigt der Historiker Hermann Weber später „eine besondere Standhaftigkeit in Hitlers Kerker“.


Ernst Thälmann 1932
Quelle: Wikipedia
Am 7. Februar 1933 warnte Thälmann das letzte Mal vor dem Hitlerfaschismus: „Es ist der Bourgeoisie ernst damit, die Partei und die ganze Avantgarde der Arbeiterklasse zu zerschmettern. Sie wird deshalb kein Mittel unversucht lassen, um dieses Ziel zu erreichen. Also nicht nur Vernichtung der letzten spärlichen Rechte der Arbeiter, nicht nur Parteiverbot, nicht nur faschistische Klassenjustiz, sondern alle Formen des faschistischen Terrors; darüber hinaus: Masseninternierung von Kommunisten in Konzentrationslagern, Lynchjustiz und Meuchelmorde an unseren tapferen antifaschistischen Kämpfern, insbesondere an kommunistischen Führern – das alles gehört mit zu den Waffen, deren sich die offene faschistische Diktatur uns gegenüber bedienen wird“, wird er in der Anklageschrift zitiert. Am 3. März 1933 – kurz vor den Reichstagswahlen – wurde Ernst Thälmann verhaftet. Weil Adolf Hitler eine 15jährige Gefängnisstrafe offenbar nicht ausreichte, wurde Thälmann auf dessen ausdrücklichen Befehl am 17. August 1944 durch die Schergen des Faschismus im KZ Buchenwald ermordet.


Ehemalige Gedenkstätte...
Auch der von Roland Freislers „Volksgerichtshof“ zum Tode verurteilte Freidenker Max Sievers, der Schriftsteller Erich Mühsam, die ermordeten Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht und andere Mutige gehörten zum politischen Widerstand gegen rechte Reaktion und Faschismus in Deutschland und sind gleichzeitig Bestandteil verdrängter Geschichte. Nun wird wohl auch Thälmanns Gedenkstätte bald vernichtet werden. Vier Tage mobilisierte der Freundeskreis der Ernst-Thälmann-Gedenkstätte e.V. Ziegenhals, um am 25. Juli erneut gegen den Abriss der für den deutschen Widerstand wichtigen Gedenkstätte zu protestieren. Bereits im Jahr 2005 gab es schwere Vorwürfe gegen die Bundesregierung und die Landesregierung von Brandenburg: beide hätten es „zugelassen, dass diese national und international bedeutende antifaschistische Gedenkstätte an eine Privatperson verkauft wurde“, zitierte die junge Welt bereits am 7. Februar 2005 den damaligen Vorsitzenden Horst Schmidt.

Freundeskreis weiter kampfbereit


...aus der Erinnerung vertilgt
Für den Freundeskreis der Gedenkstätte ist nicht nur die Privatisierung und der befürchtete Abriss ein historischer Skandal, sondern auch der Umgang mit dem historischem Material der Gedenkstätte. Für ihn sind die Vorgänge „eine handfeste Denkmalschändung“, so der Vorsitzende Max Renkl. Sein Vorwurf lautet, dass Teile des denkmalgeschützten Inventars inzwischen offenbar der Verrottung und dem dauerhaften Untergang ausgesetzt sind und er fragt: „Wer kommt für die Schäden auf? Wird der Eigentümer der Immobilie zur Rechenschaft gezogen, wenn sich herausstellt, dass etwas von der denkmalgeschützten Ausstellung kaputt gegangen ist? Und: Wo ist die Originalsäule aus dem Sitzungsraum? Wo sind die Dielen aus dem Gedenkzimmer? Wo ist der Unterstand des Bootes ‚Charlotte’?“ Max Renkl weiter: „Viele erinnern sich sicher noch daran, dass der derzeitige   Eigentümer der Gedenkstätte letztes Jahr versuchte, das Inventar für über 100.000 EUR an die Stadt KW  zu  verkaufen!“ Doch das habe der Eigentümer gar nicht von der Deutschen Treuhand erworben. Auch der Verbleib einer Ehrenmauer mit Stele und Gedenktafel interessiert den Verein, der Anspruch auf das historische Erbe erhebt, weil er sich 18 Jahre darum gekümmert hatte. Ohne sein Engagement wäre die historische Anlage längst im Orbit der Geschichtslosigkeit verschwunden. Nun tauche einige Gegenstände davon – irgendwie – an anderen Orten auf.
 
Offenbar scheint auch der Eigentümer Gerd Gröger – Ministerialrat im Brandenburgischen Ministerium für Infrastruktur und Raumordnung – die Probleme mit seinem Grundstück am schönen Krossinsee unterschätzt zu haben und steht nun im öffentlichen Interesse, weil ein ehemals gesellschaftlich genutztes historisches Kulturgut zu seinem privaten Zankapfel geworden ist. Merkwürdig für einige ist in dem Zusammenhang, dass genau in seinem Ministerium die Denkmalschutz-Richtlinie erstellt wurde, aber das ausgewiesene Denkmal der Gedenkstätte Ziegenhals 2004 zum Abriss freigegeben wurde. Deshalb kam es dem Bajuwaren äußerst ungelegen, in den Medien mit der leidigen Angelegenheit Erwähnung zu finden. Nach Auskunft eines Insiders hat Gröger bisher sämtliche Verfahren im Zusammenhang mit seiner öffentlichen Erwähnung verloren, weil die durch das Recht auf freie Meinungsäußerung abgedeckt waren. Ob Minister Reinhold Dellmann die ganze Angelegenheit angenehm ist, ist der Redaktion nicht bekannt.


Doch Widerstand bleibt
Fotos: arbeiterfotografie.com 


Wie das Neue Deutschland am 27. Juli berichtete, ist in letzter Zeit wohl Bewegung in die Sache gekommen. Es heißt, dass der Eigentümer sein Grundstück tauschen wollte. Auch von einem Ersatzgrundstück wird geredet. Doch der Freundeskreis weiß davon nichts. Für seine Mitglieder wäre es auch ein Skandal, wenn der Bendler-Block in Berlin, in dem Claus Schenk Graf von Stauffenbergs Widerstand gegen Hitler ein Ende hatte, privatisiert oder verlegt worden wäre. Doch vielleicht gehört die ganze Geschichte auch zur gegenwärtigen restlosen Vernichtung von DDR-Geschichte, was zurzeit leider in ist. Denn die DDR hatte die Gedenkstätte gepflegt und erhalten. Deshalb ist fraglich, ob sich der Freundeskreis mit einem Vorschlag zweiter Klasse einverstanden erklärt. Max Renkl: „Wenn die Bagger in Ziegenhals auffahren, sehen wir uns unverzüglich dort!“. (HDH)

Online-Flyer Nr. 208  vom 29.07.2009



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