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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Inland
Interview mit Sabine Schiffer nach dem Amoklauf von Winnenden
Killerspiele und Wohlstandsverwahrlosung
Von Peter Millian und Peter Kleinert

Sabine Schiffer vom Institut für Medienverantwortung hat sich schon mehrfach – lange vor dem Amoklauf von Winnenden – in der NRhZ warnend zum Thema “Killerspiele für Kinder“ und zu “Kriegsspielen“, mit denen die Computer-Industrie vor allem junge Männer auf Kriegseinsätze vorbereitet, geäußert. Hier ein aktuelles Interview mit ihr, das die Nürnberger Nachrichten – allerdings etwas gekürzt und geändert – vergangene Woche in ihrer Online-Ausgabe veröffentlicht haben, hier im Original.

Killerspiel bei GTA4
Quelle: blogs.law.harvard.edu
 
Peter Millian (NN): Bei der Suche nach den Ursachen und Motiven des Amoklaufs ist die Polizei im Hauses des Täters auch auf Ballerspiele gestoßen. Sind diese also doch prägend für einen bestimmten Tätertyp, somit also potentiell gemeingefährlich?
 
Sabine Schiffer: Das ist unbestritten, auch wenn es der Softwareindustrie gelungen ist hier einen "Wissenschaftsstreit" zu inszenieren. Dennoch stellt die alleinige Fokussierung auf ein Ballerspielverbot eine Reduktion der komplexen Thematik Wohlstandsverwahrlosung dar. Das Verbot dieser Ballerspiele ist ebenso nötig, wie alleine nicht ausreichend. Insgesamt nehmen Gewaltdarstellungen in verschiedensten Medienangeboten immer noch zu. Und wir müssen uns grundsätzlich Gedanken um die eindeutigen Zeichen emotionaler Verkümmerung in unserer Gesellschaft machen, wo Kinder mit tatsächlichen und vermeintlichen Bildungsangeboten zugeschüttet werden und die Bildung von echtem Interesse, Mitgefühl und Verantwortung gar noch als störend für die Karriere vermittelt wird.
 
Ihr Institut warnt im Gegensatz zu anderen Einrichtungen schon seit langer Zeit vor der Wirksamkeit dieser Spiele. Haben Sie die besseren Erkenntnisse?
 
Offensichtlich. Wir haben eine große Recherche gemacht (s. hintergrund.de), nicht nur was es für Studienergebnisse in dem Bereich gibt, sondern auch, von wem die jeweiligen stammen und wer mit welcher Industrie zusammen arbeitet. Da kommen wir zu dem gleichen Ergebnis wie etwa das GEO-Heft 2/2008, in dem der Autor auch überrascht war, wie eindeutig die Erkenntnisse sind. Wie gesagt, ein Wissenschaftsstreit um die Prägung durch Darstellungsmodelle und insgesamt der um die Wirkungsforschung ist inszeniert und dient vor allem dazu, Zeit zu gewinnen - Zeit für die Vermarktung zweifelhafter Produkte, die ein hohes Suchtpotenzial haben (Onlinespiele) und Ausdruck einer gewalthaltigen Kultur sind (Tötungstrainer, die entsprechend zu militärischen Zwecken genutzt werden). Schulen-ans-Netz von Microsoft gilt als innovatives Bildungsangebot. Hier wird dem Medienzugang vor der Medienbildung, die Grundlagen vor dem Zugang braucht, Priorität eingeräumt - das ist zumindest fahrlässig.
 
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann hat eine Gesetzesverschärfung verlangt, dass Vertrieb und Zugang zu solchen Spielen stärker kontrollierbar macht. Ist dies aus Ihrer Sicht sinnvoll und praktikabel?
 
Es wäre ein eindeutiges Zeichen, das Signalcharakter hat. Natürlich können Verbote umgangen werden, aber dann eben illegal und mit dem Label des Unterlassensollens. Wir haben in einer ausführlichen Darstellung im letzten Jahr Innenminister Herrmann auf die grundsätzlichere Problematik der frühen Computerisierung - etwa in Kindergärten und Grundschulen - hingewiesen, weil sie ein reduziertes Wahrnehmungsangebot darstellt, Bildungschancen eindeutig reduziert, die sozialspezifische Schere weiter auseinanderklaffen lässt und eben Vereinzelungstendenzen unterstützt. Wir hoffen, dass er über das Verbot von Ballerspielen hinaus die komplexe gesellschaftliche Problematik ins Auge fasst und so den Möglichkeiten einer sinnvollen Steuerung die Chance gibt, diskutiert zu werden.
 
Auch der Kriminologe Schwind fordert ein Verbot
 
Mit ihrer kritischen Haltung zu Gewaltspielen im Netz steht Sabine Schiffer übrigens nicht allein: Auch der Präsident der Deutschen Stiftung für Verbrechensbekämpfung Hans-Dieter Schwind hat nach dem Amoklauf von Winnenden ein totales Verbot von Computer-Gewaltspielen gefordert. In einem Gespräch mit der Neuen Osnabrücker Zeitung sagte der Professor für Kriminologie: „Dass der 17-Jährige auf der Flucht noch weiter um sich geschossen hat, ist ein Verhalten, das Jugendliche auch in Spielen wie Counter Strike oder Crysis lernen können.“ Sabine Schiffer zur NRhZ: „Interessant, wie hier mit dem Verweis auf Counter Strike von GTA4 abgelenkt wird - dem Kassenrenner. Ich bin sicher, dass dieses "Spiel" auch auf dem Rechner des Jungen aus Winnenden zu finden ist.“ (PK) 

Zur Übergabe an die Länderregierungen
 
Sie können die politisch Verantwortlichen weltweit dazu auffordern, sich für internationale Vereinbarungen zum Kinder- und Jugendschutz im Internet einzusetzen.                                                 
 
Vorstöße in Richtung Kinder- und Jugendschutz wurden bisher stereotyp mit dem lapidaren Hinweis abgewiegelt, dass es keine Vereinbarungen geben kann, da viele Server in anderen Ländern stehen, auf die nicht zugegriffen werden kann. Die unbegrenzten Möglichkeiten des Internets hebeln den Kinder- und Jugendschutz weltweit völlig aus. Fordern Sie zügige, internationale Vereinbarungen, um bei den Themen Mediensucht, Onlinerollenspielsucht, Pornografie bzw. Onlinesexsucht, Mediengewalt, Nazipropaganda, Sektenaktivitäten, ProAna Foren u.s.w. gerade die heranwachsenden jungen Menschen besser schützen zu können!
 
Für diese Aktion wurde eine eigene Internetseite eingerichtet: http://www.all.agmev.de/
 
Derzeit vorhandene Dokumente:
Unterschriftenliste deutsch: http://www.all.agmev.de/resources/Kinder_Jugendschutz_list.pdf
Unterschriftenliste englisch: http://www.all.agmev.de/resources/Kinder_Jugendschutz_list_E.pdf
Kurztext: http://www.all.agmev.de/resources/Kinder_Jugendschutz_Info.pdf
Visitenkarte: http://www.all.agmev.de/resources/card_D.pdf
Aushangzettel 2x DinA5: http://www.all.agmev.de/resources/Info_A5-D.pdf
Aushangzettel A4: http://www.all.agmev.de/resources/Info_A4-D.pdf

Mehr unter www.aktiv-gegen-mediensucht.de und
www.rollenspielsucht.de
 
Dr. Sabine Schiffer ist Medienwissenschaftlerin und Leiterin des Instituts für Medienverantwortung in Erlangen - www.medienverantwortung.de. Die gekürzte Fassung ihres Interviews erschien unter www.nn-online.de/artikel.asp?art=983311&kat=3  

Online-Flyer Nr. 189  vom 18.03.2009

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