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Lokales
Einige Bemerkungen zur Podiumsdiskussion „Mülheim plant"
Die Plünderung Mülheims
Von Heinz Weinhausen

Der Veranstaltungssaal der Volkshochschule Mülheim war voll. Mehr als hundert Besucher wollten am 17. Juni hören und diskutieren, welche Vorschläge von Projekten zur Neugestaltung der Industriebrache "Alter Güterbahnhof" beim Advocacy Planning entstanden sind und wie Politiker und Verwaltung dazu stehen. Bürgerinnen und Bürger stellen ihre Pläne dazu seit zwölf Jahren vor.

Architekt Christian Schaller erläutert das          
Advocacy Planning
Die Architekten Kai Büder und Christian Schaller stellten das Konzept des Advocacy Planning und die Projekte vor, vom Baurecyclinghof bis zu Internationalen Gärten, vom Deutsch-Türkischen Bazar bis zum Gründerzentrum. Frau Neisis, Frau Kuchitzki und Ali Demir als Vertreter von drei Planungen gaben konkrete Auskunft über ihre Vorstellungen. Politiker von CDU, FDP, SPD, der Grünen und der Linken befürworteten das außerordentliche Engagement von Bürgerinnen und Bürger. Während Horst Thelen von den Grünen bei den Realisierungsmöglichkeiten Schwarz sah, hielten sich andere bedeckt, während Jörg Detjen von der LINKEN Lokale Ökonomie und diesbezügliche Schritte von Rat und Verwaltung einforderte. Herr von Wolff vom Stadtplanungsamt machte den Stellenwert von Bürgerbeteiligung in Köln deutlich. Fazit seiner Ausführungen: Die Stadt lenkt, der Bürger darf nur denken. Mehr als das Tüpfelchen auf dem i ist nicht drin. Wie aber ordnet sich die Diskussion um Besiedelung der Industriebrache "Alter Güterbahnhof“ und der Nicht-Bereitstellung von städtischen Geldern historisch ein. Dazu einige Bemerkungen.
 

Ali Demir will mit dem Deutsch-Türkischen     
Bazar sofort 300 Arbeits- und 
Ausbildungsplätze schaffen
Dreimal in der Geschichte wurde Mülheim abgebrochen, das erste Mal von den Kölnern mit Hilfe kaiserlicher spanischer Truppen im Jahre 1610. 1944 erledigten Bomber der Royal Air Force die Arbeit. In den achtziger Jahren brachen die verarbeitenden Industrien weg. Hundert Jahre hat Köln an den Mülheimer Industrien, wie an den ganzen Industrien im Rechtsrheinischen fett verdient. Hier saßen u.a. mit F&G die größten Kölner Arbeitgeber, zu denen Köln ohne eigene Anstrengung gekommen war, nämlich durch das Geschenk der Eingemeindung seitens des preußischen Staates. Seither hat Köln selbst in Mülheim keinen Pfennig investiert.
 
Bildung und Schäl-Sick?
 
Neue Industrie, wie die Automobil- und die chemische Industrie, wurden im Linksrheinischen angesiedelt, Zukunftsinvestitonen, die heute immer wichtiger werden, wie Bildung und Kultur, wurden ohnehin nur im Kranz um die City errichtet: es gibt im ganzen Rechtsrheinischen kein einziges Museum (im linksrheinischen Köln zwölf hochwertige internationale Einrichtungen), und von 17 Kölner Hochschulen ist eine einzige im Rechtsrheinischen, die Fachhochschule Deutz. Und die muss nun ins Linksrheinische, erstens mal, damit der Adenauer Enkel und IHK-Vorsitzende Bauwens-Adenauer mal eben zehn Millionen verdient, und außerdem weil Bildung und Schäl-Sick, das geht irgendwie nicht zusammen.
 
Die Plünderung des Rechtsrheinischen und insbesondere Mülheims lässt sich wohl nur mit kolonialen Raubzügen vergleichen, wie der Plünderung Indiens durch die Briten und der Plünderung Indonesiens durch unsere wackeren niederländischen Nachbarn. Klar ist dann auch, dass, wenn die Party vorbei ist, kein Geld zurückfließt. Seit Mülheims Industrien daniederliegen, muss der Stadtteil selber sehen, wo er bleibt. Wie der einstmals britische Gazastreifen lebt Mülheim heute von auswärtigen und ausländischen Hilfen.
 

Journalist Jürgen Keimer moderiert am Podium durch die Veranstaltung
So wurde die Stadtsanierung der 80iger Jahre vom Land finanziert – von 189 Millionen öffentlicher Aufwendungen kamen nur 18,9 Millionen aus Köln, also deutlich weniger, als durch die Steuereinnahmen durch die Sanierungsarbeiten inzwischen gewonnen wurde. Bei „Mülheim 2020“, dem kommenden 40-Millionenprogramm für „benachteiligte Stadtteile“ aus dem EU-Strukturfonds, wird die Stadt Köln noch krasser abkassieren. Gaza und das Jordanland lassen grüßen – aus Brüssel.
 
Immerhin, so erklärte Grünen-Ratsherr Horst Thelen frohgemut, nachdem er auf städtische Investitionen von 45 Millionen für Nippes verwiesen hatte (30 für das Clouth-Gelände, 15 für die Rennbahn), habe der Rat dem Programm „Soziale Stadt Mülheim 2020“ zugestimmt! (Etwa so, wie die Knesset sich rühmt, der EU-Hilfe für die besetzten Gebiete zugestimmt zu haben). 
 

Gabi Schönau von der Initiative „nachbarschaft-
köln-mülheim-nord" fordert Bürgerbeteiligung     
Quelle aller Fotos: Institut für Neue Arbeit
Es ist für die Leser so sicher schon deutlich geworden, wie mit „Mülheim plant!“ umgegangen wurde und wird: Bürgerinnen und Bürger stellen ihre Pläne vor (jetzt seit 12 Jahren!), die Verwaltung nimmt sie zur Kenntnis und erklärt, erstens, außer einer Straße noch nichts geplant zu haben (seit 12 Jahren) und zweitens, die Bürger auch in Zukunft nicht beteiligen zu wollen. Und das, nachdem die EU-Gelder bereits für konkrete Projekte wie u.a. den Baurecyclinghof bereit stehen!
 
Der Grundstückseigentümer Aurelis beschwert sich natürlich, dass da „fremde“ Leute ungefragt auf seinem Grundstück planen, und verweist im übrigen auf die Stadt, die noch keinen Bebauungsplan entwickelt habe. Währenddessen nehmen Arbeitslosigkeit, Bildungsdefizit und Perspektivlosigkeit im Stadtteil immer mehr zu. Weitere Infos zu „Mülheim plant!“ und zur Nicht-Planung von aurelis unter www.wiwateg.org. (PK)


Online-Flyer Nr. 203  vom 24.06.2009



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