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Aktueller Online-Flyer vom 19. April 2024  

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Lokales
Protest und Polizei beim "Frühjahrsempfang der Caritas"
Nicht auf dem Menüplan: Arme schlucken
Von Hans-Detlev v. Kirchbach

„In den Mittelpunkt des Frühjahrsempfangs der Caritas stellen wir in diesem Jahr die Menschen am Rande... Es sind Betroffene von Armut, auch diese Menschen brauchen Ihr Wort und brauchen Ihre Stimme, wir bitten diese Menschen aber auch, den Rahmen dieser geschlossenen Gesell– dieser Veranstaltung zu wahren ..." So wohlgesetzt, wenn auch am Rande eines vieldeutigen Versprechers, kann man auch ungeladene Arme begrüßen, wenn man nicht selbst zu den Armen, sondern eher zu den Wohlgesetzten gehört.

Genau diese waren denn auch zur Caritas-Veranstaltung unter dem Titel „Armut hat viele Gesichter" am letzten Freitag ins Domforum eingeladen. Keine ausdrückliche Einladung hingegen war jenen beschieden worden, die mit der im Tagungsmotto beschworenen Armut gesegnet sind. Einige von denen verschafften sich freilich doch Zutritt in den Festraum, vorbei an eher hilfloser Security, während außen vor dem Domforum andere, statt der mildtätigen Caritas geziemende Dankbarkeit zu bekunden, mit Plakaten und Transparenten sowie Parolenrufen Kritik an der als „heuchlerisch" attackierten Veranstaltung übten. Ein Ungeladener geigte allerdings auch der erlauchten Festversammlung die Meinung: „Armut gibt es, weil es Reichtum gibt", rief er aus, und geißelte die „perverse Sozialordnung", die Mieten hochtreibe und Wohnraum vernichte, die „Geld für Krieg übrig hat und für die Armen Almosen". Das ließen die versammelten Mitverantwortlichen für solche Zustände aus „Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Kirche" wie ein Gewitter über sich ergehen. Man muss doch schon mal den einen oder anderen Armen schlucken, wenn man ein Menü zugunsten der Armen veranstaltet.



„Wir müssen draußen bleiben!"

Armut macht reich
 
„Armut hat viele Gesichter". Angesichts der Gala-Veranstaltung kursierten im Vorfeld allerdings unter kritischen Beobachtern schon einige zuspitzende Bonmots, insbesondere: „Armut hat reiche Facetten". Die protestierenden KEAS – Kölner Erwerbslose in Aktion – hatten vor dem Domforum auf dem Pflaster ein Transparent ausgelegt: „Verarmungspolitik hat viele Gesichter." Und einige davon waren wie in einer Bildergalerie darum gruppiert – erkennbar u.a. Merkel, Münte, Ackermann – sowie als spezifisches Kölner Gesicht der

...herzlich begrüßt...
Verarmungspolitik: ARGE-Chef Müller-Starmann. Der gleichzeitig auch als Ehrengast der Caritas-Veranstaltung „herzlich begrüßt" wurde. Hier wäre auch die Parole angemessen gewesen: „Verarmungspolitik hat reiche Gesichter". Resultiert doch, siehe oben, der Reichtum der einen aus der Armut der anderen. Dafür muss man zunächst noch nicht einmal die Einsicht gewärtig haben, die unter dem Stichwort „Mehrwert" seit Karl Marx zur Standardbildung gehören sollte: Der Kapitalprofit kommt wesentlich dadurch zustande, dass die Arbeitenden nur einen Bruchteil dessen erhalten, was sie mit ihrer Arbeit erwirtschaften. Im Zusammenhang mit den „Gesichtern der Verarmungspolitik" reicht erst einmal die Tatsache aus, dass ein ganzes Heer von Gutachtern, Universitätsinstituten, Politikberatern sowie die Armutsbürokratie und nicht zuletzt eine aufgeblähte „Sozialindustrie" wie
Arbeiterwohlfahrt, Diakonie und eben Caritas kräftig daran verdienen, dass sie die Verarmung weiter Bevölkerungskreise konzeptionell planen, politisch vorantreiben und schließlich von der Ausnutzung niedrigstbezahlter Arbeitskraft profitieren.

Millionenprofite mit 1 Euro
 
Genau das ist es, was Kritiker der Caritas – und natürlich auch deren evangelischem Pendant, der Diakonie – vorwerfen: Entscheidend mit die Durchsetzung der „Hartz"-Konzepte vorangetrieben zu haben und heute, so die Erwerbslosen-Initiative KEA, „im Beschäftigungssektor der sogenannten Ein-Euro-JobberInnen als Gigant" zu firmieren. Wobei sie weniger mit Liebe als mit Ausnutzung der „Nächsten" weitaus mehr Geld einnehmen dürfte als einst die „Händler und Wechsler" im Tempel zu Jerusalem.

Caritas: Doppelstrategie christlicher Nächstenliebe

So war nun die Selbstfeier der Caritas durch die Protestkulisse außerhalb des Domforums und die Anwesenheit einer gewissen „kritischen Masse" innerhalb desselben leicht getrübt, die festliche Stimmung konnte auf weihevolle Höhen nicht so recht steigen. Doch hatte es zunächst den Anschein, als wollte die veranstaltende Caritas die KritikerInnen in gewissen Grenzen wohl gewähren lassen, da es doch die Armen waren, die zu ihr gefunden hatten. So schienen denn die offizielle Veranstaltung und die kritische Gegenvorstellung in einer Art Burgfrieden abzulaufen. Es trafen ja auch nicht unbedingt nur restlos verfeindete Parteien aufeinander. Auch in KEA-Kreisen wird durchaus die Basisarbeit anerkannt, die – ihrerseits auch nicht eben opulent bezahlte – MitarbeiterInnen der Caritas „direkt am Menschen" leisten, wie es so schön heißt. Die Kritik richtet sich vor allem gegen die Spitze der Caritas – und übrigens auch der Diakonie. Denn diese kirchlich getragenen Großeinrichtungen, die sich ihre Krankenhäuser und Senioreneinrichtungen übrigens zu fast 100 Prozent aus öffentlichen Steuergeldern und nicht nur aus der Kirchensteuer finanzieren lassen, betreiben ein interessantes, von manchen erbosten Kritikern freilich als perfide angesehenes, Doppelspiel.
 

Es geht auch ohne, wie man sieht
Einerseits werfen sie sich in die Robe des berufenen Anwalts der Armen, andererseits aber fördern gerade Caritas und Diakonie die sogenannte Prekarisierung von Arbeitsbedingungen, indem z.B. sie in ihren Kliniken und Pflegeheimen Vollzeitarbeitsplätze, Tarifbeschäftigung, durch Ein-Euro-Kräfte ersetzen. Zu Lasten übrigens nicht nur des Lohngefüges, das durch solche Fluchtbewegung aus halbwegs regulären Tarifen insgesamt nach unten gedrückt wird, sondern auch zu Lasten der PatientInnen, SeniorInnen und Pflegebedürftigen. Wie ja überhaupt das berüchtigte kirchliche Arbeitsrecht, gründend auf der Ideologie vom „Gotteslohn" und „Gottes-Dienst" stets schon als frommer Pfahl gottgefälliger Aushebelung im brüchigen Gefüge gewerkschaftlich erkämpfter säkularer Arbeits- und Tarifbedingungen gewirkt hat - zu Lasten der Beschäftigten, dem Kapital hingegen zu Nutz und Frommen.

Diese Zwiegesichtigkeit namentlich der Caritas musste den Protest einfach provozieren. Bürgerlich-gutmenschliche Selbstzufriedenheit konnte sich mithin nicht ungehemmt entfalten. Der drohenden Selbstbeweihräucherung der Mildtätigen standen nun einmal Präsenz und Protest echter Armer ernüchternd entgegen.
 
Nun bleiben die kritikbedürftigen Aspekte der „Konzernpolitik" von Caritas manch nachdenklicherem Caritas-Mitarbeiter durchaus nicht verborgen, wie Gespräche am Rande von Feier und Protest zeigten. Sowohl der Beitrag von Caritas, zusammen mit Diakonie, Paritätischem Wohlfahrtsverband und leider auch dem DGB „Hartz durchgewunken" zu Haben, als auch deren Etablierung als „Ein-Euro-Riese" sei zu Recht zu kritisieren, räumte ein jüngerer Caritas-Funktionär gegenüber dem NRhZ-Autor ein. Allerdings solle man „nicht die mühevolle Basisarbeit der vielen Engagierten geringschätzen".

Empfang des Frühlings: Grün schlägt aus
 
Auf dieser Grundlage hätte es sicher kontroverse, aber konfrontationsfreie Diskussionen geben können. Der Keim der sich ausbreitenden Nachdenklichkeit wurde aber erstickt, ehe er hätte richtig aufblühen können. Denn plötzlich passierte das, was hierzulande namentlich in Zeiten verschärfter sozialer Auseinandersetzungen notorisch passiert, sobald eine „kritische Masse", die schon bei einer Person beginnen kann, die erlauchten Kreise offizieller Repräsentanz zu stören wagt: Es wurde grün, polizeigrün, vor dem Domforum.


Kein Caritas ohne Armut

Der Versuch einer eifrigen Berufskatholikin, die „Bildergalerie" mit den „Gesichtern der Verarmungspolitik" in Eigeninitiative entfernen zu wollen, war noch mit Verweis auf Meinungs- und Demonstrationsfreiheit im „öffentlichen Raum" als private Anmaßung polizeilicher Hoheitsfunktionen erfolgreich abgewiesen worden. Doch auf einmal fing ein, so die Aussage von Beobachtern, „auf Krawall gebürsteter" Polizeibeamter an, eine ältere Kundgebungsteilnehmerin herumzuschubsen, wobei er mit Anzeichen eher unsouveräner Aufgeregtheit seinen Kollegen zurief, er werde gerade „angegriffen". Was außer ihm selbst allerdings kein unabhängiger Beobachter feststellen konnte. Gleichzeitig noch klopften einige DemonstrantInnen von außen an die Fensterscheiben. Nach dem Motto: Siehe, hier draußen sind die Armen! Ob das nun eine besonders gelungene Aktion war, mag dahinstehen; sicher fühlte sich ein Teil des gutbürgerlichen Publikums im Domforum durch derart etikettenwidriges Verhalten inkommodiert. Eine szenische Lesung, so hinterher ein Mitarbeiter des Veranstalters zum Autor, sei durch das Gepoche gestört worden, und man habe, mit Bedauern, so sei zu betonen, dann doch die Polizei rufen müssen. Allerdings, so meinte ein älterer Passant, hätten „wir damals" – gemeint war natürlich: 68 – „nicht höflich geklopft, sondern wir wären reingegangen".

Agent provocateur im "Räuberzivil"

Schließlich, aber nicht zuletzt, das dritte der fast zeitgleichen „Quellereignisse" für die dann folgende Eskalation. Es tritt auf, so eine Passantin, „Höppedötzchen" von nicht 1,70 m Größe, Typ Student im höheren Semester, Baseballkäppi, Brille, flaumartiges Kinnbärtchen. Unser „Student" schien sich, wie ein interessierter Passant, zunächst mit einem Kundgebungsteilnehmer jenseits der 50 friedlich zu unterhalten. Dann plötzlich griff er den sein Grundrecht der Versammlungsfreiheit wahrnehmenden Bürger unvermittelt gewalttätig an, schubste und prügelte ihn. Gegenüber anderen, die dem Angegriffenen zu Hilfe kamen, behauptete der Rempler dann, er sei von seinem Opfer angegriffen worden. Erst auf dringliche Befragung ließ er sich dazu herab, sich als „Polizeibeamter" auszuweisen. Aus seinem Räuberzivil fuchtelte er einen Ausweis der sogenannten „Bundespolizei" hervor.
 
Diese Einrichtung war früher auch eher unrühmlich als „Bundesgrenzschutz" ruchbar, eine einst kasernierte, paramilitärische Polizeitruppe, die sich immer wieder durch brachiale Einsätze gegen Demonstrationen „auszeichnete". Von irgendeinem „Einsatzauftrag", der den zivil verkleideten Bundespolizei-Rempler formal legitimiert hätte, vor Ort gegen verfassungsmäßig versammelte BürgerInnen gewaltsam vorzugehen, war freilich keinerlei Rede. Er sei, behauptete der staatsangestellte Haudrauf, „zufälligerweise vorbeigekommen". Ihm passten offensichtlich rein persönlich Inhalt und Richtung der Kundgebung nicht. Wenn wir denn die von Beobachtern aufgestellte Hypothese, gerade bei diesem Vorgang könne es sich um eine eingefädelte und vorausgeplante Provokation gehandelt haben, als vorerst nicht beweisbar zurückstellen wollen.

Kleiner Exkurs: Bundespolizei statt Gameshooter

Leider ist es durch die Gesetzgebung der Herren Schily und Schäuble im Sinne einer zentralistischen „Verpolizeistaatlichung" mittlerweile ein in Paragraphen gegossener Übelstand, dass der ehemalige, noch auf Grenzabschnitte und Bahnhöfe beschränkte „Bundesgrenzschutz" nun als „Bundespolizei" überall einsatzfähig und einsatzberechtigt ist.

Man wird allerdings auch in diesem Fall überprüfen müssen, ob Mitarbeiter der Bundespolizei inzwischen auch von oben her schon so weitgehend bestärkt und ermächtigt werden, sich auch ohne formalen Einsatzauftrag, aus rein persönlicher Willkür, je nach Lust und Laune, an Bürgern handfest austoben zu dürfen. Sollte dem so sein, dann könnte man gewaltbereiten jungen Menschen, denen Computergames auf Dauer zu langweilig werden, die gerne mit Fäusten Kontakt zum Mitmenschen aufnehmen und Gelegenheiten suchen, um ihr sogenanntes Mütchen zu kühlen, nur empfehlen, sich um eine Dienstanstellung bei der „Bundespolizei" zu bewerben.

Nächstenliebe unter Polizeischutz

Nachdem die drei geschilderten „Quellereignisse" also auf solche Weise zusammengeflossen waren, tauchte – wie auf Kommando – binnen Momenten eine Armada von schlussendlich etwa dreißig Polizisten auf. Schäubles Ideal: ein Polizist pro DemonstrantIn. So verwandelte sich der öffentliche Raum demokratischer Diskussion vor dem Domforum vorübergehend in eine polizeibesetzte Zone, während drinnen weiterhin gemütvoll über Nächstenliebe und Hilfe für die Armen philosophiert wurde.


Die Kölner Polizei: Gelegentlich auf Krawall gebürstet
Fotos: arbeiterfotografie.com
 
Nicht etwa der zivilgetarnte Rempelexperte mit dem Bundespolizei-Ausweis wurde nun von den Kollegen über Voraussetzungen und Grenzen polizeilicher Eingriffsermächtigung belehrt, vielmehr wurde sein Opfer einer hochnotpeinlichen Personalfeststellung unterzogen, verbunden mit dem Hinweis, dass „jeder Widerspruch gegen die Maßnahme schmerzhaft enden" werde. Dieses Motto sollte man künftig anstelle des Grundgesetzes zum Leitspruch offizieller Staatsphilosophie erheben – es wäre wenigstens einigermaßen ehrlich. Polizisten flitschten herum und fotografierten hektisch die Plakate und Transparente, einer schrieb zusätzlich noch die Texte ab. Irgendwann nach etwa einer halben Stunde wurde den Verständigeren unter den Polizeikräften wohl klar, dass es sich um einen völlig überzogenen Aufwand handelte, und Dreiviertel der Ordnungsarmee zog wieder ab.
 
Ohne Armut keine "caritas"
 
Was bleibt nun von der Repräsentations-Gala der Caritas? Abgesehen vom gut verdaulichen Catering unter der Leitidee „Schlemmen für die Armen". Es bleibt, dass sich die Caritas einerseits als Advokatin der Armen verstehen möchte, andererseits aber in ihrer Praxis die Verarmungspolitik befördert. Es bleibt, dass es darüber auch in der Caritas selber Unbehagen gibt. Viel ändern wird sich allerdings wohl kaum, denn der Wohltätigkeits-Konzern ist einfach zu etabliert und verdient einfach zu gut an der Prekarisierung von Arbeits- und Lebensbedingungen. Da ist eine radikale Kritik der bestehenden Verhältnisse nicht angesagt, von denen man selbst profitiert. Dem Eigeninteresse dient dagegen eher doch ein Gerede von Schicksal und Gottes Fügung und von den Armen als einer Art naturgegebener, gottgewollter Lebensform, der man gelegentlich im Vorgriff aufs Paradies mildtätige Gaben zuteil werden lässt.
 
Da grundlegende Änderungen von der Caritas nicht zu erwarten sind, sollte man sie doch wenigstens hin und wieder an ihrer „Selbstverpflichtung" messen. Zu der gehört u.a., dass die Caritas der Praxis der verfassungswidrigen ARGEn entgegentreten will, selbst noch den Löffel mildtätiger Suppe bei einer Caritas-Armentafel von der Hartz-Zuteilung abzuziehen. Die KEA-AktivistInnen, soweit sie „indoor" teilnahmen, hatten jedenfalls für das Caritas-Festmenü ordnungsgemäß Lebensmittelgutscheine mitgebracht. (PK)


Online-Flyer Nr. 191  vom 01.04.2009



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