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Kultur und Wissen
1848/49 – ein starkes Paar in Zeiten der Revolution – Teil I
Gottfried und Johanna Kinkel
Von Klaus Schmidt

Vielen Zeitgenossen sind die revolutionären Ereignisse vor 160 Jahren nicht präsent, einigen fallen Schlagwörter ein: „Hambacher Fest“, Paulskirche, Badische Revolution, die mit dem hier und jetzt nur wenig zu tun haben. Doch Deutschland hat eine revolutionäre Vergangenheit, auch wenn der Geschichtsschreibung der BRD nur wenig daran gelegen war, eine revolutionäre Kultur zu etablieren. Der Historiker und Theologe Klaus Schmidt beschreibt die Revolutionsjahre von 1848 in Köln und im Rheinland – in dieser Folge die Bonner Gottfried und Johanna Kinkel. Die Redaktion.

Gottfried Kinkel Zeichnung: Bernhard Höfling
Gottfried Kinkel in der Frankfurter Pauls-
kirche | zeitgenöss. Zeichnung: B. Höfling        
Deutschland im Jahr 1848. Nach einer Erhebung in Wien, die Staatskanzler Fürst Metternich ins Exil zwang, stehen Bauern und Handwerker in Süddeutschland auf, erzwingen Leipziger Demokraten unter Führung des in Köln geborenen Robert Blum vom sächsischen König die Einsetzung einer liberalen Regierung. In Bonn hält der bei Handwerkern wie bei Studenten populäre Gottfried Kinkel, ehemaliger Theologe und inzwischen erster Professor für Kunstgeschichte in Deutschland, flankiert von den Professoren Ernst Moritz Arndt und Friedrich Dahlmann, eine flammende Rede, die die Provinzstadt in stürmische Begeisterung versetzt. In Solingen zerstören Arbeiter mehrere Gießereien und Häuser mißliebiger Fabrikanten. In Elberfeld kommt es zu Angriffen auf Fabriken und sogar auf das Rathaus, in Krefeld zu Erhebungen der Seidenweber. In Berlin hat Friedrich Wilhelm IV. die „Träume seiner Jugend“ beschworen und die Beseitigung aller Zollschranken sowie Pressefreiheit versprochen, gleichzeitig aber alle verfügbaren Truppen zusammengezogen. Sein Lieblingsmotto: „Gegen Demokraten helfen nur Soldaten“.
 
Abschied von der etablierten Religion und Kirche

Gottfried Kinkel (1815-1882), Pfarrersohn aus Oberkassel, leitet 1839 in Bonn als Dozent für Kirchengeschichte seinen Abschied von der Theologie ein: Er erwartet eine Vergeistigung des Lebens „vom Sieg einer von aller Verdüsterung, allem Dogmatismus befreiten christlichen Weltanschauung“.[1]

Johanna Kinkel
Musikerin und Frauenrechtlerin
Johanna Kinkel
Von einem solchen Sieg konnte für ihn persönlich vorerst keine Rede sein. Wegen seiner Liebe zu der fünf Jahre älteren Musikerin Johanna Matthieux (1810-1858) – einer geschiedenen Katholikin – wird er von Bonner Theologieprofessoren vehement angegriffen. „Weil es denn einmal sein muss“, schreibt ihm sein Freund Jacob Burckhardt, der später als Kulturphilosoph berühmt werden sollte, „so laß die Theologie fahren, man kommt heuer damit auf keinen grünen Zweig mehr.“ [2]


1842 heiratet er Johanna Matthieux, eine inzwischen von Felix Mendelsohn-Bartholdy und Robert Schumann gelobte Komponistin und Liedpianistin. Sie hält religiöse Aufdringlichkeit für ebenso verwerflich wie Arroganz gegenüber Skeptikern. Angesichts der Attacken gegen ihren Mann und ihrer beider Ehe will sie von der Kirche nicht mehr viel wissen: „Kann ich den Stifter ohne sie erfassen“, fragt sie sich, „oder nur mit der unsichtbaren Kirche, die aus den gleichgesinnten Geistern besteht, warum soll ich dann den Schlamm und Schutt mit fortschleppen, der sich angehäuft hat?“

Für Gottfried Kinkel ist „das Gebiet der Kunst ein weiteres als das der Religion; wir haben im Leben Interessen, die an sich nicht religiös sind, Freiheit, Bürgerthum, Gesetz und Verfassung, und was diese berührt, das bewegt unser Herz.“ 1846 wird er Doktor der Philosophie und als Kunsthistoriker sogar außerordentlicher Professor. [3] Schon vorher hat er Gedichte veröffentlicht und ironisiert nun, angeregt von Heinrich Heine, den Jenseitsglauben:

„Laß die alten Weiber sich /Um den Himmel schelten! /Aber freie Männer wir / Lassen das nicht gelten.“ Disziplinarische Maßnahmen gegen den Ketzer können – auch mit Burckhardts Hilfe – vermieden werden, doch der Freund reagiert verärgert: „Du bist nicht mehr Theologe, kein Mensch auf Erden kann dir ein religiöses Votum abverlangen, warum schreibst du es also in ganz unnützer Weise in die Welt hinaus und noch dazu in solcher Form?“

Der demokratische Aufbruch


Kinkel (links) und Carl Schurz
Kinkel (links) und Carl Schurz                           
Zusammen mit dem Studenten Carl Schurz gehört Kinkel 1848 zu den Gründern des Bonner Demokratischen Vereins und wird ihr Präsident. Unmittelbar nach der Niederschlagung des Wiener Aufstands lässt die preußische Regierung im Oktober 1848 den Landtag auseinanderjagen, der daraufhin zum Steuerboykott aufruft. In Bonn beschließt der Demokratische Verein auf Antrag Kinkels, die Stadttore zu besetzen, an denen Steuerbeamte von Bauern aus der Umgebung die „Mahl- und Schlachtsteuer“ kassieren. Als er wegen „Anreizung zum Aufruhr“ verhaftet wird, erhält der ermittelnde Staatsanwalt die stärkste Unterstützung von einem Bonner Theologie-Dozenten. Die Stadt sei „vollkommen terrorisiert“. Die Verhaftung der „demokratischen Häuptlinge“ würde nur durch die „erbärmliche Flauheit“ der Staatsorgane verhindert. Er erklärt dem Oberpräsidenten, die Sicherheit der Stadt könne „dauerhaft nur durch Kinkels Verhaftung verbürgt werden“. Der Oberpräsident verweist auf die schlechte Beweislage – Kinkel wird freigesprochen. Den konservativen Untertanengeist seiner protestantischen Gegner verspottet er in seinem Gedicht „Des Untertanen Glaubensbekenntnis“:

Stets nur treu und stets loyal
und vor allem stets zufrieden,
so hat Gott es mir beschieden,
folglich bleibt mir keine Wahl.
Ob des Staates alten Karren
Weise ziehen oder Narren,
dieses geht mich gar nichts an,
Denn ich bin ein Untertan .(...)

Ob mein Nachbar Bauersmann,
dem Kartoffeln nur noch blieben,
wird von Haus und Hof getrieben,
weil er nicht mehr leisten kann,
was für ihre Heldentaten
haben müssen die Soldaten,
dieses geht mich gar nichts an,
denn ich bin ein Untertan.


Die „Begnadigung“ des Revolutionärs


Friedrich Wilhelm IV. von preussen 1847
Rächender „Romantiker“ auf dem Thron:
Friedrich Wilhelm IV. – 1847
(s.u.)
Trotz massiver Kritik an der vom Preußenkönig oktroyierten Verfassung nimmt Kinkel im Februar 1849 an den Urwahlen zur zweiten Kammer der preußischen Nationalversammlung teil. In der von ihm parallel zur „Neuen Rheinischen Zeitung“ gegründeten und redigierten „Neuen Bonner Zeitung“ (Beilage: „Spartacus“) erklärt er das geltende Stimmrecht aus wahltaktischen Gründen zur „wichtigsten Waffe im Klassenkampf“ und fordert Reformen.

Mit 236 zu 214 Stimmen kann er sich gegen seine konservativen Gegner durchsetzen und zusammen mit zwei Gesinnungsfreunden als Vertreter des „Bonn-Sieg-Kreises“ in die zweite Kammer einziehen, wo er der „äußersten Linken“ angehört und sich Wortgefechte mit dem Abgeordneten Otto von Bismarck liefert. Johanna schreibt ihm: „Mein Glück und meine Liebe würden den unheilbarsten Stoß erleiden, wenn Du je mit der Partei der Ungerechtigkeit eine Versöhnung eingehst.“ In seiner Abwesenheit übernimmt sie die Redaktion der Neuen Bonner Zeitung.

Nach der gescheiterten Reichsverfassungskampagne nimmt er im Mai 1849 in Baden am Befreiungskampf teil. Die aus Arbeitern, Handwerkern, Studenten, ehemaligen Soldaten und Offizieren zusammen gewürfelte Revolutionsarmee wird von der preußischen und württembergischen Militärmacht nach teilweiser erfolgreicher Gegenwehr vernichtend geschlagen. Kinkel wird verwundet und gefangen genommen. Der Preußenprinz Wilhelm übt an dem Rest der Truppen, die in der Festung Rastatt kapitulieren, grausame Rache. Hunderte sterben unter den Salven der Erschießungskommandos oder siechen in den feuchten Kasematten der Festung dahin. Auch dem durch seine Gedichte in ganz Deutschland berühmten Kinkel droht – für viele unfassbar – die Todesstrafe.

klaus schmidt „gerechtigkeit - das Brot des Volkes" radius
                                                 

Lesen Sie in der kommenden Ausgabe der NRhZ den Fortgang von Johanna und Gottfried Kinkels Geschichte. (CH)


Literatur: Klaus Schmidt, „Gerechtigkeit – das Brot des Volkes“ Johanna und Gottfried Kinkel. Eine Biographie, Stuttgart 1996 Radius Verlag,

Klaus Schmidt, „Glaube, Macht und Freiheitskämpfe. 500 Jahre Protestanten im Rheinland“, 2. Aufl., Köln 2007, S. 127-153. Greven Verlag Köln




Fußnoten:
[1] Richard Sander (Hg.), Gottfried Kinkels Selbstbiographie, 1838-1848, Bonn 1931, S. 25, 39.
[2] Zit. in: Schmidt, „Gerechtigkeit – das Brot des Volkes“, S. 43; Radius Verlag,
[3] Kinkel, der schon zuvor Gedichte veröffentlicht hatte, gefährdete hier seine Position durch ein von den preußischen Autoritäten sogleich als skandalös empfundenes Lied, in dem er – ähnlich wie Heinrich Heine, doch weniger poetisch gelungen – den Glauben an ein Leben im Jenseits ironisierte: E. Ennen, Gottfried Kinkel, in: Edmund Strutz (Hg.), Rheinische Lebensbilder, 1. Bd., Düsseldorf 1961, S. S. 180; Schmidt, Gerechtigkeit, S. 46f.




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