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Globales
Umfangreiche Demonstrationen in Georgien – Rücktritt Saakaschwilis gefordert
Wackelige Marionettenregierung
Von Temur Pipia und Christian Heinrici

Am 9. April 1989 hatte die Armee der Sowjetunion versucht, eine Kundgebung im Herzen von Tiflis niederzuschlagen, was zu einem Ausgangspunkt einer „Befreiungsbewegung“ wurde, die die gesamte östliche Hemisphäre ergriff – von Washington offen und von Moskau verdeckt unterstützt. Genau 20 Jahre später kam es in der georgischen Hauptstadt erneut zu ausgedehnten Demonstrationen: diesmal gegen eine Marionettenregierung des Westens, die die Kaukasusrepublik unlängst in einen Krieg gestürzt hatte.

Bereits im Vorfeld waren die Straßen nach Tiflis gesperrt worden. Die Polizei verwehrte Einwohnern aus dem Umland den Zugang zu der Millionenstadt. Vor Beginn der Protestaktionen hatten viele Oppositionelle per Brief eine Warnung vom Innenministerium erhalten, nicht an den Demonstrationen teilzunehmen. Die Bevölkerung dagegen war „nur“ mündlich eingeschüchtert worden, und sogar die US-Botschaft hatte ihre Bürger aufgefordert, „aus Sicherheitsgründen“ den Kundgebungen fernzubleiben. Ungeachtet dessen füllten am 9. April über einhunderttausend Demonstranten die Straßen von Tiflis und forderten den Rücktritt des Präsidenten Saakaschwili.

Saakaschwili und George W. Bush auf „Freiheitsplatz“ Tiflis Foto: Eric Draper
„Das ist unser Mann in Tiflis!“ – George W. Bush und Saakaschwili auf dem „Freiheitsplatz“ in Tiflis | Foto: Eric Draper

Dieser hatte die Armee in erhöhte Kampfbereitschaft versetzt und zusätzliches Militär in die Hauptstadt verlegt. Sämtliche Regierungsgebäude, einschließlich des Parlaments und der Residenz der Präsidenten, sowie das Gebäude des Staatsfernsehens wurden von Kampfeinheiten besetzt. Man stünde ausschließlich bereit, um einen Sturm auf die Regierungsgebäude zu verhindern, hieß es im Verteidigungsministerium. Demonstranten berichteten jedoch, es sei seitens der „Ordnungskräfte“ zu zahlreichen Provokationen, Übergriffen und Festnahmen unzähliger Jugendlicher gekommen.

Auf Grund des Drucks von der Straße hatte die Regierung den Demonstrierenden Platz im staatlichen Fernsehen eingeräumt, um auch die Bevölkerung in den weiterentfernten Regionen des Landes zu informieren. Doch zur fraglichen Sendezeit war plötzlich der Strom ausgefallen. Nichtsdestotrotz fanden sich zwischen 150.000 bis 200.000 Menschen vor dem Parlament und in den umliegenden Straßen ein.

Die wohl grundlegendste Forderung des breiten Oppositionsbündnisses war der Rücktritt Saakaschwilis. Außerdem sollen Neuwahlen ausgerufen und das Wahlgesetz geändert werden. Man wirft dem Präsidenten vor, den Krieg in Südossetien provoziert zu haben. Eine Lösung des Konflikts ist seit August 2008 in weite Ferne gerückt. Vor dem Hintergrund der katastrophalen sozialen Lage hat das militärische Desaster letztes Jahr die politischen Krise in Georgien noch beschleunigt.

Auf einer Welle der Unzufriedenheit war Saakaschwili 2003 auf nicht verfassungskonforme Art und mit Unterstützung prowestlicher Kräfte an die Macht gekommen. Einige Personen wurden ausgewechselt, aber das Regime blieb. Es gab keine Veränderungen in der Innen- und Außenpolitik. Vielmehr wurde seit diesem Zeitpunkt die Integration Georgiens in die Strukturen der Nato energischer denn je fortgesetzt. Die Militarisierung des Landes beschleunigte sich, die Beziehungen zur Russland verschlechterten sich zusehends.

Baku Tiflis Ceyhan Pipeline Grafik: Devil m25
Die Baku-Tiflis-Ceyhan Pipeline: Das schwarze Gold an Russlands Flanke will beschützt sein... | (Ausschnitt) Grafik: Devil m25

Im August letzten Jahres gab die politische Führung der Kaukasusrepublik Russland Anlass zur Besetzung von Gebieten, die zur der ehemaligen Sowjetrepublik Georgien gehörten. Unmittelbar nach der Auflösung der UdSSR hatten sich Südossetien und Abchasien von Georgien getrennt. Der abenteuerliche Versuch Saakaschwilis, „die konstitutionelle Ordnung auf militärischem Wege wieder herzustellen“, hatte sich zur Tragödie gewandelt.

Parnterschaft für den Frieden? – Von georgische Militär zerstörtes Haus in Tskhinwali Foto: Russavia
Partnerschaft für den Frieden?! Durch georgisches Militär zerstörtes Haus in Tskhinwali, Südossetien | Foto: Russavia

Das Ergebnis dieses Abenteuers bescherte allein Georgien über 100.000 „neue“ Flüchtlinge, 12 niedergebrannte georgische Dörfer in Südossetien, hunderte gefallene Soldaten und Tote unter den friedlichen Bewohner, die faktische Anerkennung zweier separate
r Republiken und den Verlust von Territorien, die an Abchasien und Südossetien grenzen. Russland hat seitdem das Recht Militärbasen hinter dem Kaukasusgebirge zu errichten.

Und Georgien gerät zunehmend in die Isolation. Saakaschwilis einzig sichtbare Reaktion auf die prekäre Nachkriegssituation hatte aus einer Anzahl von „Wirtschaftsprojekten“ bestanden, die durch fragwürdiges ausländisches Kapital finanziert werden sollten.

Saakaschwili vor Pepsi-Cola Reklame Einweihung einer Brausefabrik 2004

Symptomatisch für „Wirtschaftsprogramm“: Glücklicher Saakaschwili weiht US-amerikanische Brausefabrik in Tiflis ein (2004)

Stattdessen ist wohl eher eine Reform der Demokratie Georgiens dringend notwendig: Die Opposition fordert eine Verfassungsänderung, eine Reform der Gerichtsbarkeit, eine Beschneidung der „sehr weit reichenden Vollmachten“ des Präsidenten und eine dringende Reform dessen, was in Georgien unter „innerer Sicherheit“ verstanden wird. Allein zwischen 2003 und 2004 hatten sich über 550 Menschen über die von ihnen erlittene Folter in georgischen Gefängnissen beschwert. Seit ihrem Angriff auf die „abtrünnige Provinz“ Südossetien lässt die georgische Regierung russische Internetseiten blockieren, angeblich um die Bevölkerung vor „Propaganda“ zu schützen.

Doch die sehr breite Opposition, die sich Anfang April auf den Straßen von Tiflis versammelte, ist nicht etwa „pro-russisch“ gesinnt. Wichtige Vertreter des Bündnisses hatten 2003 aktiv an der sogenannten „Rosenrevolution“ teilgenommen. Jedoch favorisiert man gegenüber Russland einen gemäßigteren Kurs und steht der Integration in die NATO sehr skeptisch gegenüber. Und offenbar sind viele Georgier mit ihrer Geduld am Ende: Gegenüber einer „offensichtlich nationalistischen, gegen die Menschen gerichteten Diktatur“, die ihnen „der Westen, und allen voran die USA, seit 2003 aufgedrängt hat“, wie es in Oppositionskreisen hieß. (CH)


Der Bericht von Temur Pipia wurde unmittelbar nach den Demonstrationen am 11. April in Tiflis im Original auf Russisch verfasst und von Hannelore Tölke übersetzt und bearbeitet.






Online-Flyer Nr. 194  vom 22.04.2009

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