NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

Fenster schließen

Inland
„Interview" mit Jürgen Elsässer zu seinem Buch „Terrorziel Europa"
„Exkommunikation von Abweichlern“
Anneliese Fikentscher, Andreas Neumann und Peter Kleinert

Fragen zu seinem Buch „Terrorziel Europa – Das gefährliche Doppelspiel der Geheimdienste", aus dem die NRhZ in den letzten vier Ausgaben das Kapitel „Im Delirium eines deutschen 9/11“ veröffentlichte, wollten dem Autor Jürgen Elsässer die Arbeiterfotografen Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann per E-Mail für die NRhZ stellen. Als der Text hier eintraf, entschied die Redaktion, ihn nicht zu veröffentlichen, weil wir die „FragestellerInnen“ nicht blamieren wollten. Und weil Jürgen Elsässer davon ausgegangen war, dass es sich um ein NRhZ-Interview handelte, baten wir natürlich die Arbeiterfotografen, es auch nicht auf ihre Homepage zu stellen. Kurz vor Redaktionsschluss sahen wir, dass sie ihre Fragen dort eingestellt hatten, anstelle seiner Antworten aber jeweils den Satz „Jürgen Elsässer hat auf die Frage eine Antwort geschrieben, fordert von uns aber, diese nicht zu veröffentlichen.“ Deshalb haben wir beschlossen, das „Interview“ doch im Wortlaut zur Diskussion zu stellen.


Vorbemerkung Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann: In dem Buch ist in umfangreicher Fleißarbeit aus einer großen Zahl von Quellen Material zum Thema Terror zusammengetragen. Das ist eine enorme Leistung. Trotzdem stellen sich eine Reihe von Fragen, auf die wir keine Antwort haben.   
 
Vorbemerkung Elsässer: Ich freue mich, dass die Gruppe
„Arbeiterfotografie" mir bei meinem aktuellen Buch „Terrorziel Europa" die Möglichkeit gibt, auf ihre Kritik zu reagieren. Zum vorherigen Buch „Wie der Dschihad nach Europa kam" hat dieselbe Gruppe absurdeste Anwürfe auf ihre Website gestellt, ohne mir eine Stellungnahme anzubieten. Dies ist auch deswegen schwer verständlich, weil wir uns persönlich kennen und ich den "Arbeiterfotografen" schon beim Abdruck von Artikeln etwa in der „jungen Welt" geholfen habe. Aber was soll's, die Sitten sind auch auf der Linken versaut, es wird erst mal drauflos geballert und hübsch denunziert. Cui bono?

 
Die „spannende Auseinandersetzung", die Ihr versprecht, kann ich leider auch jetzt nicht erkennen. Ihr versucht mich vorzuführen. Eure Methode ist inquisitorisch und quälend langweilig, so wie die päpstlichen Exegeten vielleicht die Schriften von Galileo Galilei durchsucht haben. Wie diese seid ihr nicht an einer Debatte interessiert, nicht an gemeinsamem Erkenntnisgewinn oder wenigstens produktivem Streit, sondern an der Verkündung ewiger Wahrheiten und an der Exkommunikation von Abweichlern. Wenn Ihr diesen Stil nicht ändert, werdet Ihr zur Zerstörung der 9/11-Truth-Bewegung beitragen. Ich unterstelle Euch dabei keine Absicht. Was vielleicht schlimmer ist: Ihr seid einfach zu vernagelt! Ich rate Euch, eine gute Flasche Wein zu trinken, bevor Ihr was schreibt - das macht lockerer.
 
Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann: 1. In Kapitel 15 (Im Delirium eines deutschen 9/11), das auch in der Neuen Rheinischen Zeitung (www.nrhz.de) wiedergegeben ist, steht der Satz "Sechs Jahreist es heute her, dass junge Männer in die Türme des World Trade Centers flogen, sechs Jahre, in denen sich die Welt fundamental verändert hat..."(S.253)


Anneliese Fikentscher und
Andreas Neumann
Quelle: arbeiterfotografie.com
Du zitierst damit aus einer Sendung des ZDF über einen 2007 in Deutschland angeblich geplanten Anschlag, ohne Dich allerdings von dieser Darstellung zu distanzieren. Im Gegenteil fragst Du im nächsten Moment „Wurde also ein deutsches 9/11 in letzter Minute abgewendet?", knüpfst also an die fragwürdigen Gedanken an, machst sie Dir auf diese Weise zu eigen und transportierst sie als Wahrheit. Die Behauptung hast Du bereits in Deinem Buch 'Wie der Dschihad nach Europa kam' aufgestellt, indem Du dort Mohammed Atta & Co z.B. als „Schlüsselfiguren des 9/11-Plots" bezeichnet hast. Wie erklärst Du das Deinen kritischen Leserinnen und Lesern?



Spiegel-Überschrift und Fotos vom 8. September 2007:
DEUTSCH-AMERIKANISCHE ZUSAMMENARBEIT
Operation Alberich deckte Terror-Plot auf
TERRORVERDÄCHTIGE: BOMBENBAU IN DER FERIENWOHNUNG


2. Im gleichen Kapitel steht bezogen auf die so genannte 'Operation Alberich' der Satz „Amerika fühlte sich bedroht, und die Bedrohung, so
hatten es US-Geheimdienstler ihrem Präsidenten aufgeschrieben, komme aus Deutschland – wieder einmal, wie beim 11. September 2001." (S.259/260) Du zitierst hier zwar, aber ohne im Text deutlich zu machen, daß es sich um einen Artikel aus dem für seine Desinformation in Sachen 9/11 bekannten 'Spiegel' handelt. Warum bringst Du diesen Satz aus dem 'Spiegel', ohne auf die Quelle hinzuweisen und ohne Dich von diesem Satz zu distanzieren? Du vermittelst auf diese Weise beiläufig und unterschwellig, daß die Leute um Mohammed Atta, die zeitweise in Deutschland (Hamburg) gelebt haben, tatsächlich beim 11. September eine wesentliche Rolle gespielt haben. Du beziehst Dich vielfach auf den Spiegel-Artikel, in dem es an anderer Stelle heißt: „Zumindest soll nicht noch einmal von deutschem Boden aus ein Angriff gegen Amerikaner ausgehen." Damit ist klar, daß es sich nicht um die Einflüsterung von US-Geheimdienstlern handelt, sondern daß der 'Spiegel' selber die infame Behauptung verbreitet. Meinst Du nicht, daß Du Dich davon mit klaren Worten distanzieren solltest?
 
Jürgen Elsässer: Ad 1 und 2: Wer solche Fragen stellt, hat von der Produktion lesbarer Texte keine Ahnung. Meine Bücher meißele ich nicht mit dem Faustkeil in Steinplatten, sondern sie werden nach Art eines Kriminalromans komponiert. Das heißt, nicht nach jedem Satz, den ich von anderen zitiere oder referiere, gebe ich eine neunmalkluge Positionierung oder Distanzierung ab, sondern ich lasse das erstmal stehen, und später
dechiffriere und dekonstruiere ich das. Das ist die Methode von Sherlock
Holmes. Schon mal was davon gehört?

 
Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann: 3. In Kapitel 6 (Kein Pearl Hamburg), schreibst Du mit Deinen Worten: „Damit wäre es den Ermittlern möglich gewesen, das ganze Netz der Hamburger Fundamentalisten aufzurollen." (S.110) Damit leitest Du eine Passage ein,die als Zitat ausgewiesen ist, ohne daß Du im Text die Quelle – die Mainstream-Journalisten Schröm und Laabs – nennst und ohne Dich von der
Passage zu distanzieren, die eindeutig die Unterstellung enthält, die
„Hamburger Fundamentalisten" um Mohammed Atta hätten die Operation 9/11 ausgeführt. Sie werden ohne jede Umschweife als 'Todespiloten' bezeichnet. Was beabsichtigst Du mit dieser unreflektierten Wiedergabe?
 
Jürgen Elsässer: Was soll dieser Quatsch schon wieder? Könnt Ihr nicht im Zusammenhang lesen? Das gesamte Kapitel 6 ist eine einzige Widerlegung der offiziellen Version von der Hamburger Zelle. Stattdessen gehe ich, Hopsicker folgend, davon aus, dass es zwei Attas gab, den richtigen und einen US-Agenten.
 
Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann:  4. Vielfach bestehen Deine Ausführungen aus Gedanken aus Mainstream-Quellen wie Oliver Schröm, Dirk Laabs und 'Spiegel' - teils wörtlich übernommene Passagen - ohne daß Du sie einer Kritik unterziehen würdest. Wie kannst Du einem kritischen Publikum das erklären? Du bringst in Zusammenhang mit dem angeblichen Mastermind Ramzi Binalshibh den Satz: „Konkret verlangte er: 'Man muss in Bezug auf Amerika etwas tun.'" (S.115) Diesen Satz hast Du - wie bereits in Deinem Buch 'Wie der Dschihad nach Europa kam' wörtlich aus dem 2003 erschienenen Buch 'Al Qaida - Akteure, Strukturen, Attentate' von Oliver Schröm (Taschenbuchausgabe im Aufbau-Verlag, S.126) übernommen, ohne dies kenntlich zu machen. Was verbindet Dich mit Oliver Schröm, daß Du seine Gedanken als Deine eigenen ausgibst? Und noch eine Frage dazu: Was ist an der vagen Äußerung "Man muss in Bezug auf Amerika etwas tun" Deiner Meinung nach konkret?   
 
Jürgen Elsässer: Was soll mich mit Oliver Schröm verbinden? Wollt Ihr suggerieren, er hat mich bezahlt oder was? Ich folge, im frontalen Gegensatz zu Schröm, der Spur, dass Binalshibh ein Agent Provocateur gewesen sein
könnte, der im Interesse der Dienste die Hamburger Atta-Freunde heiß
gemacht hat.

 
Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann: 5. In Kapitel 6 (Kein Pearl Hamburg) gibst Du Daniel Hopsicker breiten Raum, insbesondere seinen Ausführungen im Buch 'Welcome to Terrorland' und lobst ihn für seine 'investigative Glanzleistung'. Du und er gehen damit der Person Mohammed Atta nach. Wie kannst Du es vor Dir und Deinen Leserinnen und Lesern verantworten, damit einen Autor als glaubwürdig darzustellen, der behauptet, es sei Mohammed Atta gewesen, der „seine 'realweltliche Erfahrung' dazu nutzte, in New York innerhalb weniger als zwei Stunden knapp 3000 Menschen zu ermorden."? ('Welcome to Terrorland', S.349) Du selbst zitierst Hopsicker mit der Formulierung: „Drei der vier Terrorpiloten vom 11.9. lernten das Fliegen an zwei Flugschulen... eine terroristische Troika." (S. 118) Was willst Du hiermit zum Ausdruck bringen?
   
Jürgen Elsässer: Aha, Hopsicker mögt Ihr auch nicht. Der muß also auch exkommuniziert werden. Bin ich ja in guter Gesellschaft.
 
Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann: 6. Du erwähnst einen 'Wolfgang' aus dem Freundeskreis von Mohammed Atta (S.121), bei dem es sich „angeblich um einen gewissen Wolfgang Böhringer" handelt - wie Du schreibst. Du formulierst dann Deine eigene Wertung: "Böhringer pflegte einen unverhohlenen Antisemitismus." (S.122) Du leitest Deine Wertung aus Behauptungen von Daniel Hopsicker ab. Wie hast Du die verifiziert? Durch den Vorwurf des Antisemitismus verwendest Du eine heute verbreitete Formel, die das Feindbild Islam bzw. Islamismus stützt. Ist das Deine Absicht?
   
Jürgen Elsässer: Weil andere mit dem Vorwurf Antisemitismus inflationär umgehen, darf man jetzt also gar nicht mehr von Antisemitismus sprechen? Das heißt, eine Sorte des politisch-korrekten Wahns durch eine andere zu ersetzen.
 
Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann:  7. Im Kapitel 2 (“Londonistan“) schreibst Du: „Die Saat der 'unheiligen Dreifaltigkeit' ist mit den Terroranschlägen am 7. Juli 2005 jedenfalls aufgegangen." (S.63) Die 'unheilige Dreifaltigkeit' sind nach Deinen Angaben drei Personen aus dem Londoner Islamisten-Netzwerk. (S.57) Wie kannst Du zu dem Urteil kommen, daß es Islamisten gewesen seien, die für die Bombenanschläge auf die drei U-Bahn-Züge und den Bus verantwortlich waren, wo Du doch gleichzeitig die ein oder andere Ungereimtheit erwähnst? Wie kannst Du z.B. über die Zeugenaussagen hinweggehen, aus denen hervorgeht, daß die Bomben unter den U-Bahn-Zügen angebracht gewesen sein müssen? Warum ziehst Du aus den von Dir wiedergegebenen, der offiziellen Darstellung zuwider laufenden Erkenntnissen keine entsprechenden Schlüsse?
   
Jürgen Elsässer: Das scheint mir Euer Grundfehler zu sein: Ihr könnt Euch nicht vorstellen, dass Islamisten gleichzeitig westliche Agenten sind. Genau
das ist aber die Strategie des britischen Geheimdienstes schon seit 150 Jahren: Sich mit ausländischen (z.B. islamischen) Terroristen zu verbünden, um als Joint Venture gemeinsame Feinde zu schlagen.

 
Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann: 8. In Kapitel 11 (Im Geheimdienst Ihrer Majestät) machst Du ein Interview zum Thema, das ein Peter Power, Ex-Scotland-Yard-Beamter und zum Zeitpunkt der Anschläge geschäftsführender Direktor der Firma 'Visor Consultants', auf BBC Radio 5 am Abend der Londoner Anschläge vom 7. Juli 2005 gab und in dem er von einer Übung mit Bombenanschlägen berichtet, die exakt an den Bahnhöfen stattgefunden haben soll, wo tatsächlich die Bomben explodierten. Du zitierst Power wie folgt: „Um halb neun an diesem Morgen... führten wir eine Übung durch." (S.197/198) Und nochmal: "...es war ungefähr halb neun diesen Morgen..." Damit wird der Eindruck erweckt, als sei die Übung kurz vor den tatsächlichen Bombenexplosionen um ca. 8:50 Uhr durchgeführt worden. Power sagt aber tatsächlich nicht 'halb neun' sondern 'halb zehn' (half past nine). Das geht nicht nur aus diversen Artikeln sondern auch aus dem Audio-Material hervor. Das bedeutet aber, daß die Übung nicht vor sondern nach den tatsächlichen Anschlägen durchgeführt worden sein soll, mitten in einem verwüsteten Umfeld. Ist das nicht höchst unwahrscheinlich? Was ist Deine Quelle für die Zeitangabe?
   
Jürgen Elsässer: Muß ich prüfen. Unabhängig davon: Die eine wie die andere Zeitangabe macht Peter Power und seine Firma höchst verdächtig.
 
Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann: 9. In Kapitel 11 erwähnst Du ein so genanntes Bekennervideo (S.201). In diesem Video - so behauptest Du, ohne zu belegen, daß das Video echt ist - habe Khan, einer der angeblichen Attentäter vom 7.7.2005 in London, deutlich gemacht, daß er ein 'moslemischer Fundamentalist' gewesen sei, um dann zu schlußfolgern: „Wir müssen vielmehr davon ausgehen, dass Khan tatsächlich in einem Zusammenhang mit den Schreckenstaten des 7. Juli steht." (S.201/202) Du relativierst dies zwar in den folgenden Sätzen, unterstellst aber die Echtheit des Videos und die Wahrheit der daraus abgeleiteten Schlußfolgerungen. Wie kannst Du die Echtheit des Videos belegen und ausschließen, daß das Video eine Geheimdienstproduktion ist?   
 
Jürgen Elsässer: Das Video beweist nicht, dass Khan die Bombe(n) gelegt hat, aber dass er „in einem Zusammenhang" mit dem Plot steht – z.B. als Mitglied einer MI6-gesteuerten Islamisten Gruppe. Genau so steht es in meinem Buch. Aber geheimdienstgesteuerte Islamisten – siehe ad 7) – gibts ja in Eurem Paralleluniversum nicht.
 
Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann:  10. Auf der Rückseite des Buches wird mit dem Lob 'eine Goldgrube an Enthüllungen' geworben. Dieser Kommentar zum Buch 'Wie der Dschihad nach Europa kam' stammt von dem ehemaligen französischen Innenminister Chevènement. Meinst Du nicht, daß kritische Leser einen solchen Kommentar dahingehend werten müssen, Dein Buch mit Vorsicht zu genießen?
   
Jürgen Elsässer: Warum? Weil Chevenement in Euren Augen kein Linker ist? Obwohl er Sozialist ist? Obwohl er die EU-Verfassung ablehnt? In jedem Fall ist er ein Fachmann, und über das Lob eines Fachmannes freut sich jeder Autor. Wer sich nicht darüber freut, sind Sektierer, die sich im kleinsten Insider-Zirkeln gegenseitig auf die Schulter klopfen und den Rest der Welt für böse böse böse halten. (PK)

Zum Thema 9/11 finden Sie in dieser Ausgabe von Elias Davidsson „Die Anschläge in Mumbai“



















Jürgen Elsässers Buch ist 2008 im Residenz-Verlag, St. Pölten/Salzburg inzwischen in der zweiten Auflage erschienen, 344 Seiten, 21.90 Euro

 

Online-Flyer Nr. 178  vom 24.12.2008



Startseite           nach oben