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Literatur
Sie haben es satt, über nicht gehaltene Versprechen zu reden
„Mamadous Fahrt in den Tod“
Von Peter Bach

Mamadou ist der Name eines unbekannten Flüchtlings, dessen Leiche an einem Strand der tunesischen Küste angeschwemmt wurde, und dessen Grab von einem Anwohner im Gedenken an all die anderen umgekommenen Mamadous gepflegt wird. Gabriel del Grande will mit seinem Buch “Mamadous Fahrt in den Tod – Die Tragödie der irregulären Migranten im Mittelmeer“ dazu beitragen, dass die westeuropäischen Regierungen bei ihrer  menschenverachtenden, rassistischen Abwehrpolitik die Unterstützung der “Zivilgesellschaft“ verlieren.


Quelle: torun.indymedia.org 
 
Tausende und Abertausende von Toten, eine unbestimmte Zahl von Vermissten, Verletzten und körperlich und psychisch erkrankten sind die Nebenwirkungen eines den Migranten von Europa erklärten Krieges. Den führt eine von Mitgliedsländern der EU mit Hunderten Millionen finanzierte Armee. Sie führt ihn an Land, in der Luft und auf den Meeren die Nord- und Westafrika umgeben, gegen eine hoffnungslos unterlegene, aber trotzdem nicht zu stoppende Bewegung vor allem junger Menschen. Sie führt ihn gegen Menschen, die unmenschliche Anstrengungen unternehmen, um der Hoffnungslosigkeit zu entfliehen und nach Europa zu gelangen, weil sie Arbeit finden und sich und ihren zurückgebliebenen Familien das Leben erleichtern wollen.
 
Auf den Spuren der Namenlosen
 
Der italienische Journalist, Gabriel del Grande, ist der Spur dieser Namenlosen gefolgt. In seinen präzisen und akribisch recherchierten Reportagen gibt er ihnen einen Namen, ein Gesicht, eine Geschichte. Monatelang folgt er ihren Routen von Südwestafrika zum Mittelmehr und entlang der Küste, von der Türkei zum Maghreb und von dort bis zum Senegal.
 
Er besucht die Verwandten der Opfer des 18./19.August 2006 vor Lampedusa. Wir begegnen den Verwandten von Ertrunkenen, Erschossenen, Verdursteten und Verschwundenen. Wir hören von jungen Männern und Frauen, die immer gefährlicherer Routen wählen müssen, die sich immer größeren Gefahren aussetzen, um die hochgerüsteten Sicherheitssysteme zu überwinden oder zu umgehen. Del Grande spricht mit Gescheiterten, Zurückgeschickten und Beraubten. Durch sie erfahren wir von dem mafiösen Zusammenwirken der Beschlüsse der Europäischen Regierungen, bis zur “Rückführung“ von Tausenden Aufgegriffenen hinter die Grenzen der nordafrikanischen Staaten – in die Wüste. Wir erfahren von den “Rekruteurs“, die die Leute für die Flucht begeistern und ihnen eine sichere Überfahrt garantieren und ihnen den Weg zu einem “Passeur“ weisen. Passeure kassieren im Voraus. Ist bezahlt, folgt das manchmal wochenlange Warten auf die Passage.


Quelle: media.de.indymedia.org 
 
Gabriel del Grande spricht mit den Wartenden, aber auch mit den Betrogenen. Sie berichten von dem Zusammenspiel von Polizei und Armee mit den Passeurs. Von Leuten, die losfahren und nach 300 km, mitten in der Wüste, nachkassieren oder aussetzen. Sie sind bewaffnet. Wer kein Geld hat bleibt, schutzlos der Wüste ausgesetzt, zurück. Wir erfahren, dass das unmenschliche Handeln der EU, Wanderung und Asyl von Menschen aus Afrika nach Europa zu verhindern, seine Nachahmer und Vollstrecker unter ebenso unmenschlich handelnden Gangstern und Mördern findet, und dass Raub und Mord fester Bestandteil des europäischen Systems der Abschreckung sind.


Quelle: media.de.indymedia.org
 
Del Grande berichtet über die Begegnungen mit Flüchtlingen in ihrem trostlosen Unterschlupf, die ihre Ersparnisse und die ihrer Familien aufgebraucht haben oder denen sie geraubt wurden, mit “Zurückgeführten“, die zwischen Hoffnung und Hoffnungslosigkeit, doch inzwischen ohne Geld, auf eine zweite Gelegenheit hinarbeiten. Er trifft auf die Gestrandeten, die ohne Hoffnung und ohne Chance auf Rückkehr in ihre Heimat, versuchen sich irgendwie durchzuschlagen, mit den in der Wüste Ausgesetzten, die über ihr und das Schicksal ihrer Mitreisenden berichten, die es auch nicht geschafft haben.
 
Didier Awadi aus Senegal: „Unsere Pirogen“
 
Während eines Gesprächs mit einem jungen Mann über seine bevorstehende Flucht läuft im Hintergrund die Single des senegalesischen Rappers Didier Awadi mit Bouba Kirikou
 
All Eure Versprechungen,
alle Eure schönen Worte,
und wir, die wir warten.
Ihr habt mir eine Arbeit versprochen,
Ihr habt mir versprochen,
dass ich nie wieder hungern würde,
dass ich einen Beruf, eine Zukunft haben würde.
Ich habe es satt zu warten.
Ich will fliehen,
ich will mich in der Piroge umbringen.
Ich schwöre! Hier bleibe ich nicht eine Sekunde länger.
Lieber sterben, als in dieser Hölle leben.
Lieber sterben.
Die Journalisten sind im Gefängnis oder unter Anklage.
Die Opposition ebenso.
Jeden Tag höre ich von Euren Skandalen im Radio.
Und in der Zwischenzeit kommen die Verbrecher freitags,
und all das erscheint Euch normal.
Was ist mit der Arbeit, die Ihr versprochen habt?
In Wahrheit wird es mit jedem Tag schlechter.
Ich habe es satt zu warten.
Es sind unserer Pirogen, die untergehen,
unsere Jungs, die sterben.

Video hierzu mit dem Originaltext und der Musik zum Lied unter http://www.studiosankara.com/sunugaal.html
Pirogen sind leicht motorisierte Holzschiffe der westafrikanischen Atlantikfischer, mit denen man versucht, die Kanaren zu erreichen.
 
Zahlen und Fakten
 
Im Jahr 2006 sind mehr als 6.000 junge Männer allein aus dem Senegal über die Antlantikroute zu den Kanarischen Inseln geflüchtet. 1.024 junge AfrikanerInnen sind allein 2006 entlang der Atlantikroute zu den Kanarischen Inseln umgekommen. Es gab 31.000 Ankünfte; sechsmal so viel wie 2005. Die EU hat 2006 1,820 Mrd € zur Kontrolle der Außengrenzen während der folgenden sieben Jahren eingesetzt, 2007 allein 34 Mio € für die Hochrüstung der Frontex. 1998 bis 2003 fanden 14.500 Aussetzungen mitten in der Wüste entlang der Grenze Libyens mit Niger, Tschad, Sudan und Ägypten statt.    2003 bis 2005 wurden 145.000 “Rückführungen“ von Afrikanern hinter die Grenzen der afrikanischen Mittelmeeranrainerstaaten, von Mauretanien oder Senegal oder direkt in ihre Heimatländer durchgeführt.
 
Spricht man diese Fakten an, wird einem in Deutschland oft entgegnet: „Ja wir können aber doch hier nicht alle Probleme der Welt lösen.“ Die afrikanischen Wirtschaftsstrukturen wurden durch den westeuropäischen Kolonialismus zerstört und diese Zerstörung wird aktuell durch Privatisierung und Subventionspolitik von EU, USA mit Hilfe der Weltbank fortgesetzt.  Das ist die Wahrheit der wir uns stellen müssen und für die wir die Verantwortung tragen.
 
Widerstand gegen die Abschottung der EU
 
Gegen diese Politik versucht borderline-europe vorzugehen, ein gemeinnütziger Verein,  unabhängig von politischen Parteien oder Regierungen. Er leistet zivilen Widerstand gegen die Abschottung der EU und deren tödliche Folgen durch umfassende Information der Öffentlichkeit, durch Vernetzung europäischer Initiativen und solidarische Lobbyarbeit auf nationaler und EU-Ebene. (PK)

Cover

Gabriel del Grande
„Mamadous Fahrt in den Tod –
Die Tragödie der irregulären Migranten
im Mittelmeer“
, Loeper Literaturverlag,
Karlsruhe 2008,
216 S., kart., 14,90 €
ISBN 978-3-86059-510-7
 
Mehr zu Didier Awadi: http://www.awadimusic.com/ und Infos zu borderline-europe: www.borderline-europe.de



Online-Flyer Nr. 185  vom 18.02.2009

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