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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Inland
Kriegsgeschäfte der Familie Schaeffler aus den frühen 40er Jahren
Vom Ursprung deutschen Reichtums – Teil III
Von Hans Georg

Berichte über ein NS-Lager im ehemaligen deutschen Katscher (heute Kietrz/Südpolen) liefern neue Erkenntnisse über die NS-Vergangenheit der Schaeffler Gruppe. Wie aus den Berichten hervorgeht, bediente sich die damalige Schaeffler AG in den letzten Kriegsjahren der Arbeitskraft von Gefangenen, die im "Polenlager Nr. 92" in Katscher interniert waren.

Maria-Elisabeth Schaeffler - auch 
Mitglied im Universitätsrat Erlangen
Quelle: Universität Erlangen
In "Polenlagern" wurden vor allem Menschen festgehalten, die den Behörden wegen passiven oder aktiven Widerstands gegen die deutschen NS-Besatzer bekannt waren. Dabei wurden auch sechsjährige Kinder von ihren Eltern getrennt und in Katscher interniert. Überlebende des "Polenlagers", die in der Schaeffler AG Zwangsarbeit leisten mussten, berichten, dort sei "auch Menschenhaar verarbeitet" worden. Dies deckt sich mit Erkenntnissen polnischer Wissenschaftler, denen zufolge Menschenhaar aus dem Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau in Katscher verwertet wurde. Die Auseinandersetzung um eventuelle Geschäftskontakte der Schaeffler AG zum Lager Auschwitz findet weiterhin fast gänzlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
 
Die NS-Vergangenheit der Schaeffler Gruppe, die ihre Gründung offiziell immer noch auf das Jahr 1946 datiert [1], ist mittlerweile in Umrissen bekannt. Demnach übernahm Wilhelm Schaeffler 1940 im damals schlesischen Katscher eine Textilfabrik, deren jüdischer Vorbesitzer im Jahr 1933 hatte fliehen müssen. Schaeffler stieg bald in die Rüstungsproduktion ein und verdiente Geld mit der Produktion für die Wehrmacht und den deutschen Vernichtungskrieg in Osteuropa. Dies wird inzwischen von niemandem mehr bezweifelt. Umstritten ist immer noch die Frage, ob Schaeffler Geschäftskontakte zum Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau unterhielt. Hinweise darauf hatten german-foreign-policy.com und die NRhZ im Februar veröffentlicht.[2]
 
Polenlager
 
Neue Details ergeben sich aus Berichten über das "Polenlager", das die NS-Machthaber damals in Katscher unterhielten. Bei den "Polenlagern" handelte es sich generell um Lager, die nur im ehemaligen Schlesien errichtet wurden. In ihnen wurden Personen interniert, die die deutschen Behörden als "unzuverlässig" einstuften - weil sie nach dem Ersten Weltkrieg für die Zugehörigkeit Schlesiens zu Polen eingetreten waren, weil sie sich als Antifaschisten einen Namen gemacht hatten oder weil sie es ablehnten, sich durch Eintragung in die "deutsche Volksliste" zum "Deutschtum" zu bekennen. Die meisten "Polenlager" befanden sich an der Südgrenze des damaligen Oberschlesien. Die Haftbedingungen in den "Polenlagern" galten als außerordentlich hart, die Gefangenen wurden gewöhnlich zu Zwangsarbeit herangezogen.
 
200 Kinder
 
Ein solches "Polenlager" wurde im August 1942 auch in Katscher errichtet. Das Verzeichnis des "Polenlagers Nr. 92" liste allein für den Zeitraum vom August 1942 bis zum April 1944 1.762 Internierte auf, erklärt die Journalistin Grażyna Gintner, die die NS-Hintergründe der Schaeffler Gruppe untersucht hat, im Gespräch mit dieser Redaktion. Demnach wurden in Katscher auch Kinder festgehalten. Frau Gintner zufolge wurden etwa im Rahmen einer Repressionsmaßnahme im August 1943 ("Aktion Oderberg") zahlreiche Familien festgenommen und getrennt; die Deutschen verschleppten die Eltern in Konzentrationslager und deportierten ihre rund 200 Kinder in ein Lager in Pogrzebien.[3] Von dort aus wurden sie in andere Lager verschoben - darunter das "Polenlager Nr. 92" in Katscher. Dorthin gelangte auch die damals sechsjährige Józefa Posch-Kotyrba, die überlebte und kürzlich geschildert hat, wie Jugendliche und Erwachsene aus dem Lager in der großen Fabrik in Katscher - der Schaeffler AG - Zwangsarbeit leisten mussten.
 
Menschenhaar
 
Etwas später, im Februar 1943, wurde die damals 20-jährige Halina Stanko in das "Polenlager" in Katscher verschleppt - mit der Reichsbahn.[4] Zunächst wurden ihre Eltern zur Arbeit bei Schaeffler gezwungen, ab dem Sommer 1944 musste auch Halina Stanko in die Fabrik. Gemeinsam "mit Dutzenden anderer Häftlinge" und "unter bewaffneter Begleitung" deutscher Bewacher sei sie an jedem Morgen in die Firma verbracht worden, berichtete sie dem SPIEGEL.[5] Frau Stanko erinnert sich an einen gesonderten Eingang zur Teppich- und Garnproduktion: "Wir haben damals gehört, dass dort Menschenhaar verarbeitet worden ist." Dass bei Schaeffler Menschenhaar verwertet worden sei, haben in Kietrz manche in Erinnerung. Eine Anwohnerin der Fabrik etwa berichtet, ihr Schwiegervater sei nach dem Krieg zum Betriebsleiter der Textilfirma ernannt worden. 1946 habe er in einem Magazin Haarballen entdeckt. Es sei Menschenhaar gewesen.[6]
 
Zu Garn verarbeitet
 
Dem entspricht der Bericht des ehemaligen Technischen Leiters der Schaeffler'schen Textilfabrik. Im Mai 1946 sagte Heinrich Linkwitz vor der Staatsanwaltschaft in Gliwice aus, 1943 seien zwei Eisenbahnwaggons mit Menschenhaaren in Katscher angekommen - Ladegewicht: jeweils 1,5 Tonnen. Man habe bei Schaeffler die Haare zu Garn verarbeitet. Wie Linkwitz schilderte, konnte man sie jedoch bis Kriegsende nicht in vollem Umfang verwerten.[7]
 
Herausgeschnitten
 
Warum es womöglich schwierig sein wird, über Zeugenaussagen und Indizien hinaus einen Sachbeweis für die mutmaßlichen Geschäftsverbindungen der Schaefflers nach Auschwitz zu finden, lässt eine Beobachtung der Journalistin Grażyna Gintner erahnen. Wie Frau Gintner dieser Redaktion berichtet, konnte sie im Archiv der polnischen Stadt Opole Einsicht in Firmenakten der Schaeffler AG nehmen, musste jedoch feststellen, dass über die in Frage stehende Zeit nichts zu lesen war - alle entsprechenden Seiten waren säuberlich aus dem Band herausgeschnitten worden.[8] Angesichts der immer zahlreicher werdenden Belege für Kontakte zum Vernichtungslager Auschwitz nimmt allerdings mittlerweile sogar der Historiker Gregor Schöllgen, der im Auftrag der Unternehmerfamilie der heutigen Chefin Maria-Elisabeth Schaeffler die Firmengeschichte untersucht hat, seine dezidierte Leugnung solcher Hinweise zurück. Nach den Erkenntnissen seiner polnischen Kollegen "gibt es eine Spur nach Katscher, und es spricht einiges dafür, dass sie zur Schaeffler-Fabrik führt", räumt Schöllgen ein.[9] Dennoch findet die Auseinandersetzung um die Herkunft der Haare, die in Block 4 im ehemaligen Lager Auschwitz-Birkenau zu sehen sind, weiterhin fast vollständig unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Eine Stellungnahme der Schaeffler Gruppe, die über reines Abstreiten jeglicher Kontakte hinausginge, liegt bis heute nicht vor. (PK)
 
[1] Unternehmensgeschichte; www.ina.de
[2] s. dazu die ersten beiden Teile über die Schaeffler-Gruppe in NRhZ 182 und 188
[3] s. dazu Polenlager
[4] s. auch unser EXTRA-Dossier Elftausend Kinder
[5], [6], [7] Spur nach Auschwitz?; Der Spiegel 12/2009
[8] s. dazu Polenlager
[9] Spur nach Auschwitz?; Der Spiegel 12/2009
 
Das gfp-Interview mit Grażyna Gintner finden Sie unter: www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57509

Online-Flyer Nr. 192  vom 08.04.2009



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