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Lokales
Zwei der “Kinder von Zamość“ zu Besuch in Dormagen
„Die schlimmsten Jahre meines Lebens!“
Von Manfred Demmer

Gemeinhin wird beklagt, dass unter Jugendlichen wenig Geschichtsbewusstsein vorhanden, dass der Geschichtsunterricht in den Schulen „dröge“ sei und wenig dazu angetan, die SchülerInnen anzuregen, sich mit unserer Geschichte und den notwendigen Schlussfolgerungen zu befassen. Hier ein Beispiel, das dieser Darstellung vollkommen widerspricht. 

Gedenktafel für die von den Nazis verschleppten Kinder von Zamość
Quelle: picasaweb.google.com 
 
Auf Einladung der Vereine „Zug der Erinnerung“ und „Denkmal mit!“ waren zwei einst deportierte Polen in Deutschland zu Gast. Auf ihrer Reise vom Saarland nach Dortmund  machten sie Station in Dormagen. An der Bertha von Suttner-Gesamtschule berichteten sie vor mehr als 100 SchülerInnen über ihr Schicksal, das mit der gewaltsamen Evakuierung einer ganzen polnischen Region durch Ordnungspolizei und SS, unterstützt durch die örtlichen Garnisonen der Luftwaffe und der Wehrmacht, verbunden war. Die Zeitzeugen, die dem Verein „Kinder von Zamość“ angehören, fanden eine hoch interessierte Zuhörerschaft unter den Kindern und Jugendlichen.


Begrüßung der beiden “Kinder von Zamość“ in der Bertha von Suttner-Gesamtschule
Foto: Uwe Koopmann 
 
Bei der Begrüßeung der Gäste berichtete Lehrer Uwe Koopmann über die vielfältigen Aktivitäten der Schule, durch Zeitzeugengespräche die Geschichte aufzuhellen und dadurch Schüler zum selbständigem Handeln anzuregen. Auch die Schülerin Valerie Schmidt, die die beiden polnischen Gäste bei einem Seminar des „Zug der Erinnerung“ in Oranienburg (wo ein „Bund der Generationen“ gegründet worden war, siehe NRhZ 172) kennen gelernt und dieses Zeitzeugengespräch angeregt hatte, begrüßte die ehemaligen “Kinder von Zamość“. Der damals zehnjährige Zenon Bujanowski und der vierjährige Adam Bielak erlebten die gewaltsame Evakuierung, die in der Nacht vom 27. auf den 28. November 1942 begann. Insgesamt wurden 300 Dörfer im Gebiet von Zamość innerhalb kürzester Zeit gewaltsam geräumt. Tausende kamen bei Massakern ums Leben, Tausende starben in den Lagern, die Überlebenden deportierte die Deutsche Reichsbahn zur Zwangsarbeit nach Westen. Zenon Bujanowski schilderte sein persönliches Erleben, wobei er die Zeit als „die schlimmsten Jahre meines Lebens“ bezeichnete.
 
Rosa Luxemburgs Geburtsort
 
Was war damals geschehen? Zamość, die Stadt in der Rosa Luxemburg am 5. März 1871 geboren wurde, lag – etwa 240 km südöstlich von Warschau und 110 km nordwestlich von Lemberg entfernt – damals im Verwaltungsbezirk Lublin. Der malerische Ort zog bald die Aufmerksamkeit der “Ansiedlungsstäbe“ auf sich. Die Einweisung von Juden aus dem Reich wurde nur als vorübergehend angesehen. Nach dem Einmarsch der deutschen Besatzungstruppen waren bereits 8.000 Menschen aus Zamość und der Region getötet worden, Zehntausende wurden deportiert, darunter mehr als 40.000 Kinder. Über 10.000 Juden aus dem Gebiet wurden in dem nur 45 Kilometer entfernten Vernichtungslager Belzec ermordet. Zamość sollte fortan als Germanisierungszentrum dienen, sodass seit November 1942 auch zahlreiche nichtjüdische Polen aus dem Landkreis in verschiedene Lager verschleppt wurden. In dieser Zeit fiel dann die Deportation der Kinder.
 
Wie Vieh zur Schlachtbank
 
Nach dem Bericht von Zenon Bujanowski wurden die Einwohner zusammengetrieben, die älteren Leute wurden abtransportiert. Familien gewaltsam auseinander gerissen, Mütter von ihren Kindern getrennt. Es spielten sich erschütternde Szenen ab, weil dabei auch Kinder umkamen. Die Deportationen und der Terror, den die Nazis dabei anwendeten, sprachen sich herum, das führte dazu, dass viele Männer aus den Dörfern sich den Partisanen anschlossen. Der Zeitzeuge berichtete auch, dass der Bürgermeister eines Ortes eine würdige Beerdigung für die gestorbenen Kinder organisierte. „Am nächsten Tag“, so Zenon Bujanowski, „wurde er ins KZ Auschwitz deportiert.“ Die Tatsache, dass sich viele Menschen gegen die Nazis erhoben, weil sie sich nicht wie Vieh zur Schlachtbank führen lassen wollten, führte zu einem verstärkten Terror der deutschen Besatzungstruppen. So wurden im Dezember 1942 in vielen Dörfern “Strafmaßnahmen“ durchgeführt, bei denen mehrere hundert Frauen, Männer und Kinder ermordet wurden.
 
In der zweiten Phase der Deportation ab Juni/Juli 1943 seien weniger Menschen in die KZs deportiert worden. Der Grund hierfür sei nicht im Nachlassen des Terrors zu sehen, sondern, so betonte der polnische Gast, der Tatsache geschuldet, dass nun mehr Menschen zur Zwangsarbeit nach Deutschland gebracht wurden, um den Arbeitskräftemangel auszugleichen. Terrormaßnahmen habe es aber immer noch gegeben, wie einen Überfall auf ein Dorf in der Nähe, wo 163 Personen durch Phosphor verbrannt wurden. Dann berichtete der Zeitzeuge über seine persönlichen Erlebnisse während der Aussiedlung und seiner Zwangsarbeit in der Landwirtschaft in Deutschland, die im Mai 1945 durch die Befreiung durch amerikanische Kampftruppen endete. Er kehrte nach Polen zurück und wirkte daran mit, das Andenken an die “Kinder von Zamość“ wach zu halten.
 
Erfahrungen eines Vierjährigen
 
Der Bericht von Adam Bielak, der mit seinen Eltern, seinen zwei Geschwistern und der Großmutter, gemeinsam mit vielen anderen Familien in den Novembertagen 1942 in der Stadt zusammen getrieben wurde, waren sehr geprägt davon, dass er damals erst vier Jahre alt war. Er habe große Angst gehabt vor den Soldaten, den kläffenden Schäferhunden, dem Stacheldraht um den Platz, dem Gebrüll der Soldaten, dem Geschrei der Kinder. Zwei Tage später habe dann die Selektion stattgefunden. Dabei wurden die Eltern zur Zwangsarbeit nach Deutschland “aussortiert“, die Kinder seien nach Warschau deportiert worden. „Das Trennen der Kinder von den Eltern war schrecklich. Da wurden Kinder aus den Armen der Mütter gerissen, ich wurde von der Hand der Mutter fortgerissen.“ Gegen Eltern, die sich widersetzten, wurden Gummiknüppel eingesetzt. Am dritten Tag habe er noch einmal kurz seine Mutter hinter dem Stacheldraht gesehen und diese angerufen. Sie habe – angesichts der Soldaten – nur gesagt: „Geh weg!“ Adam Bielak wurde in der zu anderen Familien gegeben, die aber angesichts des kleinen, ständig nach seiner Mutter weinenden Jungen, wenig Neigung hatten, sich seiner intensiver anzunehmen. Im Juli 1945 fand er dann in Polen seine Familie wieder. Auch er hat sich dem Andenken an die Kinder, zu denen er ja selbst gehörte und dabei Glück gehabt hatte, verschrieben.
 
“Himmlerstadt“
 
Nach rund zwei Stunden, in denen die über hundert Schüler sehr aufmerksam zuhörten, verabschiedete Uwe Koopmann die beiden Zeitzeugen mit Dank und stellte fest, wie wichtig es sei, Lehren aus solchen Erinnerungen zu ziehen, um dafür mit zu sorgen, dass Kriege und Faschismus geächtet würden. Weil die SchülerInnen sich an die Abfahrtszeiten der Schulbusse halten mussten, soll hier noch etwas zu den Hintergründen dieser Verbrechen gesagt werden. Die Region gehörte nach dem Überfall Nazi-Deutschlands auf Polen zum deutschen Generalgouvernement, das 1939 bis 1944 errichtet wurde. Sie sollte durch deutsche Siedler “germanisiert“ werden, wobei die Stadt Zamość in den Planungen bereits den Namen “Himmlerstadt“ führte.
 
Unter den deutschen Siedlern befanden sich auch die Eltern von Bundespräsident Horst Köhler, der am 22. Februar 1943 als Bauernsohn und siebtes von acht Kindern in Skierbieszów im Gebiet Zamość südöstlich von Lublin geboren wurde, wohin seine deutschstämmigen Eltern aus dem rumänischen Bessarabien Ende 1942 umgesiedelt worden waren. Jüdische Menschen aus dem Reich wurden ebenfalls hier hin deportiert, eine Gedenktafel am Gleis 3 des Hauptbahnhof in Siegen erinnert daran. Hier war am 28. April 1942 neben weiteren 85 Menschen auch Inge Frank aus Weidenau zur Deportation ausgeschrieben worden, die sie nicht überlebt hat.
 
Die Idee für eine “Himmlerstadt“ hatte der Reichsführer der SS, Heinrich Himmler, nach einem Besuch des Gebietes im Juli 1941 persönlich. In einer Anordnung Himmlers wurde die Kreishauptstadt zum ersten Siedlungsgebiet im Generalgouvernement erklärt und die Selektion der polnischen Bevölkerung befohlen. Die “rassisch wertvollen“ Einheimischen sollten zur “Wiedereindeutschung“ ins Reich gebracht, die Arbeitsfähigen zu Zwangsarbeit und alle anderen in die Vernichtungslager deportiert werden.
 
Widerstand
 
Wie schon Zenon Bujanowska vor den Schülern berichtet hatte, wurden die deutschen Besatzer mit einem starken Widerstandswillen der Einheimischen konfrontiert. Viele schlossen sich den Partisanen an, überfielen von Deutschen besiedelte Orte und verübten Anschläge auf Bahnlinien. Der Widerstand der Polen, der mit einem Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion und damit einer Verschlechterung der Versorgungslage verbunden war, konnte trotz militärischer Übermacht der Besatzungstruppen nicht gebrochen werden. Der Plan zur Schaffung der “Himmlerstadt“ musste deshalb scheitern. 1944 wurde die Stadt von der Roten Armee befreit.
 
Wer waren die Täter von Zamość? Im Mai/Juni 1941 hatte die Heeresgruppe Süd der 6.Armee unter ihrem Divisionskommandeur Oskar Blümm in dem Gebiet gehaust. Sie unterstützte die die “Umwandererzentrale“ (UWZ), die von 1940 bis 1943, die Vertreibung von polnischen Menschen koordinierte. Leiter dieser UZW war der SS-Offizier Hermann Krummey, der seit November 1938 unter der Mitgliedsnummer 310441 der SS angehörte. In dieser Funktion war er als Mitglied der Sicherheitspolizei und des SD für die Deportation von mehr als 390.000 Menschen verantwortlich, darunter mindestens sechs Transporte von jüdischen Menschen aus dem Lager Zamość in das KZ Auschwitz-Birkenau.
 
SS-Offizier Hermann Krummey
 
Als Stellvertreter von Adolf Eichmann, der die “Endlösung der Judenfrage“ leitete, war er an diesen Verbrechen also führend beteiligt. Im Mai 1945 wurde Krummey in Italien von den Alliierten festgenommen, aber bald auf freien Fuß gesetzt. Krummey ging nach Deutschland, wo er in einem Entnazifizierungsverfahren als “Mitläufer“ eingestuft wurde, als Heimatvertriebener einen großen Kredit erhielt und sich im hessischen Korbach als Drogerist niederließ. Er wurde Abgeordneter des reaktionären Bundes der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE) im Korbacher Kreistag und fungierte als Kreisobmann in der Sudetendeutschen Landsmannschaft. Im April 1957 wurde Krummey festgenommen, jedoch im Juni 1957 mangels Fluchtverdacht wieder freigelassen. Nach Aussagen von Adolf Eichmann im Eichmann-Prozess begann die Strafverfolgung 1960 erneut. Am 24. Mai 1960 wurde Krummey erneut festgenommen und blieb bis zu seiner ersten Verurteilung 1965 in Untersuchungshaft. Nach neunmonatiger Verhandlung verurteilte das Landgericht Frankfurt ihn im Februar 1965 wegen Beihilfe zum Mord an den ungarischen Juden zu fünf Jahren Zuchthaus. Durch Verrechnung der Haftstrafe mit seiner bereits in Untersuchungshaft verbrachten Zeit kam er frei. Sowohl Staatsanwaltschaft wie Verteidigung gingen in Revision zum Bundesgerichtshof, der die Aufhebung des Urteils entschied. Im Januar 1973 wurde er endgültig verurteilt, wobei die verbrecherischen Taten von Zamość eine strafverschärfende Rolle spielten.

Befehlsverweigerung
 
Neben den verbrecherischen Taten von SS und Wehrmacht soll aber nicht unerwähnt bleiben, dass es auch deutsche Befehlsempfänger gab, die sich dem Terror verweigerten. Ein Beispiel aus Zamość ist der Exekutionsverweigerers Klaus Hornig. Dieser Polizeioffizier erhielt am 1.
November 1941 den Auftrag, mit seiner Polizeieinheit kriegsgefangene Rotarmisten zu erschießen. Hornig lehnte das unter Hinweis auf das Völkerrecht ab und belehrte seine Polizisten entsprechend. Dadurch konnte er die Morde allerdings nicht verhindern. Die Exekutionen wurden von einer anderen Einheit durchgeführt. Hornig wurde versetzt und wegen “Wehrkraftzersetzung”, Befehlsverweigerung und öffentlicher Beschimpfung der SS zu einer mehrjährigen Haft verurteilt und im April 1945 von Truppen der US-Armee in Buchenwald  befreit. - Hätten sich mehr Befehlsempfänger wie Klaus Hornig von ihrem Gewissen leiten lassen, wären den Kindern von Zamość möglicherweise viele schreckliche Erfahrungen erspart geblieben. (PK) 

Online-Flyer Nr. 188  vom 11.03.2009



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