SUCHE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Druckversion
Literatur
Aus „An Deutschland gedacht“ – Lyrik zur Lage der Nation
bei murat
Von Stan Lafleur
bei murat
ich erinner mich an dich
du warst sexy hinterm glas
unbaendig & devot als ich
bei murat doener kebap asz
dein kuehles haar strich durch den wind
wahrscheinlich eher umgekehrt
du trugst im arm ein kleines kind
mein sein war grad granatbeschwert
es lief so tuerkische folklore
fuer mich hoerte sichs tragisch an
ich sasz & asz auf der empore
& fragte mich: wer ist der mann?
das glas war klar & sehr banal
du schwammst auffer andern seite
paar raki linderten die qual
der stadtverkehr ging in die breite
ein einfall & es waer geschehen
zb dasz ich rosen klaute
ich werd dich niemals wiedersehen
weil ich stattdessen doener kaute
der raki gab nen trueben schein
ich glotzte bloed & nickte stumm
dumpf trumpften plastikukeleien
im quirlen grill-aquarium
ich trank noch ein paar raki mehr
den rest hab ich vergessen
uh girl, ich liebe dich so sehr
ich werd nie wieder doener essen
„bei murat“ entstand in den frühen 90ern. Es kam aus einem Flow. Beim Schlendern über rheinischen Asfalt überraschten mich die anfliegenden Verse, etwas ungeübt kescherte ich sie mit meinem literarischen Gedächtnis, suchte und fang zügig Gelegenheit, sie aufzuzeichnen und nahm im Nachhinein wenige Veränderungen (wie etwa die Ergänzung des fehlenden Titels) vor. Keins meiner Gedichte hat seither mehr Rückmeldungen erhalten. Kurz nach dem ersten Abdruck erzählte mir ein Student aus Heidelberg, die Zeile „mein sein war grad granatbeschwert“ sei in die alltäglichen Grußformeln einiger Kommilitonen eingeflossen; dieser Ritus dürfte sich mittlerweile hoffentlich überlebt haben.
Ein aufgekratzter Kritikus schalt den Autor ob des Gedichts mit aller ihm zur Verfügung stehenden Bosheit als „Udo Lindenberg für das studierte neue Jahrtausend“. Es häuften sich Folgepublikationen: eine rein dem Dönerimbiß gewidmete Website bescherte dem Text erstmals begeisterte Resonanz und Ermutigungen des Autors aus einer Bevölkerungsgruppe, die damals noch kurz und bündig Deutschtürken genannt wurde.
Stan Lafleur
Beim Niederlegen der Zeilen war ich selbst ergriffen gewesen von der für unsere Lyrikgeschichte bis dato eher ungewöhnlichen Mischung aus herkömmlich-deutschem, aber mit der zeitgenössischen Umgangsharke beackerten Reimschema und dem perfide in Alltagsniederungen angelegten Sujet der doch so hohen Minne. Die Dönerbude als türkische Massenenklave war seinerzeit aus der heimatlichen Dichtung noch völlig ausgespart, dabei besaß sie bereits seit vielen Jahren ihr wunderbares Potential als exotischer Schauplatz und – in Deutschland sonst eher seltene – informelle Begegnunsstätte beider Völker: der Stamm- als auch der Migrantennation.
Der Text ist einfach und griffig, auch als Lied läßt er sich leicht vorstellen, was zur ein oder anderen Vertonung geführt hat. Natürlich habe ich „bei murat“ so oft vorgetragen, bis es mir zeitweise zum Halse heraushing. Die Wahrnehmungen dabei waren sehr unterschiedlich: während das Kabarett-Publikum bisweilen bereits vor der ersten Zeile auf seine per Eintrittskarte legitimierten Lacher lauerte, sackte das klassische Lyrikpublikum gern gewohnheitsgemäß in seinen Stühlen zusammen, daß mans bis auf die Bühne denken hörte.
Ich will damit keineswegs behaupten, daß ein Gedicht, nur weil sich die Geister daran scheiden, schon ein haltbares sein muß. Was mich aber zuversichtlich stimmt, daß für „bei murat“ das Verfallsdatum noch ein Weilchen aussteht, sind Reaktionen aus der nachrückenden Generation. In schulischen Lyrikworkshops entstehen immer wieder Murat-Raps und Antwortgedichte, Anfragen wie „Herr Lafleur, würden Sie vor unsere Klasse kommen, dann könnten wir uns dissen“ sprechen von einem lebendigen Dialog-Verständnis - als ob Lyrik außer Schwärmerei auch anderes bewirken könnte.
(GW)
Online-Flyer Nr. 202 vom 17.06.2009
Druckversion
Literatur
Aus „An Deutschland gedacht“ – Lyrik zur Lage der Nation
bei murat
Von Stan Lafleur
bei murat
ich erinner mich an dich
du warst sexy hinterm glas
unbaendig & devot als ich
bei murat doener kebap asz
dein kuehles haar strich durch den wind
wahrscheinlich eher umgekehrt
du trugst im arm ein kleines kind
mein sein war grad granatbeschwert
es lief so tuerkische folklore
fuer mich hoerte sichs tragisch an
ich sasz & asz auf der empore
& fragte mich: wer ist der mann?
das glas war klar & sehr banal
du schwammst auffer andern seite
paar raki linderten die qual
der stadtverkehr ging in die breite
ein einfall & es waer geschehen
zb dasz ich rosen klaute
ich werd dich niemals wiedersehen
weil ich stattdessen doener kaute
der raki gab nen trueben schein
ich glotzte bloed & nickte stumm
dumpf trumpften plastikukeleien
im quirlen grill-aquarium
ich trank noch ein paar raki mehr
den rest hab ich vergessen
uh girl, ich liebe dich so sehr
ich werd nie wieder doener essen
„bei murat“ entstand in den frühen 90ern. Es kam aus einem Flow. Beim Schlendern über rheinischen Asfalt überraschten mich die anfliegenden Verse, etwas ungeübt kescherte ich sie mit meinem literarischen Gedächtnis, suchte und fang zügig Gelegenheit, sie aufzuzeichnen und nahm im Nachhinein wenige Veränderungen (wie etwa die Ergänzung des fehlenden Titels) vor. Keins meiner Gedichte hat seither mehr Rückmeldungen erhalten. Kurz nach dem ersten Abdruck erzählte mir ein Student aus Heidelberg, die Zeile „mein sein war grad granatbeschwert“ sei in die alltäglichen Grußformeln einiger Kommilitonen eingeflossen; dieser Ritus dürfte sich mittlerweile hoffentlich überlebt haben.
Ein aufgekratzter Kritikus schalt den Autor ob des Gedichts mit aller ihm zur Verfügung stehenden Bosheit als „Udo Lindenberg für das studierte neue Jahrtausend“. Es häuften sich Folgepublikationen: eine rein dem Dönerimbiß gewidmete Website bescherte dem Text erstmals begeisterte Resonanz und Ermutigungen des Autors aus einer Bevölkerungsgruppe, die damals noch kurz und bündig Deutschtürken genannt wurde.
Stan Lafleur
Der Text ist einfach und griffig, auch als Lied läßt er sich leicht vorstellen, was zur ein oder anderen Vertonung geführt hat. Natürlich habe ich „bei murat“ so oft vorgetragen, bis es mir zeitweise zum Halse heraushing. Die Wahrnehmungen dabei waren sehr unterschiedlich: während das Kabarett-Publikum bisweilen bereits vor der ersten Zeile auf seine per Eintrittskarte legitimierten Lacher lauerte, sackte das klassische Lyrikpublikum gern gewohnheitsgemäß in seinen Stühlen zusammen, daß mans bis auf die Bühne denken hörte.
Ich will damit keineswegs behaupten, daß ein Gedicht, nur weil sich die Geister daran scheiden, schon ein haltbares sein muß. Was mich aber zuversichtlich stimmt, daß für „bei murat“ das Verfallsdatum noch ein Weilchen aussteht, sind Reaktionen aus der nachrückenden Generation. In schulischen Lyrikworkshops entstehen immer wieder Murat-Raps und Antwortgedichte, Anfragen wie „Herr Lafleur, würden Sie vor unsere Klasse kommen, dann könnten wir uns dissen“ sprechen von einem lebendigen Dialog-Verständnis - als ob Lyrik außer Schwärmerei auch anderes bewirken könnte.
(GW)
Online-Flyer Nr. 202 vom 17.06.2009
Druckversion
NEWS
KÖLNER KLAGEMAUER
FILMCLIP
FOTOGALERIE