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Literatur
Maria Mies: Vom Bauernkind zur Globalisierungskritikerin
„Das Dorf und die Welt“
Von Elisabeth Meyer-Renschhausen

Als ich erstmals in ihre Kölner Wohnung kam, war Maria Mies gerade in den Ruhestand gegangen. Gemeinsam mit ihrem Mann Saral hockte sie auf dem Boden und rollte den eben erstandenen Sisalteppichboden aus. Vorher hätte sie für Derartiges keine Zeit gehabt. Ich erschrak fast über diese radikale Verneinung üblichen Wohllebens.


Maria Mies auf dem Kongress zur Privatisierung im Dienstleistungsbereich durch GATS und die Folgen für Frauen - Mai 2003 

 
Eine erste Ahnung über das Wieso bekam ich, als Marias Schwester Trudel uns in der Eifel vom Bahnhof abholte und die beiden in ihrem rheinischen Platt loslegten. Nun verstand ich gar nichts mehr, handelt es sich doch um eine völlig eigene Sprache im Vergleich etwa zum norddeutschen Platt. Auf dem Dorf Steffeln ist einer von Marias besten Freunden der Bauer Hans von gegenüber. Dazu kommt der Garten: Ein Gemüsegarten, der - von Maria allein bewirtschaftet - bis heute jedes Jahr viel mehr abwirft, als ein Paar allein verzehren kann. Und der so die Rückkehr zur Ökonomie des Schenkens gewissermaßen diktiert...
 
Durch Weltwirtschaftskrise bestätigt
 
Maria Mies wurde 1931 auf einem Bauernhof in der Eifel geboren. Mit Anfang 30 ging sie als Deutschlehrerin nach Indien. Zehn Jahre später wurde sie Hochschullehrerin an der neu gegründeten Kölner Fachhochschule für Sozialarbeit und Sozialpädagogik. 1979 bis 1981 wurde sie nach Den Haag in Holland berufen, um dort den ersten Women´s Studies Studiengang einzurichten. Seither publiziert sie ihre Bücher über den Umgang mit den Kleinbäuerinnen in den Ländern des Südens oft erst auf Englisch – wie z.B. 1983 zusammen mit Vandana Shiva (der bekannten indischen Globalisierungskritikerin) das Buch "Ökofeminismus." Marie Mies ist daher als Autorin besonders unter den jungen Aktivistinnen in den Ländern des Südens viel bekannter als bei uns. Hierzulande ist sie besonders in grünen und globalisierungskritischen Szenen als zornige Prophetin bekannt, deren Engagement für bessere und möglichst konzernfreie Zeiten bei weitem nicht ausreichend ist. Heute ist angesichts der derzeitigen Weltwirtschaftskrise und angesichts des neuen Weltagrarberichts klar, dass sie mit ihrer scharfen Kritik an der Politik von IWF und Weltbank, sowie des Globalisierungsprozesses Recht hatte.
 
„Ich habe ja immer gerne gearbeitet!"
 
In der Bundesrepublik Deutschland war und ist sie eine der wenigen Professorinnen, die ihre privilegierte Position immer benutzte, um sich in Tat und Wort für die Unterdrückten der Erde einzusetzen. Wie kam sie dazu? Wie sie in ihrer Autobiographie schreibt, hatte sie eine ausgesprochen glückliche Kindheit inmitten einer großen Geschwisterschar. Zwar hatten ihre Eltern als kleinere Bauern kaum Geld, aber zu essen gab es immer genug, auch während des Zweiten Weltkrieges. Das Mitarbeiten im Stall oder auf dem Feld war den Kindern zwar eine Last, um die sie sich gerne drückten, aber keineswegs nur. Diese Arbeit diente dem eigenen Lebensunterhalt. Es war eine sinnvolle Tätigkeit. Später, als Fahrschülerin, betrat Maria das Haus immer von hinten durch den Kuhstall. Sie genoss den Kuhgeruch und die Friedlichkeit des Kuhstalls. Hier hatte sie auch die besten Gespräche mit ihrer Mutter, einer kräftigen, optimistischen Frau, die das Melken als Zeit für sich und für Gespräche mit ihren Töchtern genoss. Diese Mutter muß überhaupt ein bemerkenswerter Mensch gewesen sein. Sie wurde 87. Als sie im Alter auf ihr Leben zurück blickte, meinte sie: „Das war doch ein glückliches Leben. Es gab zwar viel Arbeit. Aber ich habe ja immer gerne gearbeitet!" 
 
 Der Ausspruch beeindruckte die Tochter so sehr, dass sie ihn dreimal in ihrem Buch wiederholt. Es war der Satz, der ihr deutlich macht, dass die Zukunft tatsächlich in der Subsistenzperspektive liegt, wie sie seit 30 Jahren predigt. Subsistenzperspektive, das ist meines Erachtens ein anders Wort für das aristotelische "einfache Leben", das aus den notwendigen Arbeiten für den täglichen Bedarf inmitten eines Netzwerks regionaler Ökonomien besteht. Eine Lebensweise, die Arbeiten für die eigene Familie, die häusliche Wirtschaft, die Hausarbeit, achtet, statt sie zu ignorieren. Eine Lebensform, die die Selbsthilfeökonomien der Kleinbauern in den Ländern der Dritten Welt unterstützt, statt sie durch von oben forcierte Umstellung auf den Weltmarkt brutal und ohne Rücksicht auf Verluste zu vernichten...
 
Glück gehabt mit den Lehrern
 
Während ihrer Schullaufbahn hatte Maria Mies mehrfach ausgesprochenes Glück: Dass sie aus dem Dorf herauskam und als katholisches Dorfmädchen eine Ausbildung machen konnte, verdankte sie einer Lehrerin, die sie auf diese Möglichkeit aufmerksam machte, als sie Maria auf dem Feld beim Rübenhacken sah. Manchmal sind es die Krisen, die den weniger Privilegierten vermehrt Chancen bieten: 1945 fehlte es überall an Volksschullehrern. Die französische Besatzungsmacht hatte in Trier ein Lehrerseminar nach französischem Modell eingerichtet. An dieser neuen Schule unterrichteten lauter ausgesprochene Reformpädagogen und Menschen, die sich auch schon früher für die Völkerverständigung eingesetzt hatten. Fast jedes einzelne Fach war ein Erlebnis an Inspiration. Die Lehrer waren nicht bloß gute Lehrer, sondern wurden zugleich gute Freunde. Kurzum: So viel Aufbruch war nie wie damals gleich nach Kriegsende. Im Umkreis dieser Schule begriffen es alle als große Chance, das Land wieder völlig neu aufbauen zu können. Die Schülerinnen engagierten sich sofort gegen die Wiederbewaffnung, als das erstmals auf der Tagesordnung stand.
 
Ein Mann aus Bengalen
 
Zur Zeit ihres Schulabschlusses, 1950, hatte Maria Mies noch mal Glück: sie gewann ein Preisausschreiben der Bahn und erhielt eine Freifahrt durch die ganze Republik. Vor dem Deutschen Technik Museum in München stand ein hübscher braunhäutiger Schiffsfunker aus Bengalen, der dann ihre große Liebe wurde. Zwar blieb es mehr oder weniger bei einer reinen Brieffreundschaft, da sie sich damals nicht vorstellen konnte, als Katholikin einen Muslim heiraten zu können, aber ihr Seemann veranlasste sie, richtig Englisch zu lernen und sich mit kulturellen Unterschieden besonders zwischen den Religionen auseinanderzusetzen.


Zusammen mit Irene Fernandez (Malaysia) vom People's Caravan for Food Sovereignity | Fotos: arbeiterfotografie.com
 
Als sie ihre Pflichtschuljahre als Volks- und Realschullehrerin hinter sich hatte, bewarb sie sich 1962 beim Goethe-Institut als Deutschlehrerin nach Indien. Sie wurde genommen. Sie fühlte sich in Indien trotz Fremdheit und Armut von Anfang an pudelwohl. Die Neugierde auf die Beweggründe ihrer indischen Studentinnen, ausgerechnet Deutsch zu lernen, veranlasste sie zu einer ersten kleinen soziologischen Studie. Eine indische Ethnologin hatte sie dazu angeregt, und half ihr auch bei der Durchführung. Vielleicht war das der Schlüssel, der - als sie nach fünf Jahren zurück nach Deutschland kam - den Kölner Soziologen René König veranlasste, sie aufzufordern, doch gleich zu promovieren. Mit Hilfe der internationalen Gewerkschaft ILO und von zwei - schon für die Übersetzung notwendigen - indischen Assistentinnen arbeitete sie nun über die Armen in Indien, Arbeiterinnen und Kleinbäuerinnen.
 
In der Studentenbewegung
 
Der Zeitpunkt ihres Studiums fiel in eine bewegte Zeit: Sie begann ihr Unistudium im Jahr 1968. Erneut kam sie in Atmosphäre begeisternden Aufbruchs. In der Studentenbewegung wurde rund um die Uhr studiert und anschließend demonstriert. Dabei befreundete Maria Mies sich mit zwei Jüngeren, die während Forschungsaufenthalten in Mexiko bzw. in Venezuela und Ecuador ebenfalls Erfahrungen in der Dritten Welt gesammelt hatten: Veronika Bennholdt-Thomsen und Claudia von Werlhof. Mit den beiden entstand ein langjähriger Arbeitszusammenhang, der bis heute währt. Besonders bekannt wurde das gemeinsame Buch "Frauen, die fünfte Kolonie". Das Buch, das Maria mit Veronika zusammen über die Subsistenzperspektive verfasste, "Eine Kuh für Hillary", fand ebenfalls Eingang in die Universitäten. Ein weiteres Buch, das Maria mit Claudia zusammen zum "Multinationalen Abkommen zum Handel" (MAI), also über das OECD-Abkommen Multilateral Agreement on Investment, verfasste, erreichte ebenfalls schnelle Folgeauflagen. Es wurde ein wichtiger Baustein im Kampf gegen diese absurden und perversen Machtübernahmeansprüche, die die TNCs - wie sie auf Englisch heißen (transnational kooperatives, zu deutsch: Multis) - ihren Regierungen in die Feder diktiert hatten. Das MAI wurde daraufhin im Europa-Parlament abgelehnt.
 
Die neue Frauenbewegung
 
Kaum war Maria Mies zur Hochschullehrerin bestellt, begann die neue Frauenbewegung. In London und Berlin entstanden erste Häuser für die Frauen gewalttätiger Männer. Zusammen mit ihren Studentinnen gründete Maria Mies im Rahmen eines Aktionsforschungsseminars so ein "Frauenhaus" auch in Köln. Das war nur durch Demonstrationen und einen unendlichen ehrenamtlichen Arbeitseinsatz zu erreichen. Und führte dazu, dass die erste Frauenprofessur, die - als ein Ergebnis der UN-Frauenkonferenz in Mexiko im Jahr 1975 - in Den Haag eingerichtet wurde, an sie ging. Wieder konnte sie zwei Jahres des Aufbruchs und völlig begeisternden gemeinsamen Lernens erleben. Daraus entstand u.a. ihr Einsatz gegen die Gentechnik. Während ihrer Indienforschungsaufenthalte wurde ihr klar, wie krude die Bevölkerungspolitik in den Ländern des Südens teilweise "gelöst" wurde. Unter anderem Farida Akther aus Bangladesh macht ihr die Doppelzüngigkeit und Frauenverachtung der Bevölkerungspolitik klar. 1985 rief sie mit anderen zusammen in Schweden zu einer ersten internationalen feministischen Konferenz gegen die Retortenmedizin auf. Ergebnis war das Netzwerk FINNRAGE (Feminist International Network of Resistance to Reproductive and Genetic Engineering), in dessen Zusammenhang sie sich auf weiteren Kongressen gegen die Gentechnik einsetzten.  
 
„Infobriefe“ gegen Konzernherrschaft
 
Während ihrer Zeit am Goethe Institut in Indien hatte Maria Mies einen Sommerkurs als Fortbildungsmöglichkeit für die bereits aktiven indischen Deutschlehrer angeregt. Diese dreiwöchigen Fortbildungskurse wurden zu einer Art Bildungsfest, bis in die Nächte hinein wurde diskutiert. Einer der Deutschlehrer, mit dem sie 1967 an einem lauen Sommerabend länger plauderte, war Saral Sakar. Viel später wurde Saral dann Marias Ehemann und noch viel später - nach langen Jahren Fernbeziehung - entschieden sich die beiden für einen gemeinsamen Wohnsitz in Köln. Das bedeutet für Saral natürlich, dass er seine gut bezahlte Position als Deutschlehrer in Indien aufgeben mußte und auch seine Funktion als eine Art Guru innerhalb der indischen Studentenbewegung und deren Nachfolgebewegungen verlor. Die beiden geben heutzutage gemeinsam mit Hermine Karas aus ihrer Hausgemeinschaft die "Infobriefe" gegen Konzernherrschaft heraus, in denen sie unter anderem Texte aus der englischsprachigen Anti-Globalisierungsbewegung ins Deutsche übersetzen. 1998 und 2003 organisierten Maria und Saral zusammen mit anderen die Kongresse gegen das MAI bzw. das GATS innerhalb des WTO-Vertrags (siehe auch NRhZ-Nummer 34)..
 
Ursache der neuen Kriege
 
Das GATS - General Agreement on Trade in Services - trat als Teilvertrag der WTO am 1. Januar 1995 in Kraft. Es handelt sich um einen multilateralen Vertrag über grenzüberschreitenden Handel mit Dienstleistungen wie auch landwirtschaftlichen Produkten. Wasser, Bildung, Strom. Verkehr, alles soll privaten Firmen zur Profitmaximierung in den Rachen geworfen werden. Und zwar obwohl man aus der "Dritten Welt" bereits weiß, dass -wenn die öffentliche Daseinsvorsorge über den Markt abgewickelt wird - sie also den Armen vorenthalten wird. Die "Liberalisierung" der Landwirtschaft bedeutete und bedeutet eine Art Generalangriff auf die kleineren Bauern der Erde. Als Maria Mies sich dies wieder und wieder klar machen mußte, begann sie ein Buch über den Zusammenhang der neuen Kriege und der heuten Welthandelspolitik zu schreiben. So furchtbar erschienen ihr die Zusammenhänge, dass sie zum ersten Mal in ihrem Leben ernstlich krank wurde. Schließlich führte ihre Krankheit dazu, dass sie mit den kleinen Kindern "von obendrüber" (Maria lebt in der Kölner Innenstadt wie erwähnt in einer Hausgemeinschaft) zu spielen begann. Und das geht so: Die Sau Sofia hat genug von der Massentierhaltung und haut ab. Ihre fünf Ferkel mitsamt Tobias, Gabriel und Maria rennen ihr hinterher. Sie wollen zum Bauern Hans…
           
Spannend geschriebene Lebensgeschichte
 
Diese Lebensgeschichte ist ein spannend geschriebener Bericht. Ausufernde Selbstkritiken oder lange Metareflexionen liegen der tatendurstigen Autorin eher weniger. Wer in der Geschichte etwas bewandert ist, wundert sich allerdings, warum zum Thema "Allmende" ausgerechnet nur deren m.E. ideologischer Kritiker zitiert wird. Das Buch ist schön gemacht in einem kleinen Kölner Verlag erschienen. Das ist sympathisch und sinnvoll. Schöner wäre gewesen, wenn ein größerer Verlag ein vollständiges Lektorat ermöglicht hätte, das manche Anglizismen in der Sprache und gelegentliche Wiederholungen gestrichen hätte. Ist es wirklich unmöglich, dass kleinere Verlage sich das Geld für ein Lektorat solcher Bücher beschaffen können? Einige Photos von den verschiedenen Stationen während Maria Mies’ reichen Lebens wären natürlich schön gewesen, ebenso wie ein Namens-Register nebst einem etwas ausführlicheren Literaturverzeichnis.
 
Zweifelsohne zielt die knappe, schnörkellose Sprache der Verfasserin auf eine breite Leserschaft. Sympathisch - und der vielleicht netteste Zug der Verfasserin - ist, dass sie immer wieder betont, von wem und wo sie was "gelernt" habe. Besonders viel hat sie in Indien, von dortigen Aktivistinnen und anderen beeindruckenden Persönlichkeiten, meistens Frauen, erfahren. Sympathisch ist das Buch nicht zuletzt als eines über das Glück, gute Lehrer gehabt zu haben und eine inspirierende Lehrerin und Professorin gewesen zu sein. Beispielhaft ist das Buch zudem als Beschreibung des Phänomens sozialer Bewegungen, die einen fortwährenden kollektiven Lernprozess möglich machen. (PK)
 
Maria Mies, Das Dorf und die Welt. Lebensgeschichten – Zeitgeschichten. Köln: PapyRossa 2008, 307 Seiten, 19,90 € - www.papyrossa.de, mail@papyrossa.de

 
Elisabeth Meyer-Renschhausen ist Privatdozentin im Fachbereich Politik und Sozialwissenschaften an der Freien Universität Berlin. Unterrichtet derzeit am Humanökologischen Zentrum der Universität Cottbus Umweltsoziologie im “World Heritage Programm“ und arbeitet seit Jahren insbesondere an einer Soziologie der Ernährung sowie der neuen globalen Selbsthilfe- und Subsistenzwirtschaft u.a. durch Community Gardening und Urban Agriculture. Mitglied der Arbeitsgruppe Kleinstlandwirtschaft. Mehr über Meyer-Renschhausen oder elmeyerr(at)zedat.fu-berlin.de







Online-Flyer Nr. 189  vom 18.03.2009

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