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Sozialismus des 21. Jahrhunderts auch in El Salvador?
Erfolg von Mauricio Funes erschreckt die USA
Von Anne Hild und Peter Kleinert

„Puh, das war knapp. Trotz massiver Wahlbetrugsversuche (Honduraner, Guatemalteken etc. die Busseweise angekarrt und mit Persos versorgt wurden, um zu wählen. Doppelte Eintragungen ins Wahlregister, Ausstellung von Persos bis mittags, Angstkampagne, die von Unternehmen unterstützt wurde, etc) hat die Frente heute 17 Jahre ARENA-Regierung beendet.“ Der jubelnde Stoßseufzer kam am Montagmorgen in der Redaktion an – von der Kölner Sozialarbeiterin Anne Hild, die seit einigen Jahren in San Salvador lebt und uns von dort gelegentlich Artikel und Fotos mailt.

Mauricio Funes
Mauricio Funes: „El Salvador gehört uns allen!“
Quelle: www.tribunahispanausa.com

Gut dass sie das tut. In den üblichen Medien – wie z.B. im Kölner Stadt-Anzeiger – konnte man am Montagabend online folgendes lesen: „Beobachter der EU bezeichneten den Wahlverlauf als "geordnet" und stellten keine größeren Unregelmäßigkeiten fest. Mehr als 20.000 Polizisten und Soldaten hatten dabei für Sicherheit gesorgt…“ – Wenn es nach den Polizisten und Soldaten gegangen wäre, hätte in El Salvador wohl Rodrigo Avila von der seit 1992 regierenden ultrarechten Partei ARENA (Nationalistische Republikanische Allianz) die Wahlen gewonnen. Für Anne Hild, die am Sonntag auch ihren Fotoapparat mitgenommen hatte, sah das nämlich so aus:

Wahllokal 
Im Wahllokal – Keine Angst vor der Wende

„Das knappe, aber erfolgreiche Wahlergebnis (51.71% nach 90% der Stimmenauszählung) ist meines Erachtens auf zwei Faktoren zurückzuführen: die Bevölkerung hat den Wahlvorgang äußerst wachsam verfolgt, ausländische Busse mit Wählern festgehalten und denunziert, Unregelmäßigkeiten an den Urnen verfolgt und denunziert, kurz: die Betrugsversuche drastisch eingedämmt. Und zum zweiten hat die Frente einfach eine große, große Mehrheit hinter sich. Die Freude der Menschen war überwältigend. Viele haben geweint. Die Wahlparty wurde kurzerhand auf den Paseo Escalon (Nobelviertel) verfrachtet, die Bühne der Frente nur einen Block vom Präsidentenpalast entfernt! Auf dem Paseo war kein Durchkommen mehr. Demnächst mehr... Buenas noches! Un pueblo unido jamas será vencido!”

Die FMLN
 
„Die Frente“ ist die linke Partei FMLN, Frente Farabundo Martí para La Liberacion Nacional (Nationale Befreiungsfront Farabundo Martí). Sie wurde ursprünglich 1980 als marxistische revolutionäre Bewegung von Kommunisten, Christen, Bauern und Gewerkschaftern gegründet und führte über 12 Jahre einen Guerillakrieg gegen die damalige von den USA unterstützte Militärdiktatur in El Salvador. Benannt wurde sie nach Farabundo Martí, der 1932 im Zusammenhang mit den Kommunalwahlen in El Salvador verhaftet und nach einem Massaker der Armee an der indigenen Bevölkerung von der Guardia Nacional ermordet wurde.

 
Nach dem vorläufigen Ergebnis: „Wir haben gewonnen!“
 
Anne Hild
Anne Hild – mitten drin: „Un pueblo unido jamas será vencido!”
 
Mit dem Journalisten Mauricio Funes, der für seine regierungskritische und engagierte Berichterstattung bekannt geworden war und nun nach dem Wahlsieg der FMLN Präsident des Landes werden dürfte, hatte Anne Hild schon im August 2007 ein Interview über “Medien und Machtstrukturen in El Salvador“ für die NRhZ-Ausgabe 117 geführt, (s. NRhZ 117). Hier ihre letzte Frage und die Antwort von Funes:
 
„Immer die selben Familien“
 
Anne Hild: „Einige fordern Ihren Rücktritt (als leitender Redakteur bei TV Aztecas), andere sind besorgt über Ihren möglichen Rückzug aus der hiesigen Medienlandschaft. Was sind Ihre nächsten Pläne?“
 
Mauricio Funes: „Das ist eine schwierige Frage. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass mein Beitrag zu dieser Gesellschaft, den ich über die journalistische Arbeit leisten kann, Grenzen hat. Es kann in El Salvador nicht so weiter gehen wie bisher. Die staatliche Macht kann nicht weiter wie bisher ausgeübt werden, und damit meine ich nicht die letzten achtzehn, sondern die letzten 200 Jahre.

Bühne 
Konzertbühne nah am Präsidentenpalast
 
Als El Salvador als Republik aus der mittelamerikanischen Unabhängigkeit geboren wurde, kontrollierten die konservativen Sektoren den Staatsapparat. Die Besitzer der wichtigsten Indigo-Haciendas wurden zu Besitzern der Kaffeefincas, der Baumwoll- und Zuckerrohrplantagen und kontrollierten den Export. Die landwirtschaftliche Exportproduktion führte zur Industrialisierung. Dann entwickelten diese Leute den Dienstleistungsapparat und übernahmen das Bankenwesen. Es sind immer dieselben Familien, die das Land kontrollieren; sie haben immer im eigenen Interesse regiert. Sie setzen der Entwicklung eines unabhängigen Journalismus eine strukturelle Grenze.
 
Nach 21 Jahren journalistischer Arbeit in Konfrontation mit den Machtstrukturen bin ich überzeugt, dass der Moment gekommen ist, an dem eine erfolgreiche Konfrontation mit der Macht nur von einer Position aus geschehen kann, die es ermöglicht, die Regeln des Spiels und die Machtverhältnisse im Land zu verändern. Es geht um die Freiheit der Bevölkerung, Zugang zu Informationen zu haben, aber auch ihre Meinung auszudrücken.

 
Freudenfeuerwerk in San Salvador

Zum einen unterstützt der Staat, der das Gewaltenmonopol innehat, Strafrechtsreformen, durch die zivile Proteste kriminalisiert werden. Zum andern haben wir Kommunikationsmedien mit einer dominanten Präsenz, die die Nachrichtenagenda kontrollieren. Sie leben von ihrer Nähe zur Macht, und sie reproduzieren sich über diese Nähe zur Macht. Diese Regeln, diese Machtverhältnisse, müssen geändert werden.“
 
US-Parlamentarier warnen

Ob die seit 200 Jahren in El Salvador Herrschenden nun das Wahlergebnis und damit diesen Präsidenten akzeptieren werden, ist keineswegs sicher. Funes wolle einen „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“, wie ihn die Castro-Brüder und Hugo Chávez in Cuba und Venezuela predigten, hatte Avila im Wahlkampf gewarnt. Diese Entwicklung habe sich bereits in Nicaragua und Honduras unter Daniel Ortega und Manuel Zelaya vollzogen. Und in Washington hatte eine Gruppe von 46 US-Parlamentariern in einem Brief an Außenministerin Hillary Clinton gewarnt, ein Sieg von Funes würde „potenzielle Gefahren für unsere nationale Sicherheit“ bedeuten.

Tonne - bemalt mit den Nationalfarben 
ARENA in die Tonne kloppen!
Fotos: Anne Hild

Das Oberste Wahlgericht (TSE) hat zwar am Montag verkündet, dass Mauricio Funes mit mehr als 51 Prozent der Stimmen vor Rodrigo Avila nach der Auszählung von über 90 Prozent der Stimmen führte. Ein Sieger solle aber erst 48 Stunden später ernannt werden. Eine derartige Verzögerung des offiziellen Ergebnisses hat es bei Wahlen in El Salvador bislang noch nie gegeben. Er wurde vom TSE-Chef und ehemaligen ARENA-Vorsitzenden Walter Araujo verkündet. Als die Demonstrationen und Siegesfeiern in den frühen Morgenstunden endeten, gestand Avila seine Niederlage aber offiziell ein und Funes konnte den Demonstranten zurufen: „Wir stehen vor großen Aufgaben und beginnen gleich morgen damit, sie in Angriff zu nehmen. El Salvador gehört uns allen!“ (PK)

Online-Flyer Nr. 189  vom 18.03.2009



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