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Literatur
„Verdunklungsgefahr“ Lesung der DGB-Jugend, NRhZ und Autoren des VS
„Vom Donner gerührt“
Von Karl C. Fischer

Ein „Türkenfreund“ verbringt Heiligabend in der Kneipe, ein Toter erklärt den „Symbolkrieg“ gegen Hakenkreuze und ein Hausmeister beutet sogenannte „Klaukids“ aus... AutorInnen des VS-Schriftstellerverbands in Köln nehmen Stellung gegen rechts. Mit Liedern, Gedichten und Prosa erinnern sie an das, was nie vergessen werden darf, geben der Angst eine Stimme und berichten vom Widerstand gegen rechte Gewalt. Die NRhZ stellt die Texte vor – in dieser Ausgabe „Vom Donner gerührt" von Karl C. Fischer.

Hetze gegen Migrantinnen und Migranten, Muslime, Flüchtlinge und andere Minderheiten oder andere Benachteiligte ist wieder salonfähig geworden, in einem Deutschland, dessen Bewusstsein sozial erstarrt ist. In Köln bezogen unlängst Zehntausende mutig gegen eine rechtsextreme (selbsternannte) „Bürgerbewegung“ Position und verhinderten den Aufmarsch weniger hundert europäischer Rechtsradikaler, die dem Aufruf von „Pro Köln“ gefolgt waren.
Doch, wie kann man nachhaltig Bewusstsein schaffen? Das fragten sich auch Mitglieder des Verbands deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (VS) und der DGB-Jugend aus Köln und antworteten mit einer Lesung.

Unter dem Titel „Verdunkelungsgefahr“ und in Kooperation mit der NRhZ lesen am Donnerstag, den 11. Dezember 2008 im Kölner DGB Haus Adriana Stern, Karl Feldkamp, Karl C. Fischer, Thomas Geduhn und Ulla Klomp Texte gegen rechts –  begleitet durch Moderationen und Lieder von Nikolaus Gatter. Als Vorgeschmack veröffentlichen wir in den kommenden Ausgaben einige im Vorfeld:

„Vom Donner gerührt

Von Karl C. Fischer

Es ist erst ein paar Tage her.
Ich kam von der Straßenbahn, überquerte den Salierring und blieb vor einem Relaiskasten stehen.
Da tippte mir jemand behutsam auf die Schulter. Ich wandte mich um und schaute in ein lächelndes, von einem grauen Vollbart eingerahmtes Gesicht mit langen zotteligen Haaren.

„Erregt kamen Sie über die Straße“, sagte er mit tiefer Stimme. „Als ihr Blick auf das Zeichen auf dem Kasten fiel, hellte sich ihr Gesicht dann aber deutlich auf.“
„Ist doch verständlich, wenn da einer den Mut hat, das Bildsymbol...“
„Ein Piktogramm“, belehrte mich der Mann.
nazi-müll piktogramm
„Ja, doch. Ein angepinntes Piktogramm in brauner Farbe, auf der eine Person mit ausgestrecktem Arm ein Hakenkreuz in den Abfallkorb wirft.“

„Das machte Sie froh?“ fragte er.
„Klar, für den Moment. Doch jetzt verblasst sie wieder, die Freude“, antwortete ich.
„Wieso?“
„Ich bin mutlos und wütend, wenn ich täglich von rechtsradikalen Brandanschlägen und Rassismus höre.“

„Das kann ich mir gut vorstellen“, meinte der Mann. „Anfang November 31 erlebte ich, wie die Nazis am jüdischen Neujahrstag auf dem Kudamm brutal über Juden herfielen.“
„Hören Sie“, gab ich verblüfft zurück, „wir haben 1993. Sie sehen mir nicht so aus, als hätten Sie das noch erlebt.“
„Es ist aber so. Ich war da sogar schon ein erwachsener Mann, der überlegte, wie man die braune Brut legal bekämpfen kann.“

„Legal“, spottete ich, „Gegen die kann man doch nicht mit rechtsstaatlichen Mitteln vorgehen.“
„Gewalt erzeugt Gegengewalt, lieber Freund“, antwortete er und trat zur Seite, um zwei jungen Türkinnen mit Kopftuch Platz zu machen.
„Weiß ich ja, aber wie soll man sich vor diesen gewalttätigen Horden schützen. Entweder werden verschworene Kämpfer mit denen fertig oder eine gewaltfreie Masse.“
„Es gibt noch einen dritten Weg, lieber Freund“, antwortete der Mann, hakte sich bei mir unter und führte mich hinüber zum Sachsenring.

Erst auf dem breiten Gehweg zwischen den alten Alleebäumen sprach er mich wieder an: „Der dritte Weg, der die Neonazis bekämpfen kann, ist absolut legal und gewaltfrei. Er muss im kleinen Kreis beginnen, und je länger man ihn verfolgt, spricht er die Masse tatsächlich an.“

„Er hat sicher einen Namen, der legale, gewaltfreie Weg“, spottete ich. „Es klingt ja nicht schlecht, doch warum hört man nie was davon?“
„Symbolkampf!“ lachte der Mann, ging auf einen der Relaiskästen zu, die am Weg standen, blieb davor stehen und deutete auf den dort aufgepinselten Müllbehälter. Neben diesem eine mit brauner Farbe gemalte Schattenfigur, die ein Hakenkreuz, über den Abfallkorb hielt, bereit zum Hineinwerfen.


Das Symbol der Eisernen Front
Das Symbol der                     
Eisernen Front
Vorwiegend zwischen Juli und Dezember 1932 –
Wahlkampf mit Symbolen:

Für den Verlust, den die NSDAP bei den 7. Reichstagswahlen am 06.11.1932 mit -4.3 Prozent erlitten hatte, war vor allem der Kampf der Eisernen Front verantwortlich, der in einigen Kommunen, Bezirken und Ländern sogar dramatisch war – je nach den regional unterschiedlichen Aktivitäten der Eisernen Front. Dieser Wahlkampf wurde in erster Linie von der Eisernen Front mit massen-psychologisch wirksamen Symbolen (Symbolkampf) geführt, die auch den amerikanischen Wahlkampf des Jahres 1932 bestimmt hatten, den Franklin D. Roosevelt gewann. Zu den Symbolen zählten u.a. das Hakenkreuz, dass der NSDAP 1932 viele Stimmen einbrachte, wobei die Eisernen Front während der heißen Phase des Symbolkampfes die Hakenkreuze mit den „Drei Pfeilen gegen das Hakenkreuz“ durchstreichen ließ.


Sergei Stepanowitsch Tschachotin, 1883-1973, geboren in Konstantinopel, gestorben in Moskau, lebte in vielen Ländern Europas, war fünfmal verheiratet und Vater von acht Söhnen, er war ein international anerkannter Naturwissenschaftler, ein Freund Einsteins und Pawlows, Zellforscher, Wegbereiter der Laser- und der Gentechnik, verknüpfte biologische mit psychologischen und soziologischen Fragestellungen, verband Wissenschaft und Politik mit der Frage persönlicher Verantwortung, kämpfte für die russische Revolution, die er später als Demokrat, Sozialist und Antifaschist bekämpfte, er war der Chefideologe der gegen die Nationalsozialisten gerichteten Widerstandsbewegung „Eiserne Front“, später Propagandist und Visionär einer internationalen Gemeinschaft, Pazifist und Anti-Atomkraft-Aktivist, kämpfte gegen die politischen Systeme seiner Zeit, was ihn immer wieder zu Flucht und Neuanfang trieb, sowie in den Untergrund und ins Internierungslager

„Erstaunlich“, sagte ich ironisch. „Schon das zweite Piktogramm auf unserem kurzen Weg.“
„Es gibt noch mehr davon.“
„Das waren Sie und wollen mich glauben machen, dass es Wirkung haben könnte.“
„Mein Freund“, lächelte er. „Ich bin Sergei Tschachotin, das weißt du doch! Symbolkampf!“
„Ja, ja“, antworte ich unsicher.
„Erinnere dich: 30. November 31. Als ich in den Straßen Heidelbergs herumwanderte. Fünf Tage nach dem Auffinden der ,Boxheimer Dokumente', die belegten, mit welcher Brutalität die Nazis ihre Machtübernahme planten.“


Dänischer Premier Scavenius Nazi-Jurist Werner Best
Nazi-Jurist Werner Best (r.),
Verfasser der Dokumente
(im Bild mit Dänischem Premier
Scavenius)
November 1931 – die Boxheimer Dokumente belegten, dass die Nazis einen Putsch planten:
Am 25.11.1931 wurden im „Boxheimer Hof“ bei Lampertheim die „Boxheimer Dokumente“ gefunden, die detailliert bewiesen, wie die Nazis die Machtübernahme „nach dem Wegfall“ der bisherigen Behörden planten. Dazu zählte auch die Übernahme staatlicher Gewalt (Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte) durch die SA und Landwehren, die Einrichtung von Feldgerichten, die „jeden Widerstand mit dem Tode bestrafen sollten“, die Erfassung von Lebensmitteln und die Einführung von Arbeitsdiensten.


Ich schlug mir an die Stirn und dachte, wieso fällt dir erst jetzt ein, wer er ist. „Ich erinnere mich, Sergej“, platzte ich heraus.
„Denk nach! Plötzlich, wie vom Donner gerührt, blieb ich stehen. Sah, dass an einer Eckwand ein Hakenkreuz angemalt war, durch welches ein wuchtiger weißer Strich zog.“
„Ich weiß es wieder, Sergej.“
„Dann weißt du auch, dass wir weitermachten, die ,Eiserne Front' gründeten und Erfolg hatten, bis uns der Parteivorstand kurz vor der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler unter Druck setzte und den Symbolkampf untersagte.“

„Ja, sicher.“
„Du hast es doch im ,Archiv der sozialen Demokratie' gelesen. Du weißt doch, dass der Bevölkerung diese Dokumente unbekannt sind.
„Verdammt noch mal, ja, so ist es Sergej.“
„Nun siehst du die Symbole wieder. Sie können nicht von mir sein. Wie du weißt, bin ich schon 1973 gestorben.“

Da rempelte mich ein junger Mann an, der eilig auf dem Weg zum nahe gelegenen Bistro war.
„Schlafen Sie im Stehen?“
„Nein, mein Freund“, antwortete ich. „Ich habe mich nur über das Piktogramm auf dem Relaiskasten gefreut.“

Da stockte der junge Mann und sagte lächelnd: „Find ich super, das Symbol! Ich würd’ es cool finden, wenn wir’s einfach nachmachten.“
„Das geht“, sagte ich. „Ich hol nur schnell einige Pinsel und einen Topf Farbe.“
„Abgemacht“, antwortete er. „Und ich bring ein paar Freunde mit“.
„Dann treffen wir uns in zehn Minuten drüben bei den Glas-Containern.“

Einige Stunden später, als die Farbe an einer Mauer am Rheinufer zur Neige gegangen war und wir unsere Hände mit Terpentin reinigten, sagte einer meiner neuen Freunde:
„Morgen bring ich die Farbe mit.“


Dezember 1932: Die NSDAP verlor weitere Wähler, drohende Spaltung und Finanzkrise
Am 03.12.1932 verlor die NSDAP bei den Gemeinderatswahlen in Thüringen bis zu 40 Prozent der Stimmen, während finanzielle Zuwendungen der Industrie und Banken für die Nazis ausblieben. Zugleich versuchte Reichskanzler General von Schleicher anstelle des NSDAP-Vorsitzenden Adolf Hitler, den „linken Flügel“ der NSDAP unter Gregor Strasser in die Regierung einzubinden, wodurch die Spaltung und später sogar die Auflösung der Nazi-Partei drohte. Doch Strasser trat zurück und NS-Propaganda-Chef Josef Goebbels schlug vor, die allerletzten finanziellen Reserven in den ersten Wahlkampf des kommenden Jahres zu stecken, der für den 15.01.1933 geplant war.

Die Eiserne Front im Wahlkampf 1932 in München
Die Eiserne Front im Wahlkampf 1932 in München

Januar 1933: Die NSDAP gewann die Wahlen in Lippe-Detmold
Am 15.01.1933 wurde die NSDAP mit 39,1 Prozent der abgegebenen Stimmen in dem 100.000 Wahlberechtigte zählenden Land Lippe-Detmold stärkste Partei. Mit ihrem letzten Geld hatte sie einen besonders aufwendigen Wahlkampf geführt, während sich die anderen Parteien zurückhielten und der SPD-Vorsitzende Otto Wels der Eisernen Front untersagte, den Symbolkampf fortzusetzen. Jetzt wurde die NSDAP noch massiver als zuvor von der Industrie und den Banken unterstützt.

(4. Version: 23. Mai 2008) Karl C. Fischers Text, hier geringfügig gekürzt, wurde erstmals im Jahr 1994 in „Einheit“, Organ der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie veröffentlicht. (CH)


Karl C. Fischer Karl C. Fischer, 1937 in Marburg geboren, lebt seit 1977 in Köln, Rentner, vormals Drucker, erster Preisträger bei Schreib-Wettbewerb der Stadtbücherei Köln und des „Sonntag-Express“, Veröffentlichungen in Werkkreisreihe im Fischer-Taschenbuch- und Europa-Verlag, in Anthologien, Zeitungen, Zeitschriften, Mitarbeit an Film-Dokumentationen des WDR, 1996 erschien Roman „Erwachsene Kinder“ im Buchverlag Andrea Schmitz, Egestorf. Seit 1977 Mitglied im Werkkreis Literatur der Arbeitswelt und seit 1996 auch im Verband Deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (VS).



verdunklungsgefahr karikatur kostas koufogiorgos
Karikatur: Kostas Koufogiorgos                 
www.koufogiorgos.de
„Verdunkelungsgefahr – Lesung gegen Rechts“

am Do., 11. Dezember 2008
Beginn 18 Uhr
im Kölner DGB Haus
Hans-Böckler-Platz 1
50672 Köln
Eintritt frei
www.vs-koeln.de
www.dgb-region-koeln.de


Zum gleichen Zeitpunkt startet auch „Linksschreibung“, ein Schreibwettbewerb der NRhZ zum gleichen Thema: Wir wollen junge Menschen ermutigen, ihre Gedanken auszudrücken, zu Rechtsradikalismus, Diskriminierung, Hetze gegen Minderheiten oder positiv zur Vielfalt der Menschen und ihrer Bedürfnisse, für die Wahrung ihrer Rechte und Verwirklichung ihrer Chancen. Ihr dürft alles schicken, vom Gedicht, Lied, der Text-Collage, über Kurzgeschichten, Novellen, Romane, Theaterstücke, Hörspiele, Videos bis zu experimentellen Texten. Alle Texte, die der Redaktion gefallen, werden veröffentlicht, die besten drei erhalten einen Lyrikband mit Illustrationen. (CH)












Online-Flyer Nr. 174  vom 26.11.2008



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