NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 20. April 2024  

zurück  
Druckversion

Inland
Der Verfassungsschutz blamiert sich mal wieder so gut wie er kann
Ein V-Mann, den es gar nicht gibt
Von Wolf Wetzel

Ein V-Mann des hessischen Verfassungsschutzes will das Gespräch seines Lebens mitgehört haben. Der einzige Haken an der sensationellen Geschichte ist, dass es diesen „V-Mann 123“ gar nicht gibt... Nun müssen sich seine Auftraggeber am Mittwoch, 8. Juli, um 10.30 Uhr vor dem Berliner Verwaltungsgericht in einer mündlichen Verhandlung einigen Fragen stellen. Kläger Wolf Wetzel berichtet, wie es dazu kam. – Die Redaktion


Nur ein Schatten: „V-Mann 123“ | Bild: Wolf Wetzel
 
1998 wurden im Rahmen eines Ermittlungsverfahren wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (nach § 129a) vom Bundesamt für Verfassungsschutz/BfV Maßnahmen zu meiner Telefon- und Briefüberwachung beantragt. Ein solcher Eingriff erfolgt - der geltenden Rechtsprechung folgend - nicht aufgrund der politischen Einstellung, sondern durch Darlegung “tatsächlicher Anhaltspunkte“, was - immerhin - einem Wirklichkeitsgrad von plus/minus 50 Prozent entspricht.
 
In diesem Fall musste ein einziger  “tatsächlicher Anhaltspunkt“ reichen, der es dafür in sich hatte: Ein V-Mann des hessischen Verfassungsschutzes will just vor Beantragung des  erwähnten Eingriffs ein Gespräch zwischen mir und anderen Personen mitbekommen haben. Anschließend soll und will der V-Mann das Gespräch protokolliert haben. Von den durch Schwärzungen unkenntlich gemachten Passagen abgesehen gleicht es einer Lebensbeichte, die von schwerer Kindheit und einem Leben als Berufsrevolutionär bis hin zu geplanten Anschlägen reicht.
 
Nicht einmal ein Schatten seiner selbst
 
Vorsichtshalber legte das Bundesamt für Verfassungsschutz/BfV auch noch eine “Kurzbiografie“ über mein politisches Leben bei, das mit großer Akribie über 30 Jahre hinweg polizeiliche und geheimdienstliche “Erkenntnisse“ zusammenfasst. Dank besagter “Lebensbeichte“ und beigelegter Hintergrundsberichte wurde der Überwachungsantrag vom G-10-Ausschuss des Bundestages für drei Monate bewilligt.
 
Nach drei Monaten ohne Ergebnisse wurde eine Verlängerung beantragt. Dieses Mal diente als einziger “tatsächlicher Anhaltspunkt“ ein Telefonat zwischen mir und einem ebenfalls im Verdacht stehenden Mitglied der besagten terroristischen Vereinigung. Der Inhalt des Gesprächs ist geschwärzt worden. Offensichtlich ging der G-10-Auschuss tatsächlich davon aus, dass es sich um ein Telefonat zwischen “Terroristen“ handelte und verlängerte die G-10-Maßnahmen um weitere drei Monate. Auch diese drei Monate vergingen und ergaben nichts. Danach wurde keine weitere G-10-Maßnahme beantragt bzw. genehmigt. Das 129a-Verfahren wurde eingestellt.
 
Klage eingereicht
 
Trotz der selektiv zur Einsicht überlassenen Akten und der darin vorgenommenen Schwärzungen, die für gewöhnlich eine Überprüfung erschweren bzw. unmöglich machen, reichte ich Klage gegen die o.g. Maßnahmen ein.
 
Im Kern geht es darum, folgenden Nachweis zu führen: Der V-Mann, der makabrerweise auch noch “V-Mann 123“ heißt, existiert gar nicht. Er ist eine Erfindung, das Gespräch wurde nie geführt. Das abgehörte Telefonat, das die intensiven Beziehungen von Mitgliedern einer terroristischen Gruppe belegen soll, würde das Gegenteil beweisen, wenn der Inhalt nicht unterschlagen worden wäre. Die massiven Schwärzungen an entscheidenden Stellen und die vorenthaltenen Akten dienen nicht dem Schutz der Bundesrepublik Deutschland und deren V-Männer. Sie sollen die gezielte und vorsätzliche Manipulation vertuschen, mithilfe derer der G-10-Ausschuss mit frisierten und nicht vorhandenen “Beweisen“ getäuscht werden sollte.
 
Die politische Brisanz dieses Falles
 
In der Vergangenheit traten schon verschiedene “V-Männer“ auf, die gelogen haben bzw. zu Aussagen erpresst wurden. Meist konnte man dies nur nachweisen, nachdem diese “verbrannt“ waren, also ihre Identität nicht mehr verheimlicht werden konnte (wie im Fall des V-Mannes Klaus Steinmetz). In vielen anderen Fällen werden jedoch “Aussagen“ von V-Männern in ein Verfahren durch "Dritte“ (meist Staatsschutzbeamte mit beschränkter Aussageerlaubnis) eingeführt, was eine Überprüfung der Vorwürfe kaum noch möglich macht.
 
In diesem Fall geht es darum, nachzuweisen, dass es diesen “V-Mann 123“ gar nicht gibt, dass er eine aus welchen “Quellen“ auch immer vollgestopfte Fantasiegestalt ist.

Verständlicherweise werden sich viele zu Recht fragen, wie man die Nicht-Existenz eines V-Mannes nachweisen kann, wenn dessen “Identität“ von Geheimdiensten geschützt wird.

Es ist glücklichen Umständen zu verdanken, dass dies ausnahmsweise möglich ist. Ich möchte hier nur zwei Gründe nennen:
 
1. Auch der Verfassungsschutz macht Fehler: Trotz zahlreicher Schwärzungen wurde vergessen, die in einer Fußnote versteckten Namen unkenntlich zu machen, die für den Nachweis gezielter Manipulation von erheblicher Bedeutung sind.

2. Auch der Verfassungsschutz kann gelegentlich über seine eigene Maßlosigkeit stolpern. Die “Lebensbeichte“ ist so übertrieben-geschmacklos, dass man eine solche nicht einmal in einem schlechten James-Bond-Film durchgehen lassen würde.
 
Mündliche Verhandlung in Berlin
 
Stand der Dinge ist, dass das Verwaltungsgericht Berlin meiner Argumentation und der meines Anwalts und dem Verlangen, die geschwärzten und vorenthaltenden Unterlagen für das Hauptverfahren freizugeben, insoweit folgt, dass es für dem 8. Juli in Berlin eine mündliche Verhandlung anberaumt hat, um diese Fragen zu klären.
 
Im letzten Schreiben des Vizepäsidenten des Verwaltungsgerichtes vom 15.6.2009 an den Verfassungsschutz moniert dieser aufmerksam, dass selbst dem Gericht nur selektiv Akten zur Verfügung gestellt wurden, insbesondere Akten, aus denen die „Erforderlichkeit der Maßnahme“ hervorgehen könnte. Er fordert dazu auf, die „Übersendung des vollständigen Erstantrages“ zu veranlassen. Bis heute liegt dieser vollständige Erstantrag aber nicht vor.
 
Die mündliche Verhandlung zu den o.g. Streitfragen findet statt am Mittwoch, den 8. Juli 2009, 10.30 Uhr, Verwaltungsgericht Berlin, 1.Kammer, Kirchstraße 7, 10557 Berlin. (PK)
 
Wolf Wetzel war Autor der ehemaligen autonomen L.U.P.U.S.- Gruppe, die seit 1986 autonome Theorie mit praktischen Fragen des Alltags verband (Startbahnbewegung 1980-1991, Libertäre Tage in Frankfurt/M. 1986, Anti-Repressions-(Anna- und Arthur-)Kampagne 1987-1990, Anti-Golfkriegskampagne 1991, Bundestagsblockade gegen die Abschaffung des Asylrechts 1993, Aufruf zur Verhinderung des grünen Sonderparteitags zum Krieg gegen Jugoslawien 1999). Er hat zuletzt das Buch “Tödliche Schüsse - Eine dokumentarische Erzählung“ im Unrast-Verlag, Münster, veröffentlicht. ISBN-13: 978-3-89771-649-0, Ausstattung: br., 296 Seiten, Preis: 18 Euro.
Mehr unter http://wolfwetzel.wordpress.com/ 

Online-Flyer Nr. 204  vom 05.07.2009

Druckversion     



Startseite           nach oben

KÖLNER KLAGEMAUER


Für Frieden und Völkerverständigung
FOTOGALERIE