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Aktueller Online-Flyer vom 20. April 2024  

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Medien
Wie die WAZ eine bundesweite Medienkampagne gegen einen Linken auslöste
OB-Kandidatur in Duisburg verhindert
Von Peter Kleinert

„Die WAZ führt seit Monaten eine Kampagne gegen die Partei DIE LINKE, mit der man den Stil und die Skrupellosigkeit einer gewissen Boulevardpresse offenbar noch zu übertreffen sucht“, heißt es in einem Brief vom 14. Juni an deren Chefredakteur Ulrich Reitz. Hermann Dierkes, Vorsitzender der Ratsfraktion DIE LINKE Duisburg, wirft darin der WAZ vor, dass sie ihn in einer monatelangen Diffamierungskampagne „als antisemitische Unperson verunglimpft“ habe – „ein Vorgehen, das von zahlreichen Mitbürgerinnen und Mitbürgern und quer durch alle demokratischen Parteien als Rufmord beurteilt wird“. Auf eine Antwort von Reitz, bzw. auf die Veröffentlichung seiner Gegendarstellung wartet Hermann Dierkes noch immer.                                                                                                              

In die Schusslinie der WAZ geraten – 
Hermann Dierkes
Foto: privat
Behauptet hatte die WAZ im vorerst letzten Artikel ihrer vermutlich im Zusammenhang mit den Kommunalwahlen seit Februar anhaltenden Kampagne – die von anderen Medien wie der BILD-Zeitung und dem Deutschlandfunk dankbar aufgegriffen wurde – am 13. Juni: „Der OB-Kandidat der Duisburger LINKEN (...), Hermann Dierkes, musste wegen eines Boykottaufrufs gegen israelische Waren zurücktreten.“ Richtig sei, so Dierkes: „Mein Verzicht auf die OB-Kandidatur war ausschließlich meine eigene Entscheidung. Ich bin dazu von keinem Gremium der Partei DIE LINKE aufgefordert worden.“ Im Gegenteil: Der Geschäftsführende Parteivorstand habe ihn sogar gegen die WAZ-Diffamierungen in Schutz genommen, nachdem auch 34 GenossInnen in Berlin am 1. März zunächst, wie viele WAZ-LeserInnen, darauf reingefallen waren. Zitat aus einer Mitteilung des Parteivorstands: „Für den GfPV bestehen keine Zweifel an der moralischen und politischen Integrität des Genossen Hermann Dierkes und er wird diesen gegen Vorwürfe des Antisemitismus und des Rassismus verteidigen.“
 
WAZ: „Kauft nicht bei Juden“
 
Behauptet hatte die WAZ außerdem: „Jüdische Organisationen interpretierten das (den Boykottaufruf, PK.) als Wiederauflage des Nazi-Slogans „Kauft nicht bei Juden“. Tatsächlich habe die WAZ selbst „in Verfälschung meiner Aussagen genau diesen Zusammenhang hergestellt. Während Herr Graumann vom Zentralrat sich die WAZ-Verfälschung zu eigen gemacht hat, haben mich 717 jüdische Stimmen in einem Offenen Brief gegen den Antisemitismusvorwurf verteidigt und die Kritik an der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern für berechtigt erklärt.“


WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz 
Quelle: turi-2.blog.de
 
Da WAZ-Chefredakteur Reitz auch diesen Offenen Brief von 717 jüdischen Menschen aus aller Welt bisher offenbar nicht zur Kenntnis nehmen will, hier einige Zitate daraus, weil wir aus eigener Erfahrung wissen, dass die Herrschaften in den oberen Etagen der üblichen Medien NRhZ-Artikel nur allzu gerne lesen oder lesen lassen – wenn es hier mal wieder um eine Kritik ihrer Veröffentlichungen geht –, um darauf gegebenenfalls mit Einstweiligen Verfügungen oder Klagen zu reagieren. Zu den 717 Unterzeichnern des Solidaritätsschreibens gehören u.a. so renommierte Persönlichkeiten wie die Frauenrechtlerin Prof. Judith Butler (USA), der Linguist Prof. Noam Chomsky (USA), der Politikwissenschaftler Norman G. Finkelstein (USA), die globalisierungskritische Autorin Naomi Klein (Kanada), der Historiker Zvi Ben-Dor (New York/Paris), die Anwältin und Menschenrechtlerin Felicia Langer (Deutschland), der Gewerkschaftspublizist Jakob Moneta (Deutschland), die Schriftstellerin Tikva Honig-Parnass (Israel) und der politische Aktivist und Autor Michael Warschawski (Israel).
 
Antwort von 717 Juden an die WAZ
 
„Wir haben mit Bestürzung von den Anschuldigungen gegen den Gewerkschafter und Vertreter der Partei DIE LINKE, Hermann Dierkes, aus der deutschen Stadt Duisburg erfahren. Dierkes hatte im Zusammenhang mit dem jüngsten Angriff auf Gaza die Meinung vertreten, dass eine Maßnahme, den Palästinensern zu Gerechtigkeit zu verhelfen darin bestehen könne, dem Aufruf des Weltsozialforums zu folgen und den Boykott israelischer Produkte zu unterstützen. Auf diese Weise solle Druck auf die israelische Regierung ausgeübt werden.
 
Dierkes war infolgedessen von vielen Seiten auf ätzende Weise des Antisemitismus bezichtigt und beschuldigt worden, einer Wiederholung der Nazipolitik der dreißiger Jahre…das Wort zu reden. Dierkes entgegnete darauf „Die Forderungen des Weltsozialforums haben nichts gemein mit rassistischen Nazikampagnen gegen Juden, sondern zielen allein darauf ab, dass die israelische Regierungspolitik zur Unterdrückung der Palästinenser aufhört.“
 
Niemand hatte Dierkes je des Antisemitismus bezichtigt. Erst wegen der Unterstützung des Boykotts warf man ihm „reinen Antisemitismus“ vor (Dieter Graumann, Vizepräsident des Zentralrats der Juden); seine Äußerungen wurden mit „Massenerschießungen an einem ukrainischen Waldrand“ in Zusammenhang gebracht (so der Kommentator der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, Achim Beer); er betreibe „Nazipropaganda“ (Hendrik Wüst, Generalsekretär der CDU NRW).
 
Wir UnterzeichnerInnen haben unterschiedliche Ansichten darüber, ob ein Aufruf zum Boykott israelischer Produkte angeraten und wirksam ist. Einige von uns sind davon überzeugt, dass eine solche Maßnahme ein wesentlicher Bestandteil einer Kampagne zum Boykott, zum Desinvestment und zu Sanktionen ist, die die vier Jahrzehnte lange israelische Besatzung beenden kann; andere halten es für einen besseren Weg, die israelische Regierung durch einen gezielten Boykott unter Druck zu setzen, der sich gegen Institutionen und Konzerne richtet, die die Besatzung unterstützen. Alle von uns stimmen jedoch darin überein, dass es wesentlich ist, Druck auf die israelische Regierung auszuüben, um einen gerechten Frieden in Nahost herbeizuführen und wir stimmen auch darin überein, dass der Aufruf zum Boykott Israels nichts gemein hat mit dem Aufruf der Nazis „Kauft nicht bei Juden“
 
Die Gewalt im Nahen Osten hat in der Tat bereits zu antisemitischen Aktivitäten in Europa geführt. So gab es z.B. in Rom einen Aufruf, jüdische Geschäfte zu boykottieren, der zu Recht allgemein verurteilt wurde. Auch wir lehnen einen derartigen blinden Fanatismus ab. Die Verbrechen Israels können nicht den Juden insgesamt angelastet werden. Andersherum darf ein Boykott Israels nicht mit einem Boykott gegen die Juden insgesamt gleichgesetzt werden.
 
Die wachsende Islamophobie und Fremdenfeindlichkeit ist indessen eine weitere und besorgniserregende Form des Rassismus in Europa. Sie richtet sich gegen die MigrantInnen aus muslimischen Ländern. Dierkes steht seit Langem in vorderster Front, um die Rechte der MigrantInnen zu verteidigen, während einige von denen, die sämtliche Kritiker Israels des Antisemitismus beschuldigen, genau wie der israelische Staat und seine Regierung selber bei dieser Art von Rassismus mitwirken.
 
Der Holocaust war eines der schrecklichsten Ereignisse der modernen Geschichte. Allerdings darf diese humanitäre Katastrophe nicht als Knüppel benutzt werden, um Kritik an der menschenrechtswidrigen Unterdrückung der Palästinenser mundtot zu machen. Wir empfinden das als eine Entehrung der Opfer des Holocausts.“
 
Hermann Dierkes, der vor Jahren einer der ersten Förderer der Aktion ”Stolpersteine” des Kölner Bildhauers Gunter Demnig war, die inzwischen in ganz Europa an Nazi-Opfer erinnert, hatte seinen Hinweis auf den Boykottaufruf der sozialen Bewegungen beim Weltsozialforum von Belém am 18. Februar im Rahmen eines persönlichen Diskussionsbeitrags in einer Veranstaltung des Duisburg-Hamborner Ortsverbands der LINKEN zum Thema „Palästinensische Realität heute – Wege zu einem gerechten Frieden in Nahost und nach der Aufführung des Films “Die Eiserne Mauer“ des palästinensischen Filmemachers M. Alatar vorgetragen. Die anschließende Rufmordkampagne gegen ihn und gegen die Partei DIE LINKE hatte – nach einem telefonischen Kurzinterview mit ihm am 23. Februar – der WAZ-Journalist Christian Balke mit einem verfälschenden Artikel in Gang gebracht. Eine Stellungnahme und Richtigstellung Dierkes wurde damals ebenso wenig veröffentlicht wie nun seine aktuelle Gegendarstellung zu dem jüngsten Artikel von WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz. Hermann Dierke hat sich deshalb inzwischen vorsichtshalber mit einer Beschwerde an den Deutschen Presserat gewandt, dessen Beschwerdeausschuss die WAZ in seiner nächsten Sitzung zwingen könnte, diese doch noch zu veröffentlichen.
 
Die von der WAZ ausgelöste bundesweite Diffamierungswelle hat Hermann Dierkes, der sich als knapp 60jähriger nach 30 Jahren Arbeit in der Stahlindustrie in Altersteilzeit befindet, in eine schwere psychische Krise gestürzt und ihn dazu veranlasst, seine OB-Kandidatur in Duisburg zurückzuziehen – wie er sagt, „auch deshalb, um meine nächsten Angehörigen und MitarbeiterInnen buchstäblich aus der Schusslinie zu nehmen“. Nun unterstützt er die OB-Kandidatur seiner Ratskollegin Brigitte Diesterhöft für die Wahlen am 30. August. (PK)

Weitere Informationen unter www.linksfraktion-duisburg.de und   http://www.hermann-dierkes.de/ 

Online-Flyer Nr. 203  vom 24.06.2009

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